Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1
Jens Koenen Frankfurt

E


Für Ulrich Hermann star-
tete das Jahr mit schwieri-
gen Wochen. Der Diplom-
Ingenieur und promovier-
te Betriebswirt sollte zei-
gen, wie die Zukunft von Heidelberger
Druckmaschinen (Heideldruck) ausse-
hen könnte: Statt weiterhin Druckma-
schinen in einem schrumpfenden
Markt zu verkaufen, wollte das Tradi-
tionsunternehmen Druckleistung ver-
treiben. Betriebe sollten die Maschi-
nen plus Materialien im Abo bekom-
men und je nach gedruckter Auflage
bezahlen, genannt Subskription.
Doch in den zurückliegenden Wo-
chen muss Hermann, im Vorstand des
Unternehmens für den Bereich Lifecy-
cle Solutions zuständig, immer klarer
geworden sein, dass seine Mission am
Ende ist. Die klamme Situation des
Maschinenbauunternehmens erlaubt
es nicht mehr, wie geplant den Anteil
des Abo-Umsatzes deutlich zu erhö-
hen. Jeder Auftrag dieser Kategorie
belastet Heidelberger zunächst bilan-
ziell, denn die Einnahmen kommen
erst verteilt über die Nutzungsjahre.
Der neue Finanzvorstand Marcus
Wassenberg intervenierte.
Nun hat Hermann hingeschmissen,
verlässt das Unternehmen, bei dem er
im November 2016 mit dem Ziel ange-
treten war, die Digitalisierung voran-
zutreiben. „Die weitere Umsetzung
kann nach seiner strategischen Kon-
zeption sowie unternehmerischen

Aufbauarbeit jetzt durch das operative
Management erfolgen“, wird der neue
Aufsichtsratschef Martin Sonnen-
schein in der Erklärung des Unterneh-
mens zitiert. „Hermann konnte nicht
wie er gerne wollte. Er hat eine Eisen-
kugel ans Bein gebunden bekommen,
von ganz oben, vom Aufsichtsrats-
chef “, berichten dagegen Unterneh-
menskenner.
Der Abgang des Managers ist mehr
als nur eine Personalie. Er ist ein Be-
leg dafür, wie sich das Unternehmen
jahrelang mit internen Machtkämpfen
und Auseinandersetzungen über die
Ausrichtung aufgerieben und in eine
schwierige wirtschaftliche Lage ge-
bracht hat.
Jetzt geht es statt um Visionen für
die Zukunft nur noch um die Siche-
rung der Zukunft. Wassenberg, seit
September 2019 als CFO im Dienst,
muss die Bilanz richten. Mehrfach
musste das Unternehmen seine Prog-
nose nach unten korrigieren. Wer den
jüngsten Quartalsbericht durchblät-
tert, sucht vergeblich nach einem
Grund für Optimismus.
Das Ergebnis nach Steuern sackte
im dritten Quartal des zeitlich verset-
zen Fiskaljahres von minus zwei auf
minus zehn Millionen Euro ab. Auch
für das Gesamtjahr wird ein Nachsteu-
erverlust erwartet. Die Aktie kostet
mittlerweile weniger als einen Euro,
ist zum Pennystock geworden. Die Ra-
tingagentur Moody’s senkte jüngst
den Ausblick und spricht von „sub-
stantiellen Risiken“.

Die Eigenkapitalquote betrug 13,
Prozent, für einen kapitalintensiven
Maschinenbauer ein magerer Wert.
Die Nettofinanzverschuldung, also die
Finanzverbindlichkeiten abzüglich
der flüssigen Mittel, lag Ende des drit-
ten Quartals bei 389 Millionen Euro.
Das ist mehr als das Eigenkapital (
Millionen Euro). Der operative Mittel-
zufluss (Cashflow) betrug minus 51
Millionen Euro. Heidelberger ver-
brennt also Geld und kann somit die
notwendigen Sachinvestitionen aus
dem Cashflow nicht finanzieren.
Überall im Quartalsbericht finden
sich Formulierungen, die nachdenk-
lich stimmen. So ist die Rede von

Maßnahmen, mit denen die Liquidität
und die Bilanzqualität verbessert wer-
den sollen. Etwa der Verkauf weiterer
Randbereiche, viele davon Verlust-
bringer. So brachte der Verkauf des
Bereich Hi-Tech Coatings an die ICP
Group im dritten Quartal einen Ein-
malertrag von 25 Millionen Euro.
Verbessern sich die Kennzahlen
nicht rasch, werde es schwierig, fällige
Anleihen zu bedienen, ist aus dem
Unternehmensumfeld zu hören. Was-
senberg verhandele dazu auf Hoch-
touren mit Banken. Und noch jemand
anders beobachtet die Entwicklung
sehr genau: Masterwork. Das chinesi-
sche Unternehmen ist enger Partner
von Heideldruck und hält seit März
vergangenen Jahres 8,5 Prozent der
Aktien. Li Li, die Vorstandsvorsitzen-
de von Masterwork, sitzt bereits im
Aufsichtsrat von Heideldruck. Sie
könnte die günstige Kaufgelegenheit
nutzen, um aufzustocken.
Masterwork soll Ende 2019 gegen-
über dem Management Interesse an
den chinesischen Aktivitäten der Hei-
delberger geäußert haben. Doch die
Abgabe der Mehrheit dieses Geschäfts
an den Partner ist heikel. China ist
nicht nur ein wichtiger, weil günstiger
Produktionsstandort für das Unter-
nehmen. Heidelberger würde damit
auch einen der wenigen Märkte aus
der Hand geben, die im Printbereich
noch wachsen.
Das weiß man auch im Manage-
ment von Heidelberger. Gleichzeitig
ahnt man aber, dass es ohne Hilfe ei-
nes Investors vielleicht nicht mehr
geht. Eine Investmentbank sei daher
mit der Suche nach Interessenten be-
auftragt worden, heißt es im Umfeld
des Unternehmens. Eine offizielle Be-
stätigung dafür gibt es nicht.
Noch ist Heidelberger im Print-
markt ein klingender Name. Immer
noch hat man die weltweite Marktfüh-
rerschaft bei Bogendruckmaschinen.
Immer noch beträgt der Jahresumsatz
2,5 Milliarden Euro, es geht also um
ein Unternehmen mit einer relevan-
ten Größe. Doch statt daraus etwas zu
machen, eilt das Unternehmen seit
Jahren von Sanierung zu Sanierung,
ohne Erfolg. In Heidelberg, so scheint
es, zerbröselt sich ein weltweit füh-
rendes Unternehmens selbst.
Bei der Suche nach den Gründen
für den Niedergang wird gerne auf die
Ära von Hartmut Mehdorn verwiesen,
der einen rasanten Wachstumskurs
verordnete und das Unternehmen da-
mit stark strapazierte. Doch Meh-
dorns Abschied liegt mehr als 20 Jah-
re zurück. Und seine Ideen, den Kon-
zern auch jenseits des klassischen
Druckens zu etablieren, waren am En-
de durchaus richtig. Das reicht als Er-
klärung nicht.
Der Grund für die prekäre Lage ist
eine Mischung aus jahrelangen Macht-
kämpfen und Führungsversagen in
Vorstand und Aufsichtsrat. Mangels
Einigkeit fehlt es seit Jahren an einer
klaren Strategie. Diese Gemengelage
trifft auf eine schrumpfende Nachfra-
ge – eine gefährliche Kombination.

Keine Einigkeit über die
Strategie
Gerade am Beispiel der Idee der Sub-
skription lässt sich gut beschreiben,
was „Heideldruck“ in diese kritische
Lage gebracht hat. Wer sein Geschäfts-
modell vom klassischen Verkauf von
Maschinen auf das Vermieten von Ma-
schinenleistung oder besser von Pro-
duktivität umstellt, muss die Organisa-
tion umbauen.
Das betrifft zum Beispiel die Fi-
nanzierung. Maschinen, die vermie-
tet werden, verbleiben in der Bilanz
des Herstellers und belasten auf der
Forderungsseite. Das Risiko des Ge-

Heidelberger Druckmaschinen


Weltmarktführer in


Auflösung


Der Digitalvorstand des Traditionskonzerns wirft nach


zermürbenden Machtkämpfen hin. Nutzt der chinesische


Anker aktionär die Krise zum Aufstocken?


CEO-Rainer Hundsdörfer
vor einer Ladestation
von Heidelberger:
Eine von vielen Ideen
des Unternehmens.

Heidelberger Druckmaschinen AG

Es gab auf


Top-Ebene


nie ein klares


Bekenntnis


aller zum


Thema


Subskription.


Insider

Ergebnis bricht ein
Heidelberger Druckmaschinen
Neunmonatszahlen in Mio. Euro

HANDELSBLATT Quelle: Unternehmen

2018/20192019/
Umsatz

Ergebnis
nach Steuern

1 690





1 693





Unternehmen & Märkte
DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
20

schäftserfolgs verlagert sich vom
Kunden zum Hersteller. Hat der Kun-
de Probleme, seine Maschinen aus-
zulasten, spürt das der Maschinenlie-
ferant direkt über die Abo-Einnah-
men.
Gängige und durchaus erfolgreiche
Praxis in vielen Branchen ist es des-
halb, sich entsprechende Finanzie-
rungspartner zu suchen und eine Zwi-
schengesellschaft zu gründen, um die-
se Risiken aus der Bilanz zu
bekommen. Bei „Heideldruck“ wurde
das versäumt, weil Uneinigkeit im Vor-
stand über die Strategie herrschte.
Wassenbergs Vorgänger Dirk Kalie-
be etwa – ein anerkannter Finanzex-
perte, der das Unternehmen in frühe-
ren Krisen mehrfach erfolgreich si-
cherte – galt wegen der bilanziellen
Folgen des Abo-Modells nicht als Fan
der Subskription.
Auch anderen Führungskräften war
die Idee nicht geheuer. Selbst nach
endlosen Sanierungsrunden ist in den
Köpfen vieler immer noch die Hoff-
nung, die Welt von früher lasse sich
wiederherstellen. „Heideldruck ist tra-
ditionell ein Maschinenbauer, der mit
seinen Maschinen den Ruf genoss,
perfekte und ewig haltbare Qualität zu
liefern. Die Maschinen wurden nicht
vertrieben, sie wurden verteilt“, be-
schreibt eine Führungskraft die Men-
talität.
Die wirkt sich besonders beim The-
ma Vertrieb aus. Nicht nur musste
man bei Heidelberger überhaupt erst
einmal lernen, Produkte zu vertrei-
ben. Das Subskriptionsmodell erfor-
dert dazu noch ein besonderes Know-

how. Wer Druckleistung verkaufen
will, muss neben der Maschine auch
alle Details des Druckprozesses beim
Kunden kennen. In Großbritannien
etwa wird viel mit UV-Glanz gearbei-
tet, was die entsprechenden Farben
und Materialien erfordert.
Heidelberger hat es bis heute nicht
geschafft, das entsprechende Personal
aufzubauen. Mitarbeiter, die extra für
den Vertrieb des Subskriptionsmo-
dells angeheuert wurden, gaben nach
kurzer Zeit frustriert wieder auf, weil
sie an den chaotischen Zuständigkei-
ten und unklaren Ansagen verzweifel-
ten. „Es gab auf Top-Ebene nie ein kla-
res Bekenntnis aller zum Thema Sub-
skription. Jeder verfolgte seine
eigenen Pläne“, beklagt ein Kenner
des Unternehmens.
Befördert wurde das indirekt durch
den CEO. Mit Rainer Hundsdörfer
führt ein Manager das Unternehmen,
der im Ruf steht, ausgeprägt konsens-
orientiert zu sein und harte Konflikte
zu scheuen. Entscheidungen gegen
den Widerstand von Vorstandskolle-
gen durchzusetzen, soll nicht seine
Stärke sein. Und auf Investorenseite,
zieht dann auch noch Ferdinand Rü-
esch die Fäden. Der Familienunter-
nehmer brachte vor einigen Jahren
seine Beteiligung an Gallus, einem
Hersteller von Etikettendruckmaschi-
nen, in Heidelberger ein und erhielt
im Gegenzug neun Prozent der Antei-
le am Konzern.
Der Absturz des Aktienkurses – das
Papier hat binnen eines Jahres 45 Pro-
zent an Wert verloren – hat dem
Schweizer Rüesch Verluste in Millio-

nenhöhe eingebrockt, was ihn ärgert.
Rüesch gilt als Drahtzieher hinter ei-
nem vor einigen Monaten publik ge-
wordenen Mitarbeiterbrief an den
Aufsichtsrat, in dem mächtig gegen
Hundsdörfer geschossen wird. „Alles
das ist der ideale Nährboden für poli-
tische Ränkespiele, die alles blockie-
ren“, sagt ein Unternehmenskenner:
„Die Folge: Die Ideen von Heidelber-
ger Druck starten als Tiger und landen
als Bettvorleger.“
Ob Ansätze wie das Subskriptions-
modell am Ende tatsächlich die Zu-
kunft des Traditionsunternehmens si-
chern könnten, ist offen. Das räumen
auch Kritiker des jahrelangen Füh-
rungschaos ein. „Aber zumindest die
Chance ist da und muss doch genutzt
werden. Wer sollte so eine Idee besser
in den Markt drücken können als der
Marktführer“, sagt eine frustrierte
Führungskraft.

Mit dem Abgang von Hermann,
dem wiederum einige im Unterneh-
men vorwerfen, bei seiner Digital-Eu-
phorie zu sehr das klassische Geschäft
und damit den Erlösbringer aus den
Augen verloren zu haben, ist nun klar,
dass Subskription erst einmal hintan-
gestellt wird. Zwar verhandelt Finanz-
chef Wassenberg – wie aus Unterneh-
menskreisen zu hören ist – mit einem
Versicherungskonzern über eine Zwi-
schengesellschaft, um die Abo-Maschi-
nen aus der Bilanz zu bekommen.
Doch für ihn ist Subskription nur ein
Vertriebsmodell von mehreren.
Einige bei Heidelberger hoffen den-
noch, dass es mit der neuen Manage-
mentstruktur und unter Aufsichtsrats-
chef Sonnenschein, im Hauptamt
Partner und Geschäftsführer der Bera-
tung Kearney, endlich besser wird.
Der nun nur noch zweiköpfige Vor-
stand aus CEO und CFO soll sich um
die übergeordneten Themen küm-
mern, das neue darunter angesiedelte
Executive Committee um die operati-
ve Umsetzung – „ohne Querschüsse
von links oder rechts“, beschreibt es
eine Führungskraft. Auch könne hel-
fe, dass Wassenberg einen engen
Draht zum Chefkontrolleur und auch
zum Aktionär Rüesch habe.
Doch die Frage ist, ob das Unter-
nehmen noch ausreichend Zeit hat,
sich mal wieder komplett neu zu sor-
tieren. Bis Ende März muss Klarheit
darüber herrschen, wie das Unterneh-
mens die Bilanz sanieren will. Das ver-
langen die Geldgeber. Vielleicht ist
dann auch klar, ob man doch die Hilfe
eines Investors brauchen wird.

Ulrich Hermann:
Der Vorstand von
Heidelberger wollte
die Digitalisierung
vorantreiben.

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