Der Spiegel - 26.10.2019

(backadmin) #1
»Von allen Dingen, die uns geschadet
haben, war die Umfrage am schlimmsten«,
wird Lauterbach am Ende sagen.
Bei der vorletzten Konferenz der Tour
in Dresden fügt Saskia Esken ihren beiden
Sätzen zur GroKo plötzlich einen weiteren
Satz hinzu: »Die GroKo hat keine Zukunft.
Mit der GroKo baut man keine Zukunft.
Wir müssen da raus – aber bitte mit Plan.«
Im Taxi in die Dresdner Innenstadt er-
zählt Lauterbach, dass er Kevin Kühnert am
nächsten Tag für dessen Einmischung in der
»taz« angreifen werde, die massive Einmi-
schung für Esken und Walter-Borjans. Alle
anderen Kandidaten fluchen darüber, und
sie empören sich, dass die beiden das lä-
chelnd mitmachen. Dies sei gegen den Geist
des Verfahrens. Unter ihnen kursiert auch
das Gerücht, Kühnert solle Generalsekretär

der Angriff auf Kühnert in der »taz« ge-
zündet hat. Er findet den Artikel und ist
enttäuscht. Seine Zitate klingen völlig
harmlos. »Der Angriff ist verpufft!« Jetzt
müsse er noch mal nachlegen. Auch Wal-
ter-Borjans wolle er noch mal für seine Wi-
schiwaschihaltung zur GroKo angreifen.
In München angekommen, hat er einen
»Bild«-Reporter am Apparat, der Angriffe
gegen Walter-Borjans gern nehmen würde.
Aber anders, als er es sich am Vormittag vor-
genommen hatte, verzichtet Lauterbach.
Stattdessen lobt er den Idealismus der Mit-
glieder. »Der Vorsitzende kritisiert nicht den
Unterlegenen, sondern dankt denen, die ihn
gewählt haben«, sagt er in einem Café in
Bahnhofsnähe. Er habe seine Strategie noch
mal überdacht. Walter-Borjans Heuchelei
vorzuwerfen würde diesen erstens unnötig

Die letzte Regionalkonferenz wird ihre
beste. Sie kommunizieren klar, erhalten
viel Applaus, werden vom Publikum häu-
fig befragt. Beim Abschlussfoto der Kan-
didaten im Biergarten des Löwenbräukel-
lers halten sie sich fest im Arm. Sie wirken
glücklich. Wenn bei diesem Prozess alles
organisch liefe, kämen sie ins Finale, sagt
Lauterbach auf der Rückreise.
Wenige Tage vor der Auszählung sitzt
er wieder in einem Berliner Restaurant.
Er wirkt weniger aufgebracht als auf den
letzten Metern. Was die Einmischung von
Kevin Kühnert angehe, müsse er sagen: So
funktioniere es eben. »Wir sind nicht im
Kirchenchor und nicht im Ethikseminar,
sondern in der Politik.«
Wenn sie mit ihren Positionen die Partei
überzeugen konnten, dann spiele diese

werden, sollten seine Lieblinge gewinnen.
Man sehe an all dem auch, sagt Lauterbach,
wie volatil die Lage der Partei sei. Dass eine
kleine Gruppe Jusos den Kurs und den Vor-
sitz der Partei bestimmen könne. Anderer-
seits könne er sich nicht vorstellen, dass ein
30-jähriger Juso-Messias jemanden zum Par-
teivorsitzenden machen könne, der nicht
mehr politisch aktiv sei und den kaum je-
mand kenne. Mit einer Partnerin, die auch
keiner kenne. Dann wäre er jedenfalls über-
rascht von der Partei.
Am nächsten Morgen startet Lauter-
bach von Dresden mit dem ICE Richtung
München. Es ist die letzte Reise seiner
Kandidatur. Im Stehbistro holt er seine
Plastikbox mit selbst gemixter Müslimi-
schung hervor, die er mit einem Orangen-
saft aus dem Bistro einweicht. Vorher
schaut er kurz auf seinem Handy nach, ob

aufwerten, und zweitens würde er selbst wir-
ken wie einer, der fürchtet zu verlieren. Er
wolle nicht verbittert enden.
Das sei ein häufiger Fehler in der Politik:
»Dass man aus einem Unrechtsempfinden,
aus einer Kränkung heraus emotional han-
delt und Fehler macht.« Es müsse so wir-
ken, als ob er das Amt bereits innehabe.
Am Morgen vor der letzten Konferenz
sitzen Scheer und er mit kleinen Augen in
der Hotellobby. »Eine furchtbare Nacht«,
sagt Lauterbach. Er hat in irgendeinem
Bumshotel direkt neben dem Bahnhof ge-
schlafen. In den Zimmern um ihn herum war
die Hölle los. Scheer hat in Berlin noch bis
zwei Uhr nachts an einem Podcast für ihre
Kampagne gearbeitet, und weil sie die letzte
Konferenz auf keinen Fall verpassen wollte,
ist sie um vier aufgestanden und war schon
vor dem Sicherheitspersonal am Flughafen.

Einmischung keine Rolle. Und wenn sie
nicht gewählt werden, dann seien ihre Posi -
tionen eben nicht mehrheitsfähig in der
SPD. Das sage dann auch etwas aus über
die Partei.
Und was wird nun aus der Fliege?
»Ich werde sie ausschleichen lassen«,
sagt Lauterbach. »Weil das ist heute ein-
fach nicht mehr zeitgemäß.« Die Klei-
dungsnormen seien ja immer lockerer ge-
worden. Wenn man da noch mit der Fliege
rumrenne, wirke das zunehmend befremd-
lich. »Alles hat seine Zeit.«

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Deutschland

DER SPIEGEL Nr. 44 / 26. 10. 2019

Video
Unterwegs mit
Karl Lauterbach
spiegel.de/sp442019lauterbach
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