Die Welt am Sonntag Kompakt - 08.09.2019

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32 WIRTSCHAFT & FINANZEN WELT AM SONNTAG NR.36 8.SEPTEMBER2019


as nach einer Ent-
scheidung gegen
die eigenen Kinder
klingt, ist aus Sicht
von Erbrechtsex-
perte Jan Bittler eine für den Nach-
wuchs. „Eltern müssen bei ihrem Testa-
ment die Kinder aus der Erbfolge be-
wusst raushalten“, sagt der Fachanwalt
aus Heidelberg. Er ist nach mehr als 20
Jahren im Beruf ein großer Anhänger
des sogenannten Berliner Testaments,
bei dem sich die Ehepartner gegenseitig
als Alleinerben einsetzen. Die Kinder
sind erst mal draußen, kommen erst
wieder ins Spiel, wenn auch der andere
Elternteil stirbt – und das ist letztlich
im Sinne der Kinder.


VON KARSTEN SEIBEL

Das Beispiel zeigt, dass Erbrechtsfra-
gen längst nicht so simpel sind, wie vie-
le meinen, selbst wenn die Familienver-
hältnisse einfach sind: Mutter, Vater,
Kinder. Zwar gilt im Zweifelsfall die ge-
setzliche Erbfolge, doch die Fallstricke
liegen im Detail, und der größte Fehler
wäre, sich dem Gedanken zu verwei-
gern, wie es nach dem eigenen Tod wei-
tergeht. Erst recht gilt das für Eltern
minderjähriger Kinder oder bei kompli-
zierteren Familienkonstellationen.
Gibt es weder Testament oder Erb-
vertrag, greift die gesetzliche Erbfolge.
In einer klassischen Konstellation –
Ehepaar ohne Ehevertrag, zwei Kinder –
verteilt sich das Erbe beim Tod von Va-
ter oder Mutter wie folgt: 50 Prozent
gehen an den Partner, die anderen 50
Prozent verteilen sich auf die beiden
Kinder, jedes Kind erhält also 25 Pro-
zent. Der Pflichtteil liegt halb so hoch,
also bei jeweils 12,5 Prozent. Mit der
Scheidung der Eltern verschieben sich
die Anteile zugunsten der Kinder. Dann
erlischt das gesetzliche Erbrecht des
Ehegatten. Entscheidend ist dafür nicht
das Scheidungsdatum, es reicht, wenn
der Verstorbene die Scheidung bean-
tragt oder ihr zugestimmt hatte.
Gerade wenn die Familie eine Immo-
bilie hat, ist ein Testament, in dem der
eigene Wille festgelegt ist, eigentlich
Pflicht. Denn sonst kann es schnell zu
Problemen kommen. „Wenn nichts ge-
regelt ist und einer der beiden Eltern-
teile stirbt, sind die Kinder automatisch
Teil der Erbengemeinschaft“, sagt Bitt-
ler, der gleichzeitig Geschäftsführer der
Deutschen Vereinigung für Erbrecht
und Vermögensnachfolge ist, einem Zu-
sammenschluss von Anwälten, Steuer-
beratern und Testamentsvollstreckern.
Und kann dann das Haus beispielsweise
aus finanziellen Gründen nicht mehr
gehalten werden, spricht plötzlich das
Familiengericht beim notwendigen Ver-
kauf mit. „Das Gericht kontrolliert, dass
der erzielte Kaufpreis mindestens der
im Vorfeld eingereichten Schätzung ei-
nes Gutachters entspricht“, sagt Bittler.
Liegt das Preisangebot unter dem des
Gutachtens, darf das Haus nicht ver-
kauft werden.
Beim Berliner Testament dagegen,
das die Kinder zunächst von der Erbfol-
ge ausschließt, können diese, sofern sie


es darauf anlegen, zwar weiterhin ihren
Pflichtteil beanspruchen, sind aber
nicht Teil der Erbengemeinschaft. Das
ist entscheidend: Der verbliebene Ehe-
partner kann das Haus ohne Zustim-
mung des Familiengerichts verkaufen,
er muss dann nur den Kindern ihren
Pflichtteil auszahlen.
Grundsätzlich sollten Eltern nicht
nur bedenken, dass einer von ihnen
sterben könnte, sondern auch den Fall
vor Augen haben, dass beide gleichzeitig
ums Leben kommen, etwa auf einer ge-
meinsamen Reise. Dann erben in der
Regel die Kinder alles, auch bei einem
Berliner Testament. Daher sollte gere-
gelt sein, wer in einem solchen Fall als
Vormund eingesetzt wird, sofern die
Kindern noch minderjährig sind. Dieser
verwaltet nicht nur das Erbe, er küm-
mert sich vor allem um die Kinder – bei
wem sie wohnen, wo sie zur Schule ge-
hen und so weiter. Zur Bestimmung ei-
nes Vormunds reicht ein einfacher Satz
im Testament, wer Vormund ist. „Ein
verbreiteter Irrtum ist, dass ein Pate au-
tomatisch der Vormund ist“, sagt An-
walt Bittler. In Deutschland gebe es nun
einmal eine Trennung von Religion und
Staat – der Pate hat nur im religiösen
Bereich eine Funktion. Ist im Testa-
ment oder Erbvertrag kein Vormund
festgelegt, wird dieser – nach Rückspra-
che mit den Kindern und Verwandten –
formal vom Familiengericht bestimmt.
Eltern sollten nicht versäumen, mit der
Person, die sie für die Betreuung ihrer
Kinder vorgesehen haben, in Ruhe über
ihre Pläne zu sprechen. Womöglich ist
diese überhaupt nicht bereit, diese ver-
antwortungsvolle und lebensverän-
dernde Aufgabe zu übernehmen. Und:
Da sich das Verhältnis zu
Geschwistern, zu Schwager, Schwägerin
und Freunden über die Jahre verändern
kann, sollten Eltern von Zeit zu Zeit
überprüfen, ob der eingetragene Vor-
mund noch passt. Bei älteren Kindern
empfiehlt sich dies aus einem weiteren
Grund: Ist der Nachwuchs 14 Jahre alt,
kann er der Bestellung eines Vormunds
widersprechen.

VORMUND BESTELLENBittler emp-
fiehlt gerade bei größeren Vermögen,
die Aufgaben auf zwei Personen zu ver-
teilen: Eine ist als Vormund für die Er-
ziehung der Kinder zuständig, eine an-
dere als Testamentsvollstrecker für die
Verwaltung des Vermögens im Sinne
der Kinder. „Dadurch werden mögliche
Interessenskonflikte von Anfang an aus-
geschlossen“, sagt der Fachanwalt. Zum
Testamentsvollstrecker kann jeder in
einem Testament ernannt werden, eine
besondere Qualifikation ist nicht not-
wendig, häufig sind es allerdings Steuer-
berater oder Anwälte. Die Eltern kön-
nen auch festlegen, bis zu welchem Al-
ter der Kinder die Vermögensverwal-
tung andauert. „Theoretisch kann diese
das ganze Leben der Kinder bestehen
bleiben“, sagt Bittler.
Eine andere Frage ist: Reicht für El-
tern ein gemeinsames Testament oder
bedarf es eines notariellen Erbvertrags?
„Ein gemeinschaftliches Testament
können ausschließlich Ehepaare und

VVVererbenererben will


gelernt sein


Eltern sollten ein Testament


aufsetzen, selbst wenn die Erbfolge


klar ist. Sonst kann es böse


Überraschungen geben


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