Der Stern - 26.09.2019

(Romina) #1

Die Frauen, die Sie gerade aufgezählt ha-


ben, haben alle immer an der Sache ge-


arbeitet. Petra Kelly hat, meiner Ansicht


nach, die Werte der Grünen bis heute am


besten vertreten. Viele, die danach kamen,


ob das Jürgen Trittin oder Joschka Fischer


waren, die habe ich als Leute empfunden,


die Umweltthemen mehr als Mittel be-


nutzten. Vielleicht finde ich mich deshalb


in der Reihe, weil auch ich immer an der


Sache interessiert war, immer am Inhalt,


am Verändern. Ich habe in den jeweiligen


Positionen immer versucht, die Dinge zu


erreichen, für die ich die ganze Zeit ge-


kämpft habe – selbst wenn ich angeblich


„die Seiten gewechselt“ habe.


Sie meinen, weil Sie nach Greenpeace,


Umweltministerin in Niedersachsen und


elf Jahren als SPD-Abgeordnete im Bun-


destag als Direktorin für Umwelt und


Gesellschaft bei der Kreuzfahrtreederei


Aida Cruises anheuerten und heute die


Costa Group beraten. Greenpeace und


Kreuzfahrt – viele sagen: ein Wider-


spruch. Was sagen Sie?


Ich fand immer, wir müssen an Lösungen


arbeiten. Wir haben angefangen mit einem


Plagiat des „Spiegel“ auf chlorfreiem


Papier, um zu zeigen, dass man auf chlor-


frei gebleichtem Papier drucken kann. Wir


haben gezeigt, dass man Kühlschränke


ohne FCKW bauen kann, und die Weltge-


meinschaft hat das Montreal-Abkommen


innerhalb von drei Jahren umgesetzt und


so das Ozonloch verringert. Wir haben


damals schon gezeigt, dass man Ein-Liter-


Autos bauen kann.


Wir waren bei Kreuzfahrtschiffen! Soll-


te man die nicht komplett verbieten?


Hat uns Verbieten schon mal irgendwas ge-
bracht? Ich denke nur mal an das Alkohol-
verbot. Da haben die Leute angefangen,
den Alkohol selbst zu brennen. Also, ich
bin an Lösungen interessiert, und das
heißt, es gibt viele Industrien, die man
besser machen kann. Die Kreuzfahrt ist ein
Teilbereich davon.
Nämlich wie?
Der erste Schritt war der Anschluss der be-
stehenden Schiffe an erneuerbaren Land-
strom und das LNG-Schiff.
Eins, das mit Flüssiggas fährt.
Der zweite Schritt ist derzeit, aus erneuer-
barem Strom synthetischen Kraftstoff zu
machen. „Power to Liquid“, das plant auch
Lufthansa-Chef Carsten Spohr für seine
Flugzeuge. Erprobt werden etwa Brenn-
stoffzellen und Batterien. Wir haben schon
andere Dinge verändert – im Einkauf für
Aida darauf geachtet, dass Einrichtungen
und Lebensmittel ökologischer sind, dass
große Gebinde mit weniger Verpackung
eingekauft werden und Plastik reduziert
wird. All das habe ich dort angestoßen, und
man sieht, dass dies für die gesamte Schiff-
fahrt ein Weg ist, um wegzukommen
vom ...
... Schweröl.
Auch vom Diesel. Das wird die ganze
Schifffahrt verändern, die ja auch bislang
immer noch die ökologischste Art und
Weise ist, Waren zu transportieren.
Dann hätte Greta also auch mit einem
von Ihnen ausgestatteten Kreuzfahrt-
schiff nach New York fahren können?
Ich finde, sie hätte genauso gut fliegen
können. Es wären bloß zwei Economy-
Tickets für ihren Vater und sie nötig ge-

wesen, aber der Segeltrip hat natürlich
die Aufmerksamkeit angehoben. Ob das
jetzt positiv ist oder nicht, darüber kann
man streiten. Denn so eine Sondermüll-
Yacht – da kann sie noch so toll mit Solar-
energie und Wasseraufbereitung aus-
gestattet sein – diese Kunstfaser ist ja erst
mal Schrott. Das Material kann man nicht
einmal recyceln.
Und was ist mit Flugscham?
Ach, manchmal denke ich, das sind Ablen-
kungsmanöver. Was den Umweltjüngern
früher die Cola-Dose war, ist heute das
Fliegen: Es wird als Anklagepunkt benutzt.
Fliegen verursacht immer noch nur 2,5
Prozent der CO 2 -Emission, während allein
Internet und Server weltweit schon vier
Prozent ausmachen, und wir haben so vie-
le weitere Probleme, an denen wir dringend
arbeiten müssten.
An welchen zum Beispiel?
Bodenaufbau! Der Boden bindet enorme
Mengen an Kohlenstoff, und wir verlieren
allein durch die Landwirtschaft drei- bis
sechsmal so viel, wie wieder aufgebaut
wird. Und wir brauchen neue Geschäfts-
modelle, um Rohstoffe zu erhalten. Wir sit-
zen der amerikanischen Idee auf, nur noch
Elektroautos zu bauen.
Was ist daran falsch?
Die schwedische Energieagentur hat ein-
mal ausgerechnet: Ein E-Auto wie der Tes-
la muss acht Jahre fahren, bevor er über-
haupt den Energieaufwand, der eingesetzt
worden ist für die Batterie und für den Bau
dieses Fahrzeugs, wieder reingeholt hat.
Und nach acht Jahren ist so eine Batterie
auch schon wieder hin.
Die deutschen Autokonzerne setzen
trotzdem auf E-Mobilität.
Aber so viel Rohstoffe, wie für die Produk-
tion nötig sind, haben wir gar nicht! Allein
das Kupfer zu gewinnen ist nämlich un-
glaublich schwierig. Eine Million Tonnen
Kupfer, die der Aurubis-Konzern pro
Jahr herstellt, verursachen nach meiner
Schätzung 1,8 Milliarden Tonnen Abfall in
der weltweiten Produktionskette. Das ist
neunmal so viel wie der gesamte Hausmüll
in Europa. Heute sind im Kupfererz nur
noch rund 0,3 Prozent Kupfer. Als ich mit
den Greenpeace-Kampagnen begann, da
hatte Kupfererz noch 3,5 Prozent Kupfer-
gehalt.
Woran liegt das?
Daran, dass so viel Erz eigentlich gar nicht
mehr im Boden vorhanden ist und Kupfer
lange als reine Spekulationsware einge-
kauft und gelagert wurde.
Sie schlagen also vor, dass wir uns mehr
um die Böden kümmern.
Ich halte das für ein Riesenthema. Wir ha-
ben dreimal mehr Bodenabbau durch 4

Griefahn in den
Achtzigern (o.).
Mit Booten hin-
derten Green-
peace-Leute
Tanker daran,
Gift in die Nord-
see zu kippen.
Später als Minis-
terin (r.) hatte sie
es dann mit dem
Atommüll von
Gorleben zu tun

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