Donald Trump
Wolodymyr Selenskyj
Paul Manafort
Diente Präsident
Selenskyj als
politischer Berater
War Lobbyist und
Donald Trumps
Wahlkampfmanager
Wollte mit
Ermittlungen
gegen Hunter
Biden dessen
Vater treffen:
Joe Biden
D
er Ukrainer Serhij Lesch
tschen ko lebt in Kiew, der
Amerikaner Rudolph Giu
liani in New York. Der eine
gilt neuerdings als Feind
Amerikas – der andere ist
der Anwalt und Handlan
ger von USPräsident Donald Trump. Giuliani
hat Serhij Lesch tschen kos politische Karriere be
endet, noch bevor sie richtig begonnen hat, mit
ein paar Worten im Fernsehen. Lesch tschen ko ist
das erste kleine Opfer eines gewaltigen Macht
kampfes, dessen letztes Opfer womöglich Trump
selbst werden könnte.
Lesch tschen ko, ein schlaksiger Mann Ende 30,
hat lange eine berufliche Zwitterexistenz geführt,
teils als investigativer Journalist, teils als Aktivist
und Politiker. Er war stellvertretender Chefredak
teur einer ukrainischen OnlineZeitung. Als im
November 2013 die Bürgerproteste auf dem Mai
dan gegen den damaligen Präsidenten Viktor Ja
nukowitsch begannen, ging auch Lesch tschen ko
auf die Straße. Als einige Monate später Januko
witsch nach Russland floh, wurde Lesch tschen ko
mit einigen anderen Aktivisten ins ukrainische
Parlament gewählt. Sie wollten Veränderung, rie
ben sich aber in den alten Machtstrukturen auf.
Dann, am vergangenen Silvester, beschloss der
Unterhalter Wolodymyr Selenskyj, als Präsident
zu kandidieren. Lesch tschen ko fühlte sich von
dessen Art und Ideen angesprochen, Selenskyj war
wie ein Gegenentwurf zu den politischen Eliten,
die alles Vertrauen verspielt hatten. Schnell stieg
Lesch tschen ko zu Selenskyjs Berater auf. Half
ihm, sich auf den Kampf mit seinem Gegner vor
zubereiten. War dabei, als ausländische Politiker
nach Kiew kamen, um den außerhalb der Ukraine
völlig unbekannten Kandidaten kennenzulernen.
Manche sahen Lesch tschen ko schon als Minister.
Bis Rudolph Giuliani kam.
Am 10. Mai 2019 sagt Giuliani im USSender
Fox News, im Umfeld des neu gewählten Präsi
denten der Ukraine tummelten sich Feinde von
Donald Trump. Feinde Amerikas. Er habe das
Land besuchen wollen, es sich aber anders über
legt, denn mit solchen Leuten wolle er nichts zu
tun haben. Dann erwähnt er einen Namen: Serhij
Lesch tschen ko. Der habe sich mit einem gefälsch
ten »Schwarzbuch« in den USWahlkampf für die
Demokraten eingemischt und sei dafür sogar ver
urteilt worden. Millionen Zuschauer sehen zu,
wie Giuliani eine russische Wahleinmischung zu
einer ukrainischen umdichtet. Es ist der Moment,
der Lesch tschen kos Leben verändert.
Das Schwarzbuch gibt es wirklich. Es tauchte
2016 auf, zwei Jahre nachdem Janukowitsch sich
abgesetzt hatte. Jedoch deutet nichts darauf hin,
dass es eine Fälschung ist. Diese handbeschriebene
Kladde half Janukowitsch und seinen Partei
freunden dabei, einen Überblick über ihre illega
len Zahlungen zu behalten. In kyrillischer Schrift
sind auf mehreren Hundert Seiten festgehalten:
Geldflüsse, Unterschriften, Geschäftspartner.
Einer von ihnen ist Paul Manafort: 12,7 Mil
lionen Dollar waren ihm zwischen 2007 und
2012 zugedacht worden. Manafort ist wie Giuliani
ein enger Vertrauter Trumps und einer seiner
ersten Wahlkampfmanager. Nach der Veröffent
lichung des Schwarzbuchs tritt er zurück. Der
Sonderbeauftragte Robert Mueller, der einer rus
sischen Einmischung in den USWahlkampf
nachgehen soll, ermittelt gegen ihn. Mittlerweile
ist Manafort unter anderem wegen Bankbetrugs,
Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu sieben
einhalb Jahren Haft verurteilt worden.
Damals ist es Serhij Lesch tschen ko, der die
Vorwürfe in die Schlagzeilen bringt. Er macht sich
zum Gesicht der Enthüllungen. Drei Jahre später
wird Giuliani dieses Gesicht für seine Schmutz
kampagne gegen die Ukraine benutzen. Rechts
kräftig verurteilt wurde Lesch tschen ko, anders als
Giuliani behauptet, nie für die angebliche Ein
mischung in den amerikanischen Wahlkampf. Es
gab zwar ein Urteil eines berüchtigten Kiewer
Bezirksgerichts – das aber wurde von einem Ap
pellationsgericht kassiert.
Es ist einer der letzten milden Herbsttage,
Serhij Lesch tschen ko sitzt in einem seiner liebs
ten Cafés in Kiew mit seinem Laptop. Er klickt
sich durch die aktuellen USNachrichtensen
dungen. Sie handeln von dem Amtsenthebungs
verfahren gegen Trump, von Giuliani, von den
verheerenden Folgen, die diese Affäre für die Zu
kunft der Ukraine haben könnte. Lesch tschen ko
postet sie auf seinen Kanälen im Netz. Er ist
wehrlos gegen Giulianis Lügen und Falschbe
hauptungen. Den mächtigen Juristen in den
USA zu verklagen würde Millionen kosten, die
Lesch tschen ko nicht hat.
Also kämpft er auf seinen SocialMediaKanä
len um seinen Ruf, gibt Interviews, schreibt in der
Washington Post, dass Giuliani seine Karriere be
schädigt habe und, schlimmer noch: den ukraini
schen Präsidenten in den USWahlkampf hinein
zuziehen versuche. Im Grunde ist Lesch tschen ko
passiert, was Trump und Giuliani mit Selenskyj
vorhatten: Er ist zum Spielball größerer Mächte
geworden, zu einem Kollateralopfer
im Kampf um das Weiße Haus.
Lesch tschen ko sagt, er verstehe
Selenskyj: »Der neue Präsident kann
sich keine Probleme mit den USA
erlauben. Die Beziehungen der
Ukraine zu den USA sind viel wich
tiger als meine persönliche Lage.«
Nach der Annexion der Krim durch
Wladimir Putin, nach mehr als
fünf Jahren Krieg mit mehr als
13.000 Toten ist die Situation in
der Ukraine extrem schwierig. Das
Land braucht Unterstützung aus
dem Westen. Es zählt auf die Mili
tärhilfe der Amerikaner. Gut 400
Millionen Dollar wurden der Ukraine zugebilligt
- bis Trump die Zahlung stoppte. »Wir hatten hier
unsere internen Kämpfe«, sagt Lesch tschen ko.
»Und plötzlich haben die Amerikaner eine Bombe
auf uns geworfen.«
Die Geschichte, die sich nun vor aller Augen
entfaltet, erinnert an eine hyperkomplexe Netflix
Serie. Jede Woche kommen neue Darsteller und
Erzählstränge hinzu. Müsste man die Handlung
in einem Satz zusammenfassen, dann so: Wie Do
nald Trump mit seinen politischen Gegnern ab
rechnen will, dafür den ukrainischen Präsidenten
unter Druck setzt und fast damit durchkommt –
bis ein Whistleblower den Skandal auffliegen lässt.
Niemand weiß, welches Ende diese Geschichte
nehmen wird. Sie schreibt sich fort, während sie
der Öffentlichkeit präsentiert wird. Immer neue
Figuren tauchen auf mit unübersichtlichen Ver
bindungen und Interessen. Sicher ist derzeit nur:
Die Ukraine wurde zum Objekt amerikanischer
Innenpolitik. Und Rudolph Giuliani spielte dabei
eine entscheidende Rolle.
Giuliani trifft ukrainische Beamte in New
York, Paris und Madrid. Schickt dubiose Helfer
vor, um den Kontakt zu Selenskyj herzustellen.
Denn der Zeitpunkt für seine geplante Reise nach
Kiew im Mai war nicht zufällig gewählt. Selen
skyj war gerade erst gewählt worden, hatte sein
Amt aber noch nicht angetreten. In dieser infor
mellen Zwischenphase musste Giuliani sein An
liegen bei Selenskyj vorbringen. Worum es genau
ging, das untersucht nun das Repräsentantenhaus
in Washington. Die oppositionellen Demokraten
sagen, Selenskyj sollte erpresst werden: Er sollte
öffentlich Ermittlungen gegen Trumps politi
schen Kontrahenten Joe Biden sowie dessen Sohn
Hunter bekannt geben. Im Gegenzug sollte die
versprochene Militärhilfe ausbezahlt werden. Das
Weiße Haus bestreitet die Vorwürfe, aber die
Aussagen mehrerer amerikanischer Diplomaten
stärken bisher diese Ver sion der Geschichte.
Hunter Biden war 2014 in den Aufsichtsrat
des ukrainischen Gaskonzerns Burisma berufen
worden, für rund 50.000 Dollar im Monat – ein
höchst zweifelhaftes Engagement: Sein Vater ist
da noch amerikanischer Vizepräsident und reist
wieder und wieder in die Ukraine, das Unterneh
men wiederum gehört einem dubiosen ukraini
schen Oligarchen, gegen den seit 2014 ermittelt
wird – in Großbritannien und schließlich in Kiew.
Doch der ukrainische Generalstaatsanwalt habe
die Vorwürfe verwässert und die Ermittlungen ver
schleppt, sagen ukrainische Antikorruptions
aktivisten. Unter ihnen genoss jener Chefermittler
namens Viktor Schokin von Beginn an einen ka
tastrophalen Ruf. Auf Druck aus der ukrainischen
Zivilgesellschaft, der Europäer und Amerikaner
wurde Schokin 2016 entlassen. Das feierten Refor
mer und Aktivsten in der Ukraine als gute Nach
richt. Joe Biden, der den Rücktritt besonders laut
stark gefordert hatte, beging jedoch den Fehler, mit
dem Rauswurf zu prahlen.
Schokins Nachfolger, den Giuliani traf, erwies
sich als nicht viel besser. Er verschleppte die Er
mittlungen. Als Selenskyj gewählt wurde, dürfte
Schokin geahnt haben, dass seine Tage gezählt
sind. Also fütterte er Trumps Leute mit allem,
was sie für ihre Verschwörungstheorie
brauchten: dass Biden mit der Entlas
sung seinen Sohn vor strafrechtlicher
Verfolgung schützen wollte. Dass Ja
nukowitschs Schwarzbuch, welches
Lesch tschen ko der Öffentlichkeit prä
sentiert hatte, eine Fälschung sei.
Liest man die Aussagen von fast
einem Dutzend hochrangiger USDi
plomaten und TopBeamter, die zu
nächst hinter verschlossenen Türen
vernommen wurden und bald öffent
lich vor dem amerikanischen Kongress
aussagen sollen, dann bleibt kaum ein
Zweifel: Donald Trump versuchte, die
Ukraine zu benutzen, um seinem in
nenpolitischen Herausforderer zu schaden. Des
halb sei ein »irregulärer, informeller Kanal der
amerikanischen UkrainePolitik« neben der offi
ziellen Diplomatie errichtet worden, sagte der
amtierende USBotschafter in Kiew aus. Einer,
der diesen Kanal mitinstalliert hatte und fleißig
nutzte, war Rudolph Giuliani.
Präsident Selenskyj, gerade neu gewählt, poli
tisch unerfahren, fand sich plötzlich in einem
heillosen Dilemma: Verweigerte er sich Trump
und Giuliani, riskierte er die 400 Millionen Dol
lar Rüstungshilfe und die amerikanische Unter
stützung im Krieg gegen Russland. Würde er
nachgeben, wäre er kaum mehr als eine Marionette
Trumps. Also lavierte er. Schmeichelte Trump am
Telefon. Seine Leute stellten Giuliani ein Treffen
in Aussicht, aber erst später, nach der Inauguration.
Vermutlich hätte es für Wolodymyr Selenskyj
keinen Ausweg aus diesem Dilemma gegeben.
Der öffnete sich erst, als ein Whistleblower die
Affäre in Washington publik machte. Plötzlich
kehrten sich Macht und Ohnmacht um, Trumps
Erpressungsversuch könnte ihn das Amt kosten.
Sicher ist das nicht. Serhij Lesch tschen kos po
litische Karriere ist allerdings vorerst zu Ende.
Um ihn ist es einsam geworden. Er durchsucht
sein Handy. Zeigt Bilder mit Botschaftern, aus
ländischen Politikern und amerikanischen Be
amten, die seine Anrufe nicht mehr beantworten.
Fragt Lesch tschen ko politische Weggefährten, ob
sie Arbeit für ihn hätten, dann drucksen sie rum:
Sie schätzten ihn ja, aber er möge noch etwas
Geduld haben. Die Sache mit den Amerikanern
müsse sich erst beruhigen.
»Immerhin gibt es etwas Gerechtigkeit«, sagt
Lesch tschen ko. Giulianis Versuch, die Ukraine
für innenpolitische Zwecke zu missbrauchen, hat
Trump ein Amtsenthebungsverfahren einge
bracht, gegen Giuliani ermittelt das FBI, zwei
seiner Helfer sind derzeit auf Kaution frei. »Das
ist Karma«, sagt Lesch tschen ko. Er wartet ab. Er
will unbedingt wieder in die Politik. Bis dahin
schlägt er sich wieder als Journalist durch.
Hunter Biden
machte in der
Ukraine Geschäfte
Rudolph Giuliani sollte Donald Trumps politischen Gegnern um jeden Preis schaden.
Sein erstes Opfer: Die Karriere eines jungen Politikers in Kiew VON ALICE BOTA
Amerikanische Verstrickungen
In einem Telefonat mit Ukraines
Präsident soll Trump Militärhilfe mit
der Forderung nach staatsanwaltlicher
Ermittlung gegen einen politischen
Widersacher verknüpft haben
Beschimpft den
ukrainischen
Journalisten
als Staatsfeind
Berät Trump
juristisch und
in Fragen
der Ukraine
Illustration: Bastian Preussger für DIE ZEIT
Rudolph Giuliani
- NOVEMBER 2019 DIE ZEIT No 47 POLITIK 7
Serhij Lesch tschen ko
Veröffentlichte
Zahlungen an
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Vertrauten
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