Handelsblatt - 20.02.2020

(Ann) #1
Barbara Gillmann, Klaus Stratmann Berlin

A


ngela Merkels Berater für Innovati-
onspolitik warnen vor der Gefahr ei-
nen zunehmenden „technologischen
Abhängigkeit“ von der Volksrepublik
China. „Die Bundesregierung ist gut
beraten, die Kontrolle der Wirtschafts- und Wissen-
schaftsbeziehungen zu China zu verschärfen und
auszuweiten“, sagte der neue Vorsitzende der Ex-
pertenkommission Forschung und Innovation
(EFI), der Jenaer Ökonom Uwe Cantner, bei der
Vorstellung des jüngsten Gutachtens dem Handels-
blatt. Ziel der Investitionskontrolle müsse „auch
der Erhalt der technologischen Souveränität
Deutschlands“ sein.
Deshalb empfiehlt die Kommission, Deutschland
müsse die Frage, ob eine Beteiligung Chinas an
deutschen Unternehmen „sicherheitsrelevant“ ist,
„inhaltlich weiter definieren“ als bisher – und jede
einzelne daraufhin abklopfen, ob eine neue tech-
nologische Abhängigkeit entstehen könnte. „Einen
Partner, der nicht marktwirtschaftlich spielt, kann
man auch nicht mit marktwirtschaftlichen Instru-
menten stoppen“, verteidigt Cantner solche indus-
triepolitischen Eingriffe. In diesem Zusammenhang
„sollten auch die Beteiligungsschranken, ab denen
das Bundeswirtschaftsministerium prüft, gesenkt
und erweitert werden“.

„Bei der Frage der Firmenübernahmen sind wir
schon sehr viel aufmerksamer geworden“, sagte
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Übergabe
des EFI-Gutachtens – „doch das Thema wird uns
auch in den nächsten Jahren noch begleiten.“ Sie
betonte die Wichtigkeit der Zusammenarbeit mit
China – das Land sei „unser größter Handelspart-
ner“. Merkel hatte die EFI 2006 eingerichtet. Diese
hatte lange massiv auf die kürzlich etablierte steu-
erliche Forschungsförderung gedrängt.
Auf die nun geforderte schärfere Kontrolle aus-
ländischer Direktinvestitionen zielt eine Reform
des Außenwirtschaftsgesetzes ab, an der Bundes-
wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im Mo-
ment arbeitet. Mit der Novelle soll der Entschei-
dungsspielraum des Wirtschaftsministeriums bei
einer Investitionsprüfung erweitert werden. Prü-
fungsgegenstand soll künftig eine „voraussichtliche
Beeinträchtigung“ der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit sein. Bisher musste eine „tatsächliche
Gefährdung“ gegeben sein. Dadurch könnten kriti-
sche Unternehmenserwerbe vorausschauender ge-
prüft werden, heißt es zur Begründung. „Mit der
Novellierung des Außenwirtschaftsrechts wollen
wir die nationale Investitionsprüfung stärken und
an die aktuellen Entwicklungen und Herausforde-
rungen anpassen“, hatte Altmaier kürzlich gesagt.

Mit der Novelle wird die 2019 in Kraft getrete-
ne EU-Screening-Verordnung umgesetzt, die erst-
mals auf europäischer Ebene Vorgaben zur In-
vestitionsprüfung macht. Es handelt sich um die
zweite Novelle der Investitionsprüfung in dieser
Legislaturperiode. Bei der vorausgegangenen No-
velle Ende 2018 ging es um die Absenkung der
Prüfschwelle in sicherheits- und verteidigungsre-
levanten Bereichen von 25 auf 10 Prozent.
Nach der AWG-Novelle soll dann noch eine
Änderung der Außenwirtschaftsverordnung fol-
gen. Darin soll ein Katalog kritischer Technolo-
gien definiert werden, für die es im Falle des
Einstiegs ausländischer Investoren eine Melde-
pflicht und eine Prüfmöglichkeit ab einer
Schwelle von zehn Prozent Anteilserwerb geben
soll. Der Katalog soll Künstliche Intelligenz, Ro-
botik, Halbleiter, Biotechnologie und Quanten-
technologie umfassen.
Die EFI drängt in diesem Zusammenhang da-
rauf, dass der Minister im Zuge der Verschärfung
auch „klare und transparente Prüfkriterien“ fest-
legt. Denn ohne solche Kriterien sei „nicht fest-
zustellen, ob es sich im Einzelfall um eine Bedro-
hung oder vielleicht doch um Protektionismus
handelt“, sagte EFI-Mitglied Holger Bonin vom
Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit.

Regierungsberater

warnen vor China

Die EFI fürchtet eine wachsende technologische Abhängigkeit von China.


Die Experten fordern daher strengere Kontrollen der Kooperation mit Deutschlands


größtem Handelspartner – in der Wirtschaft und der Wissenschaft.


Forscher im Labor:
China kann durch
Firmenübernahmen
auf deutsches
Know-how zugreifen.

plainpicture/F Moura

Einen


Partner, der


nicht


marktwirt -


schaftlich


spielt, kann


man auch


nicht mit


marktwirt -


schaftlichen


Instrumenten


stoppen.


Uwe Cantner
EFI-Vorsitzender

Wirtschaft


& Politik


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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Chinesische Direktinvestitionen haben seit 2010
massiv zugenommen: Ihr Gesamtwert ist bis 2017
von einer auf fast acht Milliarden Euro gewachsen.
Auch wenn China damit noch ein „vergleichsweise
kleiner Player“ ist – aus den USA sind es Investitio-
nen im Wert von 98 Milliarden – wächst jedoch die
Sorge. Bisher gebe es zwar keine empirischen
Nachweise für die weitverbreitete Vermutung, dass
chinesische Investitionen hierzulande zu einer
Schwächung der wirtschaftlichen Leistungskraft
der betroffenen Unternehmen geführt haben,
heißt es im Gutachten. Eine Untersuchung für die
EFI habe ergeben, dass Unternehmen mit chinesi-
schen Eignern sich nicht anders entwickelten als
andere. Auch ihre Forschungsausgaben und das
Forschungspersonal sei nicht reduziert worden.
„Nichtsdestotrotz sind Unternehmensbeteiligun-
gen und -übernahmen durch chinesische Investo-
ren grundsätzlich mit der Möglichkeit einer polit-
strategischen Einflussnahme verbunden.“ Denn
der chinesische Staat könne über die Unterneh-
men auf deutsches Know-how zugreifen. Die Bun-
desregierung sollte sich daher „nachdrücklich für
gleiche Wettbewerbsbedingungen – ein sogenann-
tes Level Playing Field – einsetzen, mahnt Cantner.
„Problematisch“ sei auch, dass deutsche Unter-
nehmen in China massiven Beschränkungen unter-
liegen und es kaum Mehrheitsbeteiligungen gebe –
während chinesische Investoren hier weitgehend
frei agieren könnten. Das neue chinesische Investi-
tionsgesetz sieht zwar eine prinzipielle Gleichstel-
lung ausländischer Unternehmen vor – „ wird aber
durch eine Negativliste für 40 Sektoren erheblich
eingeschränkt“, gab der EFI-Chef zu bedenken. Es
bleibe abzuwarten, wie sich das weiterentwickle.

Probleme für deutsch-chinesische
Forschungskooperationen
Probleme und Unsicherheiten sieht die EFI auch
bei Forschungskooperationen mit China. Vielen
Wissenschaftlern sei „nicht immer bewusst, dass
Wissenschaft in China einem direkten Regierungs-
einfluss unterliegt“, warnte Cantner. Auch die
Hochschulen seien mit den sensiblen rechtlichen
Fragen bei der Gestaltung von Kooperationsverträ-
gen und der Sicherung geistigen Eigentums viel-
fach überfordert. Die EFI empfiehlt daher die Ein-
richtung eines zentralen „China-Kompetenz-Cen-
ters“: Dieses sollte Wissenschaftler rechtlich
beraten und zudem deren Erfahrungen systema-
tisch sammeln und aufbereiten. Diese Beratungs-
stelle müsse zugleich mittelständischen Unterneh-
men offenstehen, die ebenfalls oft nicht in der La-
ge seien, Kooperationen mit China eigenständig
sicher zu regeln.
Zuletzt war die Verunsicherung in der deutschen
Wissenschaft über einseitige Kooperationen ge-
wachsen – die Deutsche Forschungsgemeinschaft
beerdigte daher auch die Pläne für ein Auslandsbü-

ro in Peking. Die amerikanische Nicht-Regierungs-
organisation Freedom House bewertet den Grad
der akademischen Freiheit in China mit einem Wert
von 1 auf einer Skala von 0 bis 4. Null steht dabei
für den kleinsten Freiheitsgrad der Wissenschaft.
Das Bundesforschungsministerium fordert die
EFI-Experten auf, baldmöglichst eine neue „China-
Strategie“ aufzulegen – und diese auch mit den eu-
ropäischen Partnern abzustimmen. Die bisherige
China-Strategie des Ministeriums für den Zeitraum
2015 bis 2020 ist ebenso ausgelaufen wie die
„deutsch-chinesische Plattform Innovation“. Eine
neue Strategie – also ein Rahmen für die Zusam-
menarbeit mit der Volksrepublik China bei Bil-
dung, Forschung und Innovation – ist allerdings
„nicht vorgesehen“, teilte ein Sprecher Karliczeks
auf Anfrage des Handelsblatts mit. „Vor dem Hin-
tergrund der dynamischen Entwicklungen in China
und auch in der deutsch-chinesischen Wissen-
schaftskooperation bietet ein umfassendes Strate-
giepapier für die zukünftige Zusammenarbeit nicht
länger die notwendige Flexibilität und damit auch
keine geeignete Basis“, begründete er den Verzicht.

Großer Mangel an China-Experten –
die auch die Sprache beherrschen
Besorgniserregende Defizite sieht die EFI-Kommis-
sion beim Wissen über die Volksrepublik: „Ein pro-
duktiver wissenschaftlicher und wirtschaftlicher
Austausch mit China braucht Köpfe, die mit der
chinesischen Sprache und Kultur gut vertraut sind,
aber auch die Märkte, die institutionelle Rahmen-
bedingungen und politische Strukturen dort gut
kennen und verstehen. „Eine solche umfassende
China-Kompetenz ist in Deutschland bisher aber
kaum anzutreffen und stellt ein Problem sowohl
für die Wissenschaft als auch für die Wirtschaft
dar“, warnte Cantner.
Angesicht der weiterwachsenden Bedeutung Chi-
nas für Wirtschaft und Wissenschaft müssten For-
schung und Lehre zu China daher deutlich verstärkt
werden. Dabei sei es aber enorm wichtig, dass bei
der Ausbildung von Experten darauf geachtet wer-
de, dass sie auch die Sprache gut beherrschten.
Derzeit gibt es nach EFI-Angaben 66 Studiengän-
ge mit China-Bezug – davon rund zwei Drittel, die
sich mit dem heutigen China beschäftigen, also
moderne Sinologie oder interdisziplinäre Studien-
gänge. In den letzten Jahren hätten jährlich etwa
500 Studierende ein Studium der Sinologie begon-
nen. Im Gegensatz zu den anderen Ostasienwissen-
schaften wie vor allem Japanologie und Koreanis-
tik, deren Anfängerzahlen steigen, stagniere hier
aber die Anzahl der Studienanfänger. Zudem lern-
ten nur sehr wenige davon gut Chinesisch spre-
chen, lesen und schreiben. Das liege schlicht da-
ran, dass die Curricula – vor allem der interdiszip-
linären Studiengänge – häufig keine konkreten
Anforderungen stellen.

Chinesisches Engagement in Deutschland

HANDELSBLATT *Ab 2012: Berechnung nach der OECD-Benchmark-Definition 4. Auflage • Quelle: EFI-Gutachten 2020

Investitionsvolumen in Deutschland
in Mrd. Euro

2000 2006 2012* 2017

8 7 6 5 4 3 2 1 0

Anteil deutscher Unternehmen mit Übernahme
oder Beteiligung durch chinesische Investoren

% % % % % % % % % % %
Maschinenbau

Automotive

Elektronik

Materialverarbeitung

Konsumgüter

Sonstige FuE-intensive Industrie

IT/technische Dienstleistungen

Handel/Logistik

Pharma/Biotech

Sonstige Dienstleistungen

Ver-/Entsorgung

28

16

10

8 7 7 6 6 5 5 3

EFI-Gutachten

Cyberangst


lähmt Innovation


D


ie Expertenkommission für Forschung
und Innovation schlägt Alarm: Die Ge-
fahr durch Cyberangriffe wächst und die
Bedrohung schwächt die Innovationskraft der
Unternehmen, heißt es im jüngsten EFI-Gutach-
ten. Damit nicht genug: Der hohe Bedarf an Cy-
bersicherheitsexperten könne derzeit nicht ge-
deckt werden. Zudem „liegt Deutschland bei In-
novationen in Cybersicherheit deutlich hinter in-
ternationalen Wettbewerbern“, warnte EFI-Chef
Uwe Cantner bei der Präsentation.
„Die Cyberkriminalität entwickelt sich zu ei-
nem Geschäftsmodell der Schutzgelderpressung


  • das bedeutet eine wachsende Gefahr für die
    deutsche Wirtschaft“, so Cantner. „Extrem be-
    droht“ sei vor allem der Mittelstand, wo es dafür
    bisher noch kaum ein Bewusstsein gebe.
    Schon jetzt sagt ein Drittel aller Unternehmen,
    dass Cyberattacken ihre Innovationen behindern
    oder ganz verhindern, ergab eine Umfrage für
    das neue EFI-Gutachten. „Und es ist nicht gesagt,
    dass die übrigen zwei Drittel keinen Schaden da-
    vontragen: Es ist durchaus zu vermuten, dass
    manche noch gar nicht wissen, dass sie attackiert
    wurden, oder es aus Angst vor einem Imagescha-
    den nicht öffentlich einräumen.“
    Die EFI empfiehlt daher eine Ausweitung der
    Meldepflichten für Cyberattacken: „Die Bundes-
    regierung sollte erwägen, die Meldepflicht, die
    bisher nur für Telekommunikation und kritische
    Infrastruktur gilt, auf kleine und mittlere Unter-
    nehmen auszuweiten“, so Cantner. So könne sie
    die Bedrohungslage besser einschätzen und frü-
    her und besser präventive Maßnahmen ergrei-
    fen.


„Cyberversicherung so wichtig wie
Pockenschutzimpfung“
Daneben „müssen wir auch verstärkt über Cyber-
versicherungen nachdenken – denn sie können
für die Wirtschaft so wichtig werden, wie eine Po-
ckenschutzimpfung für die Gesundheit“, mahnt
der EFI-Chef. Denn selbst Großunternehmen hät-
ten heute nur selten eine Cyberversicherung.
Weil die Bedrohung so existenziell sei, „müs-
sen wir auch über eine Pflicht zur Cyberversiche-
rung nachdenken – denn ein einzelner alter Lap-
top eines Bürgers kann der Zugang für eine
Schadsoftware sein, die eine digitale Epidemie
auslöst“. Das könne „selbst bei abgeschaltetem
Computer passieren, den Kriminelle heute über
ein danebenstehendes Gerät wie etwa eine mo-
derne Kaffeemaschine ansteuern können“.
Auch beim Geschäft mit der Bekämpfung der
Cyberkriminalität hinkt Deutschland weit hinter-
her. „Unter den 150 innovativsten Cybersicher-
heitsunternehmen der Welt sind 112 aus den USA,
18 aus Israel und leider nur eines aus Deutsch-
land – das Unternehmen Ariva“, sagte EFI-Mit-
glied Irene Bertschek vom Zentrum für Europäi-
sche Wirtschaftsforschung. Zwar sei die Brutto-
wertschöpfung der IT-Sicherheitswirtschaft 2017
auf 15,5 Milliarden Euro gewachsen – 14 Prozent
der gesamten IT-Branche. Doch bei den Patentan-
meldungen liege sie weit zurück.
Die Bundesregierung will den Schutz vor An-
griffen aus dem Netz mit einer neuen Agentur für
Cybersicherheit stärken. Die Einrichtung soll bis
zu 100 Mitarbeiter haben. Sie soll Forschungs-
und Innovationsvorhaben im Bereich der Cyber-
sicherheit anstoßen, fördern und finanzieren. Es
sei gut, dass für die neue Agentur 400 Millionen
Euro bereitstehen, lobt EFI. „Aber sie muss nun
schnellstmöglich an den Start gehen, sonst nutzt
das nichts“, fordert Cantner. Ebenso wichtig sei
die Ausbildung junger Experten: Weil händerin-
gend Spezialisten gesucht würden, brauche
Deutschland dringend mehr Studiengänge zur
Cybersicherheit. Die müsse schnell in die duale
IT-Ausbildung integriert werden. B. Gillmann

FuE Chinas Ausgaben
für Forschung und
Entwicklung haben
sich seit 2000 auf
496 Milliarden Dollar
2017 verfünfzehn-
facht. Das ist Platz
zwei hinter den USA
und im Verhältnis zum
BIP mehr als in der
EU. China ist der
größte Exporteur von
forschungsintensiven
Gütern.

Publikationen 2018
zählte China 355 000
wissenschaftliche
Publikationen – das
war erstmals mehr als
die USA. Die Exzel-
lenzrate der Publika-
tionen stieg auf 9,
Prozent. Das ist mehr
als in Japan und Süd-
korea, in Deutschland
sind es knapp 11 Pro-
zent, in den USA 13.

Patente Mit fast
52 000 transnationa-
len Patentanmeldun-
gen lag China 2017
vor Deutschland
(30 000) und hinter
den USA (64 000)
und Japan (54 000).
Chinas transnationale
Patentanmeldungen
konzentrieren sich auf
IT-Technologien.

Stichwort

Wirtschaft & Politik


DONNERSTAG, 20. FEBRUAR 2020, NR. 36
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