2020-02-28 trend

(Jacob Rumans) #1
reizsteigernde Faktoren wie Kontrast,
Einsatz von Komplementärfarben und
Komposition der Objekte.
Der polnische Kunsthistoriker Wla-
dyslaw Tatarkiewicz vermutete aller-
dings, Aristoteles habe eine schicksals-
hafte Disposition zum Künstlerberuf
noch höher gestellt als techne. Nicht un-
ähnlich den vielen Unternehmern, die ei-
nes Tages Unternehmer waren, „fast wie
von selbst“, wie ich bei trend-Recherchen
häufig hörte.
In der Art der Disposition enden frei-
lich die Parallelen. Unternehmer nehmen
ein Teamwork mit vielen Mitarbeitern in
Kauf, auch die damit verbundenen Sor-
gen, Verantwortungen und Risiken. Al-
lerdings nehmen sie auch billigend in
Kauf, im Erfolgsfall tausendmal mehr zu
verdienen als ein Künstler, der zum Ein-
zelkämpfer in Splendid Isolation dispo-
niert ist.
Kein Maler denkt heute noch an ar-
beitsteilige Schulen seines Namens, wie
sie für die berühmten Maler der Renais-
sance üblich waren. Der Meister malte
die Gesichter und Hände, die Gesellen
die Kleiderfalten und Hintergründe. Ihre
Kollegen der Jetztzeit sind dafür meist zu
arm.
Allerdings ist gottlob die Zeit vorbei,
da man sich Künstler-Ateliers grund-
sätzlich wie Mimis ärmliche Dachkam-
mer in „La Bohème“ vorstellen musste.
Mit der technischen Reproduzierbarkeit
stiegen viele Künstlereinkommen. Ex-
Albertina- Boss Walter Koschatzky hat
faszinierend über Serien-Kunst geschrie-
ben („Mit Nadel und Säure“, „Die Kunst
vom Stein“, „Die Kunst der Fotografie“).
Und Ernst Hilger, heute ein internatio-
nal gefragter Großgalerist, brachte als
Student die preiswerte Grafik nach
Österreich, zum Wohl seiner Künstler-
Schützlinge.
Künstler mit dem Einkommen eines
Kleinindustriellen sind dennoch radikale
Ausnahmen. Zumal gemischte Dispositi-
onen wie bei Andy Warhol und seiner
„Factory“ so rar blieben wie fröhliche Ge-
mälde von Francis Bacon.

D


ie griechische Frühzeit der Kunst
hätte den heutigen Gestrigen gefal-
len. Naturnähe und Ästhetik (im ur-
sprünglichen Sinn reiner Schönheit)
waren die einzigen Maßstäbe für Quali-
tät. Als populärer Mythos ist uns der
Malerwettstreit „Zeuxis gegen Parrha-
sios“ überliefert. Zur Erinnerung: Zeuxis
sah wie der sichere Sieger aus, die Tauben

des Markusplatzes in Venedig flogen in
Schwärmen in sein Gemälde und kämpf-
ten um die gemalten Weintrauben. Dann
ersuchte man Parrhasios, den Vorhang
von seinem Bild zu ziehen. Der Vorhang
war aber das Bild. Und Parrhasios
schließlich der Sieger, denn er hatte nicht
nur die Tiere, sondern auch die Men-
schen getäuscht.
Womit Künstler und Unternehmer
wieder zusammenrücken. Beide sind im
Illusionsgeschäft tätig: die Künstler zur
Gänze, die Unternehmer mit der Hälfte
ihrer Produkte, wovon wiederum die
Hälfte auf Geniestreiche der Pharma-
zeutischen Industrie entfällt, die ewige
Jugend und Schönheit verheißen.
„So what?“, fragen die Ärzte der kaum
noch umstrittenen Psychosomatischen
Schule. So wie Placebos halten sie positi-
ve Illusionen für passable Gesundungs-
hilfen. Jedenfalls für gesünder als die der-
zeit üblichen Horror-Meldung-Tsunamis
von Massenmedien, die an das Geschäfts-
modell „Bad News are Good News“ glau-
ben und damit viele ihrer Leser angst-
krank machen.
Aber nicht mehr lang. Die Zyklen-The-
orien von Kondratjew & Co. erlauben Zu-
versicht. Sie gelten ja nicht nur für Wirt-
schaftskonjunkturen, sondern generell:
Jedes Phänomen wächst bis zur Stufe
seiner Übersättigung und kehrt dann
wieder um.
Das heißt: Bald schon, wie einst in
den großen Zeitungen, werden beispiels-
weise die fantastischen Leistungen der
Nobelpreis-Naturwissenschaftler vom
Einspalter auf der hinteren Science-Seite
wieder auf die Seite eins rücken. Brillan-
te Fachkollegen werden die Forschungs-
durchbrüche so spannend, leicht fasslich
und gründlich erklären, dass eine schö-
nere Zukunft vorstellbar wird. Die

Kunst-Seiten wird man als Seelenfutter
verdoppeln.
Also abwarten und locker bleiben. Un-
gefähr so locker, wie einst Nestroy das
ganze Kapitel „Kunst kommt von Kön-
nen“ mit einem Satz erledigte: „Kunst ist,
wenn man’s nicht kann, denn wenn man’s
kann, ist’s keine Kunst.“

U


nternehmer werden Freude fühlen,
sobald sie Andreas Märckers Buch
„Was ist Kunst?“ zur Gänze gelesen ha-
ben. Denn auch in den nächsten neun
Kapiteln finden sie Indizien für ihr Recht,
sich selbst für Künstler zu halten. Das
schenkt Glanz und inneren Frieden.
Gerade umgekehrt die Künstler. Sie
wollen nicht in die Nähe von Unterneh-
mern gerückt werden. Es genügt ihnen
nicht, Menschen mit ihren Meisterwer-
ken glücklich zu machen. Viele wollen
auch als Revoluzzer und tapfere Wider-
ständler der Wohlstandsgesellschaft gel-
ten. Und sind doch beides nicht. Für
Revoluzzer nehmen sie zu artig das Gold
ihrer Gönner. Und ihr Ruf als tapfere
Widerständler ist ein Missverständnis. Er
wurde ihnen von Hitler geschenkt, der
ihre modernen Werke als „entartete
Kunst“ verbrannte, woraus man die fal-
schen Schlüsse zog.
All dies ist aber unerheblich. Die
Gebildeten der Gesellschaft lieben die
Künste als unersetzliche Farb-Facette des
Lebens. Und lieben die Künstler trotz ih-
rer kindlichen Rollenspiele, die ihnen als
den Sensibelsten des Volkes verziehen
werden.
Schließlich hat man sich sogar an jene
armen Society-Adabeis gewöhnt, die in
Vernissage-„Seitenblicken“ begeistert
ihre Ahnungslosigkeit enthüllen. Sie
schenken dem Drama der Künste den
heitersten Schmelz.

II Künstler und Unternehmer


sind beide im Illusionsgeschäft


tätig: die Künstler zur Gänze,


die Unternehmer mit der Hälfte


ihrer Produkte. II


09/2020 | TREND 19

FOTO: ROBERT F. HARTLAUER

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