Handelsblatt - 16.10.2019

(Nancy Kaufman) #1
Von der Türkei unterstützte
Rebellen in Syrien: Der
Einsatz wird international
stark kritisiert.

dpa

Ozan Demircan Istanbul


A


uch Fußballspiele sind
politisch geworden. Zu-
mindest, wenn die Tür-
kei spielt. Beim Spiel
Frankreich gegen die
Türkei am Montagabend konnte man
gut beobachten, wie sich die Inter-
vention des türkischen Militärs und
die anhaltende Kritik des Westens an
diesem Einsatz auf die Gesellschaft
des Landes auswirken. Nach Abpfiff
stellten sich mehrere Spieler der tür-
kischen Mannschaft vor den Gäste-
block und salutierten.
Der Gruß galt dem türkischen Mili-
tär, das derzeit einen umstrittenen
Kampfeinsatz in Nordsyrien unter-
nimmt. Fast die ganze Welt kritisiert
die türkische Führung wegen der In-
tervention. Kurz vor Abpfiff kündig-
ten die USA Sanktionen gegen die
Türkei an. Doch in weiten Teilen der
türkischen Gesellschaft sorgt das
nicht für Unmut – sondern für einen
ausufernden Patriotismus.
Meral Aksener, Chefin der türki-
schen Oppositionspartei Iyi Parti,
zeigte ein Foto der salutierenden
Fußballspieler auf ihrem Twitter-Ac-
count, versehen mit den Worten:
„Wie glücklich, wer sich Türke nen-
nen darf.“ Über 10 000 Menschen ge-
fiel dieser Beitrag, mehr als bei ande-
ren Tweets der Politikerin. Der neue
oppositionelle Bürgermeister Istan-
buls, Ekrem Imamoglu, zeigte dassel-
be Foto auf seinem Twitter-Account
und wünschte der Nationalmann-
schaft damit viel Erfolg.
„Ihr seid der Stolz der schönsten
Nation“, schrieb eine Nachrichten-
moderatorin auf Instagram. Die regie-
rungsnahe Zeitung „Yeni Safak“ listet
bereits die Waffen auf, auf die das tür-
kische Militär im Falle eines erweiter-
ten Exportverbots zurückgreifen kön-
ne. „Die Waffenembargos der Euro-
päer treffen das türkische Militär
nicht“, ist die Zeitung überzeugt.
Anlass ist ein türkischer Militärein-
satz in Nordsyrien. Die türkische
Führung in Ankara will dort Milizen
der YPG, die Ankara für ein Synonym
de Terrorgruppe PKK hält, von der
Grenze vertreiben. In der Region soll
außerdem eine Sicherheitszone für
bis zu zwei Millionen syrische Flücht-
linge aus der Türkei entstehen.
Was im eigenen Land auf große
Unterstützung stößt, sorgt internatio-
nal für Streit. Die USA verhängten am
Montagabend (Ortszeit) Sanktionen
gegen die Türkei. So steigen die Zölle
auf Stahl auf 50 Prozent, außerdem
wurden zwei Ministerien und drei
Minister mit Sanktionen belegt. Die
türkische Lira reagierte bislang gelas-
sen auf die Strafmaßnahmen.

VW zweifelt an der Türkei


Nicht nur politisch ist die Türkei zu-
nehmend isoliert. Der Autobauer
Volkswagen, der ein neues Werk in
der Türkei bauen möchte, vertagte
die offizielle Entscheidung auf unbe-
stimmte Zeit. „Die gegenwärtige Lage
beobachten wir sorgfältig und bli-
cken mit Sorge auf die derzeitige Ent-
wicklung“, erklärte ein Sprecher
dem Handelsblatt.
Niedersachsens Ministerpräsident
Stephan Weil (SPD) hat sich mit uner-
wartet klaren Worten gegen den Bau
eines VW-Autowerks in der Türkei
ausgesprochen. „Ich kann mir per-
sönlich nicht vorstellen, dass unter
diesen Bedingungen Volkswagen ein
Milliardenengagement in der Türkei
eingehen kann“, sagte der SPD-Politi-

ker am Dienstag vor Journalisten.
Die Außenminister der EU-Staaten
hatten die türkische Militäroffensive
in Nordsyrien bei einem Treffen in
Luxemburg zuvor scharf verurteilt.
Die Intervention gefährde die Stabili-
tät und Sicherheit in der ganzen Re-
gion und führe zu einem noch grö-
ßeren Leiden von Zivilisten und zu
weiteren Vertreibungen. Ein Waffen-
embargo oder Sanktionen wurden
aber nicht beschlossen.
Der außenpolitische Sprecher der
Unionsfraktion, Jürgen Hardt, äußer-
te sich skeptisch zu möglichen Sank-
tionen. „Sanktionen gegen die Tür-
kei, einen Nato-Partner, wären kon-
traproduktiv. Wir brauchen eine
stabile und starke Türkei an der Süd-

Ost-Flanke der Nato“, sagte der CDU-
Politiker. „Den Einsatz zu kritisieren
ist das eine, Maßnahmen, die die
Türkei schwächen, wären etwas ganz
anderes.“ Der CDU-Außenexperte
und Vorsitzende des Auswärtigen
Ausschusses des Bundestags, Norbert
Röttgen, hatte zuvor wegen der türki-
schen Offensive einen kompletten
Rüstungsexportstopp für den Nato-
Partner gefordert.

Assad profitiert vom Chaos


Der türkische Präsident Recep Tayy-
ip Erdogan lässt sich beim Syrienein-
satz von politischen und militäri-
schen Zielen leiten. Politisch ist er ge-
schwächt, nachdem die Opposition
bei den Kommunalwahlen Erfolge er-
zielt hat. Insbesondere die Wahl-
schlappe in Erdogans Heimatstadt Is-
tanbul war eine Demütigung. Hinzu
kommen 3,6 Millionen syrische
Flüchtlinge, die in der Bevölkerung
für Unmut sorgen: In Gebieten mit
hoher Flüchtlingsdichte stiegen die
Mieten und Konsumpreise an, außer-
dem kam es zu sozialen Spannun-
gen. Der oppositionelle Bürgermeis-
ter Istanbuls erklärte im Juli, die Sy-
rer hätten die Demografie seiner
Stadt zerstört.
Mit dem Einsatz will Erdogan end-
gültig einen Keil zwischen die Kurden
in der Region treiben, von denen nur
ein geringer Teil bisher mit der Ter-
rorgruppe PKK oder ihrem Syrienab-
leger YPG sympathisiert.
Sollte Erdogan in Syrien erfolgreich
sein, würde das seiner Popularität
nutzen. Scheitert er mit seiner Strate-
gie der Unnachgiebigkeit, dürfte die
Stimmung im Volk schnell kippen.
Militärisch zeichnet sich ein er-
folgreicher türkischer Einsatz ab. Die
YPG-Milizen wurden schon aus eini-
gen Regionen verdrängt. Sie suchten
Schutz bei Syriens Präsident Baschar
al-Assad. Dessen Truppen fielen am
Dienstag in die Stadt Manbidsch na-
he Aleppo ein. Diese war bis vor
Kurzem von YPG und US-Truppen
gehalten worden.
Auf Bildern im Internet ist zu se-
hen, wie syrische und russische Sol-
daten sowie Söldner verlassene US-
Wachposten übernehmen. Andere
Videos zeigen, wie russische und
amerikanische gepanzerte Fahrzeu-
ge nahe Manbidsch in entgegenge-
setzte Richtungen aneinander vor-
beifahren. Ein Syrienberater des
russischen Präsidenten erklärte,
Wladimir Putin werde eine Konfron-
tation mit türkischen Truppen nicht
dulden.


Kommentar Seite 29



Sanktionen


Die Türkei gerät in


die Isolation


Die anhaltende Kritik sorgt im Land für Solidarität.


Internationale Partner und Konzerne wenden sich ab.


Ich kann mir


ein Türkei-


Engagement


persönlich nicht


vorstellen.


Stephan Weil
VW-Aufsichtsrat

Türkische Fußballer:
„Stolz der Nation.“ dpa

Wirtschaft & Politik


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MITTWOCH, 16. OKTOBER 2019, NR. 199


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