2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1

A


ls glühender „Star Wars“-Fan hat der
Präsident der Wirtschaftskammer ei-
nen Hang zu schrägen Bildern. An die
Adresse der Gewerkschaften malte
Harald Mahrer das Schreckgespenst
von in weiße Leintücher gehüllten Österreichern an
die Wand, die nach erfolgreichem Kampf um die
35-Stunden-Woche mit gesenkten Häuptern zum
wirtschaftspolitischen Friedhof schreiten.
Anlass ist der aktuelle Versuch, für die Beschäftig-
ten im Gesundheits- und Sozialbereich – auch mit
Streiks – eine solche Arbeitszeitverkürzung durchzu-
setzen. Mahrers drastische Wortwahl fußt in der
berechtigten Annahme, dass dies nur der erste Schritt
zur Forderung nach einer 35-Stunden-Woche mit
vollem Lohnausgleich für alle Arbeitnehmer ist. Ge-
werkschaft und Arbeiterkammer haben dieses Ziel
klar formuliert und werden es schon mangels sinn-
voller Alternativideen in der SPÖ weiter verfolgen.
Mit kühlem Kopf und faktenorientiert werden
beide Seiten diese Auseinandersetzung nicht führen,
so viel lässt sich voraussagen. Genau das wäre aber
angebracht, wenn es um wichtige wirtschafts- und
gesellschaftspolitische Grundsatzfragen geht.

D


ie Produktivität der österreichischen Unterneh-
men stieg laut Statistik Austria zwischen 2000
und 2018 um durchschnittlich 1,1 Prozent pro Jahr.
Die Bruttolöhne sind aber real – also nach Abzug der
Inflation – deutlich weniger angewachsen, kaum die
Hälfte davon. Hingegen haben Kapitaleinkünfte im
gleichen Zeitraum trotz des Dämpfers während der
Finanzkrise stärker zugelegt. Dieser Tatsache und
dem Spielraum, der sich daraus ergibt, werden sich
auch die Wirtschaftsvertreter stellen müssen.
Eine Arbeiterkammer wiederum, die argumen-
tiert, das Delta zwischen Produktivitäts- und Real-
lohnzuwachs sei direkt in die Taschen der Unterneh-
mer und Investoren geflossen, müsste einsehen, dass
in einer globalisierten Wirtschaft Produktivitäts-
fortschritte nicht so einfach eins zu eins weitergege-
ben werden können, wie das in den binnenstaatli-
chen Systemen der 70er und 80er oft der Fall war.
Die Wettbewerbssituation ist heute eine völlig ande-
re. Sie wird u. a. entscheidend von den aufstreben-
den Staaten Asiens beeinflusst. Die heimische, vom
Export abhängige Wirtschaft kann die schlagartige
Erhöhung ihrer Lohnkosten um bis zu zehn Prozent
durch eine Arbeitszeitverkürzung nicht verkraften.

Das gilt freilich nicht im Sozialbereich. Vor allem
in der Pflege erscheint eine 35-Stunden-Woche wohl
gerechtfertigt, weil viele Beschäftigte hohen psychi-
schen Belastungen ausgesetzt sind. Allerdings liefe
es erst recht auf eine Lohnerhöhung via Überstun-
den hinaus, weil kurzfristig gar nicht ausreichend
zusätzliche Kräfte zu finden sind. Die Mehrkosten
träfen überwiegend die öffentliche Hand, die ja das
System durch Förderungen, also mit Steuergeld, fi-
nanziert. Wahrscheinlich ließe sich dafür sogar ein
gesellschaftlicher Konsens herstellen.
Aber nur weil eine Regelung für eine bestimmte
Berufsgruppe womöglich Sinn macht, muss – und
darf – sie nicht gleich für alle gelten.

W


irklich bringen wird die Konfrontation der
Sozialpartner nur etwas, wenn neben dem
jährlichen Feilschen um Zehntelprozente und Ar-
beitsstunden schön langsam einmal das Gesamtbild
neu gedacht wird. Das Ausspielen fixer Löhne für
festgelegte Arbeitszeiten gegen Einkünfte aus Kapi-
tal – und umgekehrt – fußt beiderseits auf antiquier-
ten Anschauungen: hier der Dienstnehmer, der
durch Frondienst den Reichtum eines Kapitalisten
mehrt; dort der tollkühne Unternehmer, dem die
Mitarbeiter für ihre Arbeitsplätze zu Dank verpflich-
tet sind. Beides ist Humbug. Das Wirtschaftsleben
spielt sich immer weniger innerhalb der über lange
Zeit ausgetretenen Pfade ab.
Das Verteilungsproblem wird auf Dauer nur zu
lösen sein, wenn der tatsächliche Erfolg eines Unter-
nehmens in den Mittelpunkt rückt. Das heißt: auf
das notwendige Maß beschränkte Regelungen für
Entlohnung und Arbeitszeit – plus Beteiligung der
Mitarbeiter am Kapital bzw. am erzielten Gewinn.
Die Gewerkschaften standen solchen Modellen
stets skeptisch gegenüber, weil sie an ihrer Macht
kratzen. Aber auch Wirtschaftskammer oder Indus-
triellenvereinigung wären in der Bewusstseinsbil-
dung ihrer Mitglieder gefordert. Der Gewinnanteil
für die Belegschaft müsste genauso selbstverständ-
lich werden wie die Ausschüttung an Investoren.
Was auch eine Reihe nützlicher Effekte hätte:
Schlechte Unternehmer bekämen keine guten Leu-
te. Und die Mitarbeiter würden ganz automatisch
auf einen betriebswirtschaftlichen Fokus getrimmt.
Streit über eine 35-Stunden-Woche würde in so
einem System lächerlich wirken.

ANDREAS LAMPL
Chefredakteur


Streit um eine 35-Stunden-Woche wird das Verteilungsproblem nicht
lösen. Mitarbeiter müssen am Erfolg ihres Unternehmens partizipieren.

Leintücher über dem Kopf


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12 TREND | 09/

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