Margrethe
Vestager:
Die Dänin darf
fortan als
Nummer Zwei
der EU-
Kommission
gelten.
Ruth Berschens, Till Hoppe, Eva Fischer
Brüssel
I
n den vergangenen Wochen hatte Ursula
von der Leyen intensiv an ihrer neuen
Mannschaft gebastelt: Sie tauschte sich
mit den Staats- und Regierungschefs aus
über deren Kandidaten für die neue EU-
Kommission, interviewte die Bewerber und
durchleuchtete die Arbeitsabläufe in der Brüsse-
ler Behörde. Das alles geschah unter strengster
Geheimhaltung – nur eine Handvoll enger Mitar-
beiter hielt die angehende Kommissionschefin
stets auf dem Laufenden. Selbst die von ihr vor-
gesehenen Vizepräsidenten erfuhren erst eine
Stunde vor der Pressekonferenz definitiv, welche
Aufgaben von der Leyen ihnen zugedacht hatte.
Die medienerfahrene CDU-Politikerin wollte si-
chergehen, dass ihr Auftritt vor der Öffentlichkeit
am Dienstag auch wirklich zum Paukenschlag
wird. Und das wurde er denn auch, aus gleich
zwei Gründen: Die neue Struktur mit den drei
ungewöhnlich mächtigen Vizepräsidenten Frans
Timmermans, Margrethe Vestager und Valdis
Dombrovskis sei „eine echte Überraschung“, sag-
te die CSU-Europaabgeordnete Angelika Niebler.
Und: Viele der einflussreichen Posten in der
Kommission hat die neue Präsidentin für Frauen
reserviert. Schon am Montag war klar geworden,
dass die erste Frau an der Spitze der EU-Kommis-
sion es geschafft hat, für Geschlechterparität zu
sorgen – eine Premiere. Schon damit hat sie sich
einen Platz in den Geschichtsbüchern verdient.
Die künftigen Kommissarinnen schnitten auch
bei der Aufgabenverteilung sehr gut ab. Allen vo-
ran Margrethe Vestager: Die Dänin hat sich in
den vergangenen fünf Jahren als EU-Wettbe-
werbskommissarin zum Politstar hochgearbeitet
- und das zahlt sich nun für sie aus. Ihr bisheriges
Ressort darf Vestager behalten und bekommt
noch eine wichtige Führungsaufgabe dazu: Als
„exekutive Vizepräsidentin“ soll Vestager künftig
alle politischen Aktivitäten koordinieren, die mit
Digitalisierung zu tun haben. Es gehe darum, ei-
nen „digitalen Binnenmarkt zu schaffen, für Cy-
bersicherheit zu sorgen und die technologische
Souveränität Europas zu erhalten“, sagte von der
Leyen.
Von der Leyens
Paukenschlag
Bei der Besetzung der Topjobs in der neuen
EU-Kommission geht es Präsidentin Ursula von der
Leyen vor allem um einen „Grünen Deal“ für Europa
und die Gestaltung einer neuen Digitalära.
Paolo Gentiloni
Mit Gleichgewicht
S
eine Benennung war viel-
leicht die größte Überra-
schung: Der ehemalige ita-
lienische Premier Paolo Gentiloni
wird Wirtschaftskommissar und
erhält nicht das Wettbewerbsres-
sort. Italien bekommt damit ei-
nen der wichtigsten Posten.
Mit einem Handicap: Als
Nachfolger des Franzo-
sen Pierre Moscovici
muss Gentiloni künf-
tig in einem Balance-
akt bei seinen Lands-
leuten in Rom darauf
pochen, dass das ver-
schuldete Italien den Stabi-
litätspakt einhält – keine einfache
Aufgabe trotz der neuen Regie-
rung, die proeuropäischer ist
und disziplinierter in den Ausga-
ben sein will, als es die Populis-
ten waren.
Der 64-jährige Römer stammt
aus einer adligen Familie und
studierte Politik an der römi-
schen Uni La Sapienza und war
Außenminister als Nachfolger
von Federica Mogherini, die als
EU-Außenbeauftragte nach Brüs-
sel ging. Später wurde er Premier
bis 2018 als Nachfolger von Mat-
teo Renzi. Er ist der einzige in
der neuen Kommission, der Re-
gierungschef war. Nach der Wahl-
niederlage seiner Partei Partito
Democratico (PD) gegen die Po-
pulisten saß er zuletzt als Abge-
ordneter im Parlament.
Wie genau sein Portefeuille aus-
sehen wird, ließ die künftige
Kommissionschefin Ursula von
der Leyen offen. Er wird aber we-
niger Zuständigkeiten als Mosco-
vici haben. „Wir wollten ein
Gleichgewicht an verschiedenen
Ansichten haben“, sagte sie
und dass Gentiloni eng
mit Vizepräsident Val-
dis Dombrovskis zu-
sammenarbeiten müs-
se. Außerdem gebe es
in Rom mit dem neuen
Wirtschafts- und Fi-
nanzminister Roberto
Gualtieri jemanden, der ge-
nau wisse, wie die gemeinsamen
Regeln aussehen.
Das klingt nach einem Sicher-
heitsnetz, das Brüssel spannt.
Wenn ausgerechnet die für die
Haushaltsüberwachung zuständi-
ge Behörde vom Vertreter eines
Landes geleitet wird, das im Dau-
erclinch mit Brüssel liegt, dann
zeichnen sich Konflikte ab. „Wir
sind nicht bereit, Italiens Schul-
den zu bezahlen“, twitterte schon
Wiens Ex-Premier Sebastian Kurz.
In Kürze wird Italien wieder um
mehr Flexibilität für den Haushalt
2020 bitten.
Dazu kommt, dass in Rom die
Erwartung wächst, dass die Kom-
mission die Regeln des Stabilitäts-
paktes überarbeitet. Gentiloni
wird seine ausgleichende, ruhige
Art noch brauchen. Regina Krieger
Valdis Dombrovskis
Mit Erfahrung
D
er ehemalige lettische Pre-
mierminister Valdis Dom-
brovkis ist einer der ganz
wenigen EU-Kommissare, die ihr
Ressort in einer zweiten Amtszeit
behalten können. In den vergange-
nen fünf Jahren bewältigte der
Christdemokrat ein gewal-
tiges Arbeitspensum: Er
war nicht nur für die
Haushaltsüberwa-
chung in der Euro-Zo-
ne zuständig, sondern
auch für die EU-Fi-
nanzmarktregulierung.
Das schwierige Dossier
musste er 2016 vom britischen
Finanzmarkt-Kommissar überneh-
men: Lord Jonathan Hill trat nach
dem Brexit-Referendum zurück.
Inzwischen scheint der Lette
Gefallen an der Aufgabe gefunden
zu haben. Neben dem Dossier
Wirtschaft und Währung bleibt
Dombrovskis auch für die Finanz-
marktregulierung verantwortlich –
auf eigenen Wunsch.
Dombrovskis wird einer von
drei sogenannten „exekutiven“
Vizepräsidenten der neuen EU-
Kommission sein. Neben der Prä-
sidentin Ursula von der Leyen
und ihren Stellvertretern Frans
Timmermans und Margrethe Ves-
tager zählt Dombrovskis damit zu
den mächtigsten Kommissaren an
der Spitze der Behörde.
Dombrovskis gilt in Brüssel als
fleißig und zugleich farblos. Rhe-
torisch kommt er gegen den bis-
herigen Wirtschaftskommissar
Pierre Moscovici nicht an. Trotz-
dem genießt der Lette in Fach-
kreisen ein ungleich höheres An-
sehen als der Franzose. Anders
als Moscovici studiere Dom-
brovskis sorgfältig die Ak-
ten und kenne die Fak-
ten, meinen Insider.
Das Amt des Vizepräsi-
denten brachte Dom-
brovskis bisher keine
hierarchischen Vorteile.
Er hat gegenüber Mosco-
vici keine Weisungsbefug-
nis. Der Franzose verwehrte
ihm den direkten Zugriff auf die
Generaldirektion Ecfin, in der die
für die Euro-Zone zuständigen
Kommissionsbeamten sitzen. Über
die Fiskalpolitik waren sich die
beiden oft uneins. Moscovici be-
handelte die Haushaltssünder
Frankreich und Italien großzügi-
ger als es Dombrovskis lieb war.
Im Lichte dieser Erfahrungen
wird es interessant sein, die Zu-
sammenarbeit zwischen Dom-
brovskis und dem neuen Wirt-
schaftskommissar Paolo Gentiloni
zu sehen. Moscovici konnte sich
in der Vergangenheit häufig
durchsetzen, weil er von Kommis-
sionschef Jean-Claude Juncker un-
terstützt wurde. Ob sich das mit
Ursula von der Leyen wiederholt,
bleibt abzuwarten.
Ruth Berschens
action press [M]
Jasper Juinen/Bloomberg [M]
Titelthema
Das neue Europa
(^4) MITTWOCH, 11. SEPTEMBER 2019, NR. 175