Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

12 leben FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


B


oris Johnson wurde schon oft
genug mit Donald Trump ver-
glichen, aber auch hier kann
man eine eventuelle Parallele ziehen:
Ist es möglich, dass, je lauter und pö-
belnder ein Politiker auftritt, umso
schlechter die Krawatte sitzt?
Unvergesslich das Bild von Trump
auf den Stufen des Kapitols am Tag
seiner Amtseinführung – mit langer
roter Krawatte, die wie ein Windsack
bei mittelstarker Brise wehte. Und
auffällig nun auch die verrutschte
Krawatte bei Boris Johnson am Mitt-
woch, als er gerade zum neuen Pre-
mierminister gewählt worden war.

Der leicht derangierte Look wird
ihm recht gewesen sein. Man kann
sich vom Aussehen eines Menschen
täuschen lassen, aber hier passen Auf-
tritt und Verhalten ganz gut zusam-
men. Das Rumpelstilzchen der briti-
schen Politik gibt sich auch äußerlich
oft genau so, zumindest aus kontinen-
taler, weniger exzentrischer Perspekti-
ve: Er trägt zerknitterte Hemden
und verwuschelte Haare. Das Bild
von ihm in Hawaii-Shorts und roter
Mütze, sein Jogging-Outfit, kann
man einfach nicht aus dem Gedächt-
nis streichen. Gut in Form war er
auch am Mittwoch.

D


ie Entwicklung der Wasserfla-
sche in den vergangenen Jah-
ren ist journalistisch ganz gut
erfasst. 2012 schrieb Christiane Florin
in der „Zeit “ einen vielbeachteten
Text über Studenten, der so losging:
„Das Erste, was ich von euch sah, wa-
ren diese großen Wasserflaschen aus
Plastik. Während einer Doppelstunde
Regierungslehre schafften viele von
euch locker einen Liter.“ Das Hängen
an der Wasserflasche als Symbolbild
für die angepassten jungen Menschen.

Sieben Jahre später werden viele bei
wiederverwendbaren Modellen sein,
die amerikanische Demokratin Alexan-
dria Ocasio-Cortez zum Beispiel, wie
es im „Spiegel“ Anfang des Jahres
stand: „Man sieht Ocasio-Cortez in
diesen ersten Monaten ihrer parlamen-
tarischen Karriere oft mit Kaffeebe-
cher und wiederauffüllbarer Wasserfla-
sche über die Flure des Kongresses
hetzen.“ Dieses Modell von Forrest &
Love aus gehämmertem Kupfer ist so
gesehen zeitgemäß.

BRAUCH’ ICH DAS? VON JENNIFER WIEBKING


STEHT MIR DAS? VON JENNIFER WIEBKING


Wasserflasche, Forrest & Love, 29,95 Euro


Boris Johnson, London, 24. Juli


Ist mir zu esote-
risch! Oh, dann auch
Finger weg von der
Flasche eines Berliner
Start-ups – Rite your
Ritual. In jedem Glas-
flakon steckt ein Kris-
tallstein.

Foto Hersteller

Foto Polaris Images

Die Haare
Waren bis vor fünf Wo-
chen noch länger. Der
„Funky Barber“, so der
Name des Friseurs in
Westlondon, habe vor
lauter Nervosität zu viel
abgeschnitten, heißt es
in der „Sun“. Die
Boris-Frisur, chaotisch
verwuschelt, bekommt
er noch gerade so hin.

Wie verhält sich
die Flasche von
Forrest & Love bei
40 Grad plus? Gut,
sie ist aus Kupfer, das
heizt sich in der Son-
ne schnell auf. In ge-
schlossenen Räumen
aber bleibt das Wasser
darin länger kühl. Ist
also eher was für eine
Doppelstunde Regie-
rungslehre.

Nämlich wer? BKR,
Flask, Memobottle,
Soulbottles; sie
erinnern mit ihrem
Design häufig
weniger an Bergtour
und mehr an Yoga-
Stunde.

Die Gestik
Dieser Mann hat
nur wörtlich ge-
sprochen Man-
schetten, nicht
bildlich. Hier
kommen sie zur
Geltung. Wenn
seine Pose ein
Wort wäre, müss-
te es lauten:
„Yes.“

I


n einem Buch über Motive und
Techniken der klassischen Batik –
es heißt „Classical Batik“ und ist
1981 in Jakarta erschienen – findet
sich eine Definition, die an Klarheit
nichts zu wünschen übriglässt. Batik,
das ist ein Malen, ein Zeichnen oder
Schreiben mit Wachs. Eine Autoren-
schaft, die sich einer strengen Überliefe-
rung verpflichtet. Jede Vereinfachung,
jedes Hilfsmittel gilt der klassischen De-
finition als unzulässig; schon der kleins-
te Motiv-Stempel scheidet aus. Sonst
könne man nur noch von Batik-Optik
sprechen, nicht von Batik selbst.
Dafür muss der erfahrene Handwer-
ker und Künstler ein spezielles Känn-
chen benutzen und die Poren des Stof-
fes für die anschließende Färbung mit
kochend heißem Wachs versiegeln. Meh-
rere Arbeitsgänge sind nötig, bis das gan-
ze Bild sich erschließt: Rautenmuster.
Pflanzen. Mit Blumen reich geschmück-
te Gärten. Die abstrakten und figürli-
chen Darstellungen sind äußerst filigran
und oft sehr poetisch, und hoffentlich
hilft es, sich das kurz einmal vorzustel-
len, wenn man die Überschrift eines der
207 ausgewählten traditionellen Motive
liest: „Vogel, der traurig und gesund ist.
Traurigkeit, die auf Sehnsucht beruht.“
An einen Bindfaden war also be-
stimmt nicht gedacht. Nicht an T-Shirt-
Packungen aus dem Großmarkt. Nicht
an einen Lehrer, der einer Gruppe von
Kindern auf Schulfreizeit „Wir batiken
heute“ sagt und damit im Ernst meint,
dass die Kinder mit Zwirn wulstige Kno-
ten in den Stoff binden und die ge-
schnürten Pakete anschließend in Farb-
töpfen umrühren. Nach Hause zurückge-
kehrt, liefen die Kinder mit ihren
T-Shirts durchs Dorf und sahen aus wie
Abgesandte des Hippie-Gottes, seltsam
fremd und fröhlich in einer Umgebung,
die jede Abweichung vom Mainstream
und seinen „ordentlichen“ T-Shirts miss-
trauisch beäugt.
Ein Geschenk des Zufalls, ein Rien-
ne-va-plus der Farben. Es ging nicht um
Leistung. Nicht um Erwartungen, die
man erfüllt oder enttäuscht. Darin lag
für viele Kinder der Zauber. Wer mag,
soll sich darüber lustig machen und sa-
gen, dass die T-Shirt-Provinz nun wirk-
lich nicht zählt.
Aber wer weiß, vielleicht geht einem
in diesen Zeiten der Appetit auf Gering-
schätzung allmählich verloren, und man
nutzt die Gelegenheit, an die eigene Ba-
tik-Erfahrung zu denken. Die Mode lädt
jedenfalls herzlich dazu ein. Mehr noch,
sie räumt dem alten Shirt, das den Batik-
Titel wie gesagt völlig zu Unrecht trägt,
wieder eine echte Chance ein. Obwohl
es natürlich im Vergleich zu dem hell-
blau-mäandernden Shirt aus der aktuel-
len Sommerkollektion von Stella
McCartney ein bisschen ungestüm und
längst nicht so sophisticated daherkäme.
Dafür aber in einem Blau, das an einigen
Stellen an das Blau der tiefsten Stellen ei-
ner Meeresbucht erinnert.
Wer hätte das gedacht? „ Tie-Dye ist
zurück“; so nennt der angloamerikani-
sche Sprachraum das. Die meisten Beob-
achter haben nicht damit gerechnet und
geben sich völlig überrascht. Tot wie ein
Türnagel sei die Batik-Optik, sei das
Tie-Dye doch bis neulich noch gewesen.
Warum jetzt diese Renaissance?
Kaum ist die Frage gestellt, geht es
schon los mit dem Gedankenspiel, das
dieses Mal sehr aufs Grundsätzliche
zielt. Als würde man sich in einem Pulli
von R13 oder einem von Maria Grazia
Chiruri für Dior wunderbar kolorierten
Seiden-Sommerkleid am Rande der Er-
klärungsnot befinden. Kein Tie-Dye
ohne passende These.
Tie-Dye drücke eine Sehnsucht aus,
heißt es, ein Art von Heimweh nach dem
Offline. Mit seinen unscharfen Farbver-
läufen nehme es Abstand zum digitalen
Gebot der Perfektion und sei in Zeiten
von Trump als Zeichen des Nonkonfor-
mismus zu lesen, als Bekenntnis zu Viel-
falt und Freiheit. Außerdem sei es für die
MeToo-Bewegung relevant und zeige
deutlich, dass dort eine neue, optimisti-

schere Phase beginnt. Und tatsächlich:
Das leuchtende Tie-Dye eines Prabal Gu-
rung könne ermutigender und kraftvol-
ler nicht sein.
Bemerkenswert, wie Tie-Dye das Den-
ken in Schwingung versetzt und wie tief
es als Erfahrung im Bewusstsein veran-
kert ist. „Weißt du noch, wie früher alle
gebatikt haben?“ So fragt in dem 2017
vielfach ausgezeichneten Film „Lady
Bird“ die 17 Jahre alte Christine (Saoir-
se Ronan) den Jungen (Timothée Chala-
met), mit dem sie zum ersten Mal ge-
schlafen hat. Sie hat ein Foto in der
Hand, und das Leben in einem gebatik-
ten Shirt erscheint ihr in diesem Mo-
ment sehr weit weg. Christine verän-
dert sich; sie riskiert etwas, ist klug und
neugierig.
Interessanterweise behauptet Tie-Dye
gerade dasselbe von sich. Komplexer sei
es geworden. Raffinierter. „ Tie-Dye ist
erwachsen geworden“, lautet eine
Schlagzeile, und wer die Sommerkol-
lektion von Miuccia Prada betrachtet,
erkennt sofort, dass sich Tie-Dye mit
der Mode inzwischen fließend unter-
halten kann.
Zu sehen bekommt man knielange
Röcke in festem, leinwandbindigem Sei-
denstoff. Shorts, die zusammen mit ei-
nem hochgeschlossenen schwarzen Pulli
auf jene Prada-typische Weise fast be-
ängstigend effektsicher wirken. Nein,
dieses Tie-Dye ist keine bloße Reminis-
zenz, kein sentimentales Zitat, sondern
ernsthafte Motivarbeit. Es betont Sil-
houetten und Proportionen, stiftet ele-
gante Übergänge.
Großartig ist das auch Dries Van No-
ten gelungen, dessen Herrenkollektion
für den kommenden Herbst ein wahrer
Schatz des zeitgenössischen Tie-Dye ist.
Variantenreich und auf den Millimeter
genau schickt der Designer sein Tie-Dye
auf das Spielfeld der androgynen Ele-
ganz und hält die Farbigkeit der Manda-
las mit der Schnittkunst der Mäntel und
Jacken in Balance. Man ergänzt sich, fällt
sich nicht ins Wort.
Die Aggression ist dem Tie-Dye seit
jeher fern. Das Ego, das mit aller Macht
siegen will. Auch das wäre eine These:
Wie kann man Stärke anders zeigen?
Mit Naivität hat das nichts zu tun. Im
Gegenteil, das Ich kann sich in diesem
Tie-Dye der Mode prima behaupten. Jim-
my von den „Golden Girls“ würde stau-
nen. Als liebenswerte, weltfremde Figur
taucht er in den Neunzigern auf. Jimmy,
„der letzte Hippie“, der den emotiona-
len Aufruhr der Sechziger immer noch
nicht verkraftet hat. Dorothy wird bei ei-
ner Essen-auf-Rädern-Tour zufällig auf
ihn aufmerksam und nimmt die Heraus-
forderung mit Leidenschaft an. Zum
Schluss schafft sie es irgendwie: Jimmy
verlässt nach 22 Jahren zum ersten Mal
sein Apartment. Er will eine Therapie
machen und beschließt, superwichtig,
dass er dringend neue Kleider braucht.
Es war schwer, sich von dem alten Ba-
tik-Shirt zu trennen. Auf geheimnisvolle
Weise schien es mitzuwachsen. Nach
vier, fünf Jahren aber war es ziemlich
dünn geworden. Mit Stopfnadeln hat
man noch einen Rettungsversuch unter-
nommen, dann riss die Verbindung ab.
Man steigt nicht zweimal in denselben
Fluss, heißt ein Sprichwort. Einen Ersatz
zu suchen kam nicht in Frage.
Über die klassische Batik wird übri-
gens gesagt, sie sei ein unzerstörbares,
fast heiliges Band zwischen den Genera-
tionen. Das spontane Tie-Dye kann bei
diesem Satz ein bisschen nervös werden.
Im Kaufhaus hält man das Stella-
McCartney-Shirt in Händen und stu-
diert den Zettel hinter dem Preisschild.
Darauf steht, dass es sich hier garantiert
um ein Einzelstück handelt, ein Teil mit
individuellem Farbverlauf. Doch irgend-
etwas hält einen zurück. Ein kleiner An-
fall von Sentimentalität wahrscheinlich.
Beim Tragen würde man das neue mit
dem alten Shirt vergleichen. Was unge-
recht wäre und der Mode gegenüber
schrecklich undankbar. Schließlich hat
sie nie behauptet, einem ein altes Shirt
zurückzubringen.

Nur weil man sie
nach dem Austrin-
ken nicht zum Leer-
gut gibt? Nach Ayur-
veda gleicht Wasser,
das mit Kupfer in Be-
rührung kommt, die
drei Doshas im Kör-
per aus – Vata, Pitta
und Kapha.

Wie damals auf Sommerfreizeit: Gigi Hadid mit Batik-T-Shirt und Tasche. Foto Getty

Das Hemd
Der Tag, an dem er Premierminister wurde, ist auch
der Tag, an dem in Großbritannien die Hitze kam.
„ Uncomfortably warm“, schreibt „BBC Weather“.
Johnson steht das trotzdem in voller Montur durch.

So zufällig, wie Batik entsteht,


ist es in diesem Sommer


auch wieder da. An Thesen für den


Trend mangelt es trotzdem nicht.


Von Elisabeth Wagner


Was ist eigentlich
aus der guten alten
Sigg geworden?
Gibt es noch immer,
aber das Feld der Ge-
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