Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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30 WIRTSCHAFT & FINANZEN WELT AM SONNTAG NR. 36 8. SEPTEMBER 2019


Und sie können’s doch


Beschäftigt mehr
als 50 Mitarbeiter
Tobias John,
Geschäftsführer
EControl-Glas
in Plauen

ECONTROL-GLAS GMBH UND CO. KG

/RONNY BECHER

Es ist schon fast paradox, was in
schwarzen Lettern auf den roten Kle-
bestreifen steht. „Vorsicht, Glas!“,
heißt es dort. Als wüssten Tobias John
und seine Mitarbeiter nicht, welche
zerbrechlichen Waren sie täglich hän-
deln. Diese verarbeiten sie zu einem
weltweit noch fast einzigartigen Pro-
dukt: einem dynamischen Sonnen-
schutzglas. Dabei handelt es sich um
Verbundglas, das mit einer mikrosko-
pisch dünnen Beschichtung veredelt
ist. Diese ermöglicht, dass sich das
Glas durch eine geringe elektrische
Spannung blau verfärbt – und so die
Lichtdurchlässigkeit verringert. Das
hält nicht nur grelle Sonnenstrahlen
ab, sondern auch bis zu 90 Prozent der
von außen kommenden Wärme. In ei-
nem Opel-Werk in Ungarn sind die
Scheiben verbaut, genauso wie im
Dienstsitz des Bundespräsidenten in
Berlin. Sie stammen aus einem kleinen
Gewerbegebiet zwischen Hügeln und
Pferdekoppeln im sächsischen Plauen.
Hier hat die Firma EControl-Glas ih-

ren Sitz. „Wir haben das Nachbar-
grundstück schon reserviert, falls wir
uns vergrößern wollen“, erklärt John.
Von zwei auf mittlerweile 55 Angestell-
te ist die Zahl der Mitarbeiter binnen
zehn Jahren gewachsen.Mittlerweile
stemmt John alle Verarbeitungsschrit-
te vom Glaszuschnitt bis zur Elektro-
nik in den eigenen Hallen. Noch sind
alle Fenster Maßanfertigungen. Künf-
tig, sagt John, wolle man aber auch mit
Herstellern von Fertighäusern zusam-
menarbeiten, die das Glas aus dem
Vogtland direkt im Wohnzimmerfens-
ter einbauen könnten.
Viele Ökonomen zweifeln daran,
dass sich dieser unternehmerische
Mut auszahlt – und prophezeien dem
Osten der Republik wachsende Stand-
ortnachteile, erst recht nach dem star-
ken Abschneiden der AfD bei den
Landtagswahlen in Sachsen. „Unsere
Wirtschaftsregion wird in zehn Jahren
starke und nachhaltig anerkannte Glo-
bal Player aufweisen“, entgegnet John
den Zweiflern.

Die Statistiken zeichnen ein frustrierendes Bild der ostdeutschen Firmenlandschaft.


Dabei gibt es einige erfolgreiche Unternehmen, deren Produkte weltweit gefragt sind


TOBIAS JOHN

ittwochs hellte sich die
Stimmung immer auf.
Dann nämlich kam
Frau Brandt und füllte
den Kühlschrank nach.
„Die Motivation stieg jedes Mal schlag-
artig“, erinnert sich Michael Brandt heu-
te, 20 Jahre später. Ohne die wöchentli-
chen „Investitionen“ seiner Mutter wä-
re es schwierig geworden in den ersten
Monaten als Jungunternehmer.


VON FLORIAN GEHM
UND NANDO SOMMERFELDT

Auch die Eltern seines Geschäftspart-
ners Henry Leitmann waren wichtige
Unterstützer. Das 20 Quadratmeter gro-
ße Gästezimmer ihres Hauses war das
Büro der damals 22-jährigen Freunde.
„Es war nicht ganz die Garage wie bei
Bill Gates“, sagt Leitmann. „Aber der
spartanische Geist des Silicon Valleyspartanische Geist des Silicon Valley
wehte auch bei uns.“


DER REGION TREUDas Haus von Leit-
manns Eltern befindet sich allerdings
8539 Kilometer östlich von Albuquer-
que, dem Geburtsort von Microsoft. Es
steht in einem Dorf, in dem man unter-
nehmerische Erfolgsgeschichten eher
nicht vermutet: in Brenz, 500 Einwoh-


Bild der ostdeutschen Firmenlandschaft
zeichnen. Trotz alledem gibt es an vie-
len Stellen Aufbruchstimmung.

DEN WELTMARKT ANFÜHREN„„„WirWir
brauchen uns nicht verstecken – im Ge-brauchen uns nicht verstecken – im Ge-
genteil“, findet auch Tobias John. Seine
Hochtechnologie-Glaserei EControl
produziert Hightech im Vogtland, in
zehn Jahren will John den Weltmarkt
anführen. „Unsere Wirtschaftsregion
wird starke und nachhaltig anerkanntewird starke und nachhaltig anerkannte
Global Player aufweisen“, glaubt der 38-
Jährige. Sein Beispiel zeigt, dass die Auf-
bruchstimmung mitgetragen wird vonbruchstimmung mitgetragen wird von
der Generation der „Ossis“, die eigent-
lich gar keine mehr sind. Den Menschen,
die den größten Teil ihres Lebens im
vereinten Deutschland verbracht haben.vereinten Deutschland verbracht haben.
Und die ganz bewusst in der Heimat ge-
blieben sind, um dort – trotz aller öko-blieben sind, um dort – trotz aller öko-
nomischen Widrigkeiten – etwas aufzu-
bauen. Dabei bauen. Dabei geben sie sich nicht mit
kleinen regionalen Nischen zufrieden.
WELT AM SONNTAG hat drei Unter-
nehmer aufgesucht, die Stellvertreter
der ostdeutschen Firmen, die das ganz
große Rad drehen wollen. Ihr Ziel ist
nicht, irgendwie ein bisschen mitzumi-
schen. Ihr Ziel ist es, die Besten zu sein –
ohne die ostdeutsche Heimat verlassen
zu müssen.

M


ner, im Westen Mecklenburgs. Inzwi-
schen sind die 20 Quadratmeter längst
zu klein geworden. Doch der Region
sind Leitmann und Brandt treu geblie-
ben. Vom 30 Kilometer entfernten
Schwerin aus steuern sie einen echten
nationalen Champion: Kurzurlaub.de,
den mittlerweile größten Vermittler von
Kurzreisen in Deutschland und Öster-

reich.Brandt und Leitmann stehen für
einen neuen Typ des ostdeutschen Un-
ternehmers, der sich ausgesprochen
selbstbewusst zeigt. Und das, obwohl
bisher kein Dax-Konzern aus dem Osten
kommt, kein Vorstandschef der mächti-
gen 30 Unternehmen in den neuen Bun-
desländern geboren wurde – und die
meisten Statistiken ein frustrierendes
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