Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1

12 WIRTSCHAFT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER


E

s ist der fünfzehnte
Haushalt, der in der
Regierungszeit von
Bundeskanzlerin An-
gela Merkel (CDU) vom Bun-
destag diskutiert und am Frei-
tag verabschiedet werden soll.
Die für das kommende Jahr ge-
planten Ausgaben liegen um
satte 100 Milliarden Euro über
denen des Haushaltsentwurfs
2006, als der Bundesfinanzmi-
nister auch schon von der SPD
kam, aber nicht Olaf Scholz,
sondern Peer Steinbrück hieß.


VON KARSTEN SEIBEL

Fast ein Drittel der Mehraus-
gaben von 100 Milliarden Euro
gehen auf das Konto des Minis-
teriums für Arbeit und Soziales.
Der Etat des Ministeriums er-
höhte sich zwischen 2006, als
der Arbeitsminister Franz
Müntefering (SPD) hieß, und
2020 unter Hubertus Heil
(SPD) von 119,6 Milliarden Euro
auf 150,2 Milliarden Euro. Da-
hinter folgt das Verteidigungs-
ministerium. Dessen Etat er-
höhte sich um 17,2 Milliarden


Euro auf 45,1 Milliarden Euro,
damals hieß der Minister Franz
Josef Jung (CDU), heute die
Ministerin Annegret Kramp-
Karrenbauer.
Prozentual am deutlichsten
zugelegt hat das Gesundheits-
ministerium: Jens Spahn (CDU)
darf im kommenden Jahr drei
Mal mehr Geld ausgeben als Ul-
la Schmidt (SPD), die im ersten
Merkel-Kabinett das Ressort
verantwortete – statt 4,6 Milli-
arden Euro sind es mittlerweile
15,4 Milliarden Euro. Die Ausga-
ben für Bildung und Forschung
haben sich immerhin mehr als
verdoppelt: Annette Schavan
(CDU) musste noch mit acht
Milliarden Euro auskommen,
Anja Karliczek (CDU) hat 18,
Milliarden Euro zur Verfügung.
Sehr viel größer ist auch der
Topf des Innenministeriums im
Verlauf der 15 Haushaltsjahre
geworden. Dies liegt aber auch
an dem veränderten Zuschnitt.
Der Bereich Bau gehört erst seit
dem Vorjahr zum Innenministe-
rium, in der ersten Merkel-Re-
gierung war er noch Teil des
Verkehrsministeriums, zwi-
schenzeitlich auch mal des Um-
weltministeriums.
Die langfristige Perspektive
macht zweierlei deutlich: Zum
einen, wie gut es dem Bund und
damit auch Deutschland mitt-
lerweile geht. 2006 boomte die
Wirtschaft auch – dass es wenig

später zu einer Finanz-, Ban-
ken- und Euro-Krise kommen
sollte, wusste damals noch nie-
mand –, doch es war wesentlich
weniger Geld da, um es auszu-
geben. Für den 2006er-Haus-
halt musste sich Finanzminis-
ter Peer Steinbrück noch 38
Milliarden Euro leihen, um
überhaupt alle Ausgaben abde-
cken zu können. Olaf Scholz
kommt – auch dank der Auflö-
sung von Rücklagen, die in den
vergangenen guten Wirt-
schaftsjahren gebildet werden
konnten – im Jahr 2020 erneut
ohne neue Schulden aus.
Die Zahlen zeigen aber auch,
dass Deutschland die sprudeln-
den Einnahmen kaum genutzt
hat, um in die Zukunft des Lan-
des zu investieren. Der Anteil
der Ausgaben des Bundes im
Bereich soziale Sicherung liegt
damals wie heute bei 51 Prozent
des Gesamthaushalts. Die In-
vestitionen haben sich in abso-
luten Zahlen zwar fast verdop-
pelt, von 23 Milliarden Euro auf
43 Milliarden Euro. Ihr Anteil
an den Gesamtausgaben ging
allerdings nur leicht von neun
auf zwölf Prozent nach oben.
Schon in den vergangenen
Jahren steckte Deutschland we-
niger Geld in Straßen und
Schienen als viele andere euro-
päische Länder. Gemessen am
Bruttoinlandsprodukt (BIP)
waren es laut Eurostat 2,4 Pro-

zent. Zum Vergleich: Im EU-
Durchschnitt waren es 2,9 Pro-
zent. Und dies kommt nicht nur
durch kleine osteuropäische
Länder wie Ungarn (5,8 Pro-
zent) und Lettland (5,4 Pro-
zent). Auch der Nachbar Frank-
reich lag 2018 mit Investitionen
in Höhe von 3,4 Prozent des
BIP deutlich vor Deutschland.
Seit Monaten gehören die In-
vestitionen zum Hauptstreit-
punkt der Haushaltspolitiker in
Berlin. So war es auch in der
jüngsten Haushaltsdebatte im
Bundestag. Olaf Scholz vertei-
digte den Haushalt 2020: Die
Bundesregierung steigere die
Investitionen etwa für mehr
Klimaschutz, gebe mehr Geld
für soziale Aufgaben aus und
verringere steuerliche Lasten,
sagte Scholz. „Ich finde, das ist
eine gute Leistung.“ Es sei der
Anfang der Haushalte des
nächsten Jahrzehnts, die es
schafften, dass Deutschland ein
soziales Land werde, um den
technologischen Wandel zu be-
herrschen und den menschen-
gemachten Klimawandel aufzu-
halten, fügte der Mann hinzu,
der gerade um den SPD-Partei-
vorsitz kämpft.
Die Opposition warf der Re-
gierung erneut eine verfehlte
Haushaltspolitik vor. Der FDP-
Haushaltspolitiker Otto Fricke
sagte, der Bund gebe zu wenig
Geld für Bildung oder digitale

Infrastruktur aus. „Wir werden
mit einem solchen Haushalt
keine Zukunft bauen können.“
Die leichte Erhöhung des Etats
für Bildung und Forschung ge-
genüber dem Vorjahr gleiche
nicht einmal die Inflation aus.
Mit Blick auf die Stichwahl um
den SPD-Parteivorsitz sagte
Fricke, es gehe nicht um die
Frage, Deutschland nach vorne
zu bringen, sondern darum, ei-
ne Partei zu erhalten, damit die
große Koalition weiterwursch-
teln könne. Der AfD-Politiker
Peter Boehringer kritisierte, die
Regierung wirtschafte auf Kos-
ten kommender Generationen.
Die Koalition profitiere massiv
von den niedrigen Zinsen, die
von der Europäischen Zentral-
bank festgelegt werden. Ohne
die Notenbank hätte die Regie-
rung nicht ansatzweise einen
ausgeglichenen Haushalt vorle-
gen können. Die Linke-Abge-
ordnete Gesine Lötzsch sagte,
die Ungleichheit in Deutsch-
land wachse schneller als in an-
deren europäischen Ländern.
Sie forderte eine gerechtere
Steuerpolitik und eine Abkehr
von der Politik der „schwarzen
Null“, einem Haushalt ohne
Neuverschuldung.
Die Grünen-Politikerin Anja
Hajduk sprach von einer struk-
turellen Lücke im Haushalt von
15 Milliarden Euro, vor allem,
weil Scholz rund zehn Milliar-
den Euro aus der sogenannten
Asylrücklage entnommen habe.
Sie kritisierte vor allem das Kli-
maprogramm der Regierung. Es
sei „zu klein, sozial unausgewo-
gen und wird kaum Wirkung
entfalten“. Für Bildung, Klima
und digitale Wirtschaft benöti-
ge es „ein ganz anderes Volu-
men und ganz andere Impulse“.
Hajduk forderte ein 100-Milliar-
den-Programm für Klimainves-
titionen in den kommenden
vier Jahren. Dafür müsse man
sich nicht einmal von der
Schuldenbremse verabschie-
den, nur von der schwarzen
Null. Der Unterschied ist: Die
schwarze Null verbietet gene-
rell die Aufnahme neuer Schul-
den, die Schuldenbremse er-
laubt dagegen bis zu einem ge-
wissen Grad neue Schulden.
Aus den Reihen der großen
Koalition hält man davon we-
nig. Unionshaushälter Eckhardt
Rehberg (CDU) wies den Vor-
wurf mangelnder Investitionen
zurück: „Wir haben in unserem
Haushalt kein Investitionspro-
blem, wir haben ein Umset-
zungsproblem“, so Rehberg.
Das liege auch an fehlenden
Planungskapazitäten vor Ort
und einem zu aufwendigen
Baurecht. Immer neue Schul-
den zu fordern, sei sinnlos, so
lange in Deutschland ein paar
Fledermäuse immer noch große
Bauvorhaben um Jahre verzö-
gern könnten, weil die Tiere
erst umgesiedelt werden müss-
ten. Auch SPD-Haushälter Jo-
hannes Kahrs betonte, die Ko-
alition sorge dafür, dass in
Deutschland mehr investiert
werde. Noch will sich dies nicht
recht in den Zahlen zeigen.

1 00 Milliarden mehr in 15 Jahren


Der 2020er-Haushalt ist der fünfzehnte von Bundeskanzlerin Angela Merkel.


Die Bilanz zeigt: Deutschland geht es prima – die Frage ist nur, wie lange noch


Schulden des öffentlichen Gesamthaushalts in Deutschland

Quelle: Statista, BMF, Statistisches Bundesamt

Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Prozent

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Maastricht-Regel: �� Prozent

Quelle: Eurostat

Frankreich
Niederlande
Großbritannien
Deutschland
Spanien
Italien
Europäische Union

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Deutschland bei Investitionen hinter der EU-Konkurrenz
Investitionen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt ���� in Prozent

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Quelle: Eigene Recherchen

Arbeit und Soziales
Verteidigung
Verkehr und digitale Infrastruktur*
Bildung und Forschung
Gesundheit
Innen-, Bau und Heimat*
Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Entwicklung
Sonstige
Gesamt

Mehr Ausgaben vor allem für Soziales und Gesundheit

*heutiger Zuschnitt, ���� gehörte Bau nicht
zum Innen-, sondern zum Verkehrsministerium

Ausgabenvergleich im Haushalt der wichtigsten Ministerien
in Mrd. Euro

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Mrd. €
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Quelle: Eigene Recherchen









 

 

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Sozialausgaben übersteigen Investitionen um Längen
Ausgaben für Soziale Sicherung und Investitionen im Vergleich

Anteil an den Gesamtausgaben des Bundes
in Prozent

Ausgaben Soziale Sicherung
in Mrd. Euro

Anteil an den Gesamtausgaben des Bundes
in Prozent

Ausgaben Investitionen des Bundes
in Mrd. Euro

Verein für Grab- und Denkmalpflege e.V.
Einberufung zur Jahreshauptversammlung am
27.12.2019, 13.00 Uhr in den Geschäftsräumen
Isabellenstr. 4–6, 50678 Köln.
Tagesordnung:1. Geschäftsbericht


  1. Entlastung des Vorstandes

  2. Allgemeines


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