Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 leben 11


Bekannt wurde der britische Schauspieler
mit seiner Rolle als John Luther in der
BBC-Serie „Luther“. Es folgten Rollen in
Blockbustern wie „Thor“, „The Avengers“
oder „Star Treck“. 2013 spielte er sogar den
südafrikanischen Freiheitskämpfer Nelson
Mandela. Nebenbei ist Elba noch DJ, Musi-
ker, Produzent, Regisseur sowie bekennen-
der Autonarr. Deswegen ist es eigentlich
nur die logische Konsequenz, dass er jetzt
den Schurken im neuesten Teil der „Fast &
Furious“-Reihe spielt. Denn da dreht sich
traditionell alles um getunte Wagen.
Elba gilt als unkompliziert und cool, hat
für das Interview dann aber doch einen
Sonderwunsch, der allerdings auch sehr läs-
sig ist. Er möchte an diesem heißen Kölner
Sommertag im Freien sitzen. Und so tref-
fen wir uns in einem „Beach Club“ am süd-
lichen Rheinufer. Die Füße im Sand, vor
uns ein Beistelltisch mit Cashewkernen,
Fruchtgummis und einem Metalleimer, in
dem mit reichlich Eiswürfeln gekühltes me-
xikanisches Bier lagert. Trotz der Hitze
möchte sich der Brite aber nicht von seiner
leuchtend roten Wollmütze trennen: „Es ist
meine Lieblings-Beanie, die habe ich immer
dabei.“


Ihr Vater hat in Dagenham bei
Ford gearbeitet. Ist Ihre Auto-Leiden-
schaft eine Konsequenz frühkindli-
cher Prägung?


Mein Vater liebte Autos. So viel steht
fest. Er hat in der Karosseriewerkstatt
gearbeitet und Autos zusammengebaut.
Er war kein Testfahrer oder so etwas in
der Art. Er war dafür verantwortlich,
ein Teil an die Karosserie zu bauen.


Wissen Sie, welches Teil das war?


Natürlich. Das war der Kotflügel. Er
hat immer Autos gesammelt, das gehört
zu meinen frühesten Erinnerungen.
Zeitweilig hatte er bis zu drei Wagen.
Er hat sie gerne aufgemotzt, indem er
spezielle Lenkräder einbaute, Teppiche
oder neue Stereoanlagen. Er war stän-
dig in seinem Auto und bastelte herum.


Ihre Passion ist also doch ein geneti-
scher Defekt?


Mit Sicherheit. Ich habe mit meinem
Vater viel Zeit in Autos verbracht. Und
ich erinnere mich noch genau an den
speziellen Geruch der Innenräume. Ich
habe es geliebt. Später habe ich dann
selbst zwei Jahre bei Ford gearbeitet.


Was war Ihr Job?


Ich habe in der Nachtschicht gearbeitet.
Ich war Schweißer und habe Teile der
Verkleidung verschweißt. Das war
großartig. Zuzusehen, wie so ein Auto
zusammengebaut wird und wie es
dann glänzend vom Band läuft. Atem-
beraubend! Was für ein Kunstwerk.
Unglaublich.


Wann hatten Sie Ihr erstes eigenes
Auto?


Ich habe mir mit 14 Jahren einen Mini
Cooper gekauft.


Wie kauft man als 14-Jähriger einen
Mini?


Ich hatte eine Anzeige in „Loot“ gese-
hen. Das ist so ein Gratis-Anzeigen-Ma-


gazin. Ein Typ wollte den Wagen für
fünfzig Pfund verkaufen. Da habe ich
zugeschlagen. Das Geld hatte ich mir
mit meinem Job als Reifenmechaniker-
Gehilfe verdient und gespart. Ich sah äl-
ter aus, als ich war. Deswegen wurden
keine Fragen gestellt, und der Wagen ge-
hörte mir. Meinen Eltern habe ich da-
von natürlich nichts erzählt.
Wie lange kann man ein eigenes
Auto als Teenager geheim halten?
Bis ich einen Unfall hatte. Ich bin in den
Wagen unseres Nachbarn gekracht. Das
gab einen Höllenärger. Glücklicherweise
war die Polizei nicht involviert. Das wur-
de unter Nachbarn geklärt. Ich bin noch
lange ohne Führerschein gefahren.
Wann haben Sie Ihren Führerschein
gemacht?
Mit 19, glaube ich. Ich habe auch beim
ersten Mal bestanden. Aber es war nicht
einfach. Denn ich musste mir für die
Prüfung mein sportliches Fahrverhalten
und meine schlechten Angewohnheiten
abgewöhnen.

Sind Autos für Sie eine Philosophie?
Für mich sind Autos eine Lebensart.
Kennen Sie das schöne Gefühl, wenn
man in eine Bibliothek geht? Das hat et-
was ungemein Beruhigendes. Du bist ge-
zwungen, still zu sein, und damit auch
gezwungen, dich ganz auf deine Gedan-
ken zu konzentrieren. Bibliotheken sind
so konzipiert, damit du dich ohne Ablen-
kung mit deinem Buch beschäftigen
kannst. Das ist ein Raum, in dem ich
denken kann oder träumen. Genauso
fühlt es sich in meinem Auto an, wenn
ich die Tür hinter mir schließe. Das ist
mein Freiraum, den ich ganz für mich
allein habe. Ich bestimme, welche Mu-
sik ich höre und wie laut. Das ist immer
wieder eine ganz kostbare Erfahrung
für mich. Außerdem liebe ich den physi-
schen Aspekt. Ich werde eine Einheit
mit diesem faszinierenden Kraftpaket.
Es ist, als ob wie durch ein Wunder mei-
ne Beine wachsen und ich so schnell lau-
fen kann, wie ich will. Das ist sehr be-
freiend. Ein großer Teil meines Lebens
findet im Auto statt.

Was machen Sie da genau, außer zu
fahren?
Ich gebe zum Beispiel Telefoninter-
views. Ich setze mich ins Auto und las-
se mich anrufen. Es fühlt sich privat
an. Eine Schutzzone. Manchmal parke
ich auch irgendwo und sehe mir einen
Film an. Ich habe eine tolle Anlage
und einenrelativ großen Bildschirm.
Ich habe zeitweilig sogar in einem
Auto gelebt.
Wie ist es dazu gekommen?
Das war in New York. Meine Bezie-
hung ging damals in die Brüche, und
wir hatten zusammen in einem Apart-
ment gelebt. Ich fand, es war das Beste
auszuziehen. Es ging einfach nicht
mehr. Und so bin ich dann in meinen
Transporter eingezogen. Ich hatte kein
Geld, keine anderen Optionen, und der
Transporter war relativ groß. Das war
eine harte Zeit. Trotzdem war es besser,
im Auto zu schlafen als in dieser gemein-
samen Wohnung.

Was ist wichtig, wenn man in einem
Transporter lebt?
Du musst einen Parkplatz finden, den
die Polizisten nicht im Blick haben.
Und du musst für deine Sicherheit sor-
gen, die Türen immer verschließen. Ge-
duscht habe ich bei Freunden oder in
der alten Wohnung, wenn meine Ex-
Partnerin nicht da war. Mein Leben war
zu dieser Zeit sehr komplex. Meine
Welt brach auseinander, ich fühlte mich
verloren und trotzdem irgendwie gut.

Haben Sie jemals Liebe im Auto ge-
macht?
Das ist wahrscheinlich eines der weni-
gen Dinge, die ich noch nie im Auto ge-
macht habe. Ich bin ein Mann, der Lie-
be am liebsten im Bett macht.

Sie geben offen zu, süchtig nach Ge-
schwindigkeit zu sein. 2015 haben Sie
in einem Bentley Continental GT ei-
nen Geschwindigkeitsrekord mit dem
Titel „Flying Mile“ gebrochen. Wie
lange macht das einen Süchtigen
glücklich?

Zehn Minuten? Nein, ich bin immer
noch sehr stolz darauf. Soweit ich weiß,
halte ich den Rekord immer noch. Ich
habe gerade für eine neue Fernsehserie
mit dem sehr renommierten Stunt-Fah-
rer Ken Block gearbeitet. Die Serie
heißt „Elba vs. Block“. Wir fordern uns
gegenseitig zu wilden Fahrmanövern
heraus. Aber er hat keinen Rekord ge-
brochen. Das ist etwas Besonderes und
fühlt sich gut an. Das ist für mich ein
Erfolg.
Wie süchtig sind Sie?
Die Sucht nach Speed ist eine ganz spe-
zielle. Denn ich erlebe diesen Moment
der Höchstgeschwindigkeit – und schal-
te dann wieder runter. Dann wird es
wieder ganz ruhig. Es fühlt sich wie die
ultimative Kontrolle an. Deswegen
macht es auch so einen Spaß, auf deut-
schen Autobahnen ohne Geschwindig-
keitsbegrenzung zu fahren. Ich habe
mal einen Film in Mannheim gedreht
und bin in meiner Freizeit oft auf die
Autobahn gefahren. Auf einer Rallye
sind wir einmal auch durch Deutschland
gefahren. Aber da sind unsere Autos be-
schlagnahmt worden, weil wir offenbar
verkehrswidrig gefahren sind.
Sie sind außerdem Kickboxer, Produ-
zent, Regisseur, Musiker. Haben all
diese Nebenschauplätze etwas ge-
meinsam?
Letztendlich geht es darum, mich mei-
nen Ängsten zu stellen.

Wann haben Sie diese Lebensstrate-
gie entwickelt?
Die menschliche Spezies lernt ja in ers-
ter Linie durch Angst. Das ist unsere
Motivation, programmiert unsere Gehir-
ne. Am Ende geht es immer darum:
Macht es mir Angst oder nicht? Wir su-
chen sogar Freunde und Lebenspartner
nach diesem Muster aus. Wie sehr ma-
chen diese Menschen mir Angst? Angst
regiert einen großen Teil unseres Le-
bens. Vielleicht haben Sie sogar Angst
davor, dass Ihre Frau Sie nicht mehr
mag, wenn Sie keinen Bart tragen. In-
dem ich mich meinen Ängsten aussetze,
habe ich ein besser ausbalanciertes Le-
ben. Ich will meine Entscheidung nicht
aus Angst vor dem Unbekannten tref-
fen, sondern Dinge ausprobieren.
Wie viel Angst haben Sie vor der Ka-
mera?
Ständig. Ich mache andauernd Dinge
zum ersten Mal. Da ist immer die Mög-
lichkeit zu scheitern. Aber am Ende
wird diese Angst meistens belohnt, weil
ich etwas geschafft habe. Wissen Sie,
ich bin als Einzelkind aufgewachsen und
war häufig allein. Nachts hatte ich oft
Angst, auch wenn es nur ein Schatten
war. Und da war kein Bruder, der mich
beschützen konnte. Irgendwann habe
ich begriffen, ich muss mich den Schat-
ten alleine stellen.

Welche Angst wollen Sie als Nächstes
in Angriff nehmen?
Die meisten großen Ängste habe ich ab-
gearbeitet, glaube ich. Darüber zerbre-

che ich mir nicht mehr den Kopf. Meine
einzige Angst im Moment ist die, kein
glückliches Leben zu haben. Und ich ar-
beite ständig daran, glücklich zu sein.

Wie definieren Sie glücklich?
Glück ist für mich damit verbunden,
wahrhaftig und aufrichtig zu sein.
Glück bedeutet, die Wahrheit zu sagen.
Unglück ist, etwas vorzugeben, was du
nicht bist, oder Dinge zu tun, die du
nicht willst. Du lebst in einer falschen
Beziehung, hast den falschen Job, das
falsche Auto. Das ist kein glückliches Le-
ben. Ich bin jetzt 46 Jahre alt. Glauben
Sie mir, ich habe viel erlebt und weiß,
was mich glücklich macht. Ich war auch
unglücklich, aber ich habe daraus ge-
lernt und bin immer noch da. Das voll-
kommene Glück habe ich auch noch
nicht gefunden. Aber ich arbeite daran.

Wann haben Sie angefangen, sich
für ihre afrikanischen Wurzeln zu
interessieren?
Meine Eltern stammen aus Westafrika,
und ich bin in einem westafrikanischen
Haushalt aufgewachsen. Deswegen ist
die Verbindung zu meinen Wurzeln und
meinem Erbe nie abgerissen, auch nicht
als Teenager, wenn man sich neu erfin-
den will. Es liegt bestimmt auch daran,
dass meine Eltern ihre Traditionen ge-
pflegt haben. Und später habe ich dann
begriffen, dass meine Prominenz auch
ein Licht auf den Teil der Welt werfen
kann, aus dem ich stamme. Deswegen
will ich ein Repräsentant dieses Konti-
nents sein.
Migration ist das große Thema des

21. Jahrhunderts. Und einige Theoreti-
ker glauben, der Kontinent blutet
aus, weil junge engagierte Menschen
und die Bildungselite ihre Länder ver-
lassen. Was halten Sie davon?

Da bin ich ganz anderer Meinung. Ich
glaube, die jüngeren Generationen, wie
meine, die immer noch Verbindungen
nach Hause hat, sehen gerade neue
Möglichkeiten in Afrika. Viele wollen
zurückgehen, um dort zu leben. Afrika
hat Metropolen, die so modern sind wie
jede andere moderne Metropole der
Welt. Viele nehmen jetzt ihr Wissen
und ihr Erspartes mit, um in Afrika et-
was aufzubauen, Firmen zu gründen.
Denn sie haben dort Chancen, die ih-
nen hier verschlossen bleiben. Ich sehe
das sogar als einen Trend.


Ein weiterer wichtiger Teil Ihres
eigenen Lebens sind Nebenjobs als
DJ. Sie hatten in den vergangenen
Monaten zwei herausragende Engage-
ments: auf dem legendären Coachella
Festival und auf der königlichen
Hochzeit von Prinz Harry und
Meghan Markle. Vor welchem Ter-
min hatten Sie größere Angst?
(Überlegt) Coachella hat mich nervöser
gemacht. Die Hochzeit war ein schöner
Termin, den ich für Freunde gemacht
habe. Wir hatten eine gute Zeit. Coa-
chella war mein erster Gig in den Verei-
nigten Staaten und dann auch noch auf
diesem riesigen Festival. In England

kennt man mich als DJ, die Amerikaner
hatten noch nie davon gehört. Dabei
lege ich schon mein Leben lang auf.
Wie wird man DJ auf einer königli-
chen Hochzeit?
Ich bin mit Harry befreundet. Ich war
an einer wohltätigen Aktion der „In-
victus Games Foundation“ beteiligt.
Die veranstaltet die „Invictus
Games“, eine paralympische Sport-
veranstaltung für kriegsversehrte Sol-
daten, die auf eine Initiative von
Prinz Harry zurückgeht.
Ja, da haben wir uns getroffen, ich habe
dort eine Rede gehalten. Und dann hat
er mich irgendwann gefragt, ob ich auf
seiner Hochzeit auflegen will. Das lief
ganz locker. Und ich glaube, alle haben
sich gut amüsiert.
Sie haben gerade einen richtigen Hit.
„Boasty“ wurde allein auf Youtube
mehr als 62 Millionen Mal aufgeru-
fen. Macht Sie das glücklich?
So oft? Wahnsinn. Damit ist für mich
ein lebenslanger Traum in Erfüllung ge-
gangen. Wir werden jetzt sogar in Glas-
tonbury auf dem Festival auftreten. Ich
kann es immer noch nicht glauben. Als
ich den Song das erste Mal im Radio ge-
hört habe, bin ich fast durchgedreht.
Ich wollte allen sagen: Das bin ich! Es
ist ein bisschen so, als ob ich mit 46 Jah-
ren den Traum eines Teenagers lebe.
Sie sind immer wieder als neuer
Bond im Gespräch. Wäre das auch so
ein Traum?
Ich werde immer wieder darauf ange-
sprochen. Und es ist mir vor allen ande-
ren Dingen etwas peinlich. Denn es gab
ja noch nicht einmal ein Angebot. Es ist
nur eines dieser verrückten Gerüchte.
Also haltet den Ball mal flach. Aber si-
cherlich ist dieses Gerücht auch ein
Kompliment.
Die Fragen stellte Christian Aust.

Geboren als Idrissa Akuna „Idris“
Elba 1972 als Sohn afrikanischer
Einwanderer aus Sierra Leone und
Ghana im Londoner Stadtteil
Hackney.
Assistiert seinem DJ-Onkel auf
Hochzeiten, arbeitet seit Mitte der
Achtziger selbst als Discjockey.
Erste Rollen in verschiedenen
BBC-Serien, darunter „The Wire“
und (dem Krimi) „Luther“.
Seit 2006 immer öfter im briti-
schen Kino, dann auch in Holly-
wood: „Prometheus“, „Mandela“,
„Bastille Day“, „Star Trek Bey-
ond“, „Molly’s Game“, „Zwischen
zwei Leben“.
Aktueller Film: „Fast & Furious:
Hobbs & Shaw“, läuft Donnerstag
an.
Von der Queen 2016 zum Ritter ge-
schlagen.
Lebt in dritter Ehe in New York;
aus früheren Beziehungen eine
Tochter und einen Sohn.

ZUR PERSON


Schauspieler Idris Elba über den Mini


Cooper, den er sich mit 14 kaufte, über


die Autobahn bei Mannheim, seinen


Job als DJ bei der Hochzeit von Prinz


Harry und Meghan Markle – sowie über


die Gerüchte, er werde James Bond.


Foto AP


Idris Elba als CIA-Agent Sean Briar 2016 in „Bastille Day“. Foto APL

„Ich bin 46


und lebe den


Traum eines


Teenagers“

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