Jens Koenen, Katharina Kort
Frankfurt, New York
F
ür Oscar Munoz steht
fest: Er will keinen Passa-
gier dazu zwingen, in ein
Flugzeug der Boeing-Bau-
reihe 737 Max einzustei-
gen. „Wir werden sehr transparent
sein, welche Modelle wir fliegen, und
wenn ein Passagier nicht in eine 737
Max einsteigen will, dann buchen wir
ihn um – kostenlos“, stellte der Chef
der US-Fluggesellschaft United Air-
lines kürzlich klar. Auch Konkurrent
Southwest Airlines will Gratisumbu-
chungen anbieten.
Seit März darf die 737 Max nicht
abheben. Innerhalb von sechs Mona-
ten waren zwei Jets des Typs abge-
stürzt und hatten 346 Menschen in
den Tod gerissen. Mittlerweile ist
klar, dass eine fehlerhafte Software-
steuerung die Hauptursache war.
Boeing soll das Flugzeug mit zu gro-
ßer Eile entwickelt, eigene Sicher-
heitsanforderungen missachtet und
die US-Luftfahrtaufsicht FAA nicht
ausreichend über technische Ände-
rungen informiert haben.
Niemals zuvor wurde ein Flugzeug
wegen Konstruktionsmängeln so lan-
ge aus dem Verkehr gezogen wie die
737 Max. Doch es zeichnet sich ab,
dass das Zwangs-Grounding allmäh-
lich zu Ende geht. Laufen alle Tests
der Behörden wie geplant, könnte
das Flugzeug im Januar oder Februar
in den USA und in Europa wieder zu-
gelassen werden. Die Airlines haben
deshalb begonnen, sich auf die Rück-
kehr des Kurz- und Mittelstreckenjets
vorzubereiten, von dem rund 4 600
bestellt sind.
Vertrauen ist beschädigt
Es ist eine Herkulesaufgabe. Die lang-
wierige Beseitigung der Fehler und
die Enthüllung immer neuer Details
über das, was bei Boeing schiefgelau-
fen ist, haben das Vertrauen vieler
Passagiere in das Flugzeug zutiefst er-
schüttert. In den sozialen Netzwer-
ken und in Vielfliegerforen machen
viele Verbraucher keinen Hehl da-
raus, dass sie den Jet nicht mehr be-
treten wollen.
Und längst nicht alle Fluggesell-
schaften haben die Möglichkeit, den
Kunden Alternativen anzubieten.
United etwa verfügt mit rund 1 300
Flugzeugen über eine gewaltige Flot-
te. Viele der Strecken, auf denen die
Max eingesetzt werden wird, werden
mehrfach am Tag bedient – auch mit
anderen Flugzeugmodellen. Eine
Umbuchung der Passagiere ist also
kein großes Problem. Dagegen betrei-
ben zum Beispiel der Ferienflieger
Tuifly oder die Lufthansa-Beteiligung
Sunexpress deutlich kleinere Flotten.
Sie bedienen vor allem touristische
Strecken, die nicht mehrfach am Tag
geflogen werden.
Eine interne Umbuchung auf einen
anderen Flug fällt also flach. Dass die
Airlines einen Wechsel zu anderen
Fluggesellschaften anbieten, gilt als
ausgeschlossen. Wer hier einen Flug
bucht und feststellt, dass das einge-
setzte Flugzeug eine Max ist, wird im
Zweifel woanders ein Ticket kaufen
müssen.
Ohnehin kann keine Fluggesell-
schaft garantieren, dass der Passagier
am Ende nicht doch in einer Max sit-
zen wird. Kurzfristige Flugzeugwech-
sel sind im Luftfahrtgeschäft an der
Tagesordnung. Fällt irgendwo ein
Flugzeug aus, wird umgeplant.
Deshalb setzen viele Fluggesell-
schaft vor allem auf eine intensive
Aufklärungskampagne. Damit wollen
sie ihren Kunden klarmachen, dass
die Max nach der monatelangen
Überarbeitung und der intensiven
Überprüfung durch zahlreiche Flug-
aufsichten rund um den Globus zu
den sichersten Jets gehören wird.
„Keine Airline kann es sich leisten,
ein Flugzeug einzusetzen, von dessen
Sicherheit man nicht absolut über-
zeugt ist“, heißt es bei Tuifly. „Uns
bleibt nur, auf absolute Transparenz
gegenüber unseren Kunden zu set-
zen“, erklärt eine Sprecherin von
Sunexpress.
Doch das ist nicht so einfach. Den
Airlines fehlen Informationen von
Boeing. Vieles steht noch nicht fest –
etwa die genauen Anforderungen,
die die Aufsichtsbehörden für den
Betrieb der 737 Max vorschreiben
werden. Dazu zählen zum Beispiel
die Vorgaben für die Simulatorentrai-
nings der Piloten, aber auch War-
tungsvorschriften.
Wie sehr das Flugzeug seit dem
Grounding unter die Lupe genom-
men wurde, zeigen Aussagen von
Boeing-Chef Dennis Muilenburg bei
der Anhörung vor dem US-Kongress.
Seit März wurden rund 100 000 Ent-
wicklungs- und Teststunden in die
737 Max investiert. 814 Testflüge ha-
ben stattgefunden, dazu zahllose Sit-
zungen und Treffen mit 545 Teilneh-
mern von 99 Kunden und 41 Mitar-
beitern von Regulierungsbehörden.
Doch das reicht nicht. Wer als Pas-
sagier in die Max steigt, will wissen,
was verändert wurde, um zu verhin-
dern, dass die Software die Piloten
überstimmt und das Flugzeug zu Bo-
den drückt. Und es muss so erklärt
werden, dass es auch Laien verste-
hen und glauben.
Begleitend zu den Fakten werden
die Airlines daher auf „Testimonials“
setzen. Bei den ersten Flügen mit der
wieder zugelassenen Max etwa bei
Tuifly und Sunexpress werden die
Topmanager mit an Bord sein. Auch
die Piloten und die Kabinenmitarbei-
ter sollen helfen, das Vertrauen in
das Flugzeug wiederherzustellen.
„Unsere Umfragen zeigen, dass es
erheblichen Widerstand der Kunden
geben könnte, die 737 Max wieder zu
besteigen“, sagt Henry Harteveldt,
der Präsident der Beratungsgesell-
schaft Atmosphere Research Group.
„Es ist nicht nur die Aufgabe der
Fluggesellschaften, das Vertrauen
wiederherzustellen. Die FAA und
Boeing sind dafür genauso verant-
wortlich“, ist der Experte überzeugt.
Nur wenn diese verständliche Infor-
mationen lieferten, würden sich Pas-
sagiere überzeugen lassen.
„Sie können das Problem nicht mit
einer Hochglanz-Werbekampagne
oder mit WLAN oder größeren Ge-
päckfächern lösen“, sagt Harteveldt.
Er glaubt auch nicht, dass es hilft,
wenn Manager mitfliegen. Vor allem
die Piloten müssten gut geschult wer-
den, und das an teuren Simulatoren
und nicht über Computerkurse.
Nur Transparenz hilft
„Es ist nicht der richtige Zeitpunkt,
um an der Schulung zu geizen“, sagt
der Berater. Harteveldt glaubt aber,
dass die Aufgabe lösbar ist. Wenn Air-
lines, Aufsicht und Boeing ihren Job
richtig machen, dann könne die 737
Max schon binnen einem Jahr wieder
als ein ganz normales Modell wahrge-
nommen werden.
Allerdings dürfe es bei der 737 Max
zu keinen technischen Problemen
mehr kommen. „Die 737 Max ist die
Kardashian der Flugzeuge. Sie steht
unter ständiger Beobachtung“,
mahnt Harteveldt in Anspielung auf
die Kardashian-Familie, die ihr Leben
im Fernsehen öffentlich machte.
Die Vertrauensarbeit ist aber nicht
die einzige Herausforderung. Eine
andere ist die operative Wiederein-
gliederung des Jets. In einem ersten
Schritt wird Boeing wohl die bereits
in Dienst befindlichen Flugzeuge
nachrüsten und zurückgeben. Da-
nach folgen die seit dem Grounding
gebauten, aber vorerst zwischenge-
parkten Jets.
Rund 300 Flugzeuge des Typs 737
Max hat Boeing mittlerweile auf dem
Hof stehen. Sie alle müssen sukzessi-
ve mit den technischen Änderungen
versehen und ausgeliefert werden.
Boeing will das möglichst schnell ma-
chen. Dabei steht der Konzern unter
verschärfter Beobachtung. Die Feh-
ler, die Boeing bei der Entwicklung
machte, werden auch auf einen zu
hohen Druck zurückgeführt, den das
Management auf die Belegschaft aus-
übte. Eine Wiederholung dieses Feh-
lers kann sich Boeing nicht leisten.
Ohnehin wäre die Wiedereinfüh-
rung der 737 Max im Januar oder
Februar für die Airlines denkbar un-
günstig. Ende März beginnt in
Europa der Sommerflugplan. Recht-
zeitig dafür gleich mehrere neue
Flugzeuge „einzuflotten“ gilt als na-
hezu unmöglich. Das Desaster bei
der 737 Max wird also noch bis in
den Sommer Folgen haben.
Boeing 737 Max
Rückkehr mit vielen
Fragezeichen
Airlines bereiten sich auf den Neustart des Unglücksjets
vor – eine Herkulesaufgabe, denn es mangelt an
Informationen.
Geparkte 737-Max-Jets im US-Bundesstaat Washington: Ein Ende des Flugverbots rückt näher.
AFP
Es könnte
erheblichen
Widerstand
der Kunden
geben,
die 737 Max
wieder zu
besteigen.
Henry Harteveldt
Präsident Atmosphere
Research Group
Die 737 Max dominiert
Bestellte und noch nicht ausge-
lieferte Boeing-Flugzeuge
nach Baureihe
HANDELSBLATT Quelle: Unternehmen
Daten per Ende September 2019
Boeing 737
4 592
19
105
433
556
747-
„Jumbo“
„Dream-
liner“
Max
767
777
787
Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 6. NOVEMBER 2019, NR. 214
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