Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1
Kurz zuvor war Wirtschafts-
minister Cardona von der Poli-
zei zum Verhör einbestellt wor-
den. Galizia hatte im Januar
2017 in ihrem Blog geschrieben,
Cardona be-
finde sich der-
zeit in einem
Bordell in Vel-
bert bei Düs-
seldorf – im
Rahmen einer
Dienstreise
nach Deutsch-
land. Der Mi-
nister hatte
die Vorwürfe
bestritten und
Galizia verklagt. Bis zu ihrer Er-
mordung war das zivilrechtli-
che Tauziehen um die Bericht-
erstattung nicht beendet.
Minister Cardona wurde be-
reits wenige Monate nach der
Tat von verschiedenen Medien
im Zusammenhang mit den
Mordermittlungen genannt. So
war der Politiker mehrfach in
einer kleinen Bar in Siggiewi ge-
sehen worden, in der sich auch
einer der Mordverdächtigen
aufhielt. Cardona erklärte,
nichts mit der Tat zu tun zu ha-
ben, von den Ermittlern wurde
er damals nicht weiter befragt –
bis zum vergangenen Wochen-
ende. Auch da beteuerte er er-
neut seine Unschuld, trat nun
aber doch zurück. Er halte dies
„im Blick auf die nationalen In-
teressen“ für seine Pflicht, ließ
der Minister verlauten.
Galizias Familie hofft nun,
dass der Mord endlich aufge-
klärt wird und die Hintermän-
ner doch noch zur Rechen-
schaft gezogen werden. „Wir
kommen der Gerechtigkeit in
diesen Tagen ein Stück näher.
Gerechtigkeit im Blick auf den
Mord an Daphne und Gerech-
tigkeit im Blick auf die krimi-
nellen Machenschaften, die sie
enthüllte“, sagte Galizias
Schwester Corinne Vella im Ge-
spräch mit WELT.
Mit dieser Hoffnung steht sie
nicht allein. Zum vierten Mal
innerhalb von einer Woche ver-
sammelten sich am Dienstag
Tausende Menschen vor dem
Parlament in der Hauptstadt
Valletta, um gegen die Regie-
rung und korrupte Geschäfte zu
demonstrieren.
In der Vorwoche saß Justiz-
minister Owen Bonnici nach ei-
ner Parlamentssitzung in sei-
nem Auto fest und wurde von
den Demonstranten nicht
durchgelassen. Die Wut der
Malteser, sie nimmt angesichts
der Ereignisse der vergangenen
Tage weiter zu. „Daphne hatte
recht“, so lautet einer der meist-
verwendeten Slogans in den so-
zialen Medien. Und: „Muscat
muss weg.“ Der Premierminis-
ter weigert sich bislang beharr-
lich, seinen Posten zu räumen.
In dieser aufgeladenen Situa-
tion sorgte ein landesweiter
Stromausfall am Dienstagnach-
mittag für zusätzliches Chaos
auf Malta. Für den einen oder
anderen vielleicht die letzte
Chance, um sich klammheim-
lich aus dem Staub zu machen.

Seit dem Mord
kam Malta nicht
zur Ruhe. Immer
wieder protestier-
ten Menschen
gegen Korruption

- wie im April
2 018 nach einer
Messe für die
Ermordete


A

ufeinmal geht alles
ganz schnell. In den
fffrühen Morgenstun-rühen Morgenstun-
den wird am Dienstag
Keith Schembri von maltesi-
schen Polizisten zum Mord an
Daphne Caruana Galizia be-
fffragt. Wenig später gibt die Re-ragt. Wenig später gibt die Re-
gierung in Valletta bekannt:
Der Mann, immerhin Kabi-
nettschef der Regierung von
Premierminister Joseph Mus-
cat, ist zurückgetreten. Kurz
darauf fahren Beamte an
Schembris Anwesen in Mellie-
ha im Norden der Insel vor und
verschaffen sich Zutritt.


VON TIM RÖHN

Am Nachmittag dann die
nächste spektakuläre Entwick-
lung: Auch die beiden Minister
Konrad Mizzi (Energie und
Tourismus) und Chris Cardona
(Wirtschaft) stellen ihre Ämter


Tourismus) und Chris Cardona
(Wirtschaft) stellen ihre Ämter


Tourismus) und Chris Cardona


mit sofortiger Wirkung zur Ver-
fügung – ein Rücktrittsreigen,
der an Dominospiele erinnert.
Der 26. November 2019 könnte
als Wendepunkt in die Ge-
schichte des kleinsten Mitglied-
staates der Europäischen Uni-
on (EU) eingehen. Als der Tag,
an dem die Straflosigkeit end-
lich ein Ende hatte.
VVVor etwas mehr als zwei Jah-or etwas mehr als zwei Jah-
ren, am 16. Oktober 2017, war
mit Galizia Maltas bekanntes-
te Journalistin mit einer Auto-
bombe ermordet worden.
Jahrzehntelang hatte sie über
Korruption in der politischen
und wirtschaftlichen Elite der
Mittelmeerinsel geschrieben,
sie war seit jeher beschimpft,
bedroht und attackiert wor-
den; geschützt hatte sie nie-
mand.


Seit der Wahl der sozialde-
mokratischen Labour-Partei im
Jahr 2013 enthüllte Galizia, wie
sich Regierungsmitglieder mit
schmutzigen Geschäften die
Taschen füllten. Sie gehörte zu
den Enthüllerinnen der
„Panama Papers“ und wurde
vom Politmagazin „Politico“ als
„One-woman Wikileaks“ gefei-
ert. Galizia war es, die in ihrem
Blog „Running Commentary“
aufdeckte, dass die nun zurück-
getretenen Mizzi und Schembri
Offshore-Firmen hielten, mit
denen sie heimlich Schmiergel-
der hätten kassieren sollen.
Sie schrieb – wenige Monate
vor ihrem Tod – auch über eine
in Dubai registrierte Firma na-
mens „17 Black“, die für korrup-
te Deals von Regierungsbeam-
ten eingerichtet worden sei.
Obwohl Galizia immer wieder
Beweise für ihre Behauptungen
veröffentlichte, wurden die ge-

nannten Personen von der mal-
tesischen Justiz nicht belangt.
„Die Situation ist hoffnungs-
los“, schrieb Galizia in ihrem
Blog, nur wenige Minuten be-
vor sie getötet wurde.
Die Ermittlungen zum Mord
an der Journalistin verliefen bis
vor wenigen Tagen schleppend.
Zwar waren schon zwei Monate
nach der Tat drei Männer fest-
genommen worden, die die
Bombe unter dem Fahrersitz
des Autos platziert und gezün-
det haben sollen. Aber die drei
Kleinkriminellen hatten mit der
Journalistin nichts zu tun, sie
hatten kein Motiv außer Geld,
das ihnen bezahlt wurde. Die ei-
gentliche Frage, die niemand be-
antworten konnte oder wollte,
lautete: Wer hatte den Auftrag
gegeben, Daphne Caruana Gali-
zia aus dem Weg zu schaffen?
Die drei Söhne Galizias reis-
ten immer wieder nach Straß-
burg und Brüssel und baten EU-
Politiker, Druck auf die Regie-
rung in Valletta auszuüben. Es
war der Europarat, der mit dem
Niederländer Pieter Omtzigt
schließlich einen Sonderbericht-
erstatter in diesem Fall einsetz-
te. Omtzigt zog im Sommer die-
ses Jahres ein erschreckendes
Fazit: Auf Malta herrsche ein
Klima der Straflosigkeit, die Jus-
tiz arbeite nicht unabhängig von
der Regierung, die Mordermitt-
lungen würden nicht mit dem
nötigen Aufwand betrieben.
Omtzigt kritisierte auch das
VVVerhalten von Mizzi underhalten von Mizzi und
Schembri scharf, ihre Offshore-
Deals. Er forderte die Regierung
in Valletta zum Handeln auf,
aaaber der Druck aus Straßburgber der Druck aus Straßburg
änderte nichts – das bewirkte
erst eine polizeiliche Untersu-

chung in einem ganz anderen
Fall. Vor einer Woche nahmen
maltesische Beamte einen Taxi-
fffahrer namens Melvin T. imahrer namens Melvin T. im
Rahmen einer Razzia wegen
Geldwäsche fest. Der Verdächti-
ge wartete mit einer Überra-
schung auf: Er wisse, wer hinter
dem Mord an Galizia stecke und
wwwürde seine Geheimnisse preis-ürde seine Geheimnisse preis-
geben, sofern er im Gegenzug
fffür seine Geldwäschevergehenür seine Geldwäschevergehen
nicht belangt werde.
Die Sache wurde öffentlich,
und Premierminister Muscat
entschied, sich auf den Handel
einzulassen. Es begann ein rea-
ler Krimi. Nur zwei Tage nach
der Festnahme des Taxifahrers
versuchte einer der mächtigs-
ten Unternehmer Maltas, im
Morgengrauen mit seiner Yacht
in Richtung Italien zu fliehen.
Sicherheitskräfte fingen ihn auf
dem Meer ab und eskortierten
ihn zurück an Land.
Es handelt sich um Yorgen F.,
den Besitzer der Firma „
Black“, über die Daphne Carua-
na Galizia berichtet hatte. Ihm
wird vorgeworfen, in den Mord
an der Journalistin verwickelt
zu sein. Bislang ist unklar, ob
der Taxifahrer Melvin T. den
Geschäftsmann mit seinen Aus-
sagen belastet hatte.
Fakt ist: Yorgen F. kam kurz
nach seiner Festnahme frei,
wurde dann aber wieder inhaf-
tiert. Auch er will nun einen
Deal mit den Behörden ma-
chen: Straffreiheit gegen Infor-
mationen über die wahren Hin-
termänner des Verbrechens.
Am Montag, so erfuhr WELT
aus maltesischen Justizkreisen,
soll F. dann die Namen von
mehreren hochrangigen Politi-
kern genannt haben.

AFP

/ MATTHEW MIRABELLI

Mächtige fallen wie Dominosteine


Zwei Jahre nach


dem Mord an der


Journalistin


Daphne Caruana


Galizia löst dieser


ein politisches


Beben auf Malta


aus – eben noch


Unantastbare


werden


reihenweise


verhaftet


18 REPORT DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER

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