Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30 wirtschaft 19


Frau Seeger, Amazon hat den Handel
zerstört, sagt Amerikas Finanzminis-
ter: Wann kaufen wir auch die Autos
im Internet?


Wir sehen heute schon Neuwagenkun-
den, die das am liebsten sofort machen
würden. Im Gebrauchtwagenhandel
läuft bereits ein großer Teil über das In-
ternet, bei uns wie auf den einschlägi-
gen neuen Plattformen, die dort entstan-
den sind. Es ist ein natürlicher Prozess,
dass morgen auch Neuwagen im Inter-
net bestellt werden – nicht ausschließ-
lich, aber in bedeutender Zahl.


Wie viel des Geschäfts wird ins Netz
abwandern
?


Sicher nicht sofort alles, aber nach und
nach ein beachtlicher Teil. Nach allem,
was wir an Erkenntnissen aus der Markt-
forschung haben, rechnen wir damit,
dass 2025 jedes vierte Auto von Merce-
des-Benz online verkauft wird.


Ohne dass die Leute vorher eine Test-
fahrt machen oder wenigstens ein
Probesitzen?


Diese Möglichkeit besteht weiterhin,
das Autohaus behält seine Funktion,
auch wenn diese sich mit der Digitalisie-
rung ändert. Wir geben den Kunden
die Freiheit, selbst zu wählen, ob er on-
line oder offline mit uns in Kontakt
tritt. Schon heute informieren sich Inter-
essenten umfassend im Internet, ehe sie
das Autohaus betreten. Und ich bin si-
cher, dass künftig auch Kaufentscheidun-
ge n häufiger zu Hause getroffen werden.
Es ist doch eine schöne Vorstellung, mit
dem Partner oder der Partnerin auf dem
Sofa bei einem Glas Wein einen Merce-
des zu bestellen. Wenn Bücher im eige-
nen Wohnzimmer gekauft werden, war-
um nicht auch Autos?


Ein Buch kostet 20 Euro, eine S-Klas-
se-Limousine womöglich 100 000
Euro, das macht einen Unterschied.


Richtig. Trotzdem sagen uns sehr loyale
Kunden, dass sie sich durchaus vorstel-
len können, zu Hause zu bestellen,
ohne den neuen Wagen vorher anzufas-
sen – auch wenn dies im Moment noch
ein kleiner Teil ist. 80 Prozent der Kun-
den wollen einen persönlichen Kontakt,
suchen das Gespräch im Autohaus.


Logisch, dort zahlt kein Mensch den
offiziellen Listenpreis, mit wem aber
verhandeln wir den Rabatt im On-
line-Shop?


Es werden sich neue Preismodelle ent-
wickeln. Mit den Online-Shops geht aus
unserer Sicht auch eine neue Trans-
parenz einher, der Kunde bekommt
einen noch besseren Überblick über die
Preise.


Was heißt das konkret? Werden die
Autos online billiger oder teurer?


Der Preis richtet sich generell nach
Angebot und Nachfrage. In Schweden
probieren wir gerade in einem Piloten
ein Direktvertriebsmodell aus, da gibt
es nur noch einen einheitlichen Preis,
egal ob der Kunde sein Fahrzeug online
kauft oder auf dem klassischen Weg.
Das kommt sehr gut an.


Weil niemand sich grämen muss, ob
der Nachbar einen höheren Rabatt
rausgeschlagen hat?


Die Kunden brauchen sich keine Gedan-
ken zu machen, ob sie gut oder schlecht
verhandeln – der Preis ist fix, es hängt
nicht von meinem Verhandlungsge-
schick ab, was ich für den Wagen bezah-
le. Diese Verlässlichkeit beim Preis ist
Kunden sehr wichtig.


Für Sie hat die Entwicklung den an-
genehmen Nebeneffekt, dass Sie sich
die teuren Autopaläste sparen
können.


Der physische Vertrieb bleibt weiterhin
unverzichtbar, wir bekennen uns zum
stationären Autohandel. Gleichzeitig
wird er andere Formate annehmen wie
heute, an anderen Plätzen wie heute.
Aber er wird nicht verschwinden. Wir
prüfen permanent, wo und wie die Kun-
den am liebsten in Kontakt mit Merce-
des treten wollen, künftig wahrschein-
lich eher im Zentrum als am Stadtrand.


Sie holen die Autohäuser vom Indus-
triegebiet in die Innenstadt?


Diese Entwicklung läuft bereits. In
München haben wir am Odeonsplatz,
mitten in der Stadt, einen Mercedes Me
Store. Dieses Konzept, bei dem Erleben
und Begegnen im Vordergrund stehen,
weiten wir aus. Wir testen das auch in
China, und weitere Standorte sind in
Planung.


Wie wichtig ist es den Menschen
überhaupt noch, ein eigenes Auto zu
besitzen?


Das ist recht unterschiedlich von Regi-
on zu Region. Entsprechend entwickeln
wir auch andere Modelle, etwa mit Mo-
bilitätsabos und -services.


Die Schwaben schätzen vermutlich
das Eigentum, wie aber ist es im Rest
der Welt?


Nicht nur bei uns in Schwaben, auch in
vielen anderen Regionen bleibt das eige-
ne Auto ein hohes Gut, in Asien etwa
hat der Autobesitz einen deutlich höhe-
ren Stellenwert als in der durchschnittli-
chen amerikanischen oder europäischen
Kultur.


Lässt sich so etwas messen?
Durchaus. Dazu betreiben wir Markt-
forschung. Demnach gibt es Unterschie-
de in der Einstellung zum eigenen
Auto zwischen den Weltregionen,
gleichzeitig auch innerhalb von Staaten.
Die Pendler in der Vorstadt oder auf
dem Land haben andere Wünsche als
die Bewohner der Metropolen, die
nicht wissen, wo sie den eigenen Wa-
gen parken sollen. Für sie entwickeln
wir flexible Abo-Modelle. Sie buchen
das Auto für eine Minute oder ein Jahr,
je nachdem, wie lange sie darauf zugrei-
fen wollen.

Kann es nicht sein, dass das Automo-
bil generell seine besten Zeiten hin-
ter sich hat? Der Statusgewinn
schwindet, das ökologische Bewusst-
sein wächst ...
... auch dafür haben wir die passenden
Angebote. Wir sind davon überzeugt:
Das Automobil hat die besten Zeiten
noch vor sich, in neuer Art und Weise,
und entsprechend den veränderten Be-
dürfnissen. So fragen Kunden verstärkt
nach Alternativen zum Verbrennungsmo-
tor. Die werden wir bieten.

Der Mensch mit Benzin im Blut
stirbt also aus, das sehen Sie auch so?

Wir werden weiterhin attraktive Benzi-
ner und Diesel verkaufen, daneben aber
vermehrt Plug-in-Hybride und Elektro-
fahrzeuge. Mercedes steht für diesen
Dreiklang an attraktiven Modellen.
Am längsten sind die Lieferzeiten
noch immer für die Geländewagen.
Endet der SUV-Trend nie – allen Kli-
madebatten zum Trotz?
Die Nachfrage nach Mercedes-Benz-
Fahrzeugen ist erfreulich hoch. Das be-
trifft nicht nur große Geländewagen.
Der Trend zu den kleineren, kompakten
SUV ist eindeutig, dafür haben wir
auch das absolut richtige Angebot. Eben-
so für das emissionsfreie Fahren mit
dem EQC, unserem neuen Elektromo-
dell, das hervorragend im Markt an-
kommt.

Im Moment hat Daimler schwer zu
kämpfen: Sie haben zweimal die Ge-
winnprognose nach unten korrigiert,
nach zehn Jahren zum ersten Mal ei-
nen Quartalsverlust ausgewiesen. So-
gar Opel verdient heute prozentual
mehr pro Auto als Mercedes. Wie
lange können Sie diese Schmach er-
tragen?
Sie wissen um die besonderen Umstän-
de, die zu dem Ergebnis geführt haben.

Dazu gehören hohe Rückstellungen un-
ter anderem im Zusammenhang mit lau-
fenden rechtlichen Verfahren und Maß-
nahmen in Sachen Diesel und Airbags.
Unser Leitmotiv bleibt weiterhin: Das
Beste oder nichts – gerade in der Bezie-
hung zum Kunden. Mit unserer Service-
marke Mercedes Me nutzen aktuell weit
mehr als drei Millionen Menschen unse-
re Dienste. Mit der Mercedes Me ID
können künftig alle unkompliziert unse-
re Services nutzen, egal ob sie einen
Mercedes oder ein Fahrzeug anderer
Marken gekauft haben oder gar kein
Auto besitzen. Der Zuspruch ist enorm.

Der Spardruck gebietet, das Portfolio
zu straffen, welche Modelle sind da-
von bedroht?
Unser Portfolio unterliegt einem ständi-
gen Wandel. Vor 25 Jahren hätte nie-
mand gedacht, dass wir heute so viele
kompakte Autos bauen.
Angeblich stehen jetzt die Cabrios
auf der Streichliste.
Wir schauen uns alles an. Sicher ist:
Wenn wir ein Cabrio produzieren, dann
muss es uns in die nächsten Jahre tra-
gen. Entsprechend werden wir das Port-
folio immer auf Zukunftsfähigkeit prü-
fen und basierend auf Analysen anpas-
sen. Wenn in China Sieben-Sitzer ver-
langt werden, dann werden wir uns in
unserem Angebot nach diesen Kunden-
bedürfnissen richten.

Sie haben seit einigen Tagen einen
zweiten Großaktionär aus China, die
Auto-Holding BAIC. Wird Mercedes
bald ganz chinesisch, zieht die Zentra-
le von Untertürkheim nach Peking?
China ist heute schon unser größter
und wichtigster Markt. Und was BAIC
betrifft, freuen wir uns sehr, dass unser
langjähriger Joint-Venture-Partner in
China mit einer Beteiligung von fünf
Prozent als Investor eingestiegen ist.
Dieser Schritt festigt unsere erfolgrei-
che Partnerschaft.

Was planen Sie an gemeinsamen Pro-
jekten?
Dafür ist es jetzt zu früh, das werden
wir Ihnen zu gegebener Zeit verraten.
Frau Seeger, in Dax-Konzernen gibt
es nur sehr wenige Frauen im Vor-
stand, erst recht in der Autoindustrie.
Verraten Sie den Trick, wie Sie es ge-
schafft haben?
Ich scheue mich, anderen Tipps zu ge-
ben. Ich will niemandem Vorgaben ma-
chen, wie sie oder er das Leben gestaltet.
Für mich war es in meiner Berufslauf-
bahn wichtig, authentisch zu bleiben und
vor allem viel international tätig zu sein.
Vor jeder neuen Station habe ich mir ge-
sagt: Ich traue mir das zu, ich habe Spaß
an dieser Aufgabe. Man muss die Chan-
cen ergreifen, die sich bieten. Das muss
aber jeder für sich entscheiden.
Der neue Daimler-Chef Ola Källeni-
us kommt aus Schweden, wo Frauen
leichter Karriere machen. Hilft das
den Nachwuchsmanagerinnen bei
Mercedes?
Daimler ist schon immer sehr viel daran
gelegen, Frauen zu fördern. An Möglich-
keiten hat es bei uns noch nie geman-
gelt. Meine Drillinge sind jetzt 17, und
das Unternehmen hat unendlich viel ge-
tan, um mir meine Karriere zu ermögli-
chen. Am Ende liegt es an jedem Einzel-
nen, was er daraus macht. Der Konzern
stellt viele Möglichkeiten zur Verfügung.
Das heißt: Frauen sollen nicht jam-
mern, sondern ihre Ansprüche an-
melden?
So habe ich das nicht gemeint. Es
kommt immer auf den individuellen
Fall, auf das individuelle Umfeld an –
etwa, ob der Partner im Team mitspielt.
Daimler tut ungemein viel für die Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf: zum
Beispiel mit Kinderbetreuung, Teilzeit,
Sabbaticals. Jeder Vorgesetzte, jeder
Chef unterstützt das – das kann ich Ih-
nen versprechen.
Das Gespräch führte Georg Meck.

Britta Seeger, 1969 in Bonn
geboren, ist eine von zwei Frauen
im Vorstand des Automobilherstel-
lers Daimler. Die Schweizer
Juristin Renata Jungo Brüngger
verantwortet das Rechtsressort, die
Betriebswirtin Seeger den Vertrieb.
Nach dem Abitur am Friedrich-
Schiller-Gymnasium in Fellbach ist
sie schnurstracks zu Mercedes
marschiert und hat parallel ein
Studium an der Stuttgarter
Berufsakademie begonnen, wobei
sich Vorlesungen und Praxis im
Automobilkonzern abgewechselt
haben. Was folgte, war eine
lupenreine Mercedes-Karriere.
In Zwei-Jahres-Schritten stieg
Seeger in der Hierarchie nach
oben. Vom Smart bis zu den
Trucks hat sie im Konzern alles
gesehen. Seoul und Istanbul waren
ihre Auslandsstationen, ehe sie 2017
in den Vorstand aufrückte.
Die Managerin ist verheiratet und
Mutter von 17-jährigen Drillingen.

DIE DAIMLER-FRAU


Daimler-Vorstand Britta Seeger über die Revolution im Autohandel,


das Ende der Rabatte und die Vereinbarkeit von Karriere und Drillingen


Foto Imago

„Jeder vierte Mercedes


wird bald online verkauft“


Quellen: Bloomberg / F.A.Z.-Grafik Walter

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Die Daimler-Aktie
Aktionärsstruktur in Prozent

Streubesitz
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Die Daimler-Eigentümer

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