Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1

6 FOCUS 39/


Der schwarze Kanal


Foto: Susanne Krauss

D


er Verleger Jakob Augstein hat einen Film
über Empörung gedreht. Der Film heißt,
nach seinem Thema, „Die empörte Repu-
blik“ und ist in der Mediathek von 3sat
zu sehen. Im Kern geht es um die Frage,
warum sich so wenig bewegt, obwohl so
viele Menschen so schrecklich aufgeregt sind. „Wie kann
es sein, dass die Kraft der Empörung, die am Anfang jeder
gesellschaftlichen Veränderung steht, bei uns dermaßen
ins Nichts läuft?“, wundert sich der Autor.
Augstein ist für seinen Film durch die Republik gereist
und hat mit Menschen gesprochen, die Debatten anzet-
teln oder beobachten, wie diese angezettelt werden. Der
Journalist Stefan Aust ist dabei (früher „Spiegel“, heute
„Welt“), die Europapolitikerin Julia Reda, die den Wider-
stand gegen das digitale Urheberrecht anführte, eine
Google-Managerin.
Noch interessanter als die Namen
der Menschen, die zu sehen sind,
sind allerdings die Namen der Leute,
die in dem Film fehlen. Augstein hat-
te auch die Publizistin Carolin Emcke
gefragt, ob sie mit ihm reden würde,
die „Spiegel“-Kolumnistin Margare-
te Stokowski, den Theaterregisseur
Falk Richter, allesamt Repräsentan-
ten des besseren Deutschland, die
normalerweise nie um eine Antwort
verlegen sind. Aber keiner wollte in
seinem Film auftauchen. Alle sagten
eine Teilnahme ab oder ließen seine
Anfrage unbeantwortet.
Augstein verfügt in der linken Sze-
ne über beste Referenzen, sollte man
meinen. Er trommelt seit Jahren ver-
lässlich für die gute Sache. Er gibt

mit großem Engagement die Wochenzeitung „Der Freitag“
heraus, gegen die selbst die „taz“ ein rechtslastiges Main-
stream-Blatt ist. Mit einer Reihe der von ihm Angefragten
ist er persönlich bekannt. Was also hat er falsch gemacht,
was ist sein Vergehen?
Augstein gilt als unsicherer Kantonist, das ist sein Ver-
gehen. Er kennt die falschen Leute, Leute wie mich zum
Beispiel. Außerdem ist er ein neugieriger Mensch. Neugier
gilt in diesen Kreisen, in denen Augstein verkehrt, nicht als
Tugend, sondern als Ausdruck mangelnder Standfestigkeit.
Vor ein paar Monaten hat er auf Schloss Ettersburg bei
Weimar mit Karlheinz Weißmann diskutiert, einem der Vor-
denker der Neuen Rechten. Anderthalb Stunden stritten die
beiden über Deutschland, den Islam und das Fremde. Das
reichte, um Augstein auf die Liste derjenigen zu befördern,
mit denen man besser keinen Kontakt mehr pflegt.

I


ch erzähle diese Geschichte, weil sie illustriert, wo
wir stehen. Alle reden davon, wie wichtig Debatte
sei. Kaum eine Veranstaltung, auf der nicht beteuert
wird, dass Streit die Demokratie lebendig halte. Die
„Zeit“ hat ein eigenes Ressort ins Leben gerufen, das so
heißt. Aber sobald es ernst wird, kneifen die meisten Kom-
battanten. Wenn selbst ein Projekt des Herausgebers des
„Freitag“ als politisch so zweifelhaft gilt, dass man zwei-
mal überlegen muss, ob man daran teilnimmt, lässt das
erahnen, wie sich die Dinge verschoben haben.
„The Closing of the American Mind“ hieß ein berühmtes
Buch, in dem der Philosoph Allan Bloom in den achtziger
Jahren die Verödung der amerikanischen Hochschulwelt
beschrieb. Wir sind Zeugen einer Entwicklung, die man als
Selbstabschließung eines geistigen
Milieus bezeichnen könnte, das für
das intellektuelle Klima in Deutsch-
land seit Langem bestimmend ist. Eine
ganze Generation hat sich entschie-
den, nur noch mit Leuten zu verkeh-
ren, die so denken wie sie selbst.
Das entscheidende Merkmal der
Kultur des Einverständnisses ist,
dass man unter sich bleibt. Man
trifft sich auf den immer gleichen
Podien, man verleiht sich gegensei-
tig Preise für den Mut, Dinge aus-
zusprechen, mit denen alle einver-
standen sind. Emcke hat für ihren
unbestechlichen Einsatz im Rahmen
des Akzeptierten den Friedens-
preis des Deutschen Buchhandels
bekommen, Stokowski gerade den
Kurt-Tucholsky-Preis.

Hier bleibt man


lieber unter sich


JAN FLEISCHHAUER


Eine ganze Generation von Linken hat sich
entschieden, nur noch mit Leuten zu verkehren,
die so denken wie sie selbst. Dafür gratuliert
man sich gegenseitig zum Mut, Dinge aus-
zusprechen, mit denen alle einverstanden sind

»


Was ist der


politische Einsatz


wert, der sich der Kon-


frontation entzieht


und stattdessen auf


den Applaus der


ohnehin Überzeugten


setzt?


«

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