Focus - 21.09.2019

(Joyce) #1
FOCUS 39/2019 7

KOLUMNE

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Den Autor dieser Kolumne erreichen Sie unter:
[email protected], Twitter: @janfleischhauer

Pfeffer des
Polit-Rebellentums
Illustration von
Michael Szyszka

JAN FLEISCHHAUER


Was ist der politische Einsatz wert, der sich der Konfron-
tation entzieht und stattdessen auf den Applaus der ohne-
hin Überzeugten setzt? Er ist jedenfalls nicht sehr politisch,
würde ich sagen. Am Wochenende machte ein Videoclip die
Runde, in dem der Sänger Herbert Grönemeyer seine Fan-
gemeinde auf den Kampf gegen Rechts einschwor.
Grönemeyer ist kein Goebbels, wie ihm wegen der leich-
ten Sportpalast-Atmosphäre vorgehalten wurde. Er ist nicht
mal ein Fegelein, sondern lediglich ein um seinen Spätruhm
besorgter Gesangskünstler, der die alten Hits mit dem Pfeffer

des Polit-Rebellentums aufzupeppen sucht.
Selbstverständlich kommt der Antifaschis-
mus keinen Millimeter voran, nur weil sich
14 000 Grönemeyer-Fans im Gefühl, es
dem Gegner mal richtig gezeigt zu haben,
von Song zu Song schunkeln. Was die viel
beschworene Vielfalt angeht, ist auf jedem
Helene-Fischer-Konzert mehr los.

F


rüher waren es die Helmut-
Kohl-Getreuen, die sich ständig
versichern mussten, dass sie die
Mehrheit stellen, heute sind es
die Vertreter des progressiven Juste Milieu.
Über dem Eingang der Berliner Volks-
bühne, einem der Inspirationsorte der
Szene, hängt ein Transparent, auf dem
in riesigen Lettern das Wort „unteilbar“
steht. Wenn man die Misere der Linken
auf einen Nenner bringen sollte, dann
reicht dieses Wort.
Solidarität war immer ein wichtiger
Wert der Bewegung, aber ihre Kraft und
ihren Elan bezog sie eben nicht aus dem
Betonen der Zugehörigkeit, sondern aus
dem Dissens, dem Aufbegehren. Die Leit-
figur der neuen Linken ist nicht länger der
Außenseiter, es ist der Gefolgsmensch. An
die Stelle des Dissidenten ist der Mitläufer
getreten, der die Fahne aufnimmt und sich in
den Demonstrationszug einreiht.
Wo alles zum Gesinnungstest wird, gerät jeder
Auftritt zur Geste. Ich habe mir das Gespräch angese-
hen, das das ZDF mit Björn Höcke geführt hat, ein anderer
Höhepunkt der Woche. An keiner Stelle geht es darum,
etwas herauszufinden, was man nicht schon weiß, oder
Antwort auf eine Frage zu erhalten, die eine echte Frage
wäre. Was als Interview angekündigt war, ist in Wahrheit
ein Segment, wie man es aus der „heute-show“ kennt.
Demonstrative Feindseligkeit kann sehr unterhaltsam sein.
Aber davon abgesehen, dass man sich wünschen wür-
de, auch Robert Habeck würde einmal so einvernommen,
bleibt die Frage, wohin diese Form des journalistischen
Posing führen soll.
Dem Poser geht es vor allem um sich selbst. Weil er die
meiste Zeit vor dem Spiegel verbringt, ist seine Wirkung
naturgemäß begrenzt. n
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