Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

16 leben aktuell FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


WAAGERECHT: 1 Fernreisewunsch:
Möge er als Vornsitzender groß raus-
beim Runter-, und wir da dann gut
unterkommen! (12) 12 Mal aufrichtig
gesehen: Auf Bänken die Krücken für
Menschen mit Rücken (6) 13 Haben
ihren gern benutzten, ungeputzteren
Vorortwortschatz – in aller Szenedia -
lektslangsamkeit? (int.; 6) 15 Hin-
geletterte, pilatuspopuläre Schuldzu-
weisung auf dem sog. Kreuzestitel (4)
16 Geisteslehrform, dem reinen Den-
ken geschuldet – erinnert fremdwört-
licher an Oleo-Gino! (8) 17 All das
gemachte Gedöns in aller Buheihei-
terkeit, so aufsehen- wie -hörenerre-
gend (6) 19 Jetzt wär im internatio-
nalen Sinne die Hilfe vonnöten, die
Aserbaidschan ja längst bekam ... (3)
21 Irgend schon mal auf Latein, wie
irgendwo in Arabien schon so manch
einer (3) 22 Süßgras das für Kolben-
Fresser, für Ösis Kukuruz, für Botani-
ker jenes – ausm Ozean gefi scht ... (3)
24 Ladenschlussendlich das Basta ist
immer was? (2) 25 Brett löcherfrei
und auch noch lochlos, wie perfekt
ist das denn? Eben drum! (7) 27 Mal
pöbellateinisch: Vide, wie die Gladi-
atoren sich am Umbringen sind! (4)
28 Was Stinte nur letztlich gegen-
strömig nach Geesthacht nehmen (4)
30 War schon 1971 als Reifeprüfe-

rin die Göttliche für Dustin Hoffman,
doch der Filmtitel dazu kam ja erst
1984 ... (Vorn.; 4) 31 Kost’ nichts als
Kost an Reinsteckenergie, gar nichts
sogar! (3) 32 Und was folgt auf den
Bestellschein? Dorren wäre da ganz
unordentlich ... (6) 34 Der geht aufs

Haus, so erklärte der Wirt in Kalau,
und der ... daran ist: Er meinte den
Schornsteinfeger! (3) 36 Passen zu
Hinzes wie Kunzes, aber nur, wenn
Krethi antanzen ... (6) 37 Bekommt
alte und alter Liebe, die nicht rostet,
sagt man (6) 39 Das Verfl ixte an ihm

ist nach Tucholsky, dass man sich
schadet, ohne anderen zu nützen (6)
41 Letztlich schon in den ersten Rei-
setagen auf Kreuzfahrt verwirren die
vielen ...! (6) 43 Wenn alle fl ießen,
wird gehießen, man müsse trinken &
seinem Schatz notfalls winken (10)
48 Geringerhitziges Viellängergaren
für Saftigrosafl eischliches (Abk.; 2)
49 Fernsehen bildet, meinte Groucho
Marx, der dann eben so im Neben-
zimmer saß! (6) 50 So gerade eben
befruchtende Geschlechtszellenver-
schmolzenheit – wie schon in Dizzy-
Goten-Kreisen?! (fachl.; 6) 51 Und
so eines würde heute in Delphi war-
nen: Ägäis-Öl kriegt, wer kriegt! (6)
52 Kann Menschenmenge bildend,
führend, anleitend gruppieren, und
verwirklicht sich als Meta-Er?! (6)

SENKRECHT: 1 Will doch nur bloß
und mal eben übers Fußballfeld! (7)
2 Zutage tritt sie 5 km vom Baikal-
see entfernt, aber liefert dem Laptew-
see alles fürs Nordpolarmeer – steht
doch in allen Quellenangaben ... (4)
3 Wenn ich die Folgen geahnt hätte,
wäre ich so was geworden, hat Ein-
stein mal geseufzt, der alte Unruh-
herd ... (9) 4 Hat was Bestechendes,
übernimmt für Norddeutschere die
Rinderblauzungenerregerüberträger-

ärgerfunktionen (6) 5 Barbiebienes
gendertraditioneller Rollenspielpart-
ner – aus Hintergedankenkalkül?! (3)
6 Mal ganz außer der Reihe und Rou-
tine geraten zu raten ... (6) 7 Unser
stärkster Hüftbeuger und Wirbelsäu-
lenverneiger, könnte trotzdem Po-Ass
heißen ... (5) 8 So wer ist vielleicht
ungebildet – was heißt vielleicht, gar
auch ein Ungelehrter! Wirkt er nicht

umgebildet so tailliert? (9) 9 Konfu-
zius, Konfuzius, / Zeig mir den, den
ich gehen muss! (chines.; 3) 10 Liest
sich eher wie’n verslangtes strapaziös,
meint aber erlaubt im Jurasprech –
und erinnert so an Giga-Nagen ... (9)
11 Von Wieland, jenem Schmiede,
der Bruder doch, der Bogenschütze,
der geschüttelt sogar geil wäre ... (4)
14 Hätte zu gern Notre-Dame bei-
derseits löschen geholfen und das Ihre
beigetragen (5) 18 Wild ist sie nach
Anmach-Tanz / vom allerschönsten
Raufußschwanz, welch’ Balzarie! (9)
20 Jackson H. Browns Rat: Sprich

mit der Presse – aber denke ...: Sie
hat das letzte Wort! (4) 23 Gestand
Anatole France: Die einzige, die ich
besucht habe, war die für Schwän-
zer, und die war die beste! (franz.; 5)
26 Nichtig wär richtig, eh sehr leer
und wohl hohl auch, in bester Auf-
einanderbezogenheit ... (4) 29 Von
Natur aus sind es Zweibeiner ja eben
nicht, sagt PeTA, höchstens mal ihre
Zunge! (7) 32 Nur teilweise ortsüb-
liche Abk. (2) 33 Trachtpracht, für
Jungfrau etwa, bei Schürzenmittel-
schleifenhinweis (6) 35 Ist gern der
Gänsehahn im Korb oder im Grüt-
zenteich (6) 36 Neruda, da kommen
Sie drauf, is’ doch dem Picasso vorn
ähnlich! (5) 38 Wo man wähnt, man
wär im Wald, is’ allemal so nadel-
total boreal (5) 40 Wer’n Nerd nich
mag, mag so einen schon gar nicht –
aus Computeranlage-Ekel?! (int.; 4)
42 Duck mal einer an, was uns Waid-
mann federwildlecker serviert ... (4)
44 S-bahnt rund, rein, raus in Paris,
kurzum! (3) 45 Zynte G. Clemen-
ceau: Zeigen sie doch die Entwick-
lung von der Barbarei zur Dekadenz
ohne Umweg über Kultur (Abk.; 3)
46 Hat peacock schon schwanzganz
und gar mehr als 2 davon! (engl.; 3)
47 Seiner war Gantenbein, hat ja ein
jeder sein’ – en France ... (3) up.

AUFLÖSUNG DER
LETZTEN QUADRATORTUR
WAAGERECHT: 1 Matriarchate 12 (Christlich Soziale
bzw. Demokratische) Union (also CSU/CDU) 13 (Pfi r-
siche engl.) peaches 15 Rhea (in Ove-rhea-dfolien)
16 Dessau (mit 100. Bauhaus-Jubiläum anno 2019)
18 (2x) Lt. 19 Merlin (am populärsten in der Artus-
sage) 20 eh 21 (in Sch-ulla-tein:) Ulla 22 Eu- + (sog.)
Eu(stress) 23 (sog. virtuelle) Identitaet 25 (weniger
engl.) less 27 Kir + (mit Champagner als) Kir (Royal)
29 (die) Moore + (Ex-007 Roger) Moore 31 „archen“
(als Verb) + (all die) Archen 32 (ital.) Umbria 36 (2x)
unhaltbar 38 (P-A + P-A: Papa, int. also) Dad 39 (Irish)
Stew (orig. Stobhach Gaelach) 42 Chinin (als Arznei
bzw. in Tonic Water) 43 (vor/nach dem Mittwoch:) Mi.
44 („ins) Horn (machen“) 45 (wandern engl. to) hike
46 Tube 47 ur- 48 (Anagramm aus V-o-r-n-M-e-t:)
Vermont 50 neu (erfi nden) 51 (eine) Boee (also Böe)
52 Montagne (als Anagramm aus M-o-n-t-a-g-e-n)

SENKRECHT: 1 (statt echtem Urmel:) „Murmel (aus
dem Eis“) + (eine) Murmel 2 anheuern 3 (2x) tierisch
4 Roald (Dahl) 5 Indie(-Bands) 6 Apennin (Anagramm
aus I-n-P-a-n-n-e) 7 (ein sog.) Reset (als Anagramm
engl. t-r-e-e-s) 8 cash (und „Bargeld lacht ...“) 9 h.c.
10 (der Platten-)Teller 11 (engl.) Estate + (Sommer
italien.) estate 14 (sog.) Hula-(Tanz) 17 Auto + auto-
24 immanent (als Anagramm M-i-t-n-a-m-e-n bzw.
M-i-e-t-m-a-n-n) 26 Shawnee (in Oklahoma) + (die)
Shawnee 27 (mit dem Schierlingsbecher als) Kelch
28 (der) Rubikon (und populärer Spruch „Alea iacta
est“) 30 „Ordnung (ist das halbe Leben“) + („in) Ord-
nung“ 31 Aushub 33 Britta (als Anagramm I-T-T-r-a-b)
34 Iamben 35 „adieu!“ 37 Thimo 40 (Stier span.) toro
41 (sog.) Erve (in Wand-erve-reinen) 49 R.m. + RM

QUADRATORTUR 28.


Wo man wähnt, man


wär im Wald, is’ allemal


so nadeltotal boreal ...


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51 52

W


enn es eine Sache gibt, die
Stars und Sternchen zu ver-
meiden suchen, dann ist es
das Altern. Zu groß ist der Druck, ge-
rade bei Schauspielerinnen, noch für
solche Rollen gecastet zu werden, die
nicht „Mutter“, „Großmutter“ oder
„unattraktive, aber lustige beste Freun-
din“ lauten. Und natürlich haben auch
Männer ihre liebe Müh und Not, wei-
terhin als „Sexiest Man Alive“ in Frage
zu kommen, ein zugegeben erstrebens-
wert universeller Titel.
Doch dem Jugendwahn wurde ein
jähes Ende gesetzt! „Schluss mit Bo-
tox, Hyaluron und Facelift – die Pro-
mis sind verrückt nach der FaceApp“,
schreibt In. Für die weniger smart-
phone- und filteraffinen Leser: Die
FaceApp ist eine Anwendung, durch
die man beliebige Fotos beliebiger
Menschen jagen kann, die von der An-
wendung dann – schwupps – um eini-
ge Jahrzehnte in die Zukunft gebe-
amt werden.
Diverse Prominente haben die An-
wendung ausprobiert und das Ergeb-
nis, den Blick in den futuristischen
Spiegel, auf ihren Instagram-Kanälen
veröffentlicht. Junge Promis, plötzlich
alt, ergraut, runzlig. Für solche Stars,
die die App nicht ausprobierten, ha-
ben die Klatschblätter das großzügig
übernommen. „Seid ihr alt gewor-
den!“, titelt In , „Blick in die Zukunft“,
schreibt Gala. Und da sind sie alle:
George und Amal Clooney, runzlig!
Heidi und Tom, (gleich) alt! Ariana
Grande, faltig! Vor dem Digital-Gott
sind wir alle Oldies, da kriegt selbst Ve-
rona Pooth ordentlich Falten.
Die Herzblätter lassen dann auch
solche Prominente altern, die, wenn es
nach Mutter Natur gegangen wäre,
vielleicht ohnehin schon die ein oder
andere Runzel gehabt hätten. So gese-
hen, ist der Blick in die Zukunft viel-
leicht nicht ganz realistisch und müss-
te nicht heißen: So sehen Promis in
vierzig Jahren aus, sondern: So könn-
ten Promis in vierzig Jahren aussehen


  • wenn sie denn altern würden.
    Der Natur ins Handwerk gepfuscht
    hat auch Barbra Streisand. Wie Das
    Neue Blatt
    berichtet, wollte die Schau-
    spielerin und Sängerin nicht ohne ihre
    Hündin Samantha leben – und ließ
    aus deren Zellen zwei Klone erschaf-
    fen, Scarlet und Violet. „Gruselig!“,
    findet Das Neue Blatt das. „Ein totes
    Tier ist doch nicht einfach zu erset-
    zen!“ Offenbar schon, liebes Neues
    Blatt
    , und dann gleich doppelt. Wir
    wollen nur hoffen, dass Streisand bei
    den Zwillingshunden haltmacht.
    Nicht, dass sie auf die Idee kommt,
    Scarlet und Violet noch einen Ge-
    schwisterklon namens, sagen wir, Ham-
    let zu kreieren. Oder gleich: Omelette.
    Geschwisterlich führen sich neuer-
    dings auch die Herzoginnen Meghan
    und Kate auf. Bei einem gemeinsamen
    Wimbledon-Besuch wurden die
    Schwägerinnen doch tatsächlich mit-
    einander tuschelnd und lachend gesich-
    tet. Während Das Neue Blatt vermu-
    tet, die Queen habe „ein Machtwort“
    gesprochen, weiß Echo der Frau hinge-
    gen genau, woher das traute Miteinan-
    der rührt. Die beiden mögen sich
    nicht etwa, fühlen sich einander ver-


bunden – oder wollten sich schlicht un-
terhalten. Weit gefehlt! Die beiden
„nahmen sich gemeinsam vor, die Har-
monie zwischen ihren zerstrittenen
Ehemännern William (37) und Harry
(34) wieder herzustellen“.
Das Ganze, also das ganze Ge-
spräch inklusive Lachen und Flüstern,
sei, so Echo der Frau , ein „geheimer
Plan“. Schließlich tun Herzoginnen
nichts ohne Grund, wahrscheinlich
nicht einmal schlafen und essen. Soll-
ten wir sie jemals eine dieser Tätigkei-
ten verrichten sehen, und das noch ge-
meinsam, dann sicher nur, weil sie ei-
ner Top-Secret-Mission im Auftrag
der Schwieger-Oma-Queen höchstper-
sönlich nachgehen.
Einen höheren Auftrag verfolgt
nun auch Ursula von der Leyen, die
laut In „vom ,Röschen‘ zur Königin
Europas“ avanciert ist. Sogar ihre Fein-
de, weiß In , zollen der siebenfachen
Mutter Respekt, denn, da ist In beson-
ders spitzfindig: „Selbst hochgeschätz-
te Politiker haben Feinde.“ Wirklich,
In? Politiker haben Feinde? Da sind
wir aber froh, dass wir die Laufbahn

der Journalistin eingeschlagen haben.
Wir wissen nicht, ob In es schon wuss-
te, aber Journalisten erfreuen sich ja
allgemein großer und aufrichtiger Be-
liebtheit und haben, hochgeschätzt
oder nicht, gar keine Feinde.
Eine feindliche Gesinnung hegt hin-
gegen So-yeon Schröder-Kim, 51, weiß
Die Aktuelle zu berichten, und zwar nie-
mand Geringerem gegenüber als ih-
rem Gatten, Gerhard Schröder (75),
höchstselbst. Der macht nämlich Ur-
laub! Allein! Und lässt es laut Die Aktu-
elle „krachen“. Wo sollte er das tun,
wenn nicht auf der Party-Ballermann-
Insel schlechthin, also auf Borkum?
Dort jedenfalls hat Schröder, so Die
Aktuelle , sich nicht nur ein „klebrig sü-
ßes Franzbrötchen“ genehmigt, son-
dern sich gleich die volle Gönnung ge-
geben: „Und beim Biss in die kleine
Kalorienbombe hat er vermutlich die
heimische Spezialität vor Augen: eine
Brühe aus Anchovis, Algen, Rettich
und Knoblauch.“ Schröder schlemmt
also in Gedanken! Anschließend beob-
achtet Die Aktuelle noch, wie Schröder
mit gleich zwei Flaschen Wein im
Arm aus dem Supermarkt schleicht.
„Aber wehe, wehe, wenn das die stren-
ge Gattin sähe.. .“, tadelt Die Aktuel-
le. Ja, was dann? Die würde wahr-
scheinlich sagen: „Gönn dir, Oida!“

Einer von beiden kommt erholt nach
Bayreuth: dieSchröder-Kims.Foto dpa

HERZBLATT-GESCHICHTEN VON JOHANNA DÜRRHOLZ


Ein Hund namens


Hamlet


Die Bloggerin und Historikerin Ma-
rie Sophie Hingst ist tot, wie die Zei-
tung „The Irish Times“ und „Spie-
gel Online“ mit Berufung auf die
Mutter berichten. Hingst, 31, hatte
in ihrem 2017 noch ausgezeichneten
Blog „Read on, my dear, read on“ so-
wie in Opferbögen für die Gedenk-
stätte Yad Vashem behauptet, sie
stamme aus einer jüdischen Familie,
die viele Mitglieder im Holocaust
verloren habe. Der „Spiegel“ und an-
dere Medien hatten recherchiert,
dass das nicht der Wahrheit ent-
spricht. Hingst wurde laut „Irish Ti-
mes“ schon am 17. Juli tot in ihrem
Zuhause in Dublin aufgefunden; die
Polizei habe keine Anzeichen für
Fremdverschulden. F.A.S.
SUIZIDGEDANKEN? Menschen mit Suizidgedanken
finden bei der Telefonseelsorge unter den beiden
kostenlosen Hotlines 08 00/111 01 11 und 08 00/
111 02 22 Hilfe. Anlaufstellen können auch
immer Ärzte und Kliniken sein. Für jüngere
Menschen gibt es Online-Chat-Angebote wie zum
Beispiel http://www.u25-deutschland.de. Holen Sie sich
in jedem Fall Hilfe.

Einsteigen
Wagen 23 im ICE 622 ist ein schöner Ort
am Donnerstagabend. Dreimal an die-
sem Tag wurden Hitzerekorde gemeldet


  • erst in Bonn-Roleber, dann zweimal in
    Lingen, letzter Stand 42,6 Grad. Der
    Zug von Frankfurt zur Fahrt nach Düs-
    seldorf Hauptbahnhof ist um 18.15 Uhr
    eingerollt, mehr oder weniger pünktlich,
    und er ist eisgekühlt. Der Mensch könn-
    te jetzt trotz der Hitze zu so einem
    Bahn-Wesen werden – sanft in einen Zu-
    stand gleiten, in dem er seine Verantwor-
    tung für die kommenden paar Stunden
    ablegt, und, sofern er eine Reservierung
    hat, zwischen den Worten „Einfahrt“ am
    Gleis und dem „Wir erreichen“ kurz vor
    Ankunft einfach durch die Landschaft
    rauschen. Er nimmt vielleicht das „biep,
    biep, biep“ der Türen wahr, wenn die
    sich schließen, das Pfeifen des Schaffners
    von draußen hinter dem dicken Fenster.
    Das ist der Sound, dass es läuft.
    Wenn es läuft. Es läuft dann natürlich
    doch nicht so, an diesem Donnerstag-
    abend. Eine gute halbe Stunde dauert es,
    bis sich ICE 622 in Bewegung setzt.
    Leichte Ungeduld. Draußen ist es ja
    heiß, und bei Hitze bricht vieles zusam-
    men. Relativ früh trifft es das Netz der
    Deutschen Bahn, das bekommt der
    Mensch im Zug in dieser Woche unwei-
    gerlich zu spüren.


Die Durchsagen einordnen
Selbe Zugnummer, ICE 622, nur einen
Tag zuvor am Nürnberger Hauptbahn-

hof. ICE 622 steht. Es dauert an diesem
Mittwochnachmittag ein bisschen, bis
man merkt, dass der Aufenthalt kein
Aufenthalt mehr ist. Die Minuten verge-
hen. Schwitzende Menschen stehen
plötzlich im Gang. Ein ICE sei gestran-
det, heißt es, Menschen ohne Reservie-
rung, aber wo sollen die hin? Können
wir die noch aufnehmen? Dann bellt
eine Stimme aus den Lautsprechern:
„Verehrte Fahrgäste!“ Die Zugchefin.
Wir erfahren, dass der Zug überfüllt ist
und nicht mehr als zehn Personen pro
Wagen aus Sicherheitsgründen im
Gang stehen dürften, weil sonst die Kli-
maanlage kapituliere. Keiner steht auf.
Wenige Minuten später: „Wir können
nicht weiterfahren, ich wiederhole: Die
Fahrt ist beendet, wenn niemand den
Zug verlässt.“ Sie referiert Ausweichzü-
ge in Richtung Würzburg. Nichts pas-
siert. „Verehrte Fahrgäste!“ Letzter Ver-
such: „Ich darf Sie noch einmal darauf
hinweisen: Wenn keiner aussteigt, ha-
ben wir alle verkackt.“
Aber auch dieser rustikale Appell ver-
hallt. Minuten später stapft eine Unifor-
mierte, mutmaßlich die Zugchefin
selbst, durch den Gang, auf der Suche
nach freien Plätzen: „Nehmen Sie bitte
Ihre Tasche von dem Sitz runter. Dan-
ke. So, Sie setzen sich jetzt hier hin.“
Ein bisschen ist es wie bei der Klassen-
fahrt, wenn die Lehrerin durch den Bus
geht und für Ordnung sorgt. Dann
fährt er wieder, der ICE 622, und alle
sind still.
Platz sichern
Donnerstagmorgen, der ICE 527 hält
mit zwei Zugteilen zunächst in Köln
Messe/Deutz und dann außerplanmä-
ßig in Köln Hauptbahnhof. „Ist das der
richtige Zugteil?“, fragt ein Mann, der
in Deutz eingestiegen ist. Was der
Mann von draußen weiß, hat man im
Zug noch nicht mitbekommen: Am
Hauptbahnhof wird gleich ein Zugteil
abgekoppelt. Technischer Defekt. Wer
im falschen Teil sitzt, tja, blöd gelaufen.
Um auf jeden Fall seinen Platz zu behal-
ten, fragt der Fremde jetzt: „Haben Sie
eine schlimme Krankheit, für die es
zwingend notwendig ist, dass ich immer
an Ihrer Seite bleibe?“

Bonding-Moments erleben
Der Sitznachbar reicht eine Tüte Studen-
tenfutter rüber. Wann ist so etwas zum
letzten Mal passiert? Essen teilt man als
Bahn-Wesen, das auf sein Handy starrt,
weiße Kopfhörer-Knöpfe im Ohr trägt,
nicht. Man spricht ja auch nur das Nötigs-
te miteinander, seit es überwiegend Groß-
raum-Wagen gibt, mit Sitzen, die mit we-
nigen Ausnahmen in eine Richtung zei-
gen, nach Möglichkeit nach vorne, zum
Ziel. Es sei denn, man sitzt an einem
Tisch und jemand gegenüber fixiert ei-
nen. Irritierend. Bei Hitze aber ist alles an-
ders, jeder darf gucken, jeder darf jeden
ansprechen. Solange es ums Bahn-Bas-
hing geht, hält man das Gespräch auf je-
den Fall am Laufen. Und man schmiedet
gemeinsam Pläne – für die kommenden
Stunden. „Wo ist denn diese Verbindung,
die Ihr DB-Navigator da anzeigt, in mei-
ner App?“ Man hält jetzt zusammen.

Irgendwo aussteigen
Halt in Würzburg, ICE 622 am Mitt-
wochnachmittag. Mitreisende verlassen
uns, aber nicht genug, wie wir über Laut-
sprecher erfahren. „Verehrte Fahrgäste!“
Jaaa! Wissen wir schon, Zug ist über-
füllt! Diesmal aber hat die Zugchefin ein
verlockendes Angebot: Wer den Zug
wechselt, kann sich im Reisecenter der
Bahn einen Gutschein über 30 Euro ho-
len. Tatsächlich stehen drei, vier Leute
auf. In Nürnberg wären es die Helden ge-
wesen. Jetzt hat’s ein Geschmäckle.
Stranden
Es ist Abend geworden, und ICE 622 hat
sich bis kurz vor Köln durchgeschlagen.
Eigentlich sollte der bis Düsseldorf fah-
ren, umso mehr spürt man jetzt, was es be-
deutet, ein Mensch zu sein: Man ist durch-
geschwitzt (die Klimaanlage hat’s nicht ge-
schafft), hungrig und durstig (das Perso-
nal im Bordrestaurant hat sich schon in
Frankfurt verabschiedet), man muss mal
(keine Details zu den Toiletten), der
Handy-Akku steht auf Rot (Alarm, man
braucht die App und wird gleich keine
Steckdose mehr haben). Es geht ja noch
weiter, aber das klappt nicht so einfach.
Nicht bei Hitze. Die Zugchefin noch mal:
„Meine Damen und Herren, Sie müssen
diesen Zug jetzt verlassen. Anschluss ha-
ben Sie mit der Regionalbahn auf Gleis 1.“

S


ein Standardwerk „Dein kom-
petentes Kind“ habe ich nie
richtig verstanden. Dass ich
mich zunehmend als kompetente
Mutter betrachtete, lag trotzdem
maßgeblich an Jesper Juul. Es waren
die nuller Jahre, in den Kinderzim-
mern der Republik fragten immer
mehr Eltern um Erlaubnis, wenn sie
ihrem Nachwuchs den Schlafanzug
anziehen wollten, während im Ge-
genzug vor kleinen Tyrannen ge-
warnt und die Rückkehr zu Diszip-
lin und Gehorsam gefordert wurde.
Dank Juul habe ich begriffen,
dass es im Leben mit Kindern nicht
darum geht, abstrakt das Richtige zu
tun, sondern persönlich und authen-
tisch zu sein. Von wegen Regeln und
Konsequenz: Wenn ich heute erlau-
be, aus dem Wohnzimmersofa eine
Hüpfburg zu machen, kann ich trotz-
dem morgen vertreten, darauf unge-
stört meine Zeitung zu lesen. Kin-
der wollen kooperieren, sagte der dä-
nische Erziehungsberater gern.
Eingängiger war, wenn er an kon-
kreten Beispielen illustrierte, wie
sich Konflikte auflösen lassen. Als
ich Juul 2010 für ein Porträt in der
F.A.S. traf, ließ ich mir nebenbei er-
klären, wie ich das Trara ums Zähne-
putzen entschärfen könnte. Juul
sprach mir vor: „Hör mal. Für mich
ist es notwendig. Und ich bin der
Boss. Jetzt machen wir das.“ Bis heu-
te sind mir seine Freundlichkeit und
Bestimmtheit im Ohr, wie ein inne-
rer Kompass. Dass ich trotzdem gnä-
dig mit mir bin, wenn ich zu Hause
rumbrülle, verdanke ich ihm auch.
Juul pflegte zu beruhigen: „Die ge-
lungensten Eltern machen nur zwan-
zig ernsthafte Fehler am Tag.“
Ein weiteres Interview vor drei
Jahren führten wir schriftlich: Er
saß wegen einer Erkrankung im
Rollstuhl und konnte nicht mehr
sprechen. Er hatte sich auf Online-
Beratungen verlegt und schrieb, er
vermisse die realen Begegnungen
sehr. Von jetzt an fehlt er. Am Don-
nerstag ist Juul im Alter von 71 Jah-
ren gestorben. Julia Schaaf

Wenig Platz, große
Abhängigkeit: Die Folgen
der Hitze bekommt der

Mensch in unseren
Breiten besonders im Zug
zu spüren. Was macht
das mit ihm?

Von Anke Schipp und
Jennifer Wiebking

Bloggerin Hingst


offenbar gestorben


Warmfahrer


Außerplanmäßiger Stress und Egoismus auf freier Strecke: Bahnfahren in dieser Woche. Foto dpa

Mein


Elternratgeber


Zum Tod von Jesper Juul

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