Die Welt - 08.08.2019

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4 POLITIK *DIE WELT DONNERSTAG,8.AUGUST


S


erap Güler steht vor einer
schwierigen Aufgabe. Die
Staatssekretärin für Inte-
gration soll den gesell-
schaftlichen Frieden wie-
derherstellen – dieser geriet zuletzt
durch die Krawalle im Düsseldorfer
Rheinbad ins Wanken. Ende August la-
den die CDU-Politikerin und Integrati-
onsminister Joachim Stamp (FDP) da-
her zu einem offenen Dialog in das
Schwimmbad.

VON MARTIN NIEWENDICK

WELT: Frau Güler, was möchten Sie
mit dem „Wertedialog“ im Rheinbad
erreichen?
SERAP GÜLER: Unsere Gesprächsreihe
ist eine Art Townhall-Meeting, zu dem
wir alle Bürger einladen, um mit uns
darüber zu sprechen, welche Werte uns
heute wichtig sind und wo wir als Ge-
sellschaft zusammen hinwollen. Wir
möchten miteinander reden und nicht
übereinander. Zusätzlich laden wir
auch Kommunalpolitiker und Mitarbei-
ter des kommunalen Integrationszen-
trums ein. Jeder, der mit uns über die
Themen Migration und Integration re-
den möchte, hat dort die Möglichkeit
dazu. Jede Frage darf – und soll – ge-
stellt werden.

Wer wird daran teilnehmen?
Neben hoffentlich vielen Bürgern wer-
den der NRW-Integrationsminister Joa-

chim Stamp und ich teilnehmen. Darü-
ber hinaus möchten wir einen sehr enga-
gierten Streetworker aus Düsseldorf ein-
binden, der in der marokkanischen und
arabischen Gemeinde aktiv ist. Er leistet
seit Jahren sehr gute Arbeit in der Stadt
und kennt die Community bestens. Wir
hoffen, dass er auch viele seiner
„Schützlinge“ mit zu unserer Veranstal-
tung bringt. Das kommunale Integrati-
onszentrum Düsseldorf wird auch dabei
sein. Und wir haben die Betreiber des
Freibades gebeten, den „Wertedialog“
bei ihren Gästen anzukündigen, damit
auch Betroffene von Pöbeleien zu Wort
kommen können. Ich würde mir außer-
dem wünschen, dass einer der Bade-
meister von seinen Erfahrungen erzäh-
len würde. Was ich von ihnen über das
VVVerhalten mancher Badegäste gehört ha-erhalten mancher Badegäste gehört ha-
be, hat mich erschreckt. Einige haben
mir gesagt, dass sie die Beleidigungen,
Beschimpfungen und Bedrohungen psy-
chisch belasten. Es ist wichtig, dass das
auch mal zur Sprache kommt.

Eine Aussprache ist sicher wichtig,
aber wünschen sich Betroffene von
der Politik nicht eher handfeste Lö-
sungen?
AAAbsolut! Wir haben überhaupt nichtbsolut! Wir haben überhaupt nicht
die Absicht, andere Maßnahmen zu
vernachlässigen. Das Wichtigste ist,
dass vor allem Familien, Frauen, Ältere
und andere unbesorgt und angstfrei ins
Schwimmbad gehen können. Natürlich
hat das, was in den letzten Wochen

dort passiert ist, vor allem eine ord-
nungspolitische Dimension. Es ist aber
auch ein integrationspolitisches The-
ma. Genau darüber wollen wir spre-
chen. Vielleicht finden wir am Ende
des Abends noch weitere Ansätze, die
man dann in Kooperation mit der Stadt
umsetzen kann. Aber noch mal: Es geht
nicht darum, nur zu reden und andere
Maßnahmen außen vor zu lassen.

In der aktuellen Debatte ist vor allem
von jungen, islamisch sozialisierten
Migranten die Rede. Wie sollen diese
denn mit einer solchen Veranstaltung
erreicht werden?
Natürlich müssen wir auch über Werte
wie Gleichberechtigung sprechen und
über den richtigen Umgang mit gesell-
schaftlichen Freiheiten. Integration
bedeutet, sich an Regeln zu halten. Das
gilt auch für ein Freibad. Bei einer sol-
chen öffentlichen Veranstaltung ist es
in der Tat schwierig, gerade diejenigen
zu erreichen, die Probleme machen –
in diesem Fall die „Pöbler“, gleich wel-
cher Herkunft. Aber wir nehmen diese
Herausforderung an. Es wäre doch gut,
wenn wir durch unsere Teilnehmer wie
den Düsseldorfer Streetworker auch
die betreffenden Jungs in der Migran-
ten-Community erreichen. Wenn ein
paar Mentoren, Vorbilder und Mei-
nungsführer aus den Communitys zu
uns kommen und ihnen hinterher sa-
gen, dass sie sich zu benehmen haben,
müssen diese vielleicht gar nicht selbst

anwesend sein. Wenn einer aus ihren
Reihen ihnen die Leviten liest, hat das
eine ganz andere Wirkung, als wenn
das ein Politiker tut.

Das würde belegen, dass die Betref-
fenden keinen Respekt vor biografie-
deutschen Autoritäten haben, son-
dern nur vor den „eigenen Leuten“ ...
Das gilt aber nicht nur für Menschen
mit Migrationsgeschichte. Mir wurde
berichtet, dass auch autochthone deut-
sche Gäste die Bademeister bedroht
und beschimpft haben. Mir kommt ei-
nes in der Berichterstattung etwas zu
kurz: Bei dem ersten Streit im Rheinbad
war das Opfer ein türkischer Vater, des-
sen Familie von ein paar Jungs belästigt
wurde. Migranten waren also nicht nur
Täter – sondern auch Opfer. Ich habe
übrigens recherchiert, ob es so etwas in
der Vergangenheit auch schon gab. Ein
Bericht aus dem Jahr 1956 hat sich
schon mit Randalen in Freibädern be-
schäftigt. Und dann einer aus dem Jahr
1996, wo der Bürgermeister einer klei-
nen Stadt in Sachsen-Anhalt den örtli-
chen Karateklub angeheuert hat, um auf
öffentlichen Plätzen, auch in Freibä-
dern, zu patrouillieren. Es ist also kein
neues Phänomen. Nichtsdestotrotz
wollen wir uns des Themas auch inte-
grationspolitisch annehmen.

WWWenn es kein neues Phänomen ist, wa-enn es kein neues Phänomen ist, wa-
rum veranstaltet das Integrationsmi-
nisterium dann eine Krisensitzung?

Unser „Wertedialog“ ist keine Krisensit-
zung. Es ist ein Zeichen, dass wir dieser
Herausforderung auf mehreren Ebenen
begegnen. Natürlich haben die beiden
genannten Fälle aus der Vergangenheit
nicht die Wirkung der aktuellen Vorfäl-
le erreicht. Aber wir müssen mit diesem
Phänomen heute anders umgehen. Für
mich steht fest: Ich will nicht, dass
Menschen sich nicht mehr ins Freibad
trauen.

In den sozialen Netzwerken äußern
viele die Meinung, man solle Migran-
ten Grundwerte vielleicht etwas frü-
her vermitteln als erst am Eingangs-
tor zum Freibad – zum Beispiel an der
Landesgrenze. Wie reagieren Sie auf
das Argument?
Bis auf den letzten Teil ist das Argu-
ment absolut richtig. Ich habe mich im-
mer für die frühe Wertevermittlung
ausgesprochen. Als Landtagsabgeord-
nete habe ich schon früh dafür plädiert,
die Stunden in den Integrationskursen,
bei denen es um Rechtsstaatlichkeit
geht, von 30 auf mindestens 100 zu er-
höhen. Heute gibt es das. Wir haben in
unserem Koalitionsvertrag in NRW
vier wichtige Kernpunkte der Integrati-
on stehen. Früher haben Migrations-
ffforscher immer gesagt: Sprache, Bil-orscher immer gesagt: Sprache, Bil-
dung und Arbeit sind die wichtigsten
Integrationsschlüssel. Heute wissen
wir: Das allein reicht nicht aus. Es
braucht eine gemeinsame Wertebasis.
Ob es nun hilft, Menschen an der Gren-

ze unser Grundgesetz in die Hand zu
drücken oder dort Integrationskurse
durchzuführen, sei dahingestellt. Aber
wir müssen dafür sorgen, dass sich
Neuankömmlinge ganz schnell mit un-
serem Wertesystem vertraut machen.
Noch wichtiger als Integrationskurse
anzubieten ist es aber, diese Werte vor-
zuleben. Viele derjenigen, die derzeit
über Werte sprechen, sind dazu selbst
nicht in der Lage.

Ihr Parteifreund Ali Ertan Toprak, Re-
präsentant der Kurdischen Gemein-
schaft in Deutschland, beschrieb
kürzlich in einem WELT-Gastbeitrag
die Gefühle vieler integrierter Mig-
ranten: „Wir sind empört darüber,
dass Menschen, die in Deutschland
Schutz und Hilfe suchen oder gefun-
den haben, sich zu solchen kriminel-
len Taten hinreißen lassen.“ Geht es
Ihnen auch so?
AAAbsolut! Dieser Meinung sind ganz vielebsolut! Dieser Meinung sind ganz viele
Migranten, nicht nur Politiker. Ich höre
das in Gesprächen immer wieder, ob das
der türkische Restaurantbesitzer ist oder
andere Bürger und Unternehmer. Die re-
gen sich tierisch darüber auf und sagen:
Es kann doch nicht sein, dass diese, ich
zitiere, „Idioten“ das kaputtmachen, was
wir uns hier aufgebaut haben. Sie haben
keine Lust, mit denen in Verbindung ge-
bracht zu werden. Mich ärgert das auch.
Natürlich hat so ein Verhalten seine
Gründe. Aber man hat niemanden in der
Öffentlichkeit anzupöbeln. Auf einer po-
litischen Ebene wage ich mal die These:
Leute, die eine Arbeit haben, haben
meist keine Zeit für so was.

Eine andere Debatte hat Ihr Partei-
kollege Carsten Linnemann losgesto-
ßen: Er fordert eine Vorschulpflicht
für Kinder, die kaum Deutsch spre-
chen. Ist das der richtige Ansatz?
Die Grundthese von Carsten Linne-
mann teile ich. Kinder müssen, unab-
hängig von ihrer Herkunft, sprachlich
gefördert werden. Je früher wir hier an-
setzen, umso besser. Kinder lernen auch
am besten von und mit gleichaltrigen
Kindern. Gutes Deutsch ist für Kinder
eine wichtige Voraussetzung für den
späteren Bildungserfolg. In NRW stel-
len wir deshalb den Kindertageseinrich-
tungen allein in diesem Kindergarten-
jahr 25 Millionen Euro für die Sprach-
förderung zur Verfügung. Es geht also
auch ohne Vorschule.

Linnemanns Vorschlag wurde zu-
nächst fälschlich als Forderung nach
einem „Grundschulverbot“ interpre-
tiert und er des Rassismus bezichtigt.
Wie bewerten Sie diese Reaktionen?
Grund dafür war sicherlich der Satz „...
haben an einer Grundschule noch
nichts zu suchen“. Ohne diese Zuspit-
zung hätte es sicher weder diese Inter-
pretation noch die harsche Kritik gege-
ben. Insofern ist es gut, dass er die For-
derung konkretisiert und klargestellt
hat. Ihm Rassismus vorzuwerfen, ist al-
lerdings völlig daneben.

Welchen Stellenwert hat der frühe
Spracherwerb für eine gelungene In-
tegration?
Einen enorm wichtigen. Natürlich er-
fordert Integration mehr als Sprache,
aber ohne Sprache geht nichts. Je eher
man die Sprache des Landes, in dem
man lebt, erlernt, umso mehr greift das,
was wir Chancengerechtigkeit nennen.

Integrationspolitikerin


Serap Güler ruft nach den


Tumulten im Düsseldorfer


Rheinbad zum „Wertedialog“


auf. Zuwanderer müssten


besser ins deutsche


Wertesystem


integriert werden


„Familien, Frauen,


Ältere sollen


angstfrei ins


Schwimmbad


gehen“


Serap Güler (CDU) ist Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen


PICTURE ALLIANCE/OLIVER BERG/D

/DPA

Mit ein bisschen Wohlwollen lässt
sich das von der aktuellen Parteifüh-
rung ins Werk gesetzte Verfahren zur
Suche nach einem neuen Vorsitzenden
in diesem Sinne interpretieren. Wäh-
rend den Bundesparteitagen bislang in
der Regel ein in den SPD-Führungsgre-
mien vorab ausgehandelter Kandidat
vorgesetzt wurde, sollen diesmal die
über 400.000 SPD-Mitglieder über den
neuen Chef abstimmen – dem Parteitag
soll also von unten empfohlen werden,
wen er zu wählen hat.
Uwe Jun, Politikwissenschaftler an
der Universität Trier, hatte anfangs
Sympathie für dieses Prozedere. Er
hielt positive Effekte auf die „innerpar-
teiliche Vitalität“ für möglich. Außer-
dem sah er die Chance, dass im Kontext
einer Kandidatenschau, in der sich die
Bewerber um das „schönste Amt neben
Papst“ (Franz Müntefering) der Basis
präsentieren und miteinander diskutie-
ren, „die nötigen inhaltlichen Klärungs-
prozesse der SPD tatsächlich einmal
vorgenommen“ werden könnten.
Mittlerweile aber ist Jun skeptisch –
vor allem aus zwei Gründen. Zum einen
nennt er Karl Lauterbach. Als der Bun-
destagsabgeordnete seine gemeinsame
Kandidatur mit der Kollegin Nina

A


m Freitag wird sich die SPD ihrer
Wurzeln erinnern. Am Abend
des 7. August 1869 wurde im
„Goldenen Löwen“ in Eisenach unter
der Führung von August Bebel und Wil-
helm Liebknecht der Gründungskon-
gress der Sozialdemokratischen Arbei-
terpartei (SDAP) eröffnet, auf dem das
erste ausgereifte Parteiprogramm der
deutschen Sozialdemokratie beschlos-
sen werden sollte.

VON THORSTEN JUNGHOLT

150 Jahre später laden die August-Be-
bel-Gesellschaft und die Friedrich-
Ebert-Stiftung in den Gasthof, der mitt-
lerweile eine Gedenkstätte ist, um „an
das historische Ereignis zu erinnern
und über aktuelle Bezüge zu diskutie-
ren“. Welche Bezüge aber könnten das
sein, was lässt sich heute noch von Be-
bel und Liebknecht lernen? Dietmar
Nietan, der SPD-Geschichtsbeauftrag-
te, weist darauf hin, dass die SDAP „auf
einen dezentralen Parteiaufbau“ ge-
setzt und „die politische Willensbil-
dung von unten nach oben“ organisiert
habe. Mit diesen Prinzipien seien „bis-
herige paternalistische Politikansätze“
überwunden worden.

Scheer vorstellte, warb er mit dem Ver-
sprechen, aus der Koalition mit der Uni-
on auszusteigen. „Das gehört nicht in
einen innerparteilichen Wettbewerb“,
sagt Jun. „Der Ausstieg aus der GroKo
kann am Ende eines Prozesses stehen,
aber nicht als Werbemittel am Anfang.“
Der zweite Kritikpunkt des Politik-
wissenschaftlers sind Dauer und Kom-
plexität des Verfahrens. Anfang Juni
war Andrea Nahles als Vorsitzende zu-
rückgetreten, erst Anfang Dezember
wird der Parteitag einen Nachfolger
wählen. Wie gerade der Status quo bei
der Chefsuche ist, das wissen nur hart-
gesottene Politikinsider. Der gemeine
Wahlbürger dürfte eher ratlos vor die-
ser beispiellosen Selbstfindung stehen.
Bis Anfang September können sich noch
Kandidaten melden, dann folgen bis
Mitte Oktober 23 Regionalkonferenzen,
anschließend sollen die Mitglieder per
Briefwahl oder online abstimmen. Je
nach Ergebnis folgt im November noch
eine Stichwahl der beiden bestplatzier-
ten Bewerber oder Kandidatenduos,
dann der Parteitag im Dezember.
Insgesamt ein halbes Jahr beschäftigt
sich die SPD also mit sich selbst. Wäh-
rend Vertreter der Parteispitze wie Vi-
zechef Ralf Stegner unverdrossen von

dem Prozess als „Riesenchance“ reden
und „leidenschaftliche und öffentliche
Debatten über die inhaltliche und per-
sonelle Ausrichtung“ prognostizieren,
bleibt nach den ersten zweieinhalb Mo-
naten festzuhalten: Bislang ging es vor
allem darum, wer es nicht werden will.
Die beiden Ministerpräsidentinnen
Manuela Schwesig und Malu Dreyer aus
Mecklenburg-Vorpommern und Rhein-
land-Pfalz haben sich zwar bereit er-
klärt, die Partei gemeinsam mit dem an-
gehenden Politrentner Thorsten Schä-
fer-Gümbel provisorisch zu moderie-
ren, dauerhaft führen wollen sie die
Bundes-SPD aber nicht. Das gilt auch
für Vizekanzler Olaf Scholz, Arbeitsmi-
nister Hubertus Heil und Niedersach-
sens Regierungschef Stephan Weil – wo-
bei Letzterer seine Absage immer nur
so formuliert, dass er sich es noch an-
ders überlegen kann.
Offizielle Kandidaten, die auf die nö-
tige Unterstützung von mindestens
fünf Unterbezirken verweisen können,
gibt es nur zwei: Michael Roth, Staats-
minister im Auswärtigen Amt, und
Christina Kampmann, ehemalige Lan-
desfamilienministerin aus Nordrhein-
Westfalen, die als Doppelspitze antre-
ten. Interesse bekundet haben außer-

ber laufe. Bis dahin werden sich schon
noch namhafte Persönlichkeiten mel-
den, so ist das zu verstehen. Bis dahin
gelte, so sagte Klingbeil gönnerhaft:
„Das Spannende an diesem Rennen ist
doch, dass es auch mal Leuten, die in der
zzzweiten, dritten Reihe bisher stehen, dieweiten, dritten Reihe bisher stehen, die
Möglichkeit gibt, präsent zu werden.“
Aus der ersten Reihe gehandelt wer-
den neben Weil noch Außenminister
Heiko Maas, Familienministerin Fran-
ziska Giffey, Niedersachsens Innenmi-
nister Boris Pistorius und Klingbeil
selbst. Politikwissenschaftler Jun hält
es für nachvollziehbar, dass diese etwas
prominenteren Anwärter sich Bedenk-
zeit nehmen. Man könne davon ausge-
hen, dass hinter den Kulissen viele Ge-
spräche geführt werden: „Es geht um
interne Klärungsprozesse. Wenn die
namhaften Kandidaten ins Rennen ge-
hen, werden sie vorher für starken
Rückhalt gesorgt haben, zum Beispiel in
Form von Unterstützung durch mehre-
re Landesverbände.“ Sollte diese Theo-
rie stimmen, wäre freilich der Anspruch
einer transparenten Willensbildung von
unten nach oben zumindest teilweise
konterkariert. Dann gäbe es eben doch
wieder paternalistische Empfehlungen
durch das Parteiestablishment.

In der SPD wachsen die Zweifel an der Chefsuche


Von dem erhofften Vitalitätsschub durch das Rennen um den Parteivorsitz ist bislang nichts zu spüren. Prominente Kandidaten zögern – aus taktischen Gründen


dem noch die Duos Lauterbach/Scheer
sowie die Oberbürgermeister aus Flens-
burg und Bautzen, Simone Lange und
Alexander Ahrens. Dazu kommen als
Einzelbewerber der Unternehmer Ro-
bert Maier und der ehemalige Bundes-
tagsabgeordnete Hans Wallow.
Ihnen allen gemein ist, dass sie der
breiteren Öffentlichkeit nahezu unbe-
kannt sind. Bei manchen in der SPD
wachsen deshalb Zweifel an dem Ver-
fahren. „Eine Mitgliederbefragung darf
kein Zeichen der Schwäche sein“, sagte
der baden-württembergische SPD-Chef
Andreas Stoch dem „Focus“. Seine Par-
tei müsse aufpassen, nicht als führungs-
los wahrgenommen zu werden. Sach-
sens Landeschef Martin Dulig ist eben-
falls unzufrieden. „Wir können uns kei-
ne Hängepartie mehr leisten“, sagte er
dem „Spiegel“. Um Vorsitzender der
SPD zu werden, brauche man Ideen und
ein gewisses Standing. Er erwarte, dass
sich in den kommenden Tagen noch
aussichtsreiche Kandidaten melden:
„Sonst ist der Reiz des neuen Formats
verflogen, und es wird grotesk.“
Generalsekretär Lars Klingbeil, einer
der geistigen Väter der Kandidatensu-
che, verweist darauf, dass die Frist für
Bewerbungen noch bis zum 1. Septem-

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