Handelsblatt - 16.10.2019

(Nancy Kaufman) #1
Annett Meiritz, Martin Greive, Sha Hua, Donata
Riedel Washington, Berlin, Peking

I


n den Jahren nach der Finanzkrise war der
Internationale Währungsfonds (IWF) sehr
glücklich über den Gleichklang der Welt-
wirtschaft: Fast alle Länder verzeichneten
stetig kräftigere Wachstumsraten. Vor allem
China, wo das Wachstum meist stärker ausfiel als
erwartet, zog die Weltwirtschaft aus der Finanzkri-
sen-Depression.
Zehn Jahre später ist Gleichklang für die IWF-
Ökonomen Anlass zur Sorge. „Die Weltwirtschaft
befindet sich in einem synchronen Abschwung“,
lautet der erste Satz im neuen Weltwirtschaftsaus-
blick. Selbst auf China ist nicht mehr Verlass. Zum
dritten Mal in diesem Jahr korrigiert der IWF seine
Prognose nach unten: von 3,2 auf 3,0 Prozent.
Gegenüber der Juli-Prognose werden alle Regio-
nen laut IWF weniger stark wachsen: Sowohl die
Gruppe der Industriestaaten als auch die der
Schwellen- und Entwicklungsländer werden jeweils
0,2 Prozentpunkte weniger stark wachsen.
Deutschland ist besonders von der schwächelnden
globalen Konjunktur betroffen. Statt mit 1,7 rechnet
der Fonds für 2020 nur noch mit 1,2 Prozent
Wachstum, 2019 werden es nur 0,5 Prozent sein.
Wer schuld an der Malaise ist, ist für den IWF
ziemlich klar: US-Präsident Donald Trump. War-
nungen vor einer „anhaltenden Unsicherheit in Be-
zug auf die Handelspolitik“ ziehen sich wie ein ro-
ter Faden durch den Bericht des IWF. Doch auch
wenn Trump mit seiner protektionistischen Politik
den Abschwung maßgeblich ausgelöst hat, zeigt
vor dem IWF-Treffen Ende dieser Woche alle Welt
auch auf Deutschland.
Europas größte Volkswirtschaft besitze als eines
der wenigen Länder ausreichend finanziellen Spiel-
raum, um sich mit höheren staatlichen Ausgaben
gegen einen Abschwung zu stemmen, findet der
IWF, finden Länder wie die USA oder Frankreich
und finden auch viele Ökonomen. Doch die Bun-
desregierung weist die Kritik zurück. „Die gesamt-
staatlichen Bruttoanlageinvestitionen sind 2018 um
8,7 Prozent gestiegen und damit deutlich stärker
als die Staatsausgaben insgesamt und das Bruttoin-
landsprodukt“, heißt es in einem internen Papier
des Bundesfinanzministeriums, das dem Handels-
blatt vorliegt.
Vor 21 Monaten hatte Trump die ersten Strafzölle
eingeführt, damals zunächst auf Waschmaschinen
und Solarmodule aus China. Anfänglich als schnel-
les Druckmittel gedacht, sind Handelsschranken
auf Stahl, Technik oder Kleidung nun Dauerzu-
stand. Würden die Strafzölle zwischen den USA
und China nicht aufgehoben, warnt der IWF, droht
das globale Bruttoinlandsprodukt um 700 Milliar-
den US-Dollar zu schrumpfen. Doch schon jetzt hat
der Handelskonflikt den Welthandel hart ausge-
bremst. Nach einem Wachstum von 3,6 Prozent im
Jahr 2018 werde die globale Wirtschaft diesem Jahr
mit drei Prozent deutlich geringer wachsen.

Deutschland: starke Abkühlung


Volkswirtschaften wie Deutschland mit ihrem auf
Export ausgerichteten Geschäftsmodell sind von
Zöllen und dem damit einhergehenden schwäche-
ren Welthandel besonders betroffen. Fast zehn Jah-
re lang war die deutsche Wirtschaft ununterbro-
chen gewachsen, 2018 noch um 1,5 Prozent. 2019
dagegen wird zum Abschwungjahr. Sollte die Wirt-
schaft wie schon zuvor im zweiten auch im dritten
Quartal geschrumpft sein, würde Deutschland
auch offiziell in einer Rezession stecken.
Nur dank des noch halbwegs starken Jahresbe-
ginns wird die Wirtschaft Gesamtjahr 2019 über-
haupt wachsen. Übereinstimmend erwarten der
IWF, die Industrieländerorganisation OECD, die
Wirtschaftsforschungsinstitute und auch die Bun-
desregierung für dieses Jahr ein Plus von 0,5 Pro-
zent.
Für das nächste Jahr sind die Prognosen wieder
deutlich optimistischer. So erwartet der IWF im-
merhin ein Plus von 1,2 Prozent. Das Bundeswirt-
schaftsministerium senkt in der Herbstprojektion
die Wachstumsprognose für 2020 zwar von 1,5 auf
1,0 Prozent, wie das Handelsblatt aus Regierungs-
kreisen erfuhr. Gemessen an diesem Jahr wäre das
allerdings eine Verdopplung.
Jedoch gehen diese Prognosen davon aus, dass

Trumps Zölle


lasten auf der Welt


Die von den USA angestoßenen Handelskonflikte sind die


Hauptursache für den globalen Abschwung. Aber beim IWF-Treffen


diese Woche wird alle Welt auch auf Deutschland zeigen.


Container in Qingdao:
Der Welthandel leidet.

AFP

Truck in den USA:
Die US-Wirtschaft
profitiert von der
Steuersenkung.

AFP

Titelthema


Sorgen um die Konjunktur


MITTWOCH, 16. OKTOBER 2019, NR. 199


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