Die Welt Kompakt - 27.11.2019

(Michael S) #1
suchte. Dabei gab es durchaus
verschiedene Wege. Der preußi-
sche Soldatenkönig Friedrich
Wilhelm I. legte es auf „Lange
Kerls“ an, die ihm jedoch zu
kostbar waren, sie dem eisernen
WWWürfelspiel des Kriegsglücksürfelspiel des Kriegsglücks
auszusetzen. Es reichte ihm,
wenn seine Grenadiere den
Staat und seine Herrlichkeit
„considerabel“ machten.
AAAugust der Starke sah das an-ugust der Starke sah das an-
ders und, so heißt es, tauschte
bereitwillig zwei Riesen gegen
zzzwei chinesische Vasen. Derwei chinesische Vasen. Der
Preuße wollte seine Provinzen

Der Bruststern des
polnischen Weißen Adlerordens in den
Abmessungen 15,5 mal 15,5 Zentimeter
wurde zwischen 1746 und 1749
von Goldschmied Jean Jacques Pallard
(1701-1776) aus Brillanten,
Rubinen, Gold, Silber geschaffen

S

eit Anfang der Woche
gibt es in den West-
endquartieren Lon-
dons, wo der interna-
tionale Kunsthandel zu Hause
ist, nur ein Thema: Der Raub
der Juwelen August des Starken
aus dem Grünen Gewölbe im
Dresdner Schloss, wo ein Maxi-
mum an Sicherheit zu gelten
schien und nunmehr ein Maxi-
mum an Fragen bleibt. Die ent-
wendeten Schmuckstücke sind,
diesmal nicht in der Werbespra-
che, sondern tatsächlich „price-
less objects“, ihr Wert ist mit
Geld nicht zu bestimmen. Sie
sind europäische und deutsche
Geschichte vom Besten. Ihr
Raub ist eine Vergewaltigung.


VON MICHAEL STÜRMER

Ein so minutiös geplantes
und kaltblütig exekutiertes Un-
ternehmen wie der Raub aus
dem Grünen Gewölbe kann kei-
ne Gelegenheitsarbeit sein. Der
AAAblauf, soweit schon kriminal-blauf, soweit schon kriminal-
technisch rekonstruierbar, deu-
tet auf ein präzise durchgeplan-
tes Unternehmen hin, auf einen
oder mehrere Auftraggeber, ei-
nen Ort der grenznahen Aufbe-
wahrung und erhebliches Kapi-
tal, das in dieses Unternehmen
investiert wurde. Dass die ge-
raubten Objekte auf dem Markt
unverkäuflich sind, weil perfekt
dokumentiert und publiziert,
hat den Auftraggeber offenbar
nicht abgehalten. Es bleibt zu
hoffen, dass die Diamanten
nicht umgeschliffen, Gold und
Silber nicht zertrümmert und
eingeschmolzen werden. Diese
Schätze sind, außer an ihrem ge-
schichtlichen – und erst seit we-
nigen Wochen rekonstruierten –
Platz in der Tat unverkäuflich.
WWWer sie besitzt, lebt gefährlich.er sie besitzt, lebt gefährlich.
Wenn es irgendwo gilt, den
Begriff Weltkulturerbe wörtlich
zu nehmen, dann in Dresden.
Aber dabei geht es nicht nur um
Schönheit und Erlesenheit der
gestohlenen Schätze. Es geht
noch mehr um ihre Bedeutung
als Ensemble quer durch die
Jahrhunderte. Sie repräsentier-
ten Macht und Herrlichkeit, Ka-
pitalreserve für knappe Zeiten
und Ausweis der Kreditfähigkeit
des Monarchen, und deshalb
gab es auch schon im 18. Jahr-
hundert die ersten großen Ein-
schmelzungen von Silber und
Goldgerät, um Kriege zu finan-
zieren oder auch nur um den
Hof und seine Umgebung au
courant mit dem Zeitge-
schmack zu halten.Die Sammel-
leidenschaft Augusts des Star-
ken – der Beiname spielt an auf
den Hofklatsch der Zeitgenos-
sen, die dem König/Kurfürsten
ebenso viele Nachkommen an-
dichteten wie das Jahr Tage hat –
setzte fort, was die Wettiner seit
dem Mittelalter gesammelt hat-
ten: Naturalien, Kuriosa, Kunst-
werke, Edelsteine und vieles
mehr, eine erlesene Galerie. Die
allerdings erst in den Zeiten des
Hochbarock um 1700 systema-
tisch und forschend, ordnend
und sammelnd die Welt zu re-
präsentieren und zu ordnen


arrondieren, der Sachse seine
Sammlungen. Beide strebten
nach der Königswürde, die aber
kam Sachsen teuer zu stehen und
endete irgendwann im 18.Jahr-
hundert in beengten Verhältnis-
sen und knappen Kassen. Der
Kronschatz musste immer wie-
der aufkommen für königlichen
Ehrgeiz und fatale Allianzen.
WWWas bis heute überlebte, istas bis heute überlebte, ist
nur Bruchteil. Man weiß nicht
einmal genau, was bis zur Vermö-
gensauseinandersetzung mit den
ehemaligen Fürstenhäusern in
den Markt ging und was danach.
In der Endphase der DDR gelang-
ten immer wieder Objekte aus
den Dresdener Sammlungen auf
den Markt, ohne dass der patrio-
tische Protest der Kustoden die
SED-Größen beeindruckte: Es
war allerdings ein unübersehba-
res Zeichen, dass die DDR am
Ende war und für „Valuta“ alles
tat.Doch das war nicht das Ende
der Geschichte. Als das Metro-
politan Museum in New York ei-
ne Ausstellung zum Thema
Dresden organisierte, sprengte
das Interesse des New Yorker
Publikums an der Kunstkammer
AAAugusts des Starken alle Erwar-ugusts des Starken alle Erwar-
tungen und wurde zum „Block-
buster“. „The Splendour that
was Dresden“ – so hätte der Ti-
tel lauten können und müssen.
VVVon der real existierenden DDRon der real existierenden DDR
war kaum die Rede: Zu schwierig
die Blickwende auf eine der gro-
ßen Gestalten des fürstlichen
AAAbsolutismus in Europa, zu wi-bsolutismus in Europa, zu wi-
dersprüchlich das „Erbe“, das
sich mit der Staatspraxis kaum
vereinbaren ließ. Hätte es nicht
die Kustoden und Restauratoren
gegeben, die im Stillen wirkten,
so wäre von den älteren Epo-
chen nicht viel übrig geblieben.
Bemerkenswert bleibt aus die-
ser Endphase der DDR das Un-
ternehmen Schallaburg in Öster-
reich: 1984 Ort einer großen Aus-
stellung, mit der sich die SED in
die Kontinuität deutscher und
europäischer Geschichte stellte.
Es war eine glanzvolle und kom-
petente Ausstellung. Der Katalog
erinnerte in nüchterner Prosa
und mit kundig ausgewählten Il-
lustrationen daran, dass es große
deutsche Kultur auch anders gab
als in der Bundesrepublik: Bei-
spiel Potsdam, Weimar, Wörlitz
und Dresden. Kanzler Kohl, lese-
hungig und geschichtskundig
wie er war, wollte sehr genau
wissen, ob dahinter eine gesamt-
deutsche Strategie stand oder
nur eine Erinnerung daran, dass
aaauch hinter 1300 Kilometeruch hinter 1300 Kilometer
Grenze noch Deutschland war
und deutsche Geschichte. 1989
hat sich dann die Frage erledigt.
Was aber hat das alles mit
dem Raub von Dresden zu tun?
In den Verstörungen und Zer-
störungen deutscher und euro-
päischer Geschichte grenzt es
an ein Wunder, dass der Glanz,
der einmal Dresden war, noch
einmal aufscheint in einer Öko-
nomie der Qualität, lange bevor
die Ökonomie der Quantität
zum Leitmotiv der Neuzeit
wurde. Diese Überlieferung ist
in Gefahr. Die Barbaren stehen
vor den Toren.

DER GLANZ,


der einmal


Dresden war


Der Schatz August des Starken blutet seit


eh und je. Schon im 18. Jahrhundert gab


es die ersten großen Einschmelzungen,


um Kriege zu finanzieren oder auch nur


um den Hof zu renovieren. Am Ende


kam der Ausverkauf durch die DDR


DPA

/JÜRGEN KARPINSKI

Polizeiangaben handelte es
sich um mindestens zwei
Einbrecher, die durch ein
Erdgeschossfenster ein-
drangen. Die Ermittler ha-
ben mittlerweile das Flucht-
auto der mutmaßlichen
Täter identifiziert. Es han-
delt sich um den ausge-
brannten Wagen,der am
Montag in einer Tiefgarage
gefunden wurde. An dem
Wrack seien Spuren vom
Tatort gefunden worden,
hieß es.Verantwortliche
und Ermittler stehen der-

weil vor einem neuen Pro-
blem. Einige Exponate wur-
den laut Syndram bei dem
Einbruch durch ein weißes
Pulvermöglicherweise in
Mitleidenschaft gezogen –
darunter auch einige wert-
volle Perlenketten. „Die
Ketten sind mit einem wei-
ßen Pulver, wahrscheinlich
Feuerlöschpulver, ange-
sprüht wurden – wahr-
scheinlich, um Spuren zu
verwischen. Wir müssen
schauen, wie die Perlen das
überstanden haben.“

Nach dem spektakulären
Diebstahl dreier Juwelen-
garniturenbleibt das His-
torische Grüne Gewölbe von
Dresden vorerst geschlos-
sen. Direktor Dirk Syndram
sagte dem MDR, er rechne
damit, dass die Schatzkam-
mer längere Zeit zubleibe.
Bei dem Einbruch am Mon-
tagmorgen waren eine Bril-
lantengarnitur und zwei
Diamantengarnituren ge-
stohlen worden. Die Fahn-
dung nach den Tätern blieb
zunächst erfolglos. Nach

Fluchtauto identifiziert

22 KULTUR DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER2019

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