Barbara Gillmann Berlin
E
igentlich ist es eine Erfolgs-
geschichte: Seit Jahren
steigt die Zahl der auslän-
dischen Studenten in
Deutschland. Im Winterse-
mester 2017/18 gab es 282 000 Studie-
rende aus dem Ausland an deutschen
Hochschulen – zehn Jahre zuvor waren
es erst 178 000. Sie gelten als die äu-
ßerst wertvolle Ressource für den Ar-
beitsmarkt, da sie nicht mühsam aus
dem Ausland angeworben werden
müssen, sondern am Ende des Studi-
ums Land und Sprache bereits kennen.
Auch international steht Deutsch-
land bei der Attraktivität für ausländi-
sche Studenten OECD-weit auf einem
sehr guten 4. Rang, lobt die Industrie-
länderorganisation. Das liege nicht
nur am guten Preis-Leistungsverhält-
nis. Während anderswo vielfach hohe
Gebühren anfallen, ist das Studium
hierzulande fast kostenlos. Daneben
seien in der Bundesrepublik aber
„auch die Möglichkeiten für Auslän-
der, während des Studiums zu arbei-
ten und nach dem Studium in
Deutschland zu bleiben, sehr gut“,
heißt es bei der OECD.
Hohe Abbrecherquote
Die Lage ist also gut, könnte aber
noch viel besser sein. Denn viele Aus-
länder geben auf: 2016 brachen nach
Angaben des Deutschen Akademi-
schen Austauschdienstes 45 Prozent
der ausländischen Bachelor-Studen-
ten ihr Studium ab, im Master waren
es 29 Prozent. Das ist deutlich mehr
als bei den Einheimischen, wo 28 be-
ziehungsweise 19 Prozent nicht zu En-
de studierten.
Ein Grund ist vielfach mangelnde
Integration von Anfang an: Denn ein
großer Teil der Ausländer beginnt
das Studium bereits mit einem Fehl-
start. Nach einer Studie des Stifter-
verbands und des Studenten-
Finanzdienstleisters Fintiba treffen
fast 40 Prozent der ausländischen
Studenten nicht rechtzeitig zu Semes-
terbeginn in Deutschland ein. Das lie-
ge vor allem daran, dass sie die Zulas-
sung erst kurz zuvor erhalten und
dann noch lange auf Visa warten
müssen. 18 Prozent kämen sogar
mehr als zwei Wochen zu spät und
verpassen so die Einführungsveran-
staltungen. De facto könnte der Anteil
der Zuspätkommer sogar noch höher
liegen, denn die Autoren gingen da-
von aus, dass sie am ersten Tag der
Gültigkeit ihres Visums einreisen.
Basis für die Analyse der Fehlstar-
ter waren Daten von 899 Studieren-
den der Fintiba-Datenbank. Das Un-
ternehmen bietet ausländischen Stu-
denten online Hilfe für den Weg nach
Deutschland – wie etwa Kranken-,
Einreise- und Mietkautionsversiche-
rung und vor allem Sperrkonten für
den Finanzierungsnachweis.
Wenn Studenten abbrechen, scha-
det das nicht nur ihnen selbst – die
Hochschulen müssen Nachrücker be-
nennen, Wohnheime Zimmer neu
vergeben, und der Wirtschaft gehen
möglicherweise wertvolle Fachkräfte
verloren. Die Autoren empfehlen den
Hochschulen daher dringend, Zulas-
sungsbescheide mindestens 90 Tage
vor Semesterbeginn zu versenden.
„Nur so kann ein Studienstart gelin-
gen“, sagt Stifterverbandsexperte Ma-
thias Winde. Denn Ausländer bräuch-
ten wegen der vielen Behördengänge
und der Wohnungssuche viel mehr
Zeit als Inländer.
Weil jedoch an vielen Hochschulen
die Bewerbungsfristen erst drei Mo-
nate vor Semesterstart enden, „soll-
ten sie entsprechende Kontingente
für internationale Studierende be-
reits im Vorfeld abstecken und diese
früher informieren, wie es einige
Hochschulen bereits tun“, sagt Win-
de. Die Länder Bremen und Nieder-
sachsen zeigen, dass es schnell gehen
kann: Dort hatte der Studie zufolge
lediglich ein Drittel der Ausländer
weniger als drei Monate Zeit zwi-
schen Zulassung und Studienbeginn.
In Sachsen, Nordrhein-Westfalen und
Berlin galt das für zwei Drittel.
Die meisten Studenten aus dem
Ausland kommen von außerhalb der
EU: Mittlerweile stellen sie drei Vier-
tel der ausländischen Studenten – vor
zehn Jahren waren es noch zwei Drit-
tel (siehe Grafik). Die meisten kom-
men aus China (37 000), Indien
(17 000) und Russland (11 000).
Daneben drängen die Autoren da-
rauf, dass die Wartezeiten für Visa
dringend gesenkt werden müssten.
Dazu müsse Deutschland die Ausstat-
tung in den Botschaften der deutlich
gestiegenen Nachfrage nach Visa an-
passen und zudem die Zusammenar-
beit zwischen den Vertretungen und
den Ausländerbehörden im Inland,
die den Visa zustimmen müssen, ver-
bessern. Städte, Studentenwerke und
Hochschulen müssten auch besser
zusammenarbeiten, um ausländische
Studenten bei der für sie besonders
schwierigen Wohnungssuche zu un-
terstützen.
Ein großes Problem ist die Sprache:
Heute sind fast sieben Prozent aller Stu-
diengänge auf Englisch. Nach Daten
des Studentenwerks waren zuletzt je-
doch fast 40 Prozent der ausländischen
Studenten „überwiegend englischspra-
chig“. Fast ein Fünftel kommt ganz oh-
ne Deutschkenntnisse. Und „selbst Stu-
dierende mit guten Deutschkenntnis-
sen stoßen etwa in Behörden schnell
an ihre Grenzen“, mahnt der Stifterver-
band. Daher sollten Hochschulen und
Behörden die nötigen Formulare auch
auf Englisch bereitstellen. Es könne
auch nicht sein, dass selbst die Daten-
bank der Kultusminister zur Bewer-
tung ausländischer Bildungsnachweise
nur in Deutsch verfügbar ist.
Studium
Hürden für ausländische Studenten
Akademiker aus anderen Ländern gelten als wertvolles Potenzial für die Wirtschaft. Doch allzu viele
erleben einen Fehlstart: Sie kommen zu spät, weil sie zu lange auf Zulassung und Visa warten müssen.
Hochschulen
sollten
Zulassungen
an Ausländer
mindestens 90
Tage vor Start
des Semesters
versenden.
Mathias Winde
Stifterverband
Stabiler Trend
Zahl der Studenten in Deutschland aus dem Ausland
7 3 250
aus
EU-Ländern
208 750
aus Nicht-
EU-Ländern
282 000
HANDELSBLATT • Jeweils zum Wintersemester
2007/’08 2017/’
Quelle: Destatis
300 000
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FU Berlin: Die Zahl aus-
ländischer Studierender
an deutschen Universi-
täten nimmt zu.
Florian Gaertner/photothek.net
Wirtschaft & Bildung
MITTWOCH, 16. OKTOBER 2019, NR. 199
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