Der Tagesspiegel - 09.11.2019

(Darren Dugan) #1

W


as wünsche ich mir für die Zukunft Ber-
lins? Von was für einer Stadt träume
ich? Ich kann auf diese Frage nicht ant-
worten, ohne einen Blick zurück und
etwas Nostalgie. Solange ich mich erin-
nern kann, hat schon immer jemand gesagt, Berlin sei
nicht mehr das, was es mal war.
Das echte, wahre Berlin sei untergegangen, vielleicht
gerade noch erkennbar in der einen oder anderen Bar.
Dem einen oder anderen Club. Vor fünf oder zehn Jahren,
da sei alles noch ganz anders gewesen. Und ich bin mir si-
cher, vor fünf oder zehn Jahren hat man schon das gleiche
zu hören bekommen. Schließlich sind wir alle Pioniere in
dieser Stadt, Menschen der ersten Stunde, die sie erschlos-
sen haben und misstrauisch auf die Neuen äugen, die nach-
kommen und von unseren Leistungen profitieren.
Aber was wäre das Gegenteil? Eine Stadt im Stillstand?
Der Wandel ist eine der wenigen Konstanten, und die
vielen Schichten der Geschichte Berlins werden zur
DNA unserer Stadt. Wir berufen uns noch heute auf die
Goldenen Zwanziger und den Goldrausch der Neunzi-
ger. Es sind Erzählungen vom großen Erbe, das wir wei-
tertragen, stolz auf die Momente größter Kreativität und
Energie. Aber die entstehen nur in der Veränderung und
diese schafft ihrerseits neue Veränderung.
Trotzdem ist mein erster Reflex auf die Frage, was ich
mir für die Zukunft Berlins wünsche, festhalten zu wol-
len, was für mich die Seele unserer Stadt ausmacht. Ihre
Freiheit und Kreativität. Vielleicht ist das ein Wider-
spruch, vielleicht aber auch gar nicht so sehr. Denn es
geht mir dabei um Freiräume, die ich bewahrt wissen
möchte, die es bisher gab – und die gefüllt werden konn-
ten von Menschen mit Ideen von etwas anderem als Pro-
fit. Dazu gehört für mich die Unverschämtheit, mit der
man hier leben durfte, weil noch der absurdeste Lebens-
entwurf nur ein Schulterzucken hervorrief. Ich meine die


Unbekümmertheit, mit der man hier leben konnte, weil
noch der grandioseste Spinner es sich leisten konnte. Das
Zentrum Berlins war offen für diese Leute, und deshalb
schlug in der Mitte der Stadt auch wirklich ihr Herz.
Das sehe ich zum ersten Mal in Gefahr. Immer wenn
ich mit der U5 durch den Bahnhof Weberwiese fahre,
sehe ich die Abdrucke von den „notes of Berlin“. Eine
davon lautet: „Berlin, ich liebe Dich. Aber bald kann ich
mir Dich nicht mehr leisten. Wenn ich gehe, gehst Du
auch.“ Jedes Mal gibt mir das einen Stich.
An der Stelle nun der nostalgische Blick zurück.
Konkret in unsere WG-Küche in der Dunckerstraße in
Prenzlauer Berg. Es sind die Nullerjahre. Frisch Zuge-
zogene schimpfen schon auf die Schwaben im Bezirk,
rätseln, ob der Wedding jetzt kommt und gehen dann
doch lieber nach Neukölln. Ich wohne zusammen mit
Barry, einem irischen Philosophieprofessor und Musi-
ker, und Berlin kommt mir vor wie ein internationales
Dorf. Mick aus London schneit oft bei uns rein mit
seiner Gitarre und seiner Stimme wie Velours. Auch
Noni, der aus Dublin kommt, aber sonst zwischen
Indien, Ruanda und Australien pendelt. Jaime, die
Bassklarinettistin aus Nebraska, ist oft bei uns, und
mein bester Freund Jonathan bewohnt mit großer
Regelmäßigkeit unser Sofa.
Wowereits Spruch vom Berlin, das „arm, aber sexy“
sei, war sicher ein geschicktes Branding, mit dem all die
chronischen Pleiten umgemünzt wurden. Aber es war
auch ein Versprechen. Und Barry, Noni, Jaime, Mick und
so viele andere haben es gehört. Sie haben Dublin, Lon-
don und New York hinter sich gelassen, weil sie dort
nicht mehr den Freiraum gefunden haben, den Berlin
ihnen bot, um als Künstler oder Kreative zu leben.
Drei oder vier Alben sind in unserer Küche entstan-
den. Zwei von den Bands, die sich gebildet haben, gibt es
noch immer. Aber die Leute ziehen langsam weiter.

„Arm, aber sexy –


das war auch


ein Versprechen.“


Unverschämtleben


Tacheles reden, Tacheles leben:
Das sind einige der Kunst-
installationen, die auf der
Brache hinter dem alternativen
Kulturzentrum an der Oranien-
burger Straße standen. 2012
wurde es zwangsgeräumt, vier
Jahre später begannen die
Vorarbeiten für ein neues
Stadtquartier, das von der Kunst
nicht mehr viel übrig lässt.

Fotos: Sebastian Hesse, Imago (Porträt)

Sebastian Urzendowsky,
34, lebt als Schauspieler
in Berlin. Für die Haupt-
rolle in der Verfilmung
von Uwe Tellkamps
Roman „Der Turm“
erhielt er im Jahr 2013
den Grimme-Preis.

ANZEIGE

Ein nostalgischer Blick, ein paar Jahre zurück, zeigt


die Freiräume Berlins, die Dublin, London und New York


längst verloren hatten: Doch Energie entsteht nur in


der Veränderung.Von Sebastian Urzendowsky


SONNABEND, 9. NOVEMBER 2019 / NR. 24 000 30 JAHRE MAUERFALL DER TAGESSPIEGEL 39

Free download pdf