Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1
Florian Kolf Düsseldorf

N


ach der Übernahme von Real arbeitet
der Käufer SCP Group zusammen mit
seinem Partner X+Bricks an der zu-
künftigen Ausrichtung der SB-Waren-
hauskette. Doch schon wenige Stun-
den nach Unterzeichnung des Kaufvertrags wurde
immer deutlicher: Es geht weniger darum, Real ei-
ne dauerhafte Zukunft zu sichern, als den Käufern
ein gutes Geschäft.
Denn das dürfte es für das Käuferkonsortium auf
jeden Fall sein. Es erwirbt ein Unternehmen, des-
sen rund 80 Immobilien allein noch vor Kurzem in
der Bilanz mit mehr als 900 Millionen Euro bewer-
tet wurden. Jetzt wird das komplette Unternehmen
mit einer Milliarde Euro bewertet. Tatsächlich flie-
ßen an den Verkäufer Metro jedoch nur 300 Millio-
nen Euro. Noch im Dezember hatte Metro mit zu-
mindest 500 Millionen Euro gerechnet.
Doch der Käufer war in der perfekten Situation,
um aus der Verhandlung den maximalen Vorteil zu
ziehen. Metro-Chef Olaf Koch brauchte nach an-
derthalb Jahren verzweifelter Käufersuche und an-
gesichts immer größerer Verluste bei Real dringend
einen Erfolg. Außerdem sollte das Geschäft bis zur
Hauptversammlung am 14. Februar weitgehend
stehen – damit die Fragen der Aktionäre nicht zu
unangenehm werden. Zwar hat Koch selbst diese
Marke noch um vier Tage verpasst, doch nun ist
der Vertrag unterschrieben – überwiegend zu den
Konditionen der Käufer.
Was für Koch verschärfend dazukam: Es gab de
facto keine Alternative mehr zu den Käufern. Po-
tenzielle Interessenten wie den Investor Sapinda
hatte Metro früh aussortiert. Mit dem Immobilien-
investor Redos war trotz ausführlicher Gespräche
keine Einigung zu erzielen gewesen. X+Bricks und
SCP waren Kochs letzte Rettung, und das war ih-
nen deutlich bewusst. Selbst eine Insolvenz von
Real war Unternehmenskreisen zufolge nicht mehr
ausgeschlossen, falls der Verkauf noch gescheitert
wäre. Entsprechend selbstbewusst traten die Käu-
fer in den Gesprächen auf – und entsprechend
kompromissbereit musste die Metro-Seite sein.

Etliche Konkurrenten haben Interesse
an Real-Standorten hinterlegt
Die Käufer können Real nun nach allen Regeln der
Kunst filetieren und müssen dabei anders als der
Handelskonzern Metro keine Rücksicht nehmen –
weder auf gewachsene Lieferantenbeziehungen
noch auf Betriebsrat oder Gewerkschaften. Insbe-
sondere für die Perlen im Portfolio von jetzt noch
276 Läden stehen Interessenten Schlange. So sollen
Verhandlungskreisen zufolge beispielsweise für die
frisch modernisierte Markthalle Braunschweig Ge-
bote in Höhe von bis zu 60 Millionen Euro vorlie-
gen. Separat problemlos verkauft werden können
auch Verwaltungsgebäude, die Teil des Portfolios
sind und für die Käufer keinen unternehmerischen
Wert haben.
Verbrieftes Interesse an Real-Standorten haben
zahlreiche Konkurrenten, die schon während der
Metro-Verhandlungen mit Redos vorsorglich Über-
nahmepläne beim Kartellamt angemeldet hatten.
So hatte Edeka die geplante Übernahme von 87
Standorten bei der Behörde zur Prüfung vorlegt,
die Migros-Tochter Tegut wollte sieben Märkte, ge-
nau wie die Georg Jos Kaes GmbH mit ihren
V-Märkten. Kaufland hat noch nichts angemeldet,
sprach aber bereits in der Vergangenheit mehrfach
davon, an rund 100 Läden Interesse zu haben.
Sogar aus vielen schwächeren Standorten kön-
nen die Käufer offenbar mehr Vorteile ziehen als
Metro. So stand in Konzepten von X+Bricks die
Zahl von nur noch 24 zur Schließung vorgesehe-
nen Filialen, im Moment ist von ungefähr 30 die
Rede. Unter Metro-Ägide stand hinter bis zu 40
Märkten ein Fragezeichen. Für die geschlossenen
Standorte müsste X+Bricks dann eine neue Nut-
zung finden. Da ein Teil davon im Eigentum ist, hat

das Konsortium daran aber auch ein großes Eigen-
interesse – und ist auf solche Fragen spezialisiert.
Denn der Immobilieninvestor X+Bricks hat große
Expertise darin, Handelsflächen profitabel zu ent-
wickeln. So sollen defizitäre Real-Standorte gerettet
werden, indem die Flächen effizienter und von
mehreren Mietern genutzt werden können. Vorbild
dabei ist etwa der Real-Markt in Neuss, in dessen
Obergeschoss der Sporthändler Decathlon eingezo-
gen ist. Dazu kommt: Die Käufer haben sich vor
Kurzem die Dienste des ehemaligen Kaufland-
Chefs Patrick Kaudewitz gesichert. Er leitet den
Verwaltungsrat der Gesellschaft SCP Retail Invest-
ments, in die die Real-Märkte eingebracht werden.
Er dürfte viel Know-how ins Geschäft einbringen.
„Mit Patrick Kaudewitz haben wir einen erfahre-
nen Manager mit einem breiten Erfahrungsschatz
im deutschen und internationalen Lebensmittel-
einzelhandel gewinnen können“, sagte Marjorie
Brabet-Friel, CEO der SCP Group. „Wir haben uns
mit dieser Einzelhandelsexpertise die Manage-
mentkompetenz gesichert, die für die erfolgreiche
Umsetzung unseres Konzepts für die Real-Standor-

te entscheidend sein wird.“ Ob das aktuelle Real-
Management nach der Übernahme an Bord bleibt,
ist dagegen noch nicht geklärt.
Versilbern will SCP auch das Digitalgeschäft. Der
Onlinemarktplatz real.de gilt als eine der Erfolgsge-
schichten des Unternehmens der letzten Jahre –
und könnte deshalb einen guten Erlös erzielen.
Nach der Übernahme des Start-ups Hitmeister hat-
te Real den Umsatz auf dem Onlinemarktplatz in
fünf Jahren auf jetzt rund 600 Millionen Euro ver-
zehnfacht und kürzlich erst eine Allianz mit weite-
ren europäischen Onlinemarktplätzen geschlossen.
Das Management von real.de hatte jedoch stets be-
tont, wie sehr es von der Zusammenarbeit mit der
stationären Ladenkette und der bekannten Marke
Real abhängt. Denn ein großer Teil der Kunden
kommt auch über die Real-Prospekte.
Ein Kern von rund 50 Märkten soll zunächst un-
ter der Marke Real erhalten bleiben, zusammen
mit dem Fleischwerk. Doch auch das ist wohl nur
ein vorübergehendes Konstrukt, das Metro-Chef
Koch helfen soll, sein Gesicht gegenüber den Mitar-
beitern zu wahren. Er hatte zu Beginn des Ver-

Bereit zum

Filetieren

Metro-Chef Olaf Koch stand unter hohem Druck, die


SB-Warenhauskette Real zu verkaufen. Der Käufer SCP Group hat


das geschickt ausgenutzt – und einen perfekten Deal gemacht.


237


MILLIONEN
Euro hat Metro kurz
vor dem Verkauf noch
mal auf Real abge-
schrieben – und geriet
dadurch im ersten
Quartal operativ in
die roten Zahlen.

Quelle: Unternehmen

Unternehmen


& Märkte


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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handlungsprozesses versprochen, Real nur als Gan-
zes und in gute Hände abzugeben.
SCP hat sich vertraglich jedoch nur verpflichtet,
diesen Kern über zwei Jahre fortzuführen. Aus gu-
tem Grund: Denn Verhandlungskreisen zufolge
plant die Gesellschaft bereits, nach dieser Scham-
frist auch die restlichen Standorte an andere Be-
treiber weiterzugeben. Dann dürfte wohl auch die
Marke Real zur Disposition stehen.
Was die Zukunftsaussichten für den verbleiben-
den Nukleus nicht besser macht: Die attraktivsten
Standorte werden wohl nicht als Real-Märkte fort-
geführt. Die vier schon nach dem neuen Markthal-
lenkonzept umgebauten Märkte Krefeld, Braun-
schweig, Balingen und Aschaffenburg werden Ver-
handlungskreisen zufolge voraussichtlich an
Konkurrenten abgegeben. SCP-Chefin Brabet-Friel
betonte jedoch im Gespräch mit dem Handelsblatt,
welche Märkte behalten und welche weitergereicht
würden, werde sich erst in den kommenden vier
bis fünf Monaten herauskristallisieren.
Was den Verkauf von Märkten leichter machen
dürfte: SCP-Partner X+Bricks hat beste Kontakte in
der Branche. Das gilt nicht nur für den gerade an-
geheuerten Ex-Kaufland-Chef Kaudewitz, sondern
auch für X+Bricks unter dem Chef Sascha Wilhelm
selber. So besitzt der Immobilieninvestor rund 100
Handelsimmobilien mit Schwerpunkt Lebensmit-
tel. Mieter und damit feste Geschäftspartner sind
dort unter anderem Kaufland, Rewe, Edeka, Aldi
und Lidl. Anfang Februar erst hat X+Bricks 35 Le-
bensmittelläden für rund 80 Millionen Euro über-
nommen.
Dass das Immobilienunternehmen trotz solcher
Deals noch die Real-Übernahme problemlos stem-
men kann, liegt am Partner SCP Group. Hinter die-
sem Private-Equity-Fonds steht der russische Milli-
ardär Wladimir Jewtuschenkow, der dort Anker -
investor ist. Jewtuschenkows Sohn Felix ist
Chairman von SCP, geleitet wird das Unternehmen
von der Französin Brabet-Friel. Finanzierende
Bank des Konsortiums ist Nomura. Die Bank soll
noch weiteres Fremdkapital zur Verfügung stellen.

Entscheidendes Detail für Metro: Sobald SCP
den Kaufvertrag unterschreibt, ist der Großhändler
auf einen Schlag von allen Risiken entlastet – inklu-
sive möglicher Kartellprobleme bei der Weiterrei-
che von Standorten. Denn noch haben die Wettbe-
werbshüter ein wichtiges Wort mitzureden.
Um alle Eventualitäten zu berücksichtigen und
nach dem Abschluss keine Überraschungen zu er-
leben, hat deshalb das Team von X+Bricks jedes
Detail ausverhandelt. Fast rund um die Uhr liefen
zuletzt die Gespräche, kurz nach Mitternacht am
Dienstagmorgen vergangener Woche verschickte
das Verhandlungsteam von Metro eine Ad-hoc-Mel-
dung, die eine weitgehende Einigung verkündete.
„Wir haben eine Einigung mit SCP“, bestätigte
Metro-Chef Olaf Koch anlässlich der Präsentation
der Zahlen für das erste Quartal am Donnerstag-
morgen, ergänzte aber auch: „Es ist eine sehr kom-
plexe Transaktion.“ Denn zu diesem Zeitpunkt war
immer noch nichts unterschrieben. Die Unter-
schriften unter den Vertrag folgten erst vier Tage
später.

Real-Abschreibung zog Metro im
ersten Quartal erneut in Minus
Doch es wurde wieder einmal deutlich, wie wichtig
der Ausstieg bei Real für Metro ist. So zog eine er-
neute Abschreibung auf Real in Höhe von 237 Mil-
lionen Euro die Metro im ersten Quartal mit 34 Mil-
lionen Euro operativ ins Minus. Schon im Ende
September abgelaufenen Geschäftsjahr hatte Metro
mehr als 400 Millionen Euro auf die Real-Immobi-
lien abgeschrieben. Den Wert des operativen Ge-
schäfts hatte Metro bereits im Jahr davor auf null
abgeschrieben. „Wir konnten die ökonomische
Grundlage für das Geschäft bei Real nicht so schaf-
fen, wie wir uns das vorgestellt hatten“, räumt Me-
tro-Chef Koch jetzt selbstkritisch ein. Nun können
die Spezialisten übernehmen und werden daraus
voraussichtlich eine Erfolgsgeschichte machen –
zumindest für sich selber.
Verlierer werden viele Real-Mitarbeiter sein.
„Der Metro-Konzern streicht 300 Millionen Euro
ein, während den Arbeitslosen wieder einmal auf
Kosten der Gesamtgesellschaft geholfen werden
muss“, schimpfte Verdi-Vorständin Stefanie Nut-
zenberger. Sie sprach von einem „bitteren Tag für
die Real-Beschäftigten“ und betonte, bei Metro se-
he sie keine soziale Verantwortung.
Werner Klockhaus, Gesamtbetriebsratsvorsitzen-
der von Metro, hatte schon vor einem Wegfall von
10 000 Stellen gewarnt. Koch hatte das als zu hoch
zurückgewiesen. Doch eine hohe vierstellige Zahl
von Mitarbeitern dürfte es auf jeden Fall treffen.
Immerhin hat Real Ende des Jahres schon mal eine
Betriebsvereinbarung abgeschlossen, die im Kündi-
gungsfall Abfindungen von maximal zwölf bis 14
Monatsgehältern vorsieht.

Real-Markt: Wachsende Probleme
drückten den Kaufpreis.

dpa

Marjorie Brabet-Friel

„Wir sehen,


es wird


schwierig“


Frau Brabet-Friel, Real macht seit Jah-
ren Verluste, der Umsatz sinkt, hohe
Investitionen sind notwendig um die
Läden zu modernisieren. Was war für
Sie an dem Kauf so attraktiv?
Es ist in der Tat eine herausfordernde
Akquisition. Real, so wie es heute ist,
ist nicht zukunftsfähig.

Warum haben Sie es dann übernom-
men?
Wir schauen auf Real aus einem an-
deren Blickwinkel. Es ist eine
Frage der richtigen Nutzung.
Man muss sich jeden Stand-
ort separat anschauen:
Manche sind jetzt schon
sehr erfolgreich, andere
brauchen einen neuen
Partner, um wieder erfolg-
reich zu werden. Für jeden
Markt suchen wir eine indivi-
duelle Lösung.

Was macht diese Übernahme so kom-
pliziert?
Dass es eine zweistufige Akquisition ist.
Wir können erst nach dem Abschluss
des Kaufvertrages mit Metro in die kon-
kreten Verhandlungen mit neuen Be-
treibern gehen. Wir hoffen jetzt, dass
wir so rasch wie möglich die Kartellfrei-
gabe erhalten. Unser Ziel ist es, so viele
Arbeitsplätze wie möglich zu retten.

Aber es gibt auch Standorte, für die
gar keine Zukunft besteht?
Ja, aber es werden nach unseren heuti-
gen Vorstellungen ungefähr 30 Stand-
orte geschlossen. Die genaue Zahl klärt
sich in den kommenden vier bis fünf
Monaten. Bis dahin wollen wir auch
klarer sehen, welche Standorte an wel-
chen neuen Betreiber gehen und wel-
che wir in der Kerngesellschaft unter
der Marke Real behalten.

Kann denn ein kleiner Kern von Ge-
schäften unter der Marke Real ange-
sichts der harten Konkurrenz über-
haupt überleben?
Wir treffen keine überhasteten Ent-
scheidungen und geben Real eine faire
Chance. Aber wir sehen heute schon,
dass es schwierig wird. Es gibt Überle-
gungen, stärker auch auf digitale Lö-
sungen in den Märkten zu setzen.

Spielt bei diesen Überlegungen auch
der Onlinemarktplatz real.de eine zen-
trale Rolle?
Nein, den wollen wir nicht selbst be-
treiben, für diesen Teil des Unterneh-
mens suchen wir einen Käufer.

Die Fragen stellte Florian Kolf.

Die Chefin der SCP-Group über
die Neuaufstellung von Real, den
Kampf um Arbeitsplätze und die
Zukunft der Onlineplattform.

Kaufland Real

Kaufland vor Real
SB-Warenhausketten im Vergleich, Zahlen für Deutschland 2018

HANDELSBLATT 1) Durchschnitt • Quellen: EHI Retail Institut, GfK, VuMa

Netto-
umsatz
in Mrd. Euro

Zahl der
Filialen

Zahl der
Kunden
in Millionen

Verkaufsfläche
der Märkte in
Quadratmetern

Kunden-
zufriedenheit

7,
279

19,

12,7 664 25,1 6 989 2,

4 341

2,

1 = Vollkommen
zufrieden
5 = Unzufrieden

Karolina Webb

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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