Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

  1. JULI 2019 NR.30 D1 D56112 4,40 EURO


HERAUSGEGEBEN VON GERALD BRAUNBERGER, WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER

Bankberater haben einen schlechten Ruf.
Dabei machen sie oft gute Arbeit.

Der gemeinsame Arbeitsplatz im eigenen
Haus: Albtraum oder Paradies?

GELDANLAGE PAARDYNAMIK


Vorstand Britta Seeger über
die Revolution im
Autohandel. Wirtschaft

Wohnen


MERCEDESIM NETZ


Geld & Mehr


Merkel kam, Söder auch,
und „Tannhäuser“ fährt jetzt
Auto. Feuilleton

BAYREUTH


Die Wälder in Deutschland leiden unter
Dürre und Hitze. Viele Bäume sind
krank, manche sogar schon abgestor-
ben, berichten Forstwissenschaftler. Bun-
desweit sind schätzungsweise 110 000
Hektar Wald betroffen, darunter haupt-
sächlich Neupflanzungen und junge
Bäume. Betroffen sind nicht nur Fich-
ten, sondern auch Tannen und Kiefern.
Zudem kränkeln immer mehr Laubbäu-
me, von denen Forstleute lange annah-
men, dass sie mit Trockenheit und Hit-
ze gut zurechtkämen. Sorgen bereitet
den Wissenschaftlern der schlechte Zu-

stand der heimischen Buchen. Sie ist ei-
gentlich der natürlich vorkommende
Baum in Mitteleuropa, doch in man-
chen Wäldern sind bereits ganze Bestän-
de abgestorben. Der Freiburger Forst-
wissenschaftler Jürgen Bauhus sagte die-
ser Zeitung: „Wir verlieren die heimi-
schen Bäume.“ Ohne eingeführte Arten
werde es künftig nicht mehr gehen. Um
welche Baumarten es sich handele, sei al-
lerdings schwierig zu sagen. „Es fehlt
ein nationales Forschungsprogramm für
die Zukunft des deutschen Waldes“, so
Bauhus. frey Seite 53

Leben


Schauspieler Idris Elba über
eine große Leidenschaft.
Leben

Fotos ddp, dpa, Getty (2), Kunsthistorisches Museum Wien

Egan Bernal steht vor seinem ersten Ge-
samtsieg bei der Tour de France. Der 22
Jahre alte Kolumbianer vom Team Ineos
belegte am Samstag beim Tageserfolg
des Italieners Vincenzo Nibali (Bah-
rain-Merida) auf der letzten Bergetappe
in Val Thorens Platz vier und geht mit
1:11 Minuten Vorsprung vor Vorjahressie-
ger Geraint Thomas (Großbritannien/
Ineos) als Spitzenreiter auf das letzte
Teilstück am Sonntag nach Paris. Der
Mann im Gelben Trikot wird beim Fina-
le traditionell nicht mehr angegriffen.
Bernal wäre der erste Kolumbianer, der


das bedeutendste Radrennen der Welt
gewinnt. Der Ravensburger Emanuel
Buchmann (Bora-hansgrohe) kam auf
der wegen nicht passierbarer Straßen
auf 59,5 Kilometer verkürzten Etappe als
Siebter mit 23 Sekunden Rückstand auf
Tagessieger Nibali ins Ziel auf 2365 Me-
ter Höhe und verbesserte sich in der Ge-
samtwertung von Platz fünf auf Platz
vier. Sein Rückstand auf Bernal beträgt
1:56 Minuten. Platz vier wäre das beste
deutsche Resultat bei der Tour de
France seit 2006, als Andreas Klöden
Zweiter wurde. ede. Seite 30

In der Regierungskoalition gibt es keine
Bereitschaft, zusammen mit Frankreich,
Großbritannien und anderen europäi-
schen Nationen militärischen Geleit-
schutz für Tanker in der Straße von Hor-
mus zu organisieren. Ein entsprechender
Vorschlag war am Montag aus London
gekommen, nachdem die iranischen Re-
volutionsgarden einen britischen Tanker
bei der Einfahrt in den Persischen Golf
gekapert hatten. Außenminister Jeremy
Hunt – er wurde vom neuen Premiermi-
nister Johnson inzwischen ausgetauscht –
hatte eine „europäisch geführte maritime
Schutzmission“ vorgeschlagen, welche
die „sichere Durchfahrt“ durch die Stra-
ße von Hormus garantieren sollte. Die
sollte einerseits die Lage beobachten und
Übergriffe dokumentieren, andererseits
aber auch Geleitschutz für Schiffe bie-
ten. Durch die Straße von Hormus geht
ein großer Teil des weltweiten Erdölhan-
dels. Hunt hatte seinen Vorstoß mit sei-
nem deutschen und französischen Kolle-
gen telefonisch erörtert.
Außenpolitiker von Union und SPD
raten jedoch von einem solchen Vorha-
ben ab. Dabei gehen die Meinungen in-
sofern auseinander, als man sich bei der
Union einen deutschen Einsatz vorstel-
len kann, wenn es dabei nur um Beobach-
tung und nicht um direkte Eingriffe ge-
hen soll. Die SPD scheint auch dazu
nicht bereit zu sein. Ihr außenpolitischer
Fraktionssprecher im Bundestag, Nils
Schmid, sagt zum Beispiel: „Ein Mandat
für deutsche Militäreinheiten an der Stra-
ße von Hormus steht nicht zur Debatte.“
Wenn es zwischen Amerika und Iran
zum Konflikt käme und eine europäi-
sche Mission hätte Kräfte in der Golfre-
gion, würden die sofort der amerikani-
schen Seite zugerechnet. „Wir könnten
uns nicht entziehen, wenn Amerika be-
schließen sollte, die Lage eskalieren zu
lassen.“ Man könne doch nicht einfach
die „amerikanische Idee militärischer Es-
korten für Schiffe im Persischen Golf
durch eine EU-Militärmission kopie-
ren“. Allerdings gibt es in der SPD auch
abwägendere Stimmen. So hält der stell-
vertretende Vorsitzende Ralf Stegner frie-
denssichernde und friedenserhaltende
Missionen für „grundsätzlich erwägens-
wert“, wenn es ein internationales Man-
dat gäbe und der Bundestag zustimmte.
Bei der CDU will man zwar dazu bei-
tragen, den Schiffsverkehr am Persi-
schen Golf sicherer zu machen, aber nur
mit einem eng begrenzten Auftrag. Ge-

leitschutzeinsätze mit deutscher Beteili-
gung schließt man hier ebenfalls aus.
Der Außenpolitiker Roderich Kiesewet-
ter sagt, eine europäische Mission könne
zwar sinnvoll sein, um „Lagebilder zu
schaffen und den Seeraum zu überwa-
chen“. Dafür könnte Deutschland „Auf-
klärungsflugzeuge und Schiffe bereitstel-
len“. Ein Auftrag, der darüber hinausge-
he, würde aber „wenig bringen“. Der
stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jo-
hann Wadephul schließt sich an: „Das
Mandat einer solchen Mission wäre die
Beurteilung der Lage.“
Die Außenpolitiker der Union begrün-
den ihre positive Haltung zu einer deut-
schen Beteiligung mit dem Argument,
Deutschland könne sich nicht entziehen,
wenn Verbündete Hilfe brauchten und
wenn der Schiffsverkehr weltweit gesi-
chert werden müsse. Kiesewetter weist
darauf hin, dass der „freie sowie ungehin-
derte Welthandel“ eines der sieben strate-
gischen Ziele ist, zu denen die Bundes-
regierung sich in ihrem Weißbuch zur
Sicherheitspolitik 2016 bekannt hat.
Wadephul merkt an, dass die Freiheit der
Schifffahrt heute schon viel zu oft in Fra-
ge gestellt werde. China bedrohe sie im
Ost- und Südchinesischen Meer, Russ-
land im Asowschen Meer östlich der be-
setzten ukrainischen Halbinsel Krim.
Allerdings ist man sich in der Union
im Klaren darüber, dass wegen der Be-
sonderheiten des deutschen Grundgeset-
zes auch für eine bloße Beobachtungsmis-
sion erstens die Zustimmung des Bundes-
tags und zweitens ein internationales
Mandat nötig wäre. Dafür kämen die
UN oder die EU in Frage, aber Wade-
phul bezweifelt, dass man hier weiter-
kommen werde. Ein UN-Mandat sei we-
gen des beinahe sicheren russischen Ve-
tos „unwahrscheinlich“. Und bei der EU
dauerten die Prozesse zu lange. Außer-
dem reichten für eine reine Beobach-
tungsmission die Schiffe aus, die Frank-
reich und Großbritannien ohnehin
schon am Golf stationiert hätten.
Damit wird bei aller Bereitschaft in
der Union die Entsendung deutscher Sol-
daten praktisch ausgeschlossen. Kiesewet-
ter allerdings sieht dennoch eine Chance
für eine EU-geführte Mission. Die
Grundlage dafür könnte Artikel 42 des
Lissabonner Vertrags sein, der Mitglie-
der der EU zur gegenseitigen Unterstüt-
zung verpflichtet. Allerdings bezieht sich
dieser Artikel nur auf Angriffe auf das
Hoheitsgebiet eines EU-Mitglieds. ul.

Batik-Shirts sind wieder in
Mode. Wie kommt’s?

Geschichte und Gegenwart


der Kämpfer in Blech.


Wissenschaft


Dutzende deutsche Städte haben in den
vergangenen Wochen den „Klimanot-
stand“ ausgerufen. Damit verpflichten
sie sich, bei jeder ihrer Entscheidungen
zu prüfen, wie diese sich auf das Klima
auswirkt – und ob es eine klimafreundli-
chere Möglichkeit gibt. Hinzu kommen
etliche konkrete Beschlüsse. So will Bo-
chum Mauern durch Hecken ersetzen,
Dächer begrünen und den Anteil erneu-
erbarer Energien bis 2025 auf siebzig Pro-
zent hochschrauben. In Kiel wird in der
kommenden Woche ein klimaneutrales
Klärwerk vorgestellt. Außerdem arbeitet
die Stadt daran, dass Kreuzfahrtschiffe
nachts im Hafen nicht mehr ihren Die-
selmotor laufen lassen, sondern über
Land mit Strom versorgt werden. Auch
Köln, Düsseldorf, Wiesbaden, Saarbrü-
cken und Erlangen haben den Klimanot-
stand erklärt. Zuletzt kam vor wenigen
Tagen die Gemeinde Wörthsee im
Landkreis Starnberg hinzu.
Den Anfang machte Konstanz am



  1. Mai. Jetzt kommt dort auf jede Be-
    schlussvorlage ein Kästchen mit der An-
    gabe, ob die Entscheidung „klimarele-
    vant“ ist oder nicht. Oberbürgermeister
    Uli Burchardt von der CDU verzichtet
    von November an auf einen Dienstwa-
    gen, „um ein Zeichen zu setzen“. Die ört-
    liche Fridays-for-Future-Gruppe habe
    ihn bei einem „für mich sehr anstrengen-
    den Gespräch“ im Rathaus davon über-
    zeugt, den Klimanotstand auszurufen, be-


richtet er – wie zuvor schon Basel und
Vancouver. Anschließend beschloss die
Stadt, die bald vierzig Jahre alten Heizun-
gen in Schulen doch lieber sofort durch
„topmoderne Energieversorgung“ zu er-
setzen – statt, wie ursprünglich geplant,
erst noch die „restlichen, insgesamt nicht
sehr hohen“ Schulden abzubauen. Im
Herbst wird ein Extra-Nachtragshaus-
halt zum Klimaschutz eingebracht.
Die Notstandserklärungen haben
auch damit zu tun, dass der Klimawandel
die Städte besonders hart trifft. Wäh-
rend der Hitzewelle der vergangenen
Woche hat sich das wieder deutlich ge-
zeigt. „In Städten ist es normalerweise
zwei bis drei Grad wärmer als im Um-
land“, sagt der Umweltmeteorologe An-
dreas Matzarakis vom Deutschen Wetter-
dienst. „Deshalb sind sie vulnerabler.
Das wird in Zukunft noch stärker spür-
bar werden.“ Er rät den Städten, sich au-
ßer mit klugen Hitzeaktionsplänen für
akute Extremsituationen langfristig vor
allem beim Bauen auf den Klimawandel
einzustellen. Besonders wichtig: „genug
beschattete Flächen – und nicht alles zu-
betonieren“. Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund nennt als weitere Beispie-
le kommunaler Vorsorge den Bau von
Trinkwasserbrunnen – und, weil zum Kli-
mawandel eben nicht nur Hitze und Tro-
ckenheit gehören, den Hochwasser-
schutz. Die Kommunen als „maßgebli-
che Akteure einer erfolgreichen Klimaan-

passung“ sollten von Bund und Ländern
stärker unterstützt werden.
Inzwischen wird auch schon darüber
diskutiert, ob nicht ganz Deutschland
den Klimanotstand erklären müsse – wie
Frankreich, Großbritannien und Irland.
Die Linkspartei setzt sich dafür ein, sie
hat in der letzten Sitzung vor der Som-
merpause einen entsprechenden Antrag
in den Bundestag eingebracht. Der wur-
de zwar abgelehnt, aber die Partei will
weiter daran arbeiten, „weil dies die
Dramatik der bereits vorangeschrittenen
Klimaerwärmung vor Augen führen wür-
de“, wie der Umweltpolitiker Lorenz
Gösta Beutin sagt. „Unweigerlich hätte
Klimaschutz dann als Staatsziel Vor-
rang, und die Bundesregierung müsste
sich endlich bewegen.“ Unterstützung
kommt von den Grünen, die ebenfalls
für den Antrag gestimmt haben. Es gehe
darum, politisch „endlich das Ruder her-
umzureißen“, sagt der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende Oliver Krischer.
Die Politik müsse Landwirtschaft und
Städte auf Wetterextreme vorbereiten,
die durch die Klimakrise häufiger wer-
den. „Wir müssen jetzt handeln. Alle
neuen Gesetze müssen sich am Klima-
schutz messen und unter einen Klima-
vorbehalt gestellt werden.“
Den Begriff „Klimanotstand“ kritisie-
ren unterdessen auch einige Politiker, ob-
wohl sie durchaus eine bessere Klimapoli-
tik fordern. Sie halten den Ausdruck,
den auch Klimaaktivisten verwenden, für

ein nichtssagendes Modewort. Andere
wie der nordrhein-westfälische Minister-
präsident Armin Laschet lehnen die di-
rekte Übersetzung von „climate emergen-
cy“ ab, weil „Notstand“ im Verfassungs-
recht ein starkes Wort ist, das weitrei-
chende Kompetenzen einer Regierung
angesichts einer Extremsituation sugge-
riert. Gemeint ist nach Angaben der Be-
fürworter aber eben nicht eine schon ein-
getretene Katastrophe, sondern eine ge-
fährliche Situation, die in einer Katastro-
phe endet, wenn man nichts tut – so for-
muliert es etwa die Stadt Marburg, die
bis 2030 klimaneutral werden will und da-
für bis Ende dieses Jahres einen Aktions-
plan ausarbeitet.
Manche Städte verzichten in ihren Be-
schlüssen auf das Wort „Notstand“, mei-
nen in der Sache aber dasselbe. Und na-
türlich muss eine Stadt nicht den Not-
stand ausgerufen haben, um Elektrobusse
einzuführen, Radschnellwege auszubauen
und Leihräder aufzustellen. Freiburg, tra-
ditionell Vorreiter in der Umweltpolitik,
verzichtet darauf mit dem Hinweis, es
wäre reine Symbolpolitik. Der Konstan-
zer Oberbürgermeister hält dagegen: „Es
geht darum, dass man für eine bestimmte
Zeit die Spielregeln außer Kraft setzt. Da
nehme ich gerne in Kauf, dass der Begriff
Notstand abgenutzt wird“, sagt CDU-
Politiker Burchardt. Auch gehe es nicht
um Verbote, sondern um den klügsten
Umgang mit dem Klimawandel: „Wir
wollen halt cooler leben.“ flf.

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Was für


ein Sommer!


Marine an den Golf?


SPD dagegen, Union nur für Überwachung


„Klimanotstand“ allerorten


Kritiker reden von Symbolpolitik. Doch es geht um konkrete Verbesserungen in Städten


Foto Bloomberg


Diese Woche fiel
ein Hitzerekord nach dem

nächsten. Nun fühlen
sich dreißig Grad schon

angenehm kühl an.
Forscher warnen:

Das könnte so bleiben.
Wie leben wir damit?

Leben und Wirtschaft


Buchen muss man suchen


Heimische Bäume halten der Hitze nicht stand


RITTERTURNIERE


Bernal vor Tour-Sieg


Emanuel Buchmann verbessert sich auf Platz vier


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