Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1

KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER2019 SEITE 20


E

in „bahnbrechendes
Werk über die Politik
seit dem Ende des Kal-
ten Kriegs“ nennt Geor-
ge Soros zu recht Ivan Krastevs
und Stephen Holmes’ gerade er-
schienenes Buch „Das Licht, das
erlosch“. Die dreißig Jahre seit
dem Fall der Berliner Mauer sind
für Krastev und Holmes das
„Zeitalter der Nachahmung“.

VON WOLF LEPENIES

Es ist die Epoche, in der die
Anziehungskraft der liberal-de-
mokratischen Gesellschaft west-
licher Prägung immer schwächer
wird und am Ende der „Illibera-
lismus“ triumphiert. Die Beför-
derer und Nutznießer dieser Ent-
wicklung heißen Viktor Orbán,
Jarosław Kaczyński, Vladimir Pu-
tin, Donald Trump und Xi Jin-
ping. Mittel- und Osteuropa war
der Erfahrungsraum, in dem
Krastev und Holmes ihre gesell-
schaftspolitischen Analysen ent-
wickelten. Beide waren Fellows
am Berliner Wissenschaftskolleg,
Stephen Holmes 1991/2, als er
sich mit der Gründung neuer
Parteien in den post-kommunis-
tischen Ländern beschäftigte,
Ivan Krastev 1999/2000 als Mit-
glied einer „Agora“ genannten
Gruppe junger Wissenschaftler,
die einen Ausblick in das neue
Millenium wagten.
Krastev und Holmes nennen
ihr Buch „Eine Abrechnung“. Mit

Blick auf die Entwicklungen in
Mittel- und Osteuropa fällt die
Abrechnung besonders scharf
aus. Auf der Anklagebank findet
sich die Nachahmungspolitik, die
im Namen des nach 1989 trium-
phierenden Liberalismus die
postkommunistischen Länder
zur „pauschalen Nachahmung
des Westens“ verpflichtet habe.
Krastev und Holmes sehen darin
ein neues Kapitel in der „Unter-
ordnung Mitteleuropas unter
ausländische Lehrer und Inquisi-
toren“ und erkennen im Stil der
vom Westen oktroyierten Nach-
ahmungspolitik „eine schaurige
Ähnlichkeit mit den Wahlen der
Sowjetzeit“.
Auch wenn Krastev und
Holmes mit dem Satz schließen,
„Es liegt an uns, zu feiern, statt
zu trauern“, hat die Metapher
des „erloschenen Lichts“ etwas
Fatalistisches an sich. Dabei hellt
sich die politische Landschaft in
Mittel- und Osteuropa gerade
auf: In Polen hat die nationalkon-
servative PIS die Mehrheit im Se-
nat verloren, in Ungarn hat die
Opposition bei den Kommunal-
wahlen in großen Städten, nicht
zuletzt in Budapest, die Mehrheit
gewonnen und in Russlands Zi-
vilgesellschaft wächst die Bereit-
schaft zum offenen Protest.
Am Abend des 9. November
1989 verschmähten die Fellows
des Wissenschaftskollegs das üb-
liche Donnerstag-Dinner und
brachen zur Mauer auf – über-

PICTURE ALLIANCE/ JOKER

/ GEORGE POPESCU/ EST&OST

Nein, das


Licht in


Osteuropa


ist nicht


erloschen


In Ländern wie Polen und Ungarn hat


der Westen nicht mehr viel zu melden.


Ihre liberale Arroganz verschreckt.


Das ist die These von Ivan Krastevs


und Stephen Holmes. Unser Autor


teilt diesen Pessimismus nicht.


Eine Erinnerung an Erfahrungen in


Mittel- und Osteuropa nach 1989


MODESCHÖPFER

Joop ist bald
museumsreif

Der Modeschöpfer, Maler,
bildende Künstler und Autor
Wolfgang Joop (75) will im
Potsdam-Museum Werke sei-
nes Schaffens präsentieren. Es
habe ein erstes Treffen gege-
ben, sagte Christine Homann,
Sprecherin der Stadt Potsdam.
Um einen konkreten Termin
sei es noch nicht gegangen.
Gezeigt werden sollen Ölge-
mälde, Skulpturen, aber auch
Mode und Filme der Moden-
schauen, hieß es.

LITERATUR

Académie de Berlin
ehrt Annie Ernaux

Die französische Schriftstel-
lerin Annie Ernaux ist mit dem
Prix de l'Académie de Berlin
2019 geehrt worden. Die 79-
Jährige erhielt den mit 5000
Euro dotierten Preis für ihre
„hochmoderne, gewagte, meis-
terlich komponierte Literatur,
die von Klassenkämpfen, den
Zumutungen kultureller Diffe-
renz und der Emanzipation der
Frauen erzählt“, wie es hieß.

KOMPAKT


D


eutschlands Landwirte
haben sich in Berlin zu
einer beeindruckenden
Traktor-Leistungsschau ge-
troffen. Viele kamen von weit
her und hatten bei der Anreise
eine besorgniserregende CO 2 -
Bilanz aufzuweisen. Die Bau-
ern wollten aber nicht nur ihre
Trecker zeigen, sondern gegen
die Agrarpolitik der Regierung
protestieren. Immer wieder
wurde darauf hingewiesen,
dass ohne Bauern nichts läuft,
auf Plakaten hieß es: „Wir ma-
chen euch satt“. Das geht aller-
dings an der Lebenswirklich-
keit vieler Menschen vorbei,
denn sie sehen Bauern nur
noch in der Fernsehwerbung
für irische Butter oder können
sie auf RTL dabei beobachten,
wie sie Sexualpartner suchen.
Die Bauern überschätzen ihre
eigene Bedeutung. Der Ver-
braucher kann heutzutage sei-
nen gesamten Nahrungsmit-
telbedarf im Supermarkt de-
cken und fragt sich, warum
muss man Schweine in viel zu
enge Ställe einsperren, wenn
billiges Fleisch in jedem Kühl-
regal zu finden ist? Agrarindus-
trieministerin Klöckner erklär-
te, sie setze wie immer auf
Freiwilligkeit: „In diesem Land
wird niemand gezwungen,
Bauer zu werden.“

Zippert


zappt

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