Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
Der Gourmetkritiker Wolfram Siebeck war
in seinenUrteilen mitunter maßlos. Selbst
wenn er begeistert war, wie vom Hotel Dor-
chester in London nach einer Renovierung
im Herbst 1981, gab es bloß ein relativieren-
des Lob von ihm: „Man könnte sagen, es ist
geschmackvoll – so schön ist es da.“
In England war der 2016 verstorbene
Siebeck selten begeistert – eher noch von
der Atmosphäre in den Hotels und Restau-
rants als von dem, was ihm dort vorgesetzt
wurde Anfang der 1980er-Jahre. Dennoch
reiste er neugierig durchs Land, war in sei-
nen Urteilen weder nörgelig noch in seinen
Ansprüchen überkandidelt. Und er wusste
zu differenzieren. Konnte guten Service
schätzen, auch wenn das Menü zu wün-
schen übrig ließ. Tadelte die Weinkarte,
auch wenn er gut gegessen hatte. All das
hat er auf Kassetten gesprochen, eloquent
und amüsant, die er dem Regisseur Ulrich
Gerhardt vermachte.England ist andersist
die vierte Sendung, die der daraus destil-
liert hat – zuvor ging es um Rennwagen,
um die deutsche und zuallererst (Im Topf
ein Coq au vin) um die französische Küche.
Nichts von dem, was Siebeck schildert,
gibt es in dieser Form heute noch. Trotz-
dem haben seine Empfehlungen einen
praktischen Nutzen: sich ganz allgemein
in Lebensart zu schulen. Und sich auf die
angenehmste Weise beplaudern zu lassen
von einem leidenschaftlichen Genuss-
menschen. stefan fischer

England ist anders. Herr Siebeck bereist die Insel,
DLF Kultur, 22.03 Uhr.Im Topf ein Coq au vinwird
am 4.12. wiederholt.

von carolin werthmann

D


er erste Impuls ist, diesen Mann zu
duzen. Ihm auf die Schulter zu klop-
fen und zu rufen: „Mensch, Juri,
ewig her, hast dich kein bisschen verän-
dert!“ Hat er tatsächlich nicht. Die gleiche
Frisur wie damals, die gleiche Haarfarbe
wie damals – sehr dunkles Braun –, und
falls das um seine Augen Fältchen sein soll-
ten, dann, so redet man sich ein, kommen
die nicht vom Alter, sondern vom Lachen.
Er steht im Foyer des MDR-Landesfunk-
hauses in Erfurt, hält einen Pausenplausch
mit einem Kollegen, man beobachtet ihn
aus ein paar Schritten Entfernung, ein
wenig ehrfürchtig, weil das immerhin der-
jenige ist, den man als Fünfjährige im Röh-
renfernseher gesehen hat, vor 22 Jahren,
als er denSandmannim Kinderkanal Kika
anmoderierte, immer kurz vor sieben.
Juri Tetzlaff ist 47 und trotzdem zeitlos.
Vielleicht schätzt sein Publikum ihn des-
halb so sehr. Vielleicht fällt es deshalb
schwer, sich den Kinderkanal ohne ihn v-
orzustellen.
Immer noch ist Juri Tetzlaff Moderator
im Kika – und immer noch sieht sein jun-
ges Publikum ihn vor allem im Fernsehen
statt in Apps und Mediatheken. Denn wie
die Kindermedienstudie 2019 zeigt: 88 Pro-
zent der befragten Vier- bis 13-Jährigen
gucken Sendungen, Filme und Serien
mehrmals pro Woche genau dann, wenn
sie im Fernsehen laufen. Zocken Kinder
also doch nicht nur Fortnite oder hängen
bei Netflix und Amazon ab? Wie
positioniert sich öffentlich-rechtliches
Kinderfernsehen heute im Vergleich zu
seiner Konkurrenz?
1997 lief die erste Sendung des Kika, das
öffentlich-rechtliche Fernsehen bündelte
damit seine zuvor auf ARD und ZDF ver-
teilten Kinderprogramme für eine Ziel-
gruppe zwischen drei und 13 Jahren. Die
Logik folgte den wenige Jahre zuvor ge-

gründeten Privatsendern Super RTL und
Nickelodeon.
Im Programm des Kika liefen Gute-
Nacht-Geschichten desSandmanns,die
KindernachrichtensendungLogo!,die In-
ternatssoapSchloss Einsteinfür Beinah-
Teenies undDas Baumhaus, in dem das
Moderatorenteam, Juri und Singa, sozu-
sagen die sprechenden Graswurzeln des
Senders, abwechselnd Gebasteltes und
Gemaltes von Zuschauern präsentierte. Es
folgten lustige Spielshows, dann Umstritte-
neres wie dieTeletubbies,jene bunten Mop-
pelfiguren, die zwischen irgendwie putzig
und irgendwie gruselig oszillierten, sich
nur mit „A“ und „O“ artikulierten und des-
halb als Kinderserie in die Kritik gerieten.

Auch der Kinderkanal musste sich an
den medialen Wandel anpassen, brezelte
seine digitale Tauglichkeit auf und erwei-
terte sein lineares Programm um neue For-
mate. Und doch blieben viele Inhalte, viele
Figuren, viele Gesichter gleich.
Das hat etwas Behagliches, schürt ein
Gefühl von Zeitlosigkeit. Obwohl die Welt
sich wandelt, bleibt die Welt der Kindheit
vermeintlich unberührt – zumindest aus
Sicht der Eltern. Denn die sind es, die sich
an die eigenenSesamstraßen-Sitzungen
zu erinnern beginnen. Daran, wie sie, da-
mals selbst Kind, belustigt aufquiekten,
wenn das Krümelmonster seine Kekse ver-
putzte. Wenn sie an die sorgenfreie, behü-
tete Zeit eines Kleinkinds denken, dessen
Höhepunkt des Abends die animierten
Schweinchen Piggeldy und Frederick wa-
ren. Das Erstaunliche ist, dass das auch
heute offenbar bei der Zielgruppe funktio-
niert. Trotz allen angeblichen Wandels.
Und die Frage ist, warum.

„Tatsächlich ist das, was Kinderpro-
gramm heute leisten muss, nicht wesent-
lich anders als noch vor 20 Jahren“, sagt
Astrid Plenk, Programmgeschäftsführerin
des Kika. Eine für einen Sender heutzuta-
ge erstaunliche Aussage. „Grundlage ist
der öffentlich-rechtliche Auftrag. Bildung,
Orientierung, Unterhaltung und Beratung
durch ein genrereiches und vielfältiges
Angebot. Ein beständiges Team dafür zu
haben, ist sehr wichtig, denn gerade im Vor-
schulbereich schätzen Eltern und Kinder
die Verlässlichkeit.“
Einer wie Juri Tetzlaff, der einem im
MDR-Gebäude dann tatsächlich das Du
anbietet, kann sich zu einer Identifikati-
onsfigur und zu einem Wissensvermittler
für die Zuschauer entwickeln, zu einer Art
Freund, wenn man so will, der zur verein-
barten Zeit am vereinbarten Ort ist. Routi-
ne und Ritual mit vertrauten Gesichtern –
das ist es, womit sich der Kika gegenüber
der Konkurrenz behauptet. „Ich entwerfe
mich nicht am Reißbrett und überlege, wie
ich der beste Kinder-Juri bin“, sagt Tetz-
laff. „Ich mache diese Arbeit mit Leiden-
schaft, und Kinder merken so etwas. Dann
springt ein Funke über.“
Moderation und persönliche Anspra-
chen finden sich bei privat-kommerziellen
Anbietern kaum, bestätigt Maya Götz, Me-
dienpädagogin und Leiterin des Internatio-
nalen Zentralinstituts für das Jugend- und
Bildungsfernsehen (IZI). Diese sendeten so
gut wie ausschließlich fiktionale Program-
me, die für einen globalen Markt produ-
ziert wurden. „Die Aufgabe der privaten
Anbieter ist es in dem Sinne auch nicht,
Kinder zu unterstützen, sondern Geld über
verkaufte Werbezeiten und Lizenzproduk-
te zu verdienen“, so Götz. „Entsprechend
wird vor allem Unterhaltendes angeboten,
das möglichst viele Kinder lange am Bild-
schirm halten soll.“
Eine Alternative zum linearen Fernseh-
programm und den Mediathek-Angebo-

ten der Sender ist Youtube Kids. Seit 2017
ist die für Kinder entwickelte App von
Youtube in Deutschland verfügbar. Die
Inhalte dort werden vorgeschlagen oder ge-
filtert – von Algorithmen. Dahinter steckt
keine Redaktion, kein Team, das mit Medi-
enpädagogen gemeinsam über mögliche
Inhalte und Formate diskutiert, ehe sie
öffentlich werden. Obwohl Eltern die Such-
funktion abstellen und unangemessene
Inhalte melden können, bleibt die Unge-
wissheit über die Selektion der Rechen-
maschine bestehen. Auch die Werbung
bleibt, genauso wie bei Nickelodeon, Dis-
ney Channel und Super RTL. Und mit Net-
flix, Amazon und Disney+ treten Konkur-
renten in den Ring des Kinderfernsehens,
die zwar, so Maya Götz, von der vorpubertä-
ren Zielgruppe noch vergleichsweise we-
nig beachtet würden, die aber sehr bald
das Segment des Kinderprogramms ge-
zielt ausbauen dürften.
Laut Kindermedienstudie 2019 sind
Streamingdienste derzeit vor allem ab
zwölf Jahren interessant, Mediatheken-An-
gebote ab 13. Dagegen ist die lineare Aus-
strahlung trotz unzähliger Prophezeiun-
gen vom bevorstehenden Untergang des
klassischen Fernsehens konstant erfolg-
reich – noch zumindest. Denn wenn
Disneys Eiskönigin Elsa voraussichtlich
von 2020 an nonstop und völlig unver-
froren in der hauseigenen Online-Video-
thek in Deutschland abrufbar sein wird,
müssen sich Juri,Bernd das Brotund der
Sandmannwohl tatsächlich, nun ja, warm
anziehen.
Juri Tetzlaff wird immer wieder gefragt,
ob er sich nach mehr als 20 Jahren Kinder-
fernsehen nicht vorstellen könnte, etwas
anderes zu machen. Abgesehen davon,
dass er das tue – er schreibt Drehbücher
und ist in der Musikvermittlung tätig –,
meint er: „Ich fühle mich total wohl damit,
was ich mache. Ich könnte das so lange tun,
bis ich 100 bin.“

Dass hier die Geschichte einer Abenteure-
rin erzähltwird, ist in den ersten Minuten
vonHis Dark Materialszu erkennen. So
wie die zwölfjährige Lyra innerhalb einer
einzigen Szene durch die Gänge des ehr-
würdigen Jordan Collage tobt, auf dem
Weg durch die Waschküche frische Laken
beschmutzt und in eine Grabkammer im
Keller flüchtet, bemitleidet man jeden Leh-
rer, der sie disziplinieren soll.
Mit der Figur der Lyra Belacqua hatte
sich Philip Pullman ab Mitte der Neunziger-
jahre eine so unbeugsame wie mysteriöse
Jugendbuch-Heldin für seineHis-Dark-
Materials-Trilogie ausgedacht (auf
Deutsch erschienen alsDer Goldene Kom-
pass): Ein Waisenkind, aufgewachsen in
der Obhut von Wissenschaftlern, in einer
Welt voller Magie, in der jeder Mensch ei-
nen tierischen Begleiter als Ausdruck der
eigenen Seele zur Seite gestellt bekommt
und ein „Magisterium“ rigide über seine
Untertanen wacht.
In Post-Game-of-Thrones-Zeiten, in de-
nen eifrig nach neuem Fantasy-Nach-
schub gefahndet wird, ist es wenig überra-
schend, dass es nunHis Dark Materialsals
Serie gibt. Zumal die Kino-Adaption von
2007 mäßig erfolgreich war. Manche stör-
te die Einkürzung der Religionskritik, die
Pullman ins Buch eingewebt hatte, andere
fanden, dass davon zu viel zu sehen war.
In der Koproduktion von BBC und HBO,
die Pullman selbst mitproduzierte und die
sich zunächst auf den ersten Band der Tri-
logie beschränkt, hat der Konflikt zwi-
schen vorgeschriebenen Glaubenssätzen
und dem Drang nach Wissen durchaus sei-
nen Platz. Auch wenn ein anderer Kampf
im Vordergrund steht: Lyra und die Gyp-
ter, eine marginalisierte, nomadische Be-
völkerungsgruppe, machen sich auf die Su-
che nach einer Reihe von vermissten Kin-
dern, hinter deren Verschleppung hohe Ma-
gisteriums-Kreise zu stecken scheinen. Lei-
der sind diese Rettungsunternehmungen
so übertrieben heroisch inszeniert, dass
die Motivation der Akteure unter all dem
melodramatischen Rumgeschreie etwas
hohl daherkommt. Dringlichkeit entsteht
eher, wenn Lyra mit einem alten Gypter
über das Erwachsenwerden diskutiert.
Überhaupt ist Dafne Keen als Lyra ein
Glücksfall, ihr zwischen Störrischkeit und
Verletzlichkeit schwankendes Spiel wird
an Wucht höchstens übertroffen von Ruth
Wilson als Lyras unberechenbare Antago-
nistin Marisa Coulter. So klug wie die Beset-
zung ist der Entwurf der Welt, in der sich
Lyras Abenteuer entspinnen. Eine Mi-
schung aus Harry-Potter-Internatszauber
und Herr-der-Ringe-Abenteuerreise wird
so feinsinnig heraufbeschworen, dass die
Grenzen zwischen Realem und Übernatür-
lichem verschwimmen. Es gibt Autos und
Hochhäuser, aber eben auch Luftschiffe,
magische Geräte und sprechende Tiere.
Ob die Serie zum neuen Fantasy-Hit
avanciert, ist fraglich, unter den visuellen
Überwältigungseffekten vernachlässigen
die Macher zu häufig die Dramaturgie. Für
vorweihnachtliche Eskapismus-Zwecke
istHis Dark Materialsaber allemal wun-
derbar geeignet. luise checchin


His Dark Materials, auf Sky.


Die ZDF-ReiheBad Bankskonnte sich bei
der Verleihung der International Emmys
in der Kategorie „Beste Dramaserie“ gegen
die britische ProduktionMcMafianicht
durchsetzen. Abgezeichnet hatte sich das
beim internationalen Ableger der wichtigs-
ten US-Fernsehpreise schon zu Beginn der
Gala – wegen einer Panne: Laudator John
Turturro sollte die erste Auszeichnung des
Abends verkünden („Beste Miniserie“), hat-
te aber den falschen Umschlag dabei. Da-
durch gab er vorzeitig den Gewinner des
Preises für die „Beste Dramaserie“ be-
kannt, was erst zum Abschluss der Zeremo-
nie hätte aufgelöst werden sollen.
Ebenfalls nominiert war der deutsche
Schauspieler Jannis Niewöhner, Hauptdar-
steller der Amazon-ThrillerserieBeat. Den
Preis für die beste Leistung eines Schau-
spielers erhielt dann aber der Türke Haluk
Bilginer für seine Rolle im Alzheimer-Dra-
maSahsiyet. dpa

Der Fernsehmoderator Frank Elstner hat
einen Vertrag mit dem Streamingdienst
Netflix abgeschlossen. Das sagte derWet-
ten, dass..?- Erfinder in der SendungLate
Night Berlin, in der er am Montagabend zu
Gast war. Sein FormatWetten, das war’s..?,
das bislang auf Youtube läuft, soll 2020 bei
Netflix zu sehen sein. Der genaue Startter-
min ist noch nicht bekannt. Der Streaming-
anbieter bestätigte auf Twitter den Wech-
sel. Elstner selbst schrieb: „Wetten, dass
wir viel Spaß haben werden. Danke für eu-
er Vertrauen @NetflixDE“. In der Talksen-
dung führt er längere Interviews mit Pro-
minenten aus Kultur und Medien, ohne Li-
vepublikum. Im April hatte Elstner öffent-
lich gemacht, dass er an Parkinson er-
krankt ist. Zugleich startete er die Youtube-
Sendung, deren Titel auf seine erfolgreichs-
te Show anspielt und mit der er sich, so die
ursprüngliche Ankündigung, „von der
Mattscheibe verabschieden“ will. sz

Zeit der Rituale


Gegen alle Abgesänge auf das lineare Fernsehen hat derKika Erfolg mit langlebigen Programmen und


gewohnten Gesichtern. Das hat etwas Behagliches, auch für Eltern. Vielleicht nicht mehr lange


Juri Tetzlaff wird dann zu einer
Art Freund, der zur vereinbarten
Zeit am vereinbarten Ort ist

Lyra (Dafne Keen) und ihr tierischer See-
len-Begleiter Pantalaimon. FOTO: HBO/SKY


Zauberwelten


Philip Pullmans Jugendbuch
„His Dark Materials“ als Serie

Falsche Kategorie


Panne bei der Verleihung der
International Emmys

War’s noch nicht


Frank Elstner wechselt mit
„Wetten, das war’s“ zu Netflix

Aufgedeckt


Wolfram Siebeck isst sich durch
die englische Küche – ein Hörspiel

Ob sie mit ihrem Fernrohr bis in die Zukunft schauen können? Singa Gätgens und Juri Tetzlaff moderieren im Kinderkanal – seit 22 Jahren. FOTO: KIKA/CARLOBANSINI

DEFGH Nr. 274, Mittwoch, 27. November 2019 (^) MEDIEN 27
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