Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1

München –MenschenähnlicheRoboter
sollen die Weltraumforschung voranbrin-
gen. Und der Münchner Ingenieur Zied
Tayeb will dabei sein. Er schreibt seine Dok-
torarbeit an der TU München am Lehrstuhl
für Kognitive Systeme von Gordon Cheng,
einem der führenden Robotikforscher in
Deutschland. Dort werden selbst lernende
Roboter für verschiedene Anwendungen
entwickelt. Tayeb ist mit seinen 28 Jahren
aber nicht nur hochtalentierter Nach-
wuchswissenschaftler, sondern bald auch
Unternehmer. Gerade weilt er in Singapur,
wo er seine Forschung zur Künstlichen In-
telligenz vertieft. Sein Start-up „Myelin S“
steht kurz vor der Gründung. Gemeinsam
mit seiner Partnerin Samaher Garbaya, 24,
will er es anmelden, sobald er aus Asien zu-
rück ist. Vor Kurzem waren die beiden als
einziges europäisches Start-up zu einer
Präsentation bei der Nasa eingeladen. Eine
prägende Erfahrung, erzählt der junge Tu-
nesier.


SZ: Wie kamen Sie auf die Idee, sich bei
dem Wettbewerb der Nasa zu bewerben?
Zied Tayeb: Ich forsche seit drei Jahren zu
Schnittstellen zwischen dem menschli-
chen Gehirn und Computern. Ein früherer
Mentor sagte mir eines Tages: Für diese
Themen interessieren sich doch auch Welt-
raumorganisationen. Die Chance, bei der
Erkundung des Weltalls mitzuwirken, woll-
ten wir natürlich nicht verpassen. Also ha-


ben wir uns beworben und wurden eingela-
den, als einzige Europäer.

Eigentlich forschen Sie aber im Dienste
der Medizin?
Ja. Meine Mutter leidet an Multipler Sklero-
se und kann nicht mehr gehen. Das war für
mich ein wichtiger Antrieb, um herauszu-
finden, wie man Prothesen entwickeln
kann, die der Mensch spüren und steuern
kann. Daher auch der Name unseres Start-
ups: Myelin ist eine Membran, die Nerven-
zellen schützt und dafür sorgt, dass die Si-
gnale aus dem Gehirn weitergeleitet wer-
den.

Und was wäre der Vorteil dieser Entwick-
lung für die Weltraumforschung?
Astronauten und Roboter könnten zusam-
menarbeiten. Aus Raumschiffen könnten
Menschen die Robonauten fernsteuern
und sie zum Beispiel gefährliche Aufträge
erledigen lassen. Unsere Software hat meh-
rere Funktionen: Sie dient einerseits der
Navigation, indem die Maschinen selbstän-
dig Karten erstellen und Hindernisse um-
gehen. Sie gibt außerdem taktiles Feed-

back. Das heißt, sie lässt die Menschen
durch die Hand des Roboters fühlen, was
er fühlt, genauso wie bei den Prothesen.
Und ihre dritte Funktion ist die Neugier.
Neugier?
Am Anfang großer Entdeckungen stand
doch immer Neugier. Also bringen wir un-
serer Software bei, selbst zu entscheiden,
was interessant aussieht. Das könnten selt-
same Felsformationen sein, verformte Ma-
schinenteile oder auch dreiäugige Fische –
je nachdem, wie der Algorithmus eben vor-
her trainiert wurde, auf was er unterwegs
achten soll.

Gewonnen haben Sie den Wettbewerb in
New Mexiko zwar nicht, aber Sie durften
sich führenden Vertretern der Nasa, des
Kennedy Space Centers und des US-Vertei-
digungsministeriums vorstellen. Was
springt dabei heraus?
Geld gibt es bei diesem Wettbewerb ohne-
hin keines. Aber allein dabei zu sein, war
die wichtigste Erfahrung meines Lebens.
Wir hatten intensive Gespräche mit den
Amerikanern und erhielten Kontakt zu
amerikanischen Start-ups, mit denen wir
vielleicht kooperieren können. Das würde
die Nasa dann sogar fördern.

Haben Sie keine Skrupel, von der Nasa ge-
fördert zu werden? Könnte Ihre Software
nicht eines Tages auch Killerrobotern die-
nen?

Es gibt unzählige Anwendungsmöglichkei-
ten für unsere Technologie, in der Medizin,
in der Pflege, in der Navigation oder auch
für militärische Aufklärung. Nein, Skrupel
habe ich nicht, ein Kriegseinsatz liegt wirk-
lich noch in weiter Ferne.

Sie beide sind zurzeit ständig unterwegs,
um Unterstützer für Ihr Start-up zu gewin-
nen ...
Ja, meine Partnerin war in der Zwischen-
zeit in Luxemburg, wir wurden dort unter
die Top fünf bei einem europäischen Ideen-
wettbewerb gewählt. Da ergeben sich wo-
möglich auch Fördermöglichkeiten. Das
freut uns natürlich sehr.

Sie und Samaher Garbaya stammen beide
aus Tunesien. Wo haben Sie sich kennen-
gelernt?
Ich habe Samahers Masterarbeit an der
Universität von Tunis betreut. Sie interes-
siert sich genauso wie ich für künstliche In-
telligenz, wir brennen beide für unsere
Ideen. Und dann haben wir uns verliebt.
Wir ziehen am gleichen Strang, aber wenn
man so viel Energie in ein Start-up steckt,
kann es manchmal auch Stress geben. Ich
habe von anderen Gründern gehört, dass
eine Beziehung darunter schon mal leiden
kann, aber bis jetzt läuft es prima mit uns
(lacht).

interview: martina scherf

„Am Anfang großer
Entdeckungenstand
doch immer Neugier.“

von antje weber

F


reiheit“, dieses Wort schrieb Sophie
Scholl in Großbuchstaben auf die
Rückseite ihrer Anklageschrift;
„Freiheit“ war das letzte Wort ihres Bru-
ders Hans, als er 1943 hingerichtet wurde.
An einem denkwürdigen, erschüttern-
den Montagabend erinnert Michael Then
in der Großen Aula der Ludwig-Maximili-
ans-Universität daran. Nicht nur in der Re-
de des Vorsitzenden des bayerischen Lan-
desverbands des Börsenvereins des Deut-
schen Buchhandels geht es um Meinungs-
freiheit, um Freiheitsberaubung; das Wort


Freiheit scheint in Großbuchstaben im
Saal und später beim Empfang im Lichthof
zu schweben, unsichtbar, aber unüberhör-
bar ist es, allgegenwärtig. Denn zum ers-
ten Mal in 40 Jahren Geschwister-Scholl-
Preis – mit Ausnahme eines posthum ver-
liehenen Preises an Anna Politkowskaja –


kann die Auszeichnung nicht vom Geehr-
ten selbst entgegengenommen werden: Ah-
met Altan sitzt im Gefängnis.
Vor drei Jahren wurde der türkische
Schriftsteller und Journalist festgenom-
men und zu lebenslanger Haft verurteilt;
„unter dem fadenscheinigen Vorwand der
Umstürzlerei“, wie Oberbürgermeister Die-
ter Reiter in einer sehr klar Position bezie-
henden Rede sagt. Inzwischen wurde das
Strafmaß herabgesetzt, Altan sogar kürz-
lich freigelassen, jedoch nach einer Woche
erneut eingesperrt. „Ich werde die Welt nie
wiedersehen“, diese Befürchtung steht als
Titel über seinen so klugen wie berühren-
den Texten aus dem Gefängnis, für die er
nun ausgezeichnet wird. Eine „Kapitulati-
on vor dem Unrecht“ sei dieses Buch je-
doch nicht, darauf verweist Reiter, son-
dern „ein öffentlicher Aufschrei, der nach
Solidarität ruft, unser aller Solidarität“. Al-
tan habe darauf jeden Anspruch: „Denn es
sind auch unsere Werte, für die er im Ge-
fängnis sitzt – Demokratie, Freiheit und
Recht.“ In einem Brief an den Außenminis-
ter, so der Oberbürgermeister, habe er das
vor einigen Tagen deutlich gemacht.

Das sind Möglichkeiten, die nicht alle
Bürger der Stadt haben; viele bezeugen ih-
re Solidarität durch ihre Anwesenheit in
der gut gefüllten Aula – und langen Ap-
plaus für alle Redner. Michael Then etwa
beschreibt Altan als einen „Meister des
Wortes“, nach dessen Auffassung es für je-
den Menschen einen Satz gebe, der nur
ihm gehöre. „In Ländern wie der Türkei be-
stimmt der Staat, welche Sätze wiederholt
werden sollen“, zitiert er Altan. „Wer uner-
wünschte Sätze wiederholt, begeht ein Ver-
brechen.“ Neue, bewegende Sätze Altans
sieht Then zum Beispiel in diesen: „Wenn
ihr meine Romane lest, dann gebt ihr mir
Gastfreundschaft. Dann bin ich in meinem
Gefängnis nicht mehr allein.“
Das „Gastrecht“, das Altan in den Häu-
sern und Sälen all derer genießt, die seine
Zeilen lesen und seinen Namen nennen –
auch für die Laudatorin Christiane Schlöt-
zer gehören solche, die Kraft der Literatur
beschwörenden Passagen zu den schöns-
ten des Buches. Die SZ-Korrespondentin
in der Türkei ordnet in ihrer Rede noch ein-
mal genauer die politischen Umstände ein,
die zur Verhaftung Altans führten, sie erin-

nert an den Mut des Autors vor Gericht, als
er den Richtern ins Gesicht sagte: „Eine
Justiz, die schon tot ist oder gerade stirbt,
hat einen fauligen Geruch.“ Für Altan sei
der Zustand der Türkei heute eine „Tragö-
die“, wahlweise auch eine „Komödie“. Im-
merhin, so lässt sie als Hoffnungsschim-
mer erkennen: Altan halte nicht nur als
Zeitzeuge und Ankläger „das Bild einer

Epoche der großen Verwirrung“ fest, son-
dern glaube auch, bereits deren Ende zu er-
kennen: „Die wirklich große Gefahr für Er-
doğan“, so erinnert sie an seine Verteidi-
gungsrede, „sind nicht die Stimmen seiner
Gegner, sondern das Schweigen seiner Un-
terstützer.“ Da nicken, nachdenklich, man-
che Köpfe im Saal.
Stellvertretend nimmt dann Yasemin
Çongar den Preis entgegen; die Autorin
und Vertraute Altans betont, wie viel die-
ser Preis ihm bedeute. Das wird auch in sei-

ner Dankesrede offenkundig, die Çongar
auf Englisch vorträgt und in der Altan be-
schwörend schreibt, dass wir Menschen an-
gesichts unseres unausweichlichen Todes
Ziele brauchen, die wichtiger sind als un-
ser Leben; dass Mitleid, Güte und Klugheit
gegen die „toxische Mischung“ aus Natio-
nalismus, Hass, Schlechtigkeit und Dumm-
heit wirken können. Der Preis jedenfalls,
auch dies schreibt Altan aus dem Gefäng-
nis, habe einen Teil der Kraft der Geschwis-
ter Scholl „auch auf mein Leben übertra-
gen und damit meine Widerstandskraft in-
nerhalb dieser Mauern gestärkt“.
Die zu überwinden ist ihm ja ohnehin
möglich. Vielzitiert sind die letzten Seiten
seines Buchs, von Schauspieler Benjamin
Radjaipour zum Schluss vorgelesen. Er be-
sitze die Zaubermacht, die allen Schriftstel-
lern eigen sei, verrät er da: mühelos durch
Wände zu gehen. Bis ihm dies auch leibhaf-
tig gelingt, gilt es, immer wieder den nicht
neuen, aber derzeit für Altan wohl wichtigs-
ten Satz zu wiederholen; einen Satz, der
kürzlich über einem Aufruf von Nobelpreis-
träger Orhan Pamuk stand und mit dem
auch Reiter schließt: „Lasst ihn frei!“

Freiheit – mehr


als ein Wort


Der türkische Schriftsteller Ahmet Altan
erhält den Geschwister-Scholl-Preis –
in Abwesenheit, denn der Preisträger
kann nur vom Gefängnis aus danken

Zied Tayeb mit dem Modell eines menschlichen Gehirns. Er will, dass Mensch
und Maschine besser kommunizieren lernen. FOTO: FABIAN VOGL/TUM

Weltraumrobotern das Fühlen beibringen


Zied Tayeb forscht an Künstlicher Intelligenz. Er entwickelt Prothesen, die Kranke mit dem Gehirn steuern können. Jetzt hat auch die Nasa Interesse an seiner Software gezeigt


Yasemin Çongar
nimmt am Montag
den Geschwister-
Scholl-Preis für
den türkischen
Schriftsteller
Ahmet Altan
entgegen. Sie betont
in der gut gefüllten
Großen Aula der
LMU, wie viel
dem Autor dieser
Preis bedeute. Das
wird auch in seiner
Dankesrede
offenkundig, die
Yasemin Çongar
stellvertretend
vorträgt.
FOTOS: FLORIAN PELJAK

Der Preis „hat meine
Widerstandskraft innerhalb
dieser Mauern gestärkt“

SZENARIO


R6 (^) LEUTE Mittwoch, 27. November 2019, Nr. 274 DEFGH
Sakradi
Ein bayrisches Kartenspiel
Von Reiner Knizia
Für 3-5 Spieler, ab 8 Jahren
ISBN: 978-3-86497-509-7
14,99 €
Zünftig zocken.
Ein Angebot der Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Str. 8, 81677 München.
1 1
1 1
Striezi_ALLE_Kartendecks_56x87_190319_ANSICHT.indd 1
19.03.19 09:49
3
3
3
3
Striezi_ALLE_Kartendecks_56x87_190319_ANSICHT.indd 23 19.03.19 09:49
7
7
7
7
Striezi_ALLE_Kartendecks_56x87_190319_ANSICHT.indd 47 19.03.19 09:49
Das bayrische Kartenspiel des preisgekrönten Spiele-Autors Reiner Knizia.
Hier ist Spielspaß garantiert: ob unterwegs oder zu Hause, ob für Groß
oder Klein. Wer als erster zehn verschiedene bayrische Motive ergattert,
gewinnt. Los geht die Gaudi!
Erhältlich auch im ServiceZentrum der Süddeutschen Zeitung,
Fürstenfelder Straße 7, 80331 München
Jetzt im Handel oder bestellen:
sz-shop.de/spiele
089 / 21 83 – 18 10

Free download pdf