Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1

Meinung


MarkusSöder als Kanzlerkandidat?


Dieser Gedanke entspringt vor


allem der Schwäche der CDU 4


Politik


Derzum zweiten Mal abgeschobene


Ibrahim Miri erhebt Vorwürfe


gegen deutsche Behörden 6


Panorama


Warum Männer sich für


Dating-Apps mit fremden


Hunden fotografieren lassen 8


Sport


Längst eineLegende: Lionel Messi


steht vor seinem 700. Spiel


für den FC Barcelona 23


Medien


Anders als die Älteren sehen Kinder


unter 13 Jahren vor allem


klassisches Fernsehen 27


TV-/Radioprogramm 28
Forum & Leserbriefe 13
Kino · Theater im Lokalteil
Rätsel & Schach 12
Traueranzeigen 18


Karlsruhe–Drei Wochen nach dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts zu den
Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger
sind die Bundesagentur für Arbeit (BA)
und das Arbeitsministerium im Begriff,
eine interne Weisung zur Umsetzung der
Karlsruher Vorgaben zu erarbeiten. Aus
einem ersten Entwurf, welcher derSüd-
deutschen Zeitungvorliegt, geht hervor,
dass nach wie vor Kürzungen des Existenz-
minimums um mehr als 30 Prozent
möglich sein sollen.
Dabei war der Richterspruch allgemein
so verstanden worden, dass fortan Sanktio-
nen jenseits der 30 Prozent praktisch aus-
geschlossen seien. Die Abschläge können
dem Weisungsentwurf zufolge deutlich hö-
her ausfallen, weil verschiedene Sanktio-
nen einfach zusammengezählt werden.

Die entscheidende Passage findet sich
unter der Randziffer 31.34 des Papiers:
„Bei kumulativer Verletzung von Pflichten
nach Paragraf 31 und 32 laufen die Min-
derungen parallel ab, das heißt, die Min-
derungsbeiträge werden in Überschnei-
dungsmonaten addiert.“ Übersetzt bedeu-
tet dies, dass die 30-Prozent-Kürzung
wegen eines zurückgewiesenen Jobange-
bots mit dem 10-Prozent-Abschlag wegen
versäumter Meldepflichten zusammenge-
zählt wird.
In einem Rechenbeispiel wird erläutert,
dass die Ablehnung eines Arbeitsangebots
und ein Meldeversäumnis den Regel-
bedarf von 432 Euro um 172,80 Euro min-
dern. Da eine Kürzung drei Monate dauert,
können durch neue Verstöße weitere Sank-
tionen hinzukommen. Dadurch kann das

Existenzminimum um 40, 50 oder 60 Pro-
zent schrumpfen, vielleicht sogar mehr.
Das Karlsruher Urteil hat sich nicht aus-
drücklich mit den 10-Prozent-Sanktionen
befasst, wie sie wegen versäumter Termi-
ne beim Jobcenter verhängt werden. Eine
Kürzung um 30 Prozent hielt das Gericht
unter engen Voraussetzungen für gerade
noch zulässig. Drastische Sanktionen von
60 Prozent – bisher vorgesehen bei wieder-
holter Ablehnung eines Jobs – seien dage-
gen auf der Grundlage der derzeitigen Er-
kenntnisse „nicht zumutbar und deshalb
verfassungsrechtlich nicht zu rechtferti-
gen“. Ein derart tiefer Eingriff ins Existenz-
minimum sei eine Belastung von „außeror-
dentlicher Härte“, heißt es in dem Urteil.
Aus Sicht des Erwerbslosenvereins Ta-
cheles würde damit das vom Verfassungs-

gericht begrenzte Sanktionsregime durch
die Hintertür wieder eingeführt. „Wir
verurteilen diesen Versuch der Auswei-
tung von Sanktionen aufs Schärfste“, sagt
Geschäftsführer Harald Thomé.
Nach Auskunft des Arbeitsministeri-
ums ist der Entwurf für die Weisung noch
nicht „final“. Er durchlaufe das „Weisungs-
konsultationsverfahren“, in dem die kom-
munalen Spitzenverbände und die Bundes-
länder Stellung nehmen könnten. Die Wei-
sung soll die Anwendung des Karlsruher
Urteils regeln, bis ein neues Gesetz in Kraft
tritt. Ein Sprecher der BA sagte, dass der-
zeit keine Sanktionen von mehr als 30 Pro-
zent verhängt würden. Das gelte seit dem
Urteil und so lange, bis die neue Weisung
feststehe. wolfgang janisch,
henrike rossbach

Belgrad– Der FC Bayern hat sich in der
Vorrunde der Champions League durch ei-
nen souveränen 6:0-Sieg bei Roter Stern
Belgrad den Sieg in der Gruppe B gesi-
chert. Die Tore erzielten Leon Goretzka, Ro-
bert Lewandowski (4) und Corentin Tolis-
so. Das Team von Trainer Hansi Flick trifft
im letzten Gruppenspiel am 11. Dezember
auf Tottenham Hotspur. sz  Sport

München– In Malta sind am Dienstag Ver-
traute von Premier Joseph Muscat zurück-
getreten: Stabschef Keith Schembri und
Tourismusminister Konrad Mizzi. Schem-
bri war im Fall der ermordeten Journalis-
tin Daphne Caruana Galizia belastet wor-
den, gegen Mizzi gab es Korruptionsvor-
würfe. Wirtschaftsminister Chris Cardona
lässt sein Amt ruhen. sz  Seite 2

München– Nach dem Nein Bayerns zu
einer neuen Ferienregelung droht Ham-
burgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD) mit
einem Ende der Absprachen. „Jetzt wird je-
des Land genau wie Bayern die Sommerfe-
rien im Alleingang festlegen“, sagte Rabe
der SZ. Bayern hat stets zuletzt Sommerfe-
rien, eine Änderung hatte CSU-Chef Mar-
kus Söder ausgeschlossen.sz  Seite 5

Die Dänen sehen sich selbst gerne als
glücklichstes und als gemütlichstes Volk
der Welt, was eher schwer zu messen ist.
Ganz offiziell allerdings sind sie laut einer
Studie der Euromonitor-Gruppe die Welt-
meister im Süßigkeitenessen. Der Durch-
schnittsdäne hängt demzufolge mit 6,
Kilogramm Bonbons, Dragees und Gum-
mibärchen pro Kopf und Jahr andere Nati-
onen wie die Deutschen (5,3 Kilo) locker
ab. Schokolade, Kekse oder die Verführun-
gen der berühmten dänischen Konditor-
kunst sind da noch gar nicht mit einge-
rechnet. Eine Institution ist das „Fre-
dagsslik“, das Freitagsschlecken: Jeden
Freitag dürfen Kinder beim Einkaufen
mit vollen Händen ins Bonbonregal
greifen und sich zuhause mit dem Zeug
den Bauch vollschlagen.
Das führt zum einen dazu, dass däni-
sche Kinder im Durchschnitt pro Tag fünf
Mal so viel Zucker essen wie eigentlich ge-
sund ist. Zum anderen war es einer der

Gründe, warum Dänemark eine Süßigkei-
tensteuer hat, die all den Schleckkram
ziemlich teuer macht. Viel teurer als im be-
nachbarten Schweden etwa, das von Ko-
penhagen aus praktischerweise in einer
halben Stunde über die Öresundbrücke
zu erreichen ist.
Und wie das so ist, wenn Junkies ihren
Stoff brauchen: Es finden sich Mittel und
Wege und Dealer auch jenseits des Geset-
zes. Und so hat sich in den letzten Jahren
ein bandenmäßig betriebener Süßwaren-
schmuggel entwickelt: Ein Kilo Gummi-
zeugs, das in Kopenhagen beim Groß-
händler 75 dänische Kronen, also zehn Eu-
ro, kostet, gibt es drüben im schwedi-
schen Malmö schon für weniger als die
Hälfte, für 30 Kronen nämlich.

Den Schmuggel gibt es schon länger.
2017 schlugen die Behörden auf beiden
Seiten der Grenze erstmals in einer ge-
meinsamen Operation zu. Die Razzien lie-
fen unter dem Codenamen „Thors Ham-
mer“. Es war dann wohl nur ein Hämmer-
chen, heute blüht der Schmuggel wie nie.
Reporter des schwedischen Fernse-
hens und dänischer Zeitungen veröffent-
lichten unlängst eine Reihe investigativer
Reportagen über die kriminellen Netzwer-
ke, die über Tarnfirmen und Strohmän-
ner (darunter dem Boulevardblatt BT zu-
folge ein ehemaliger dänischer Fußballna-
tionalspieler) Tausende Tonnen der
Schmuggelware in Kopenhagen losschla-
gen. Verkauft wird es in speziellen Süßwa-
renläden, wo Schaummäuse und Lakritz-

stangen in offenen Behältern angeboten
werden, für unschlagbare neun Kronen
die 100 Gramm.
Sorgen bereitet den Behörden, dass of-
fenbar die organisierte Kriminalität das
Geschäft entdeckt hat. Die hohen Profite
zögen „Banden und andere kriminelle
Gruppen an“, sagte Michael Rosenmark
von der Eingreiftruppe der dänischen Le-
bensmittelagentur der Zeitung BT. Gum-
mibärchen-Gangs, die auch dazu über-
gangen sind, Markenware zu fälschen.
„Die Jagd auf gefälschte Süßigkeiten ist
für die Stadt Malmö Teil der Arbeit gegen
das organisierte Verbrechen“, hieß es im
schwedischen Sender SVT.
Die dunkle Vergangenheit der billigen
Süßigkeiten tut ihrer Popularität bislang
keinen Abbruch – ob die Zustände in so
manchem illegalen Lager das ändern? BT
berichtete zuletzt von „Klebstoff, Staub
und Schmutz“ zwischen Lollis und
Gummikram. kai strittmatter

von michael bauchmüller

Berlin– Der Klimawandel stellt Deutsch-
landzunehmend vor Probleme. Das geht
aus dem jüngsten Monitoringbericht her-
vor, den die Bundesregierung am Dienstag
in Berlin vorgelegt hat. Die Lufttemperatur
sei seit Beginn der Wetteraufzeichnungen
„statistisch gesichert um 1,5 Grad Celsius
angestiegen“, heißt es in dem Bericht. „Wir
beobachten eine beunruhigende Beschleu-
nigung“, sagt Tobias Fuchs, Chef der Klima-
abteilung beim Deutschen Wetterdienst.
Durch natürliche Effekte sei das Tempo
nicht mehr zu erklären. Noch der Bericht
von 2015 war von einem Anstieg von nur
1,2 Grad ausgegangen.
Die Bundesregierung legt alle vier Jahre
einen solchen Monitoringbericht vor. Er
soll vor allem helfen, Bund, Länder und Ge-

meinden auf die Folgen des Klimawandels
vorzubereiten. Die aber werden in dem
jüngsten Bericht von 2019 so deutlich wie
in keinem zuvor. So stieg die Zahl „heißer
Tage“ von durchschnittlich drei zu Beginn
der Fünfzigerjahre auf mittlerweile zehn.
Solche Tage mit Höchsttemperaturen über
30 Grad machen vor allem älteren Men-
schen und Städtern zu schaffen.
Der Bericht beziffert nun erstmals die
Folgen solcher Hitzewellen: So seien 2003
durch die Hitze 7500 Menschen vorzeitig
gestorben, 2006 und 2015 hätten heiße
Sommer je 6000 zusätzliche Todesfälle ge-
fordert. „Das ist die größte Naturkatastro-
phe, die wir in Deutschland in den letzten
50 Jahren hatten“, sagt Maria Krautzber-
ger, Chefin des Umweltbundesamtes. In
der Landwirtschaft habe der Klimawandel
2018 zu Ernteausfällen von 700 Millionen

Euro geführt, während dem trockenen
Wald Borkenkäfer und Brände zu schaffen
machten. Eine Fläche von 3300 Fußballfel-
dern sei Waldbränden zum Opfer gefallen.
Die Antworten im Bericht reichen von
der Stärkung des Katastrophenschutzes
bis zum Umbau von Wäldern, hin zu wider-
standsfähigen Mischwäldern. Deiche müs-
sen höher werden, Städte sich gegen Hitze
wappnen, etwa durch „Frischluftkorrido-
re“ oder begrünte Dächer. Vorsorgen müs-
sen sie auch für Starkregen, der Keller und
Straßen öfter überschwemmt. „Das Welt-
klima ist nicht irgendwo anders, es betrifft
uns alle“, sagte Umweltministerin Svenja
Schulze (SPD) bei der Vorstellung des Be-
richts. „Die erste Antwort lautet: Viel mehr
Klimaschutz, und zwar weltweit.“
Doch der tritt auf der Stelle. Am Diens-
tag, wenige Tage vor Beginn der UN-Klima-

konferenz in Madrid, veröffentlichte das
Umweltprogramm der Vereinten Nationen
UNEP neue Zahlen zu Soll und Haben im
Klimaschutz. Demnach stiegen die globa-
len Treibhausgas-Emissionen im Durch-
schnitt dieses Jahrzehnts um 1,5 Prozent
im Jahr. 2018, drei Jahre nach der Verab-
schiedung des Pariser Klimaabkommens,
erreichten sie einen neuen Rekord.
Um aber die Erderwärmung auf 1,5 Grad
zu begrenzen, müssten die Emissionen bis
2030 jährlich um 7,6 Prozent schrumpfen,
heißt es in dem UNEP-Report. Bleibe es da-
gegen bei den bisherigen Zielen der Staa-
ten, drohe eine Erhitzung um 3,2 Grad Cel-
sius. „Seit zehn Jahren schlagen die UNEP-
Berichte Alarm“, sagte UN-Generalsekre-
tär António Guterres. „Und seit zehn Jah-
ren hat die Welt die Emissionen nur gestei-
gert.“  Seite 4, Wirtschaft

HEUTE


Die SZ gibt es als App
fürTablet und Smart-
phone: sz.de/zeitungsapp

Malta: Regierungskrise


wegen Journalistenmords


Ingolstadt– Der Autokonzern Audi baut
bis 2025 jede sechste Stelle in Deutschland
ab. Im Gegenzug zu den 9500 gestrichenen
Stellen sollen 2000 neue Jobs in Bereichen
wie Elektromobilität und Digitalisierung
entstehen, wie das Unternehmen am Diens-
tag mitteilte. Das sei das Ergebnis einer
Grundsatzvereinbarung mit dem Betriebs-
rat. Der Stellenabbau solle sozial verträg-
lich ohne betriebsbedingte Kündigungen
geschehen. Die Beschäftigungsgarantie
für die verbleibenden Audi-Mitarbeiter in
den Werken Ingolstadt und Neckarsulm
wird von 2025 bis 2029 verlängert. Audi
und der Betriebsrat hatten seit Längerem
über den „Zukunftspakt“ für das Unter-
nehmen verhandelt. Audi ist seit der Auf-
deckung des Dieselskandals 2015 deutlich
hinter die Konkurrenten Daimler und
BMW zurückgefallen. dpa  Wirtschaft

Stark bis wechselnd bewölkt, zeitweise Re-
gen. Im Süden gebietsweise sonnig. Sieben
bis 15 Grad.  Seite 13 und Bayern

Jagd auf Gummibärchen


In Dänemark blüht der Schmuggel mit Süßigkeiten


Klimakrise trifft Deutschland schon jetzt


Tausende Todesfälle und Millionenschäden in der Landwirtschaft hängen laut Bundesregierung direkt


mit der Erderwärmung zusammen. Der globale Treibhausgas-Ausstoß erreicht einen Rekordwert


Xetra Schluss
13246 Punkte

N.Y. Schluss
28121 Punkte

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Höhere Hartz-IV-Sanktionen sollen doch möglich sein


Ein Entwurf des Arbeitsministeriums sieht Kürzungen über die vom Verfassungsgericht gesetzte Grenze hinaus vor


Gruppensieg für Bayern


in der Champions League


Hamburg droht mit Ende


der Ferienabsprache


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Frei nach 33 Jahren: Ein Deutscher verlässt das US-Gefängnis Die Seite Drei


Audi streicht


9500 Stellen


Zugleich sollen 2000 neue Jobs
bei der E-Mobilität entstehen

(SZ) Viele Leute finden Chuck Norris cool.
Das ist, als Hinweis für sensiblere Gemü-
ter, jener Mann, der in und als „Walker,
Texas Ranger“ der Ansicht widersprach,
dass ein gut platzierter Handkantenschlag
keine Lösung sei. Walker, Texas Ranger, ist
damit jedenfalls viele Staffeln lang gut
durchs Leben und diemean streetsvon Dal-
las gekommen. Obwohl die Serie bereits
2001 endete und er sich heute womöglich
den Ischias klemmen würde beim Versuch,
Recht und Gesetz mittels eines Round-
housekicks Nachdruck zu verleihen, gilt
Chuck Norris bei seinen Verehrern und
Verehrerinnen noch immer als „der härtes-
te Typ aller Zeiten“ oder schlicht „’ne coole
Sau“. So preisen die Fanforen seinen Na-
men, dessen Verehrung in Hunderten ein-
schlägiger Witze Ausdruck findet: „Chuck
Norris schläft auf einem Grizzlybär-Fell.
Der Bär lebt, er hat bloß Angst, sich zu
bewegen.“
Andererseits, die Zeiten und Begriffe
wandeln sich, und heute wäre nicht auszu-
schließen, dass Chuck Norris plötzlich ein
auf Korrektheit pochender Mitmensch in
den Arm fallen und sagen würde: „nicht
cool, nicht cool“. Eine solche Figur hat neu-
lich eine Rasierklingenmarke in ihrer Wer-
bung eingeführt, was sich ausweislich des
folgenden Shitstorms und erheblicher Er-
tragseinbrüche als Fehler in der Zielgrup-
penorientierung erweisen sollte. Wir wol-
len erst gar nicht anfangen, darüber nach-
zudenken, wie Chuck Norris auf eine sol-
che Intervention reagiert hätte. Sicher ist
indessen: Die Vorstellungen, was cool ist
und was nicht, könnten nicht weiter ausein-
anderliegen. 14-Jährige finden oftmals Fer-
tigpizza aus dem Dönerladen cool, wäh-
rend der Versuch ihrer Eltern, ihnen einen
Bio-Brokkoli-Strudel als cool zu verkau-
fen, ohne jeglichen Widerhall bleibt. Man-
che Leute finden Farid Bang cool, andere
sollen Kevin Kühnert cool finden; diese
Kolumne wäre in beiden Fällen zurückhal-
tender, aber zurück zur Sache.
Eine Berliner Society-Berichterstatte-
rin behauptete einmal, Robbie Williams,
den sie erkennbar ziemlich cool fand, habe
wiederum ihr zugeflüstert: „Ihr habt einen
coolen Bürgermeister.“ Wer nun sagt, das
glaube doch wirklich niemand, dem sei ent-
gegnet: Es handelte sich selbstverständ-
lich nicht um den amtierenden Regieren-
den Bürgermeister, sondern um seinen
Vorgänger Klaus Wowereit. Dessen politi-
sches Erbe hat Berlin für immer geprägt.
So verkündete nun Umweltsenatorin Regi-
ne Günther, es müsse „uncool werden, mit
einem Pappbecher durch die Straßen zu
laufen“. In der Praxis der Hauptstadt be-
deutet das: Wir haben keine Lust oder kein
Geld oder keine Zeit, etwas gegen den Be-
chermüll auf unseren Straßen zu tun. Küm-
mert euch selber darum, Leute. Berliner
Politik, das predigte Wowereit, der nicht
nur als König, sondern auch als Partykönig
seiner Stadt in Erinnerung bleibt, müsse
nicht gut sein. Hauptsache, sie ist cool.


DAS WETTER



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NACHTS

Der verlorene Schatz


Der Einbruchim Grünen Gewölbe


war ein Jahrhundertdiebstahl. Er erschüttert


Sachsen zutiefst und könnte als Katastrophe


in die Kunstgeschichte eingehen


 Seite 4, Feuilleton


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