Samsta g, 2. November 2019 ∙Nr. 255∙240.Jg. http://www.nzz.ch∙€3.20∙£2.
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Nobelpreis für Literatur: Der Diskussion fehlt die nötige Tiefenschärfe Seite 17
Impeachment rückt näher
InnertKürze sollen inWashington öffentliche Anhörungen beginnen
PETER WINKLER,WASHINGTON
Die amer ikanischen Demokraten haben
am Donnerstag den Einsatz in ihrer
Impeachment-Untersuchung gegen Prä-
sident DonaldTrump erhöht und das
weitere Vorgehen in einer formellenAb-
stimmung imRepräsentantenhaus fest-
gelegt.DasAbstimmungsresultat – 231
zu 196 Stimmen – entsprach fast genau
den Mehrheitsverhältnissen; nur zwei
Demokratenverw eigerten sich derPar-
teilinie. Unter denRepublikanern gab es
keine Dissidenten.
Es warkeine Abstimmung über eine
Anklage gegen den Präsidenten.Sie
macht aber denWeg frei für öffentliche
Anhörungen und legt fest, dass der Ge-
heimdienstausschuss die Untersuchun-
gen mit etwas verändertenRegeln leitet,
die unter anderem ein vertieftes Befra-
gen von Zeugen erlauben.Danach ent-
scheidetdieJustizkommission,obsieAn-
klagepunkte aufsetzen will. Die Demo-
kraten unterstrichen, ein solcher Ent-
scheid werde aber erst am Ende,nicht
am Anfang der Untersuchungen stehen.
Als ersteAbstimmung im Plenum der
grossenKongresskammer war der Ent-
scheid vom Donnerstag eine Geste von
erheblichem symbolischem Gewicht.
Die bisherigen Untersuchungen waren
nur durch einen einseitigen Beschluss
der Demokraten angestossen worden.
Nun mussten sämtliche Abgeordneten
zum ersten MalFarbe bekennen, ob sie
grundsätzlich an die Möglichkeit glau-
ben, Trump habe eine Entfernung aus
de m Amt verdient, und sie deswegen
die Untersuchungen weiterführen wol-
len. Dabei steht die Ukraine-Affäre im
Vordergrund,aber eskönnen durchaus
noch weitereThemen aufgegriffen wer-
den. So zumindest stellten es die Demo-
kraten dar, die sich damit alsVerteidiger
der verfassungsmässigen Gewaltentren-
nung in Szene setzten. PräsidentTrump
glaube, dieVerfassung verleihe ihm die
Macht, zu tun und zu lassen, was immer
er wolle, erklärte die Speakerin Nancy
Pelosi.Es liege deshalb amRepräsentan-
tenhaus, dafür zu sorgen,dass die Macht-
balance zwischen den gleichberechtigten
Instanzen derRegierung –Kongress und
Weisses Haus – gewahrt werde.
DieRepublikaner stellten ebenso
grundsätzlich in Abrede, dass irgend-
etwas vorgefallen seinkönnte, was eine
EntfernungTrumpsausdemPräsidenten-
amtverdiente.Stattfürdasamerikanische
Volk zu arbeiten stürzten sich die Demo-
kraten in einen abenteuerlichenVersuch,
die Wahl von 2016 zu annullieren.
Im Morast der Moral
Dürfen Unternehmen primär auf den Gewinn ziel en? Und ist es ihnen erlaubt, in autoritären Staaten Geschäfte zu täti gen?
Firmen sehen sich zusehendsmit moralischer Kritikkonfrontiert. Das führt zu Heucheleien auf allen Seiten. Von Thomas Fuster
Grün ist dieFarbe desJahres – und Moral das Gebot
der Stunde. Letzteres bekommen auch die Unter-
nehmen zu spüren.Diese werden in der Öffentlich-
keit immer seltener nach Massgabe ihrer Gewinne
oder Arbeitsplätze beurteilt. Die Güte einerFirma
bemisst sich vielmehr anWohltaten, die inkeiner
Erfolgsrechnung auftauchen.Dazu gehören Akti-
vitäten für eine intakte Natur, eine gerechte Ge-
sellschaft, ein lebendigesKulturleben und für vie-
les mehr. Die Unternehmenkommen demTrend
entgegen:In dicken Reports breiten sie ihre Leis-
tungenbezüglich «corporate socialresponsibility»
aus.Tue Gutes und sprich publikumswirksam dar-
über, lautet das Credo dieserWälzer. Sie sollen zei-
gen, dass das Unternehmen sich längst nicht mehr
damitbegnügt, bloss gute Produkte für zufriedene
Kunden herzustellen. Es trachtet auch danach, die
Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Sozial mit fremdem Geld
Entsprechend heikel wird es, wenn Unterneh-
men inLändern wirtschaften, die sich demokrati-
schen Prinzipien verschliessen.An solchenLändern
herrscht auch dreissigJahre nach demFall der Ber-
liner Mauer kein Mangel,zumal die Zäsurvon 1989,
anders als damals erhofft, nicht einen globalenAus-
bruch vonFreiheit und politischerMitbestimmung
zur Folge hatte.Vor Jahresfrist rückte aufgrund der
Ermordung vonJamal Khashoggi etwa das saudi-
arabischeRegime ins Zwielicht.Viele ausländi-
sche Firmen, die imKönigreich viel Geld verdien-
ten, sahen sich in derFolge veranlasst, auf Distanz
zu den Saudi zu gehen. Seit der türkischen Militär-
offensive inSyrien wird derweil diskutiert, ob ein
Konzern mit gesellschaftlicherVerantwortung noch
in derTürkei investieren darf.Weitere Beispiele
gibt es zuhauf. Der Elefant imRaum ist China, das
zwar mit einem hohenWirtschaftswachstum punk-
tet, nicht aber mitRespekt vor Menschenrechten.
Wie sollen sich die Unternehmen verhalten?
Dürfen sie in Unrechtsstaaten ihr Geld verdie-
nen?SolcheFragen beschäftigenFirmen rund um
den Globus.Doch in der Schweiz hat dasThema
eine besondere Brisanz. So wird hierzulandekon-
trovers über dieKonzernverantwortungsinitiative
debattiert. Diese ist von einer breiten Allianz aus
über sechzig Nichtregierungsorganisationen lan-
ciert worden. Sie will den hiesigen Unternehmen
auch für die Geschäftstäti gkeitim Ausland weit-
reichende Sorgfaltspflichten auferlegen, vor allem
in den Bereichen Menschenrechte und Umwelt.
Mit dem kräftig nach links gerücktenParlament
dürften solche Forderungen in der Schweiz an
politischem Support gewinnen. DieKultur des
Verdachts gegenüber Unternehmen wird mehr-
heitsfähig.Das in links-grünenParteien oft zu be-
ob achtende Gefühl, sich für denWohlstand ent-
schuldigen oder gar schämen zu müssen, wird be-
ruhigt, indem man dieWohlstandserzeuger pro-
phylaktisch inKetten legt.
Für Unternehmen gibt es theoretisch zwei Mög-
lichkeiten, auf eine moralisierte Öffentlichkeit zu
reagieren. Die erste Option orientiert sich an Mil-
ton Friedman. Dieser hat sich1970 in einem be-
rühmt gewordenenAufsatz mit der sozialenVer-
antwortung von Unternehmen auseinandergesetzt.
Darin entbindet der Wirtschaftsnobelpreisträ-
ger dieFirmen von einer solchenVerantwortung.
Seine Begründung: Nur IndividuenkönnenVer-
antwortung tragen, nicht aber legaleKonstrukte
wie Unternehmen. Zudem arbeiten Manager nicht
mit eigenem Geld, sondern mit jenem derFirmen-
eigentümer,und diese wollen einen Gewinnsehen.
Ziel eines Unternehmens muss lautFriedman da-
her die Maximierung des Gewinns sein. Dies nicht
nur ausRespekt vor dem Eigentum, sondern auch
deshalb, weil Gewinn messbar ist, sozialeVerant-
wortung aber nicht.Wenn sich Manager dennoch
für Soziales einsetzen wollen, dann bitte mit eige-
nem Geld und in derFreizeit.
Doch dieFixierung auf den Gewinn gilt heute
als anrüchig. Zeitgeistiger ist daher die zweite
Option. Sie zeichnet das Bild eines Unternehmens,
das weitreichenden gesellschaftlichen Ansprüchen
gerecht werden will. Ein Beispiel für solches Den-
ken lieferten imAugust diesesJahres knapp 200
Konzernchefs aus den USA: ImRahmen ihres
«businessroundtable» distanzieren sich die ein-
flussreichen Manager in einem gemeinsamenPos-
tulat explizit vom Primat des Shareholder-Value.
Sie wollen mit dem fremden Geld, das ihnen die
Aktionäre treuhänderisch anvertrauen, weit Edle-
res leisten.Auf der Liste jener Anspruchsgruppen
(Stakeholder),denen sie sich verpflichtet fühlen,er-
scheint der Aktionär an letzter Stelle. Der Anteils-
eigner verkommt gewissermassen zum notwendi-
gen Übel, ohne dessen Geld die imPostulat ver-
sprochenen Beglückungen – etwa dieFörderung
von Inklusion,Diversität,Würde undRespekt – lei-
der nicht finanzierbarsind.
Was heisst das für das Problemrepressiver Staa-
ten? Sollen sich Unternehmen in solchenLändern
an Friedmanorientieren, also an derFrage, ob der
Aktionär einen Mehrwert erwarten kann? Oder
taugt alsVorbild eher dasPostulat der US-Mana-
ger mit ihrer Betonung der sozialenVerantwor-
tung? Gar so schwarz-weiss ist die Sache natürlich
nicht. In der Praxis dominieren die Grautöne, vor
allem in «weak governance zones», wo sich Staaten
unfähig oder unwillig zeigen, ihren zentralenAuf-
gaben nachzukommen. Die Grenze, deren Über-
schreiten ein Engagementverbietet, ist schwer zu
ziehen. Sind etwa alle Staaten tabu, die gegen das
Folterverbotverstossen, was laut Amnesty Inter-
national zwischen 2009 und 2014 drei Viertel aller
Länder taten? Oder sind es Staaten, die sich einem
Mehrparteiensystem verweigern, zu wenig gegen
den Klimawandel unternehmen oderkeineFrauen
in derRegierung vertreten haben?
Manager sind keine Richter
Denkbar ist vieles. Manager haben aber weder
di e demokratische Legitimität noch die Mittel,
um einLand in eine bestimmte politische Rich-
tung zu lenken. Unternehmenkönnen den Staat
nicht ersetzen. Sie habenkeine staatliche Hoheit,
könnenkeine Gesetze durchsetzen, verfügen über
kein Gewaltmonopol.Wenn sie nach sorgfältiger
Abwägung gleichwohlzum Schlusskommen, dass
in einem bestimmtenLand ein unternehmerisches
Engagement nicht länger zu verantworten ist, be-
deutet das noch nicht, dass dadurch mehr sozialer
Nutzen als Schaden entsteht. Einerseits mag die
Beendigung einer Geschäftsbeziehung verhindern,
dass ein Unrechtsregime ungewollt stabilisiert wird.
Denkbar ist anderseits aber auch,dass ausländische
Firmen über die Schaffung von Arbeitsstellen, den
Aufbau von Infrastruktur oder denTransfer von
Wissen einen positivenWandel imLand unter-
stützen.Welche Wirkung dominiert,ist ex ante sel-
ten eindeutig.
Das Dilemma ist offenkundig. Doch Manager
sind die falschenAkteure, um den Stab zu brechen
über die gesellschaftliche Ordnung einesLandes.
DieseAufgabe steht politischen Organisationen
zu, etwa der Uno, die über Gut und Böse entschei-
den kann, allenfalls mit Sanktionen.Als Grundsatz
für Firmen empfiehlt sich daher:Jedes Unterneh-
men soll innerhalb desrechtlichenRahmens frei
entscheidenkönnen, wo es wie tätig sein will; jedes
Unternehmen muss aber auch die damit verbun-
denenKonsequenzen tragen. DieseKonsequenzen
spiegeln sich nicht nur im Gewinn, sondern auch
in derReputation.Weralso in einemrepressiven
Staat, wokeinerleiWandel zum Guten beobacht-
bar ist,unbeirrt Geschäfte tätigt, muss damitleben
können , dass einigeKunden oderAktionäre solches
Verhalten unethisch finden und sich von derFirma
abwenden. Oder dass begehrte Nachwuchskräfte
wenig Interesse zeigen, bei einem solchen Unter-
nehmen zu arbeiten.
Kommt es zu solchenReputationsschäden, wird
der Flirt mitAutokratien nicht nur zum ethischen,
sondern auch zum ökonomischen Risiko. Dann löst
sich das Dilemma zwischen dem Shareholder-Value
und dem Schielen auf sozialeVerantwortung gleich-
sam auf. Entsprechend versuchenFirmen in Zeiten
einerüberdehnten Moral ausreinem Gewinnkal-
kül als «good corporate citizen» aufzutreten. Das
wirkt oft scheinheilig. Etwa wenn Google jahre-
lang die Devise «Don’t be evil» als Motto predigt
und gleichzeitig einen faustischenPakt mitPekings
Machthabern eingeht,um in Chinaeine scharfzen-
sierte Suchmaschine zu lancieren. Je mehr Moralin
der eigenenFirma beigemischt wird, desto heftiger
die Häme,wenn die Diskrepanz zwischen Schein
und Sein zutage tritt. Im unwegsamen Gelände der
Moral verirrt man sich schnell im Morast.Das soll-
ten sich Unternehmen auf der Suche nach ihrer
hehrenVerantwortung stets vorAugen halten.
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