Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung - 28.07.2019

(Ann) #1

6 politik FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 28. JULI 2019, NR. 30


Wer macht‘s?


R


ichtig, die SPD sucht ja immer
noch nach einem neuen Vorsit-
zenden. Ein bisschen ist das un-
tergegangen in den vergange-
nen Tagen. Der Sommer, die Hitze.
Dann musste sich die SPD an Ursula von
der Leyen und Annegret Kramp-Karren-
bauer abarbeiten. Außerdem kamen zu
den kaum bekannten Kandidaten noch
keine weiteren hinzu. Gesucht wird nun
schon eine Weile, seit dem Rücktritt von
Andrea Nahles vom Partei- und Frakti-
onsvorsitz, seit Anfang Juni also.
Bis zum 1. September können sich In-
teressenten melden. Ihnen wird empfoh-
len, im Doppelpack aufzutreten, also
Mann und Frau. Das Paar, das nach Mit-
gliederbefragung und Parteitag Anfang
Dezember gewählt wäre, würde dann
eine Doppelspitze bilden. Für die SPD
ist das etwas Neues. Oder wie ein Füh-
rungsmitglied so schön sagt: „Ein Sozial-
demokrat von altem Schrot und Korn
ist gern ein Einzelkämpfer. Auf Augen-
höhe mit einer anderen Kandidatin un-
terwegs zu sein entspricht nicht gerade
seinem Naturell, daran muss sich manch
einer gewöhnen.“ Einzelbewerbungen
sind aber auch möglich, die Doppelspit-
ze ist damit keineswegs zwangsläufig.
Also alles offen.
Das ganze Verfahren geht zurück auf
die drei provisorischen Parteivorsitzen-
den, die Ministerpräsidentinnen Manue-
la Schwesig aus Mecklenburg-Vorpom-
mern und Malu Dreyer aus Rheinland-
Pfalz sowie den scheidenden hessischen
SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-
Gümbel. Ihr Motiv dabei: Ruhe in die
Partei bringen, die verschiedenen Strö-
mungen zusammenführen, Schlagkraft
entfalten und in einem langen Auswahl-
prozess einerseits viel Werbung für die
Partei machen, andererseits die entschei-
dende Frage nach der Zukunft der Koali-
tion auf die lange Bank schieben. Jeden-
falls bis zum Jahresende.

Alle drei hatten schon von Anfang an
betont, dass sie selbst nicht für den Vor-
sitz antreten wollen. Das wirkte nobel,
fand aber in der vielstimmigen SPD so-
gleich einige Kritiker: Wenn schon so
starke Führungskräfte dauerhaft keine
Verantwortung für die Partei überneh-
men wollen, wer eigentlich soll es dann
tun? Tatsächlich herrschte erst einmal
Funkstille. Nur die 76 Jahre alte Gesine
Schwan verkündete: Ich würde es ma-
chen, irgendwer muss es schließlich tun.
Ein ähnliches Motiv trug zu diesem
Zeitpunkt Michael Roth mit sich herum,
der aus Hessen stammende Parlamentari-
sche Staatssekretär im Auswärtigen Amt.
Roth sitzt seit 1998 im Bundestag, ge-
winnt seinen nordhessischen Wahlkreis
mit guten Ergebnissen direkt und gehört
dem Parteivorstand an. Er beschloss: Ich
trete an. Und begab sich auf die Suche
nach einer Partnerin. Ihm fiel eine frühe-
re Kollegin aus dem Bundestag ein,
Christina Kampmann aus Nordrhein-
Westfalen. Die hatte er seinerzeit bewun-
dert, weil sie als junge Politikerin in Ber-
lin sogleich ein Star ihrer Fraktion gewor-
den war. Man lernte sich bei den europa-
politischen Themen näher kennen.
Kampmann ging dann aber als Familien-
ministerin zurück in ihre Heimat, jetzt
sitzt sie im Düsseldorfer Landtag. Roth
rief bei ihr an. „Ich habe eine verrückte
Frage.“ Kampmann wäre nicht auf die
Idee gekommen zu kandidieren. Aber
mit Roth – warum nicht? Nach einer
Woche Bedenkzeit sagte sie zu.
Nina Scheer und Karl Lauterbach,
das zweite Paar, waren sich von Anfang
an näher, beide im Bundestag, beide im-
mer wieder im Gespräch über den Zu-
stand der Partei, der Koalition. Beide
mit vielen linken Ideen. Und beide ei-
ner Meinung: Das Verfahren gibt uns
die Möglichkeit, gemeinsam etwas zu
tun. In der letzten Sitzungswoche mach-
ten sie Nägel mit Köpfen.

Was die Paare gemeinsam haben: Der
Mann hat sich die Frau gesucht. Außer-
dem erzählen sie geradezu überschwäng-
lich davon, wie groß Zuspruch und Unter-
stützung für sie seien. Die Unterschiede:
Roth und Kampmann haben schon die
Unterstützung des Bezirksverbandes Hes-
sen-Nord, Lauterbach und Scheer fehlt
die erforderliche Unterstützung von vier
Kreisverbänden oder einem Landesver-
band noch, auch wenn das eher eine For-
malie ist wegen der sommerlichen Gre-
mienpause. Wirklich entscheidend ist
eine andere Differenz: Lauterbach und
Scheer wollen die Partei nach links rü-
cken und aus der Koalition mit der Union
herausführen wie Moses sein Volk aus der
ägyptischer Knechtschaft. Scheer sagt:
„Wir merken an den Rückmeldungen,
dass wir einen Nerv getroffen haben.“
Wichtig sei die inhaltliche Ausrichtung
mit den großen Themen Klimawandel,
Energiewende, starke Daseinsfürsorge
und öffentliche Sicherheit. „Kurzum, die
Sicherung unserer Lebensgrundlagen. Es
geht dabei um eine gemeinwohlorientier-
te Ökonomie. Das sind Gerechtigkeitsfra-
gen, das müssen wir sozialdemokratisch
durchbuchstabieren. Mit dieser Koalition
kommen wir da aber nicht weiter.“
Das Team Roth und Kampmann hin-
gegen sieht das Thema Koalition „diffe-
renziert“. Roth sagt: „Ich verstehe die
Ermüdung und Enttäuschung in Teilen
der Partei. Wir sind in diese Koalition
gedrängt worden, und wir erleben, dass
sich unsere gute Regierungsarbeit bis-
lang nicht auszahlt.“ Durchhalteparolen
dürfe es nun nicht mehr geben. Dafür
zentrale Forderungen, was die Groko
noch erreichen müsse: ein ambitionier-
tes Klimaschutzgesetz bis Jahresende
und Unterstützung für die weitreichen-
den europapolitischen Vorstellungen
der neuen Kommissionspräsidentin Ur-
sula von der Leyen, „die in der Union,
also ihrer eigenen Partei, auf Wider-
stand stoßen“. Partnerin Kampmann

setzt eine dritte Forderung hinzu: eine
Kindergrundsicherung.
Vergleicht man das publizistische
Echo, so müsste das Duo Lauterbach und
Scheer das Rennen machen. Aber auch
hier fällt auf: Die Männer sind bekannter,
während die Namen der Frauen nicht im-
mer allen gleich einfallen wollen.
Was die tatsächlichen Chancen der
beiden Paare anbelangt, so bemerkt ein
SPD-Landesvorsitzender kühl: „Früher
Spargel wird gestochen.“ Die Kandida-
ten sollten nicht verkennen, wie erheb-
lich die Anforderungen an das Amt sei-
en: „Man muss der großen Verunsiche-
rung in der Partei Rechnung tragen, sie
hinter sich bringen, Debatten aushalten
und für Ruhe sorgen.“ Nicht der laute
Resonanzraum der Funktionärsschicht
sei entscheidend, sondern die Basis.
„Die SPD ist immer noch eine große
Kommunalpartei. Da sagen viele: Wir
müssen auch die Macht haben, etwas
durchzusetzen, und wir haben noch so
viel auf dem Zettel.“
Auch andere sehen das Amt des Partei-
vorsitzenden zwar nicht als das zweit-
schönste nach Papst (Müntefering), aber
als eines mit enormem Anspruch. Manja
Schüle aus Brandenburg etwa, die einzi-
ge direkt gewählte Bundestagskandidatin
der SPD in Ostdeutschland (Berlin aus-
genommen), sagt: „Mutig soll die neue
Führung sein, durchsetzungsstark, krea-
tiv, bodenständig, sympathisch, integer.
Ganz schön viel verlangt. Aber ich bin
mir sicher, wir werden am Ende ein gu-
tes Paar oder einen guten Einzelkandida-
ten haben. Vielleicht sogar einen Überra-
schungskandidaten.“ Und einer aus dem
Parteivorstand meint: „Wir brauchen
eine starke Kraft an der Parteispitze, die
auch Stimmungen erspürt und wie man
die Wähler wieder erreicht.“
Wer könnte der Messias sein? Weite-
re Kandidaturen wird es jedenfalls ge-
ben. Schäfer-Gümbel hat das in der Frak-
tionssitzung am Mittwoch angekündigt,

ohne Namen zu nennen. Die Sitzung
war viel zu kurz, ganze vierzig Minuten,
um das Thema zu vertiefen. Die Abge-
ordneten hasteten dann zur Sondersit-
zung des Bundestages wegen der Vereidi-
gung von AKK. Später zerstreuten sie
sich wieder – in die Ferien oder die
Wahlkreise. Hinter vorgehaltener Hand
hieß es nur, wer schon jetzt seine Kandi-
datur erkläre, dem müsse klar sein, dass
für ihn der Sommer vorbei sei.
Deshalb dürfte es erst ganz zum
Schluss, so um den 25. August, noch ein-
mal lebhaft werden bei der Kandidaten-
anmeldung. Die politischen Schwerge-
wichte wollten erst einmal abwarten, wer
sich so alles melde, heißt es. Das erin-
nert an Mikado: Wer sich zuerst bewegt,
hat verloren. Schwergewichte könnten
auch noch in der Nacht zum 1. Septem-
ber von einem – womöglich ihrem – Lan-
desverband nominiert werden. Bei sol-
chen Überlegungen fällt mit schöner Re-
gelmäßigkeit der Name des niedersäch-
sischen Ministerpräsidenten Stephan
Weil, der zumindest ein Übergangsvor-
sitzender sein könnte. Überhaupt die
Niedersachsen. Sie werden wohl noch
eine große Rolle spielen. Boris Pistorius,
der Innenminister, würde wohl gern,
auch Lars Klingbeil, der Generalsekre-
tär. Schließlich wird noch Familienminis-
terin Franziska Giffey genannt, über der
allerdings das Damoklesschwert ihrer
Doktorarbeit hängt. Die Freie Universi-
tät in Berlin prüft und prüft. Einer aus
der Fraktionsführung sagt sogar: „Wenn
es hart auf hart kommt, steht Manuela
Schwesig bereit, auch wenn sie erst ein-
mal nein gesagt hat.“
Derzeit starrt alles auf den Einsende-
schluss. Aber erst danach geht es ja rich-
tig los mit der Kandidatenkür. Christi-
na Kampmann spricht von einem leben-
digen und offenen Verfahren: „Ja, es
wird anstrengend, aber auch richtig
gut.“ Sie freue sich drauf. Ihr Partner
Roth setzt hinzu: „Was die SPD macht,

macht sie auch gleich 150-prozentig.
Das Auswahlverfahren dauert länger als
ein Bundestagswahlkampf.“ Auch Lau-
terbach und Scheer sagen, das ganze
Verfahren sei toll, eine echte Wahl für
die Mitglieder. 23 Regionalkonferenzen
innerhalb von sechs Wochen und in al-
len Bundesländern sind geplant, die ers-
te wird in Saarbrücken sein. Ein „Husa-
renritt“, wie einer sagt, bei dem die gan-
ze Partei durcheinandergewirbelt wer-
de. Als eines der Parteivorstandsmitglie-
der in der letzten Sitzung vor der Som-
merpause in die Runde hinein fragte,
wer das eigentlich durchstehen solle,
antwortete das provisorische Führungs-
Trio: „Wer SPD-Vorsitzender werden
will, steht das durch.“
Abgesehen von der Logistik und dem
Kräftehaushalt der Beteiligten, die ent-
scheidende Frage für die Partei wird
sein: Geht es schon im September nur
noch um die Koalition oder vielleicht
doch noch um anderes? Roth meint:
„Es wäre schlimm und traurig, wenn die
Frage Groko den ganzen Prozess domi-
nieren würde. Die Ursachen für die Kri-
se der SPD sind vielfältiger.“ In jedem
Fall gilt derzeit die Faustregel, dass die
kleinen Landesverbände eher gegen die
Groko sind, die größeren dafür. So viel-
stimmig es bei den Sozialdemokraten
auch zugeht, die meisten sind sich in ei-
nem einig: Wer immer für den Vorsitz
kandidiert, ist gut beraten, über die Gro-
ko nicht vorschnell zu urteilen, sondern
diese Entscheidung dem Parteitag im
Dezember zu überlassen. Lauterbach in-
des will auch über die Groko-Frage
beim Mitgliederentscheid abstimmen
lassen. Eine Stimmung gegen die Groko
würde ihm schließlich im innerparteili-
chen Machtkampf helfen.
426 352 Mitglieder hat die SPD. Sie ist
damit nach wie vor eine große Volkspar-
tei. Wer bis zum 16. September eintritt,
darf bei der Mitgliederbefragung mitma-
chen. Am 26. Oktober gibt’s das Ergebnis.

F


ür Pedro Sánchez war klar, was er
zu tun hat. „Wenn Sie mich vor
die Wahl stellen, eine spanische
Regierung zu führen, die nicht dem
Land dient, oder meinen Überzeugun-
gen zu folgen, dann entscheide ich mich
für meine Überzeugungen“, sagte der
Ministerpräsident. Wenige Minuten spä-
ter war klar: Innerhalb von 48 Stunden
hatte der Vorsitzende der sozialistischen
PSOE-Partei abermals die Mehrheit für
seine Wiederwahl verfehlt.
Spanien steuert auf die zweite Parla-
mentswahl in diesem Jahr zu, weil sich
zwei linke Politiker nicht einigen kön-
nen. Anderswo in Europa wären sie Part-
ner, in Madrid sind sie Rivalen. Für Pa-
blo Iglesias, den Vorsitzenden der linksal-
ternativen Podemos-Partei, war das Ko-
alitionsangebot von Sánchez „erniedri-
gend“. Statt das erste Regierungsbünd-
nis in der Geschichte der spanischen De-
mokratie zu schließen, ließ Iglesias die
Sozialisten scheitern.
Die spanische Politik gleicht einer Stier-
kampfarena, in der immer nur einer siegt

und sich von der Menge bejubeln lässt;
der andere wird tot herausgeschleift. Das
Duell auf offener Parlamentsbühne, das
sich Sánchez und Iglesias in den vergange-
nen Tagen lieferten, warf ein Schlaglicht
auf die politische Kultur der Demokratie,
die 2018 vierzig Jahre alt geworden ist. Da-
bei hatten die Linke wie die Rechte mit
der „Transición“, dem Übergang von der
Diktatur zur Demokratie, bewiesen, dass
sie zu Kompromissen fähig sind. Alle ein-
te Ende der siebziger Jahre der Wunsch,
einen neuen verlustreichen Bürgerkrieg
zu vermeiden. Der spanische Bruderkrieg
wirft aber bis heute einen langen Schat-
ten. Im Wahlkampf und im Parlament
konnte man den Eindruck gewinnen, als
sei er noch nicht vorüber: Am Donners-
tag verglich der Vorsitzende der rechtsli-
beralen Ciudadanos-Partei, Albert Rivera,
Sozialisten und Podemos mit einer „Ver-
brecherbande“, die sich nicht über die
Aufteilung ihrer Beute einigen könne.
Und im Wahlkampf hatte die Rechte Sán-
chez des „Hochverrats“ bezichtigt und
ihn als „notorischen Lügner“ bezeichnet.

Katalanische Separatisten tun so, als herr-
sche in Spanien immer noch der Diktator
Francisco Franco.
Die beiden linken Parteien schonten
einander nicht weniger. Herablassend
ging Sánchez mit Podemos um, als kom-
me die Partei gerade erst aus dem Kin-
dergarten. Seine PSOE sei 140 Jahre alt,
die vor vier Jahren gegründete Podemos-
Partei sei viel zu jung und unerfahren,
um ihr die Staatskasse zu überlassen.
„Wir wollten das Gästezimmer und beka-
men die Hundehütte angeboten“, hieß
es frustriert bei Podemos über das sozia-
listische Angebot von vier Regierungspos-
ten. Anfangs hatte Iglesias fünf Ministe-
rien gefordert, darunter auch das Arbeits-
ministerium. Zusätzlich verlangte er den
Posten der stellvertretenden Regierungs-
chefin, die die Sozialpolitik koordinieren
sollte. Er war für Pablo Iglesias’ Ehefrau
Irene Montero vorgesehen, nachdem
Sánchez auf keinen Fall Iglesias in sei-
nem Kabinett haben wollte.
Der Stierkampf endete diesmal ohne
einen Sieger. Frustriert über die politi-

sche Blockade fragen sich in Spanien
viele, ob die Politiker in Madrid koaliti-
onsunfähig sind. Die Zeitung „El País“
rechnete vor, dass 19 der 28 EU-Mit-
gliedstaaten Regierungsbündnisse ha-
ben – nur Spanien noch nie. Als Vor-
bild wird immer wieder Deutschland ge-
nannt, wo die künftigen Regierungspart-
ner sich ernsthaft und methodisch an
die monatelange Arbeit machen. In Ma-
drid kam es kurz vor der entscheiden-
den Abstimmung nur zu vier Verhand-
lungstreffen, wovon eines 20 Minuten
dauerte. Podemos legte noch während
der laufenden Parlamentsdebatte weni-
ge Minuten vor der Abstimmung ein
neues Angebot vor.
Das Scheitern hatte nicht nur mit feh-
lender Sondierungserfahrung zu tun. Sán-
chez wollte nicht koalieren. Er hat nie ein
Geheimnis daraus gemacht, dass es sein
Ziel war, mit seiner sozialistischen Min-
derheitsregierung weiterzumachen. Sán-
chez wollte nur die 42 Ja-Stimmen von Po-
demos für seine Wiederwahl, ohne dafür
einen politischen Preis zu bezahlen.

Der spanische Politikwissenschaftler
Pablo Simon wirbt dennoch um Verständ-
nis für die Politiker seines Landes. Nach
seiner Ansicht sind sie sehr wohl in der
Lage, sich zusammenzuraufen: „Auf kom-
munaler Ebene und in den autonomen
Regionen gibt es eine lange Tradition
von Koalitions- und Minderheitsregierun-
gen.“ Im nationalen Parlament erschwer-
ten jedoch die Fragmentierung der Partei-
enlandschaft und die Wechselhaftigkeit
der Wähler den Konsens. Jahrzehntelang
lösten sich die Konservativen von der PP
und die Sozialisten mit absoluten Mehr-
heiten an der Regierung ab. Innerhalb
von nur vier Jahren sind in Spanien drei
neue Parteien dazugekommen. Aber Kon-
servative und Sozialisten scheinen in der
neuen Wirklichkeit noch nicht angekom-
men zu sein und verhalten sich immer
noch so, als könnten sie es allein machen;
notfalls mit einer Minderheitsregierung.
Das alte Zwei-Parteien-System machte
die Suche nach Partnern und Kompro-
missen bis vor wenigen Jahren auch nicht
nötig. „In Spanien gab es seit 40 Jahren

keine Verhandlungen“, meint der spani-
sche Historiker José Álvarez Junco über
die Unfähigkeit in Madrid, politische Pak-
te über die Grenzen der politischen La-
ger hinaus zu schließen.
Die Spuren, die der Bürgerkrieg hin-
terlassen hat, beobachtet der emeritierte
Professor im stark polarisierten und
ideologisierten politischen Alltag. So
stoppte der neue rechte Madrider Bür-
germeister eine Umweltzone in der In-
nenstadt nur, weil sie das Vorzeigepro-
jekt seiner linksalternativen Vorgänge-
rin war. „In anderen Ländern hätten
sich die unterschiedlichen Parteien für
ein solches Projekt zusammengeschlos-
sen, weil es dem Allgemeinwohl dient“,
sagt Álvarez Junco. Aber selbst die rech-
ten Parteien schaffen es kaum, eine Ko-
alition zu bilden. Im Madrider Rathaus
wäre der Bürgermeister fast nicht ge-
wählt worden. Und auch in anderen Re-
gionalparlamenten kämpfen Konservati-
ve, Ciudadanos und die Rechtspopulis-
ten der neuen Vox-Partei bis heute eher
gegen- als miteinander.

Die Sozialdemokraten brauchen einen neuen Vorsitzenden. Oder zwei. Über den Stand der Dinge. Von Frank Pergande


Sie wollten das Gästezimmer, bekamen aber die Hundehütte


Die linksalternative Partei Podemos hat die Sozialisten in Spanien abblitzen lassen. Von Hans-Christian Rößler

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