Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
„Wie das Tollwood in seinen Anfän-
gen“, sagten viele Besucher, als der
Märchenbazar vor vier Jahren seinen Vor-
hang öffnete. Alternativ und heimelig fühl-
te es sich dort an. Zirkuszelte und ein voll-
gesprayter Zeltwaggon im Viehhof, dazwi-
schen Lichterketten und Essensstände.
Mittlerweile ist der Märchenbazar umge-
zogen in das Kreativquartier am Leonrod-
platz, hat dabei aber nichts von seinem
Charme verloren. Hier lässt sich gut viel
Zeit vertrödeln, nach Falafel und Feuerzan-
genbowle vor der nächsten Runde Glüh-
wein etwa an den Ständen kleiner, nach-
haltiger Labels im Zelt stöbern oder einem
Singer-Songwriter zuhören. Im Märchen-
zelt gibt es einen Tauschladen, in dem
nicht mehr Benötigtes abgegeben und da-
für etwas anderes mitgenommen werden
kann, es gibt live auf der Schreibmaschine
getippte Gedichte, Nähkurse und eine Mär-
chenerzählerin. Kinder können in dieser
Weihnachtswunderwelt nachmittags bas-
teln und Kerzenziehen, täglich um 17 Uhr
gibt es eine Märchenstunde für sie. LKA

Täglich vom 28. November bis zum 29. Dezem-
ber auf dem Leonrodplatz, Dachauer Straße
114, Infos unter maerchenbazar.de

Das berühmte Schiff auf der Brü-
cke,welches es sogar schon in ei-
nenNew-York-Times-Artikel mit dem Titel
„Is Munich getting cool?“ (Wird München
cool?) geschafft hat, zieht auch zur Weih-
nachtszeit Menschen an. Sternenflotte –
„ein Weihnachtshafen in Sendling“ nennt
sich das, was seit dem 23. November und
noch bis zum 23. Dezember auf Alten Ut-
ting veranstaltet wird. Rund um Bug und
Heck sind Buden aufgestellt, die alles von
Schals bis Bienenwachskerzen, Traumfän-
gern und Silberschmuck verkaufen, es
gibt Glühwein und Punsch mit Rum, vega-
ne Spezialitäten, Crêpes und Maroni. Man-
che der Stände wechseln, sodass beim
nächsten Besuch Überraschungen war-
ten. Vom Deck aus kann man mit einem
Glühwein in der Hand seinen Blick weit
über Sendling und den leuchtenden Markt
am Schiff schweifen lassen, mit etwas
Glück erwischt man den Sonnenunter-
gang. Dazu gibt es täglich Programm, mal
was für Erwachsene, von Jazz-Frühstück
bis Charity-Konzert, mal was für die Klei-
nen, Erzähltheater zum Beispiel. LKA

Lagerhausstraße 15, mehr Infos unter http://www.al-
te-utting.de.

Der Wintermarktdes Bauwagenca-
fés „Gans am Wasser“ ist ein Ge-
schwisterkind des Märchenbazars und ver-
zaubert mit einer ähnlich alternativen At-
mosphäre. Allerdings nicht in urbaner Um-
gebung, sondern im Grünen; im Westpark,
direkt am Mollsee, auf dem sich die Lich-
ter des Markts spiegeln. Im Sommer sit-
zen die Leute hier in zersägten Badewan-
nen, die auf Perserteppichen stehen, und
genießen den Blick. Ein hübscher Fleck in
der Natur, aber mitten in der Stadt, der ei-
ne Menge Liebhaber gewonnen hat. Und
die, aber nicht nur die, kommen auch im
Winter. „Winterzauber“ heißt der kleine
Markt, der dann jeweils an den Wochenen-
den um das Bauwagencafé aufgebaut
wird. Kunsthandwerk gibt es an den Stän-
den und natürlich auch Crêpes, Bio-Glüh-
wein und Tee, die von innen wärmen. Feu-
erschalen wärmen von außen. Für die Kin-
der gibt es Kasperletheater und wechseln-
des Programm. Mehr Info, wie die Auftrit-
te der Livebands und Workshops, auf
http://www.gansamwasser.de. LKA

Mollsee im Westpark, zwischen dem 29. No-
vember und 22. Dezember immer Freitag
16 bis22 Uhr, Samstag 11 bis 22 Uhr, Sonntag
11 bis 21 Uhr.

Endlich haben die Leute im West-
end einen Christkindlmarkt: Fami-
lien-Weihnachtszauber am Bavariapark
heißt er und ist um die Schneckenfigur auf-
gebaut. Schon lange war versucht wor-
den, dort einen Markt zu etablieren. We-
gen des empfindlichen Bodenbelags hatte
es nie eine Genehmigung gegeben, aber
nun hat es geklappt. Auf dem Platz dreht
sich das alte Kinderkarussell der Auer
Dult, ein Gastro- und Handwerkskunst-
Sortiment wird an den Ständen feilgebo-
ten, es gibt Kasperletheater und der im
Westend ansässige Musiker-Tausendsas-
sa Titus Wadenfels kümmert sich um das
Kulturprogramm. Es ist also kein x-beliebi-
ger Markt, der hier entstanden ist, auch
wenn die Macher nach der Zusage nicht
viel Zeit für die Planung hatten. Trotzdem
lässt sich natürlich bestens auch nur ein
gutes Tässchen Glühwein mit den Nach-
barn trinken, während die Kleinen auf
dem Karussell ihre Runden drehen. LKA

Bavariapark auf der Schwanthalerhöhe, Don-
nerstag bis Sonntag 10.30 bis 20.30 Uhr, Frei-
tagundSamstag 10.30 bis 22 Uhr, Heilig-
abend 10 bis 14 Uhr.

Zum 15. Mal findet der farbenfro-
heste Weihnachtsmarkt der Stadt
statt: Pink Christmas! Ursprünglich aus
der queeren Szene heraus entstanden,
zieht der Markt mit den weißen Pagoden-
zelten auf dem Stephansplatz heute die
Nachbarschaft und Fans aus allen Vierteln
an, die es mögen, wenn ein bisschen was
los und geboten ist. Meistens ist Pink
Christmas gut besucht. Wer ein tiefgründi-
ges Gespräch mit seiner Begleitung füh-
ren möchte, ist vielleicht anderswo besser
aufgehoben. Die Atmosphäre ist fröhlich,
auf der Bühne treten ab 19 Uhr dienstags,
donnerstags und sonntags Sänger und
Travestiekünstler auf, die es auf anderen
Weihnachtsmärkten garantiert nicht zu se-
hen gibt, an allen anderen Abenden legt
ein DJ Hits und Schlager auf. Zusätzlich zu
den gängigen Glühwein- und Bratwurstbu-
den lädt dieses Jahr noch eine Prosecco-
Bar zum Zusammenkommen ein. LKA

Der Weihnachtsmarkt hat jeden Tag ab 16 Uhr
geöffnet, am Wochenende schon ab 12 Uhr,
um 22Uhr gehen die pinkfarbenen Lichter
aus. Der Markt befindet sich auf dem Ste-
phansplatz im Glockenbachviertel, vom 25 No-
vember bis zum 22 Dezember, mehr Infos un-
ter http://www.pink-christmas.de.

Den vielleicht kleinsten Weih-
nachtstreff Münchens stellt das
vielleicht kleinste Café Münchens auf die
Beine: die Pinguini Cafébar unterhalb der
Arcaden des Hochhauses an der Blumen-
straße. Mir nur ein paar winzigen Hockern
im schmalen Innenbereich empfiehlt es
sich, in der kalten Jahreszeit erfinderisch
zu werden. „Pinguinis Weihnachtstreff“
hat schon an zwei Dienstagen im Novem-
ber stattgefunden, die nächsten Termine
sind der 10. und der 17. Dezember. Dafür
schmücken die Betreiberinnen die Terras-
se festlich; Lichter und Kerzen sorgen für
Romantik, Felle und Decken wärmen. Aus-
geschenkt wird Glühwein eines Pfälzer
Winzers, und wer es mit Glühwein nicht so
hat, kann auch zu Weißwein oder Bier grei-
fen. Dazu gibt es Raclette und Waffeln.
Streng genommen ist der Treff kein
Markt, hier wird nur Kulinarisches ver-
kauft. Schlicht und auf das Wesentliche
konzentriert, eignet sich dieser Treff für
Weihnachtsphobiker, die mit Gedrängel
und zu viel Remmidemmi fremdeln. LKA

Jeweils von 16 bis 21 Uhr, Unterer Anger 4 /Blu-
menstraße 28b.

Der Lässige


Der Märchenhafte Der Grüne


von franz kotteder

W


enn man dem Wirtschaftsreferen-
ten Clemens Baumgärtner (CSU)
und seiner Veranstaltungsabtei-
lung glauben möchte, dann hat der Christ-
kindlmarkt vor dem Rathaus eine Traditi-
on, die bis ins 14. Jahrhundert zurück-
reicht. Denn schon auf den sogenannten Ni-
kolaimärkten hätten die alten Münchner
„Nützliches, Schönes und Nahrhaftes ein-
gekauft“. Man könnte jetzt fragen, was
man seinerzeit darunter verstand, oder
auch, wo sich denn auf unseren aktuellen
Christkindlmärkten eigentlich überhaupt
noch „Nützliches, Schönes und Nahrhaf-
tes“ finden lässt? Aber das wäre natürlich
schon ein bisschen defätistisch, und Christ-
kindlmarkthasser gibt es in dieser Stadt ei-
gentlich schon genug.


Das ist aber nicht weiter erstaunlich,
schließlich gibt es schon mehr als genug
Christkindlmärkte. Nach amtlicher Zäh-
lung sind es bereits „über 30 größere und
kleinere“, wobei die gefühlte Zahl eher bei
„über 130“ liegt. Denn kaum neigt sich der
Monat November seinem Ende entgegen,
schon scheinen sie auf jeder freien Fläche,
die größer als drei oder vier Autoparkplät-
ze ist, aus dem Boden zu schießen. Öffnet
man im Dezember die Haustüre, kann es
leicht sein, dass man über eine Bretterbu-
de stolpert, einem Weihnachtsmann in die
Arme fällt oder mindestens von Glühwein-
schwaden umweht wird.
Nun gut, das war jetzt ein bisschen über-
trieben. Aber dennoch kann man leicht
den Eindruck gewinnen, jeder Einzelhänd-
ler und jedes Großunternehmen dieser
Stadt übe sich dieser Tage im erbarmungs-
losen Vollzug der „staadn Zeit“ vor Heilig-
abend. Und nicht selten geschieht das


durch die Aufstellung eines Christkindl-,
Weihnachts-, Winterzauber- oder sonsti-
gen Marktes, der individuell auf bestimm-
te Zielgruppen zugeschnitten wird. „Frie-
de auf Erden und den Menschen ein Wohl-
gefallen“, wie es in der Bibel heißt, ist da-
mit nur bedingt zu erreichen. Gelegentlich
tut man sich auch sichtlich schwer, adäqua-
te Weihnachtsstimmung zu verbreiten. Be-
sonders an verkehrsreichen Plätzen gera-
ten die Budendörfer dann gerne mal zu ast-
reinen Tristkindlmärkten.
Der Begriff „Tradition“ im Zusammen-
hang mit Christkindlmarkt ist ohnehin pro-
blematisch. Woher weiß man schon so ge-
nau, was vor 700 Jahren die Adventszeit
ausmachte? Fette Bratwürste dürften Jahr-
hunderte lang wohl nicht zum Standard ge-
hört haben, weil die breite Bevölkerung so-
wieso froh war, wenn sie überhaupt etwas
zum Nagen und zum Beißen hatte. Und der
Glühwein? Denn gibt es – kaum zu glauben


  • erst seit 49 Jahren auf dem Christkindl-
    markt, der sich damals noch beim Hoch-
    bunker an der Blumenstraße befand. Ein-
    geführt hat ihn die Standlbetreiberin Karo-
    la Reuss. Eigentlich verkaufte sie Christ-
    baumkugeln, aber dann fragte sie sich im
    Jahr 1969 eines Tages, warum es denn kei-
    ne heißen Getränke auf dem Markt gebe?
    Zusammen mit ihrem Mann eröffnete sie
    im Jahr darauf einen Stand für Heißgeträn-
    ke mit Kaffee, Tee, Milch, Kakao – und
    eben Glühwein nach einem alten Familien-
    rezept. Karola Reuss ist bereits verstorben,
    ihren Stand gibt es noch immer, seit 1972
    auf dem Marienplatz: Nummer 58, „Glüh-
    wein nach Großmutterart“ steht auf dem
    Schild, ihr Sohn führt ihn zusammen mit
    seiner Frau weiter.
    Was da so relativ spät eingeführt wurde,
    steht heute flächendeckend für Weih-
    nachtsmärkte generell. Das hat Auswirkun-
    gen bis auf die Theresienwiese und den
    Weihnachtsmarkt des Tollwood-Winter-
    festivals. Dort gibt es ja nicht nur die riesi-
    gen Bazar-Zelte mit allerlei leicht ver-
    schenkbarer Multikulti-Keramik, peruani-


schen Strickhandtaschen, Saris, marokka-
nischen Ledergürteln, kenianischen Sanda-
len und wärmenden Folkloredecken, die
angeblich mit original Lama-Spucke aus
dem Himalaja wetterfest imprägniert wur-
den, und anderen Öko-Klimbim. Sondern
es gibt auch eine erkleckliche Anzahl von
großen Glühweinbuden, in denen beinahe
jegliche Art von erhitzbarem Alkohol zu be-
kommen ist und um die sich an föhnwar-
men Frühwinterabenden oft große (Glüh-
wein)-Trauben bilden, sodass man meinen
könnte, der halbe Ballermann sei wegen

der rigiden mallorquinischen Behörden
hierher ins Exil geflüchtet.
Nein, „Tradition“, das ist dann vielleicht
doch eher der Kripperlmarkt, in diesem
Jahr vor dem Alten Peter situiert. Weih-
nachtskrippen sind zwar ein wenig aus der
Mode, aber in vielen Familien werden sie
weiterhin Jahr für Jahr aufgestellt und lie-
bevoll erneuert, wenn etwas kaputtgegan-
gen ist. Das zeigt allein schon der Andrang,
den das Bayerische Nationalmuseum je-
den Winter in seiner Krippensammlung zu
verzeichnen hat. Vielleicht gibt es deshalb

dieses Jahr gleich zwei große Krippen im
Prunkhof des Rathauses und eine am
Marienplatz beim Rindermarkt zu bestau-
nen. Traditionelle adventliche Volksmusik
wechselnder Qualität gibt es täglich um
17.30 Uhr vom Rathausbalkon zu hören.
Und donnerstags kann man sie um
16.30 Uhr zusammen mit den Musikantin-
nen Traudi Siferlinger und Monika Drasch
sogar selber singen und musizieren, je-
weils eine halbe Stunde lang.
Wer’s lieber ein bisschen gruselig mag,
mit Anklängen ans vorchristliche Brauch-

tum rund um den Jahreswechsel, der möge
doch den Schaulauf der Krampusse (rund
300 Mitwirkende!) am 8.Dezember um
15Uhr besuchen. Jenen, denen Christkindl-
märkte generell ein Graus sind, wird das
nicht helfen. Aber es bleibt ihnen ja unbe-
nommen, sich in dem vielfältigen Angebot
an Weihnachtsmärkten den herauszusu-
chen, dessen Angebot ihnen entgegen-
kommt, und seinen Besuch zur eigenen
Tradition werden zu lassen. Hilft auch das
nichts, dann bleibt wohl nur noch die
Flucht auf eine einsame Insel.

Der Neueste


Der Bunte


Der Kleinste


Es weihnachtet sehrKripperl undStrohsterne hier, Folkloredecken und jegliche Art von erhitztem Alkohol da –


das Spektrum der Christkindlmärkte in der Stadt ist groß. Neben den Klassikern in der Innenstadt oder in Schwabing


findet sich eine ganze Reihe alternativer Orte, um die Adventszeit zu zelebrieren


Den Menschen


ein Wohlgefallen


Auch wenn manches adventliche Budendorf
nur ein „Tristkindlmarkt“ geworden ist:
Weihnachtstradition lässt sich schon noch finden

Wer es weihnachtlich-leuchtend mag, ist am Chinesischen Turm im Englischen Garten genau richtig. FOTO: CLAUS SCHUNK

Nach amtlicher Zählung


gibt es „über 30 größere und


kleinere“ Christkindlmärkte


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Tradition in allen
Ehren –bei der Fülle an
Christkindlmärkten in der Stadt
ist es schön, Abwechslung
zu haben. Alternative Konzepte
finden sich auf dem
Märchenbazar (1), auf der Alten
Utting (2) und am Café Gans
am Wasser (3). Pink Christmas
auf dem Stephansplatz ist schon
eine eigene Tradition (4), neu sind
der Winterzauber für das Westend
(5) und der kleinste
Weihnachtstreff der Innenstadt (6).
FOTOS: FABIAN CHRIST/OH,
ROBERT HAAS, STEFANIE PREUIN,
FLORIAN PELJAK, OH (2)

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R2 (^) THEMA DES TAGES Mittwoch, 27. November 2019, Nr. 274 DEFGH

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