heumaps0517

(Ben Green) #1

TITEL


Wohl jeder denkt mal über einen Lebenstraum
nach, der sich nicht erfüllt hat, fragt sich, an welcher
Kreuzung im Leben er möglicherweise falsch abge-
bogen ist oder warum dieser eine entscheidende Feh-
ler passieren konnte. Was wäre gewesen, wenn ich X
nicht verlassen hätte? Wo stünde ich heute, wenn ich
den Mut gehabt hätte, für den Job in eine andere
Stadt zu ziehen?
Immer, wenn wir im Möglichkeitsmodus denken


  • „Was wäre gewesen, wenn ...“ –, bemühen wir ei-
    ne essenzielle, nur dem Menschen eigene Fähigkeit:
    sich alternative Szenarien zu einer unbefriedigenden
    Wirklichkeit vorzustellen oder auch von einem bes-
    seren Ich zu fantasieren. Die Psychologie nennt die-
    se Fähigkeit kontrafaktisches Denken. Das Gefühl,
    nicht genug aus den eigenen Möglichkeiten gemacht
    zu haben oder in einer kritischen Situation die fal-
    sche oder nur die zweitbeste Entscheidung getroffen
    zu haben, kann quälend sein. Es befällt Menschen
    vor allem dann, wenn sie sich mit anderen, mit er-
    folgreicheren, berühmteren, vermeintlich glückliche-
    ren Zeitgenossen vergleichen: „Das hätte ich auch
    schaffen können, wenn ich Gesangsunterricht hätte
    nehmen können!“ Oder: „Wenn ich nicht das Studi-
    enfach gewechselt hätte, besäße ich heute auch so
    eine gutgehende Praxis.“ Oder: „Hätte ich mich schon
    vor fünf Jahren von Peter getrennt, wäre ich heute
    genauso glücklich wie meine Freundin.“ Hätte, hät-
    te, Fahrradkette.


Was wir bereuen
Was würden Menschen anders machen, wenn sie die
Weichen in ihrem Leben an einem Punkt neu stellen
könnten? Anders gefragt: Was bereuen sie am häu-
figsten?
Der Sozialpsychologe Neal Roese, Autor des Bu-
ches If Only (etwa: Wenn doch nur) hat über meh-
rere einschlägige Untersuchungen bei Tausenden
Versuchspersonen hinweg die wichtigsten Revisions-

fantasien herausgearbeitet. Sie tauchen ziemlich sta-
bil immer wieder auf, wenn Erwachsene auf ihr Le-
ben zurückblicken:
Bildung: Versäumte oder vernachlässigte Chancen
in Schule und Ausbildung werden von 32 Prozent
der Befragten genannt. Zu früh von der Schule ab-
gegangen, zu sehr anderen Interessen gefrönt, zu früh
ans Geldverdienen gedacht – das sind typische „Feh-
ler“, die Menschen bereuen. Warum wird Bildung


  • vielleicht überraschend – so häufig genannt? Weil
    sie vermutlich mehr als andere Faktoren unser wei-
    teres Leben beeinf lusst: Gute Bildung ist der Schlüs-
    sel zu besserem Einkommen, höherem gesellschaft-
    lichen Status, sie beeinf lusst aber auch Gesundheit
    und Partnerwahl.
    Beruf: Probleme bei der Berufswahl, in der Ar-
    beitsbiografie und die damit verbundenen Entschei-
    dungen werden von 22 Prozent bereut. Im „richtigen“
    Beruf findet man Sinn, Erfüllung und Anerkennung.
    Umso bedauerlicher, wenn man seine Berufung ver-
    raten hat oder auf Irr- und Abwege geraten ist. Ge-
    nannt wird aber häufig auch die Reue, wenn zu viel
    Zeit und Energie in die Karriere investiert und an-
    dere Dinge wie Liebe, Familie, Freunde vernachläs-
    sigt worden sind.
    Liebe, Intimität: 15 Prozent der Befragten emp-
    finden Reue, weil sie vermuten, in Liebesdingen ir-
    gendetwas verpasst oder eine mögliche Beziehung
    zumindest beeinträchtigt zu haben. Das Bild ist hier
    sehr inkohärent: vom Tragischen („Ich konnte meiner
    großen Liebe nicht sagen, dass ich ihn will ...“) bis
    zum Komischen („Ich habe blöderweise einen Lach-
    anfall bekommen, als er mir einen Antrag machte“).
    Elternschaft: Ob die Rolle als Eltern, schlecht oder
    gar nicht ausgefüllt wurde, war bei 11 Prozent der
    Befragten Auslöser von kontrafaktischem Denken
    und Reue. Nicht genug Zeit mit den Kindern ver-
    bracht zu haben, den Kinderwunsch nicht erfüllt
    bekommen oder darauf wegen des Berufs verzichtet
    oder auch das Kind/die Kinder zu früh in die Welt
    gesetzt zu haben – das sind oft genannte Gründe.
    Bemerkenswert findet Roese, dass niemand unter
    den Befragten bereute, Kinder zu haben.
    Psychologen haben in den letzten Jahre intensiv
    erforscht, wie uns das Grübeln über einmal getrof-
    fene Entscheidungen im weiteren Leben beeinf lussen
    und wie das dabei oft auftauchende Gefühl der Reue
    gezähmt und sogar nutzbar gemacht werden kann.
    Wie können wir die Balance finden zwischen un-
    realistischen und realistischen Wünschen? Und wie
    sinnvoll ist es, verpassten Gelegenheiten nachzu-
    trauern?


Was würden Menschen


anders machen, wenn


sie die Weichen neu stellen


könnten? Was bereuen


sie am häufigsten?

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