Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

14 familien leben FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


Sie spielen in „Benjamin Blümchen“
Hans, einen leicht tölpelhaften Böse-
wicht. Wie hat Ihr Sohn reagiert, als
er den Film gesehen hat?
Schon als ich drehte, dachte ich bei je-
der Szene an ihn und überlegte, ob er
jetzt wohl lachen würde. Deshalb war
ich bei der Premiere total aufgeregt, als
er mit seiner ganzen Kindergartengrup-
pe kam. Ich dachte, wenn mein Sohn
jetzt kein einziges Mal lacht, muss ich
den Beruf an den Nagel hängen. Zum
Glück ist er völlig ausgeflippt, was ich
rührend fand. Er ist mittlerweile sechs
und Filme mit mehr Action gewöhnt,
aber zwischendrin stand er auf und rief:
„Das ist mein Papa!“
Ihr Vater ist auch Schauspieler. Wie
haben Sie ihn als Kind wahrgenom-
men, wenn er im Fernsehen war?
Ich habe immer gedacht, mein Vater
habe eine bestimmte Technik, um sich
so klein zu machen, dass er in den Fern-
seher passt. Ich hielt es eher für etwas
Magisches und nicht für einen norma-
len Beruf. Das hat mich lange beschäf-
tigt, weil es so geheimnisvoll war.
Als Ihr Sohn kleiner war, haben Sie
viel Zeit mit ihm verbracht und be-
wusst nicht jede Rolle angenommen.
Warum war Ihnen das wichtig?
Ich dachte schon immer, dass mit dem
Eintritt in die Schule eine Zäsur
kommt, in der sich vieles verändert.
Und die ersten Jahre sollen angeblich
die sein, in denen man eine starke Bin-
dung zu seinem Kind aufbauen kann
und bestimmte Weichen stellt.
Viele Eltern gehen einen anderen
Weg und versuchen so schnell wie
möglich, wieder viel zu arbeiten.
Was ich nicht ganz verstehe. Natürlich
kann man Kinder bekommen, und bei-
de Eltern machen Karriere, aber mir
geht es so, dass ich nicht erst in 15 Jah-
ren einen komisch riechenden Teenager
kennenlernen will, mit dem ich nichts
anfangen kann. Es ist ja nicht so, dass es
einseitig wäre mit meinem Sohn. Er in-
spiriert mich zu so vielen Dingen.
Wenn man so will, ist dadurch sogar ein
ziemlich lukrativer Nebenjob entstan-
den, als ich anfing, Schlaflieder für ihn
zu komponieren. Aus einem ist dann ein
Kinderbuch entstanden. Jetzt habe ich
noch einen Roman für Schulkinder ge-
schrieben. Leo hat mir dazu viele Ideen
geliefert und nickt alle Zeichnungen ab,
das ist eine echte Zusammenarbeit.
Finden Sie, dass es in unserer Gesell-
schaft richtig gewürdigt wird, wenn
man sich um die Kinder kümmert
und nicht an seiner Karriere bastelt?
Da muss man differenzieren. Ich bin in
einer sehr privilegierten Situation und
kann mir das finanziell erlauben. Ich
kenne auch Leute, da müssen beide El-
ternteile arbeiten, weil sonst das Geld
zu knapp ist. Ich verurteile das also in
keiner Weise. Aber wenn man die Mit-
tel hat und ein Kind möchte, verstehe
ich nicht, warum man nicht mehr Zeit
mit ihm verbringt. Und wenn man es
macht, warum man dann immer so ein
bisschen schräg angeschaut wird.
Ist Ihnen das auch passiert?
Mir haben viele gesagt, dass ich zu sehr
zurückstecken würde. Ich sehe das über-
haupt nicht so. Bisher ging es nur um
mich in meinem Leben. Und jetzt geht
es um jemanden, der auch noch ein so
cooler Typ ist. Ich bin wirklich gerne
mit meinem Sohn zusammen. Das ist
für mich keine vergeudete Zeit.
Sind Sie streng als Vater?
Mein Sohn stellt mich seinen Freunden
gerne so vor: „Das ist mein Papa, der
macht nur Quatsch“, was irgendwie lus-
tig, aber auch schwierig ist, wenn von

Anfang an die Autorität untergraben
wird (lacht). Aber ich finde, man muss
keine militärische Disziplin an den Tag
legen, um Kindern etwas zu vermitteln.
Ich appelliere eher an die Vernunft.
Zum Beispiel?
Wenn ich sage, dass wir heute Freunde
besuchen, und er sagt: „Nö, langweilig,
keine Lust“, dann erwidere ich: „Wir ma-
chen oft, was du willst, und jetzt mal
was, was ich will.“ Und dann sagt er
meistens: „Ja, okay.“ Das geht eher, als
wenn ich sage: „Du steigst jetzt sofort in
das Auto, und wir fahren los.“ Oder
wenn es zum Beispiel um gute Umgangs-
formen geht. Da erkläre ich ihm, dass
das nicht nur mit mir zu tun hat, son-
dern dass ihm das auch später das Leben
erleichtern wird. Ich versuche ihn immer
zu überzeugen mit guten Argumenten,
und bisher gelingt das ganz gut.
Und im Alltag? Was kochen Sie,
wenn es schnell gehen muss?
Nudeln mit Parmesan oder Gnocchi
mit Parmesan.
Ohne Tomatensauce?
Mag er nicht. Der Speiseplan meines
Sohnes ist ziemlich überschaubar.
Cola: Erlaubt oder nicht?
Ich finde Cola ist ein völlig überschätz-
tes, überzuckertes Getränk. Cola findet
bei uns nicht statt, wir trinken eher
Sprudelwasser. Mein Sohn mag gerne
den Cola-Lolli. Den kann er haben.
Streit im Sandkasten: Eingreifen oder
nicht?
Wer streitet da? Eltern oder Kinder? Ich
sehe vor allem Eltern im Sandkasten, die
sagen: „Das ist aber unsere Schaufel!“ –
„Aber ihr habt doch zehn, können wir
nicht eine ausleihen?“ – „Nein!“
Schreiattacke an der Supermarkt-
kasse: Kaufen Sie die Schokolade
oder nicht?
Nie gehabt. Ich finde es lustig, wenn
ich eine Mutter sehe, deren Kind im
Gang liegt und schreit, und sie dann
weitergeht und laut sagt: „Die Mama
geht jetzt weiter, ohne dich.“ Und du
merkst, die Mama will überhaupt nicht
gehen, muss aber die Nummer durchzie-
hen und verschwindet im nächsten
Gang, während das Kind einfach weiter-
schreit. Dann kommt sie natürlich wie-
der zurück und sagt: „Kommst du jetzt
bitte!“ Das nenne ich konsequent.
Lesen Sie Erziehungsratgeber?
Nee, ich weiß auch nicht, was das brin-
gen soll. Eigentlich sollte Erziehung ja
etwas Intuitives sein. Mit ein bisschen
Hirn und Zeit und dem Wissen, was
man selber möchte und welche Werte ei-
nem wichtig sind, zeichnet sich der
Weg in meinen Augen von alleine ab.
Aber viele Eltern sind verunsichert...
Durch irgendwelche Ratgeber. Da steht
in dem einen: Schlagen Sie Ihr Kind re-
gelmäßig, und in zwei Jahren wird es
machen, was Sie wollen. Und im ande-
ren: Bloß nicht schlagen, sonst wird es
nie machen, was Sie wollen. – Aber wer
weiß, vielleicht legt mein Sohn in der
Pubertät los und wird plötzlich unerträg-
lich. Und dann werde ich mir auch
noch irgendwelche Ratgeber kaufen.
Davon gibt es mehr als genug. Wie
war denn Ihre Pubertät?
Ich war kein Teenager, der seinen El-
tern das Leben zur Hölle gemacht hat,
aber sagen wir so: Ich war sehr expe-
rimentierfreudig, was meinen Eltern
zum Teil nicht so zugesagt hat. Die
harmloseste Version waren sämtliche
Haarfarben, die ich ausprobiert habe.
Ich habe auch immer in Bands gespielt
und früh angefangen, zu rauchen und
Alkohol zu trinken.

Eigentlich wollten Sie Musiker wer-
den, dann wurde es doch die Schau-
spielerei. Wie kam das?
Ich war immer ein bisschen zu faul zum
Gitarreüben, deshalb muss ich neidlos an-
erkennen, dass es einen Haufen Men-
schen gibt, die wesentlich talentierter
sind als ich. Als Kind habe ich gesagt, ich
will Schauspieler werden, weil das cooler
klang als Feuerwehrmann oder Polizist.
Dann habe ich gemerkt, dass mein Vater
immer viel Text lernen musste. Da dach-
te ich: Das Lernen macht mir ja in der
Schule schon keinen Spaß, da werde ich
den Teufel tun, das zum Beruf zu ma-
chen. Ich kam dann auf Regisseur.
Warum?
Weil der in meiner Wahrnehmung,
wenn ich meinen Vater am Set besuch-
te, derjenige war, der immer kam, wenn
alles schon aufgebaut war, sich in einen
Stuhl setzte und sagte: „Und bitte!“
Und dann sagte er nach einer Weile:
„Und danke!“, stand auf und ging wie-
der. Das konnte ich mir vorstellen. Ich
habe dann Praktika hinter der Kamera
gemacht, Regieassistenzen, auch mal bei
einem „Tatort“. Und da sollte ein Poli-
zist mit Unterlagen in das Büro der
Kommissare kommen und sagen: „Das
müsst ihr euch anschauen!“ Das war zu
klein für einen Schauspieler und ein biss-
chen zu groß für Komparsen. Das habe
dann ich gemacht, und es machte mir
Spaß. Anschließend suchte ich mir eine
Agentur, und seitdem lebe ich davon.
Mittlerweile drehen Sie viel mit Ih-
rem Vater, auch in „Benjamin Blüm-
chen“. Wie fühlt sich das an?
Am Anfang war das komisch. Das erste
Mal zusammen gedreht haben wir 1996,
den Film „Lamorte“, in dem es zwei
männliche und sonst nur Frauenrollen
gab. Das war die Star-Riege des österrei-
chischen Theaters und Films, unter an-
derem Senta Berger, Christiane Hörbi-
ger und Nicole Heesters.
Ziemlicher Druck mit 19.
Allerdings. Am Abend vor dem ersten
Drehtag sagte mein Vater im Hotel:
„Komm doch mal rüber in mein Zim-
mer, dann gehen wir noch mal den Text
durch.“ Aber ich merkte schnell, dass es
gar nicht darum ging; er wollte stattdes-
sen schon mal leicht vorinszenieren, da-
mit ich nicht mich und damit auch nicht
ihn blamiere. Er war viel aufgeregter als
ich, auch an Tagen, an denen er gar
nicht dran war, sondern nur ich. Dann
entdeckte ich plötzlich aus dem Augen-
winkel seine Halbglatze hinter dem Ka-
meramann. Das fand ich wahnsinnig an-
strengend. Danach haben wir auch län-
ger nicht mehr gedreht.
Und jetzt?
Mittlerweile bin ich als eigenständiger
Schauspieler genug etabliert; jetzt genie-
ße ich es total, mit ihm zu drehen. In
den Drehpausen quatschen wir über
Gott und die Welt, die Kinder, Enkel-
kinder, über gemeinsame Urlaube. Wir
sind sehr eng miteinander.
War Ihr Vater präsent, als Sie klein
waren?
Nicht so sehr. Er hatte damals noch
nicht seinen wirklichen Durchbruch als
Schauspieler und drehte in erster Linie
für den ORF Dokumentationen, in de-
nen es um Österreicher ging, die sich
im Ausland eine schräge Existenz auf-
bauen. Er ist um die ganze Welt gereist.
Das waren noch die Zeiten, als eine dün-
ne Stimme am Telefon mit Knistern im
Hintergrund sagte: „Jetzt gib mir noch
mal schnell deine Schwester, wird ja
auch so teuer.“ So Sätze fallen heute
nicht mehr. Heute kann ich mit mei-
nem Sohn skypen und ihm alles zeigen,
wenn ich auf Dreh bin.
Die Fragen stellte Anke Schipp.

Vater, Darsteller, Kinderbuchautor: Von Thun in Berlin; im Film „Benjamin Blümchen“, der Donnerstag startet (unten). Fotos Jan Roeder, Studiocanal

Max von Thun, 42, über das Leben mit seinem Sechsjährigen,


Benimm- und Ess-Regeln, seine aktuelle Rolle im Kinderfilm


„Benjamin Blümchen“ – und warum es lange dauerte, bis er mit


seinem berühmten Vater Friedrich vor der Kamera stehen konnte.


„Mein Sohn ist ein


so cooler Typ“

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