heumaps0517

(Ben Green) #1
ENTDECKUNG

„Überdruss-Syndrom“
nannten in Heft
10/1983 Wissen-
schaftler ein
Phänomen, das in
den Jahren danach
unter dem Begriff
„Burnout“ Karriere
machte

TRENDSETTER

Flow, was
ist das? 1992
beschrieb Mihaly
Csikszentmihalyi in
Psychologie Heute
sein Konzept, das
damals noch kaum
jemand kannte

D I A G N O S E N

Narzissmus.
Das Titelthema im
Juni 1976 ist heute
aktueller denn je



Methodik und Zugang fand ich schon als Stu-
dent faszinierend.
Wer ein bestimmtes Fachstudium absol-
viert, wird in seiner Haltung in Beruf und
Leben oftmals stark davon beeinflusst.
Ärzte etwa sind – zugespitzt formuliert –
häufig pragmatisch, Juristen können be-
sonders logisch argumentieren. Wie sollte
ein Psychologiestudium die Absolventen
idealerweise prägen?
Das ist eine ganz wichtige Frage. Mich hat als
Hochschullehrer immer die Frage fasziniert,
wie wir etwas unterrichten sollen, gemessen
an dem Faktum, dass die Halbwertszeit des
Wissens in der Psychologie in manchen Berei-
c he n u nge f ä h r b e i ac ht Ja h re n l ie g t. D a s he i ßt ,
nach acht Jahren ist die Hälfte des Gelernten
nicht mehr der letzte Stand, entweder ist es
widerlegt oder durch neues, verbessertes
Wissen abgelöst worden. Wenn jemand im Le-
bensalter von 25 bis 30 Jahren graduiert und
dann 32 Jahre tätig ist, durchläuft er diese Ver-
fallszeit viermal. Deshalb ist Weiterbildung so
wichtig, und wir müssen die Bereitschaft dazu
und die Erkenntnis, dass sie unerlässlich ist,
bereits im Studium vermitteln.
Wir müssen so ausbilden, dass man für den
Zustand von morgen, den niemand vorhersa-
gen kann, besser gewappnet ist. Mit Wissen-
schaften zu arbeiten setzt die innere Bereit-
schaft und Erkenntnis voraus, dass man es
grundsätzlich nie mit letzten Wahrheiten zu
tun hat, sondern mit einem augenblicklichen
Wissens- und Kenntnisstand, der sich laufend
ändert. Offenheit ist deshalb ganz wichtig.
Sie haben gesagt, dass die Psychologie
heute so populär ist wie nie in ihrer gut 150
Jahre alten Geschichte. In Deutschland ho-
len selbst große Nachrichtenmedien jetzt
häufig psychologische Themen aufs Titel-
blatt. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass
die Psychologie nicht die gesellschaftliche
Stimme hat, die sie haben könnte. Woran
liegt das?
Soweit ich es übersehe, haben wir in der Psy-
chologie auch immer die Zurückhaltung vor
überschnell gegebenen Aussagen gelehrt: Man
soll keine Aussage machen, ohne sie belegen
zu können. Wenn ein Psychologe das ganz
strikt handhabt, würde er sagen: „Das muss

ich erst mal untersuchen.“ Oder: „Ich muss
mal nachsehen, was es dazu an Literatur gibt.“
Solche heilsame Zurückhaltung dürfen wir
auch nicht aufgeben.
Zu zurückhaltend waren die Psychologen
allerdings mit dem Angebot und der Forde-
rung, dass Psychologie Teil der allgemeinen
Bildung werden muss. Wie kann man erwar-
ten, dass spätere politische Entscheidungsträ-
ger elementares Grundwissen über das mensch-
liche Erleben und Verhalten berücksichtigen,
wenn sie es gar nicht kennen?
Österreich ist hier insofern eine Ausnahme,
als dass dort schon um 1880 für die letzten
zwei Jahrgänge am Gymnasium Unterricht in
Psychologie und Philosophie eingeführt wur-
de – offen lassend, wie gut das war, gemessen
gar an heutigem Wissen. Dennoch: Es hat ei-
nen gewissen Einblick gegeben. Wenn einer
sich entschied, Psychologie zu studieren, war
es anders als in Deutschland kein Fach, von
dem er gar nichts wusste. Das empfinde ich als
unglaublichen Rückstand in unserer Curricu-
lumplanung, die immer noch am ganz
klassischen Bildungsideal orientiert ist.
Was sind erste Anzeichen einer beginnen-
den Major Depression? Worin unterscheidet
sich das vom Deprimiertsein? Ab wann muss
ich fachlichen Rat suchen, zum Psychologen
oder Psychiater gehen – ohne es als beschä-
mend zu empfinden? All das ist elementares
Grundwissen.

Mein dringlicher


Wunsch ist, dass


Psychologie als


notwendiges


Fachgebiet der


Allgemeinbildung


erkannt und ein


Schulfach wird


DOSSIER JUBILÄUM

Free download pdf