2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
Unternehmungen war die ÖIAG als Hol-
dinggesellschaft für die Verstaatliche zwi-
schengeschaltet. Ihre größten Tochterfir-
men waren die Vöest und die Alpine
Montan als Massenstahlerzeuger sowie
Böhler und Schoeller-Bleckmann als
Edelstahlerzeuger. Diese Unternehmun-
gen wurden unter Kreisky zur Vöest-
Alpine und zu den Vereinigten Edelstahl-
werken VEW verschmolzen.
Von strategischer Bedeutung waren
auch die Österreichische Mineralölver-
waltung (später OMV) und die Stickstoff-
werke (später Chemie Linz), ebenso die
Aluminiumwerke Ranshofen, der mit
Abstand größte Stromverbraucher des
Landes.

A


uch die wichtigsten Großbanken
standen im Staatseigentum: Credit-
anstalt-Bankverein, die Österreichische
Länderbank AG und das Österreichische
Creditinstitut. Alle diese Banken verfüg-
ten über Beteiligungen an Großunter-
nehmungen des Industriesektors, wo-
durch diese Firmen de facto auch ver-
staatlicht waren. Das galt für die
Steyr-Daimler-Puch AG und die Sempe-
rit AG als Creditanstalt-Töchter, die Perl-
mooser Zementwerke und die Waag-
ner-Biro AG als Länderbank Konzernbe-
triebe.
In der Verstaatlichtenpolitik gab es
grundlegende Unterschiede zwischen
Kreisky und Androsch. Der Kanzler war in
dieser Frage konservativ und unbeweglich,
der Technokrat Androsch drängte auf
strukturelle Reformen. Jahre später be-

fand Androsch: Hundert Milliarden Schil-
ling Kosten habe die Verstaatlichte verur-
sacht, 50.000 Arbeitsplätze seien trotz-
dem verlorengegangen. Man hätte „viel
früher Strukturpolitik und nicht Struktur-
erhaltungspolitik machen sollen. Da gab
es einen fundamentalen Unterschied zwi-
schen Kreisky und mir. Es war allerdings
nicht immer leicht, gegen die illusionäre
Befindlichkeit des Regierungschefs Kurs
zu halten“ (Androsch).

D


ie Debatten um den wirtschaftspoli-
tischen Kurs lösten 1974, als sich die
Anzeichen einer Rezession verstärkten,
eine erste Entfremdung zwischen den
beiden aus. Androsch versuchte darauf-
hin, in die Nationalbank überzuwech-
seln. Im Rückblick nennt er das „einen
schweren Fehler. Das muss ich Kreisky
zugute halten. Ich habe mir gedacht, mit
fünf Jahren Amtszeit bin ich schon der
zweitlängstdienende Finanzminister der
Zweiten Republik, Kreisky hat gedacht,
der seilt sich ab. Damals wollte er mich
noch als Nachfolger aufbauen.“
Auf diese erste Unstimmigkeit folgte
eine jahrelange Fehde, die die Republik
in Atem hielt. Letztendlich
war es ein Konflikt mit vielen
Facetten. Kreisky hätte wohl
gern einen Sohn wie den um
27 Jahre jüngeren Hannes
Androsch gehabt.

K


reisky war alt und kränk-
lich, er verlor mit den
Jahren Kraft und Substanz.
Androsch war jung und belast-
bar, Kreisky behäbig-elegant,
Androsch sportlich- fesch.
Kreisky hatte auch gegen

Ende seines Lebens nie ein wirkliches
Vermögen, Androsch war schon in jun-
gen Jahren durch die Einkünfte aus sei-
ner Steuerberatungskanzlei wohlhabend,
später reich.
Androsch war im Alltag schnell von
Entschluss, Kreisky so zögerlich, dass er
die Geduld seiner Umgebung extrem
strapazierte.
Trotz der schwelenden Differenzen
machte Kreisky 1976 Androsch zu seinem
Vizekanzler. 1978, als es um die Neubeset-
zung des Nationalbankpräsidenten ging,
verhinderte Kreisky den Wechsel
Androschs, indem er die Ernennung des
ÖVP-Experten Stephan Koren durchsetzte.

A


ls die Diskussion um Androschs Be-
teiligung an der Steuerberatungs-
kanzlei Consultatio (eine heute unvor-
stellbare Unvereinbarkeit) losbrach, wur-
de Androschs Position unhaltbar. Ende
Dezember 1980 kündigte er dem Par-
teipräsidium seinen Rücktritt an und
wechselte – gegen den Willen Kreiskys –
in den Vorstand der Creditanstalt. Die
Folgen waren noch jahrelang spürbar.
Sämtliche Versuche, die beiden zu versöh-
nen, schlugen fehl.
War das Drama zu vermei-
den? Hugo Portisch sagt,
Kreisky habe sich von Androsch
hintergangen gefühlt – „was
nicht gestimmt hat! Androsch
hat das nicht getan. Er hat sehr
gelitten unter dem Konflikt mit
Kreisky.“
Heute ist Androsch erfolg-
reicher Unternehmer und um-
triebiger Citoyen.
Bruno Kreisky starb vor 30
Jahren.

KANZLER UND VIZE. Bruno Kreisky mit Hannes
Androsch Ende der 70er-Jahre am Ballhausplatz


  • ins Bild gesetzt von „Wochenpresse“-Foto-
    grafin Nora Schuster.


II Androsch war im


Alltag schnell von


Entschluss, Kreisky


so zögerlich, dass er


die Geduld seiner


Umgebung extrem


strapazierte.II


Christoph Kotanko,
Kult-Kanzler Kreisky,
Ueberreuter, 196 S.,
€ 22,

09/2020 | TREND 15

FOTOS: BEIGESTELLT, NORA SCHUSTER-MERLICEK, VERLAG

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