Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
von andrea bachstein,
oliver meiler, mauritius much
und hannes munzinger

Z


wanzig Minuten vor ihrem Tod am


  1. Oktober 2017 veröffentlichte
    Daphne Caruana Galizia ihren letz-
    ten Artikel. Er trug die Überschrift: „Dieser
    Gauner Schembri war heute vor Gericht
    und behauptete, er sei kein Gauner.“ Der
    Zorn der Journalistin galt Keith Schembri,
    dem Stabschef des maltesischen Premier-
    ministers Joseph Muscat. Schembri hatte
    einen Oppositionspolitiker verklagt, der
    ihn als korrupt bezeichnet hatte. Caruana
    Galizia starb kurz darauf, als unter ihrem
    Autositz ein Sprengsatz explodierte. Weni-
    ge Wochen später wurden drei Männer
    unter dem Verdacht verhaftet, die Bombe
    gelegt zu haben. Doch wer den Mord in Auf-
    trag gegeben hatte, blieb unklar.
    Zwei Jahre nach dem Bombenanschlag
    stürzt die Aufklärung des Falles nun die
    maltesische Regierung in eine existenzielle
    Krise. Am Dienstagmorgen bestätigte Pre-
    mier Muscat, dass ebenjener Keith Schem-
    bri, über den sich Caruana Galizia so em-
    pört hatte, von seinem Amt zurückgetreten
    sei. Schembri wurde gleich darauf für eine
    Anhörung zum Hauptquartier der Polizei
    gebracht. Zudem durchsuchten laut der
    Times of MaltaPolizeibeamte sein Haus.


Am Dienstagnachmittag dann die
nächsten Paukenschläge. Erst trat ein wei-
terer Getreuer Muscats, Tourismusminis-
ter Konrad Mizzi, zurück. Wenig später
ließ auch Wirtschaftsminister Chris Cardo-
na sein Amt ruhen, bis die laufenden Er-
mittlungen abgeschlossen seien. Cardona
war schon im vergangenen Jahr unter
Druck geraten, weil er einen der Mörder Ca-
ruana Galizias getroffen haben soll.
Schembri und Mizzi besaßen zwei Brief-
kastenfirmen in Panama. Das enthüllte
Daphne Caruana Galizia im Februar 2016.
Die Offshore-Gesellschaften waren kurz
nach der Machtübernahme der Labour-
Partei in Malta gegründet worden. Aus den
Panama Papers ging dann hervor, dass die-
se Briefkastenfirmen monatlich 150 000
US-Dollar bekommen sollten – von einer
in Dubai registrierten Firma namens
17 Black Limited. Diese wiederum gehörte
Yorgen Fenech. Der maltesische Geschäfts-
mann war gleichzeitig Mitglied im Verwal-
tungsrat eines Konsortiums, das 2013 den
Zuschlag für ein 450 Millionen Euro schwe-
res Kraftwerksprojekt bekommen hatte.
Dies nährte den Verdacht, dass über Fe-
nechs Firma 17 Black Schmiergeld an
Schembri und Mizzi für den Kraftwerks-
deal geleitet werden sollte.
Vergangene Woche war Fenech festge-
nommen worden, als er versuchte, im Mor-
gengrauen mit seiner Yacht Malta zu verlas-
sen. Maltesische Zeitungen berichten,
Fenech habe Schembri in einem Verhör
schwer belastet. Der Stabschef habe sich
mit dem mutmaßlichen Mittelsmann im
Mordfall, der ebenfalls kürzlich verhaftet
worden war, getroffen und diesem einen
Job in der Regierung versprochen. Zudem
sei er angeblich in mindestens einen gro-
ßen Korruptionsdeal verwickelt.
Tourismusminister Mizzi betonte in ei-
nem Statement, keine Verbindung zu
17Black oder Yorgen Fenech zu haben. „Ich
habe in strafrechtlicher Hinsicht nichts
falsch gemacht“, fügte er hinzu. Schembri
war am Dienstag für eine SZ-Anfrage nicht
zu erreichen. Schembri und Mizzi waren
zentrale Figuren im maltesischen Macht-
gefüge. Schembri hatte sein Büro in der Au-
berge de Castille, dem Amtssitz des Premi-
ers, gleich neben dem Muscats; auch zu
Mizzis Büro war es nicht weit. Seit den Pa-
nama-Papers-Enthüllungen ignorierten
sie Rücktrittsforderungen. Dreieinhalb
Jahre später räumen sie ihre Posten nun.


Für Muscat ist das ein harter, vielleicht
schon entscheidender Schlag. „Ich werde
in den kommenden Stunden und Wochen
weitere Entscheidungen fällen, die nötig
sind für das Wohl dieses Landes und des-
sen Stabilität“, sagte er nach Schembris
Rücktritt. Muscats Äußerungen kann man
so oder so verstehen.
In den vergangenen zwei Wochen, seit
der Verhaftung des mutmaßlichen Mittels-
mannes durch maltesische Beamte und
Spezialisten von Europol, zeigte sich Mus-
cat alle paar Stunden in der Öffentlichkeit.
Die Botschaft an die Malteser war: „Schaut
her, ich kämpfe für die ganze Wahrheit in
diesem Mordfall.“ Es sollte wohl so wirken,
als sei er der wahre Untersuchungsrichter
der Insel.
Muscat war lange beliebt gewesen im
Volk, trotz der Zweifel am Leumund des
innersten Zirkels um ihn herum und auch
an seiner eigenen Familie. Das zeigte sich
noch bei den vorgezogenen Neuwahlen im
Juni 2017. Labour gewann mit 55 Prozent
der Stimmen. Man hielt Muscat zugute,
dass er dem Land eine lange Phase des wirt-
schaftlichen Wachstums beschert hat. In
den Augen seiner Anhänger waren die Kriti-
ker nur Nestbeschmutzer und Neider, der

Schatten über dem Kabinett galt ihnen als
Folge eines Komplotts.
Doch nun scheint die Stimmung im Volk
umzuschlagen. In den vergangenen Wo-
chen gab es in der Hauptstadt Valletta eine
Reihe von Demonstrationen. Protestieren-
de brachten ein Banner mit der Aufschrift
„Nein zur Korruption“ am Büro des Premi-
ers an. Am Montagabend trommelten
Hunderte Menschen trotz Regen auf
Metalltöpfe vor Maltas Parlament und rie-
fen „Gerechtigkeit“, „Mafia, Mafia“ und
„Schämt euch“. Sie verlangten Rücktritte –
so wie sie die oppositionelle konservative
Nationalist Party fordert.
Mit seinen vielen Statements trug
Muscat zur allgemeinen Verwirrung sogar
noch bei. Beiden verhafteten Männern,
dem Unternehmer Fenech und dem Mit-
telsmann, bot er eine präsidiale Amnestie
an für Informationen, die dazu dienten, die
Schuldigen zu fassen und zu verurteilen.
Im Fall des Mittelsmannes war das beson-
ders umstritten, weil ihm die Justiz weite-
re Straftaten vorwirft, die nichts mit dem
Fall Daphne zu tun haben. Mal sagte Mus-
cat, er erhalte die Begnadigung, mal zog er
das Bekenntnis wieder zurück. Nun sieht
es so aus, als werde der Mittelsmann wirk-

lich begnadigt. Laut derTimes of Malta
besitzt er offenbar einige brisante Ton-
bandaufnahmen, welche die schummri-
gen Konturen des Mordes schärfen und die
Hintermänner offenbaren könnten.
Der Epilog dieses Dramas steht also
kurz bevor. Muscat hatte sich am späten
Montagabend mit Schembri getroffen,
nachdem er sich davor das Vertrauen sei-
ner Parlamentarier eingeholt hatte. Das
fiel angeblich einhellig aus. Daraufhin
überstürzten sich die Ereignisse auf der
Insel im Mittelmeer.

In einem Statement forderte die Familie
der getöteten Daphne Caruana Galizia Mal-
tas Behörden auf, Keith Schembri sofort
strafrechtlich zu verfolgen. Dass dies im
Fall von Schembri und Mizzi unterblieben
sei, „hatte fatale Folgen für unsere Frau
und Mutter“, schrieben Daphnes Witwer
und ihre drei Söhne.
Der deutsche Grünen-Politiker Sven
Giegold begrüßte den Rücktritt des Stabs-

chefs. Der EU-Parlamentarier ist Mitglied
in der Arbeitsgruppe zur Rechtsstaatlich-
keit in Malta und in der Slowakei. Diese
hatte das Parlament nach den Morden an
Caruana Galizia und am slowakischen In-
vestigativjournalisten Ján Kuciak im Fe-
bruar 2018 eingerichtet. „Der Rücktritt
von Schembri war überfällig. Schembris
Verwicklung in die Panama Papers und
fragwürdige Geschäfte im Energiesektor
waren jahrelang bekannt“, sagte Giegold.
Der Europaabgeordnete forderte eine in-
ternationale Untersuchung durch aner-
kannte Richter und Persönlichkeiten. Nur
so könne das Vertrauen in die Rechtsstaat-
lichkeit Maltas wiederhergestellt werden.
Nach den Rücktritten seiner Mitstreiter
ist Premierminister Muscat stark ange-
schlagen. Bereits am Wochenende hatte er
angekündigt, sich nicht mehr zur Wieder-
wahl zu stellen. Doch sofortige persönliche
Konsequenzen zöge er nur in einem Fall:
„Ich würde definitiv zurücktreten, wenn es
irgendeinen Zusammenhang zwischen
mir und dem Mord gäbe“, sagte Muscat am
Dienstag. Regulär ist er noch bis 2022 im
Amt. In Malta geht man mittlerweile davon
aus, dass sein Rücktritt wohl eher eine Fra-
ge von Tagen sein dürfte.

Der Mord an Daphne Caruana Galizia
geschah inaller Öffentlichkeit, an einem
sonnigen Nachmittag, auf offener Straße,
mit einer Autobombe, deren Detonation
kilometerweit zu hören war. Der Anschlag
war ein Signal an alle Journalisten in Mal-
ta, dass sie nicht mehr sicher sind.
Morde an Journalisten geschehen in La-
teinamerika und afrikanischen Staaten in
trauriger Regelmäßigkeit. In Mexiko star-
ben laut einer Zählung der Organisation
Reporter ohne Grenzen in diesem Jahr al-
lein bis Juli mindestens acht Journalisten
wegen ihrer Recherchen. Weltweit sind es
demnach seit Beginn des Jahres schon 49.
Laut einer Erhebung des Komitees zum
Schutz von Journalisten wurden seit 2010
weltweit mindestens 550 Journalisten we-
gen oder bei ihren Recherchen getötet.

In der Europäischen Union war es vor
dem Mord an Daphne Caruana Galizia
schwer vorstellbar gewesen, dass Journa-
listen für ihre Arbeit mit dem Leben bezah-
len. Aber schon wenige Monate nach dem
Anschlag in Malta erschossen mutmaßli-
che Auftragsmörder den slowakischen
Journalisten Ján Kuciak und dessen Verlob-
te. Kuciak hatte zu Korruptionsvorwürfen
gegen Politiker und Geschäftsleute recher-
chiert. Vor wenigen Wochen wurde in der
Folge der Unternehmer Marián Kočner an-
geklagt. Er soll der Staatsanwaltschaft zu-
folge den Mord in Auftrag gegeben haben.
Ján Kuciak und Daphne Caruana Gali-
zia hatten beide auch zu den Panama Pa-
pers recherchiert, die derSüddeutschen
Zeitungzugespielt worden waren. Einer
Studie des Reuters-Instituts für Journalis-
musforschung zufolge hatte die Berichter-
stattung über die Panama Papers in beina-
he jedem fünften Land negative Konse-
quenzen für Journalisten. In Russland wur-
de der Chefredakteur der ZeitungNowaja
Gazetaerpresst. Einige Offizielle forder-
ten, dass er die Geschichten nicht veröf-
fentliche. In der Türkei wurden Journalis-
ten der ZeitungCumhuriyetbedroht. De-
ren ehemaliger Chefredakteur Can Dün-
dar entkam im Mai 2016 nur knapp einem
Attentat. Er wartete vor einem Gerichts-
gebäude in Istanbul auf die Urteilsverkün-
dung in einem Verfahren gegen ihn, als ein
Angreifer auf ihn schoss und einen Fern-
sehjournalisten an der Wade verletzte.
Dündar lebt heute im Exil in Deutschland.
„Die große Mehrzahl der Journalisten-
morde weltweit wird nie aufgeklärt, Mör-
der und eventuelle Auftraggeber kommen
straflos davon“, sagte Christian Mihr, der
Geschäftsführer von Reporter ohne Gren-
zen, der SZ. „In der Slowakei und nun end-
lich auch auf Malta deutet sich aber an,
dass wenigstens diese Taten nicht straflos
bleiben.“
Um bedrohte Journalisten unterstüt-
zen zu können oder die Arbeit ermordeter
Kollegen weiterzuführen, haben Investiga-
tivjournalisten 2017 die Organisation For-
bidden Stories gegründet. Auch die SZ be-
teiligt sich an deren Arbeit. Nach Erkennt-
nissen der Organisation sind die Gefahren
für Journalisten bei Recherchen zu Um-
weltproblemen besonders groß. So wur-
den seit 2009 weltweit 13 Journalisten
getötet, nachdem sie über Ressourcenaus-
beutung oder Umweltverschmutzung be-
richtetet hatten. Zahlreiche weitere Jour-
nalisten wurden angegriffen, eingeschüch-
tert oder mit Klagen überzogen, um ihre
Berichterstattung zu behindern. Doch sie
berichten weiter. hannes munzinger

(^2) THEMA DES TAGES Mittwoch,27. November 2019, Nr. 274 DEFGH
Nichts als die Wahrheit
Vieles, was die Enthüllungsjournalistin Daphne Caruana Galizia vermutete, bestätigt sich nach und nach:
Führende Politiker des Inselstaats sind wohl in Schmiergeld-Deals verwickelt. Die Regierung wankt
„Die große Mehrzahl der
Journalistenmordeweltweit
wird nie aufgeklärt.“
Trotz der Enthüllungen
blieben die Getreuen des
Premiers im Amt
Die Familie fordert endlich
strafrechtliche Konsequenten für
den Stabschef des Premiers
Die Stimmung schlägt um: Demonstranten forderten vergangene Woche in Valletta Aufklärung im Mordfall Daphne Caruana Galizia. FOTO: MATTHEW MIRABELLI / AFP
Kugeln gegen
Recherchen
Immer wieder werden Journalisten
ermordet. Allein 49 in diesem Jahr
Mordfall Daphne Caruana GaliziaEin Jahr nach Veröffentlichung der Panama Papers, die Verstrickungen maltesischer
Regierungspolitiker in Offshore-Geschäfte enthüllt hatten, tötete im Oktober 2017 eine Autobombe die Journalistin.
Lange lief die Suche nach den Hintermännern stockend. Nun treten die wichtigsten Vertrauten des Premierministers zurück


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