Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
Maxvorstadt– „Wachet auf!“ lautet das
Motto des vorweihnachtlichen Benefizkon-
zerts des Bundespolizeiorchesters Mün-
chen. Unter der Leitung von Chefdirigent
Jos Zeger ertönen an diesem Mittwoch,


  1. November, von 20 Uhr an Bläsermusik
    und Orgelklang in der Universitätskirche
    St. Ludwig an der Ludwigstraße 22. Auf
    dem Programm stehen Werke von Bach,
    Beethoven, Heuberger, Saint-Saëns und
    Strauss. Der Eintritt zum Konzert ist frei,
    es werden jedoch Spenden gesammelt. Mit
    dem Erlös unterstützt das Bundespolizeior-
    chester die „Aktion Sonnenschein“, eine ge-
    meinnützige Stiftung zur Förderung von
    Kindern mit Entwicklungsstörungen und
    Behinderungen. brju


von ellen draxel

L


illy ist ein Energiebündel. Ein neun-
jähriges Mädchen mit ungeheuer
viel Fantasie – so viel, dass man nie
genau weiß, ob es nun die Wahrheit erzählt
oder sich in Traumwelten hineinbegibt.
„Ich sage Dir, ich bin eine Schwindlerin“,
verrät Lilly ihren Mitreisenden gleich zu
Beginn des Ein-Personen-Stücks. Ein
Satz, den sie während der gut einstündigen
Inszenierung mehrmals wiederholen wird.
„Lillys Bus“ ist ein etwas anderes Thea-
terstück. Es richtet sich an Kinder ab acht
Jahren, spielt aber nicht in einem klassi-
schen Zuschauerraum, sondern in einem
zur Bühne umgebauten ehemaligen Linien-
bus, der im Hof des Pathos-Theaters an
der Dachauer Straße 110 D steht. Lilly reist
mit dem goldverzierten, beheizbaren Bus
imaginär durch die Lande, nach Paris, an
die Adria, nach Russland und zum Zucker-
hut. Die Fenster des 30 Jahre alten Fahr-
zeugs sind innen mit Vorhängen verdun-
kelt, Scheinwerfer hängen an den Seiten-
wänden, das Heck wurde zur Bühne ummo-
delliert.
Wenn Schauspielerin Noemi Fulli alias
Lilly durch den Bus turnt – was sie ununter-
brochen tut –, hüpft, tanzt oder klettert die
Protagonistin direkt an den Kindern auf ih-
ren roten Sitzbänken vorbei. Und wird da-
bei von Kinderlachen begleitet. Denn dass
Lilly ein bisschen schräg ist und ständig in
andere Rollen schlüpft – mal ist sie eine
Taube, mal ein Tanzbär, dann Oma und
Opa, Polizist, Gräfin Dracula –, können ih-
re jungen Zuschauer gut nachvollziehen.
Für die Kinder ist es auch einleuchtend,
dass Lilly mit dem Bus spricht und ein Seil
als Telefonschnur benutzt oder einen Win-
deleimer als Toilette zweckentfremdet.

Pippi-Fans erinnert Lilly ein wenig an
die Heldin der Astrid-Lindgren-Geschich-
ten – zumal die gebürtige Römerin Fulli
die Lilly extrem temperamentvoll, fröhlich
und kommunikativ verkörpert. Der Unter-
schied zu Pippi Langstrumpf: Lillys Reali-
tät sieht anders aus, als sie es im Bus zeigt.
Denn Lillys Vater ist Sinto, ihre Mutter
Deutsche – und obwohl das Mädchen faszi-
niert davon ist, zum „fahrenden Volk“ zu
gehören, ist sie in Wahrheit nie aus Mün-
chen rausgekommen, weil der Familie das
Geld dafür fehlt. Also flüchtet sie sich in er-
träumte Kindheitserinnerungen. Insofern
ist „Lillys Bus“ auch ein Stück für Erwach-

sene: vielschichtig, mit tiefem, humorvol-
lem Einblick in die Seelenräume und die
Identitätssuche eines Teenies, der schon
früh mit Vorurteilen konfrontiert wurde.
„In Lillys Bus geht es um Rassismus und
Antiziganismus und um das Erfinden von
Geschichten, die der Hauptfigur helfen, ihr
Leben zu meistern“, erläutert Autorin und
Regisseurin Maja Das Gupta. So zieht Lilly,
die von Mitschülern als „Zigeunerkind“
und „Zimmerpflanze“ gemobbt wird,
gleich zu Beginn der Fantasie-Busreise ih-
ren langen „Zigeuner“-Rock aus und wirft
ihn in die Ecke. Handwerkerkluft ist ihr
sympathischer. Danach fragt sie die Kin-

der, ob sie glaubten, sie, Lilly, sei dreckig?
Und eine Diebin? Die beiden Geldbeutel,
die Lilly daraufhin aus der Tasche zieht, ha-
be sie auf dem Flohmarkt erstanden, er-
zählt die Titelheldin. „Vorurteile zu thema-
tisieren ist wichtig“, findet Das Gupta. Die
„Gratwanderung“ bestehe darin, dies zu
schaffen, ohne zu diskriminieren. Lilly hat
die 45-jährige Dramaturgin daher als „Pi-
nocchio-Figur“ gestaltet – als fröhliche
Person, die mit allem spielt und bewusste
oder auch unbewusste Spitzen setzt.
Am Landestheater Sachsen, wo „Lillys
Bus“ 2012 uraufgeführt wurde, ist das
Stück mittlerweile ein Renner und dauer-
haft im Spielplan. In München ist die Insze-
nierung diese Woche zum ersten Mal zu er-
leben – samt Schreib- und Theaterwork-
shops für Schulklassen und Horte. Das Ta-
gesheim Welzenbachstraße hat nach der
ersten Probe am vergangenen Mittwoch
im Theaterworkshop ein Rhythmusorches-
ter mit rollenden Rädern, quietschenden
Sitzen, plappernden Mikros und hupen-
dem Lenkrad erarbeitet. Und die Schreib-
gruppe durfte das Leben im Bus aus Sicht
von Gegenständen zu Papier bringen. „Ich
war am Strand der Adria und habe das Mee-
resrauschen genossen“, ließen die Schüle-
rinnen Erjona, Nina und Alketa Lillys Gitar-
re sagen. „Aber warum zupft Lilly immer
an mir herum? Ich bin doch so kitzelig und
mag es am liebsten, zu chillen.“ Zugehört
haben die Mädchen Lilly also offenbar. Um
danach, ganz nach Lillys Manier, ihre eige-
ne Interpretation weiterzuspinnen.
Das Pathos zeigt „Lillys Bus“ zu sieben
Euro je Karte am Donnerstag und Freitag,


  1. und 29. November, jeweils um 10 und
    15 Uhr sowie am Samstag und Sonntag,

  2. November und 1. Dezember, um 15 Uhr
    im Hinterhof der Dachauer Straße 110.


Mittwochs-Blues
Die Bernd-Bauer-Blues-Bandand Friends, al-
te Hasen der Münchner Szene, spielen an die-
sem Mittwoch, 27. November, 20 Uhr, im „Vin-
zenz“, Elvirastraße 17 a auf. Der Eintritt zur
„Stormy Wednesday“-Session ist frei.

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Theater auf Rädern: Ein ehemaliger Linienbus wurde zur Bühne umfunktioniert,
Schauspieler und Publikum kommen sich ganz nah.

Maxvorstadt – Der Bodenbereich um
Baumstämme, die sogenannte Baumschei-
be, ist bei Gehölzen in der Stadt oft beson-
ders gefährdet: Parkende Autos können
den Stamm, herumtrampelnde Passanten
die Wurzeln beschädigen. So schützt man
das Fußbett der Gehölze mit Metallgittern
oder Abdeckplatten; allerdings können die-
se Platten ihrerseits die Stadtmenschen ge-
fährden, wie sich vor der St.-Benno-Kirche
am Ferdinand-Miller-Platz offenbar zeigt.
Die SPD im Bezirksausschuss berichtet in
einem Antrag von Kindern, die beim Spie-
len oder Rollerfahren über die arg breiten
Lücken stürzten, die sich da bei den kreis-
runden Abdeckplatten aufgetan hätten.
Auch für Kirchgänger seien die Unebenhei-
ten gefährlich. Per Beschluss bittet das Gre-
mium jetzt die Stadt, die Baumscheiben zu
reparieren oder zu ersetzen. smüh

Neuhausen/Nymphenburg– Ihre Anträ-
ge und Anfragen können Neuhauser und
Nymphenburger am Donnerstag, 28. No-
vember, bei der Bürgerversammlung in
der Turnhalle des Adolf-Weber-Gymnasi-
ums loswerden. Von 18 bis 19 Uhr stehen
dort, wie üblich, Vertreter von Verwaltung,
Münchner Verkehrsgesellschaft, Polizei,
Seniorenbeirat und Bezirksausschuss für
Fragen zur Verfügung. Die von FDP-Frakti-
onschef Michael Mattar geleitete Ver-
sammlung an der Kapschstraße 4 beginnt
um 19 Uhr. Ehe die Bürger das Wort haben,
gibt es einen Überblick über aktuelle The-
men im Viertel. Auf der langen Liste unter
anderem: der Bau der zweiten S-Bahn-
Stammstrecke und der Umbau des Bahn-
hofs Laim sowie des Romanplatzes, die Ent-
wicklung beim Kreativquartier sowie die
Pläne für die Paketposthalle, und wie das
Viertel in Sachen Sport, Kultur, Schulen
und Kindertagesstätten dasteht. son

Benefizkonzert


des Polizeiorchesters


Neuhausen– Einen Einblick in die jüdi-
schen Speisevorschriften und die kulinari-
sche Tradition im Judentum gibt ein Vor-
trag an diesem Mittwoch, 27. November,
19.30 Uhr, im Gemeindesaal der Christus-
kirche, Dom-Pedro-Platz 5. Rabbiner Ste-
ven Langnas erklärt, welche Speisevor-
schriften es im Judentum gibt und wie
man sie im Alltag praktiziert. brju


Neuhausen– Viele öffentliche, kirchliche
und private Gebäude haben sich im Laufe
der Zeit verändert. Ruinen wurden abge-
räumt und Neubauten errichtet, Hausfas-
saden haben ihre Stuckelemente verloren,

Türme, Dächer, Fenster oder Eingänge
wurden neu gestaltet, Vorgärten ver-
schwanden. Oder, weniger alltäglich: Ein
ehemaliges Schwimmbecken wird nicht ab-
gerissen und zugeschüttet, sondern um-

hüllt einen neuangelegten „Senkgarten“,
wie im Taxispark in Gern. Besonders gut
nachzuvollziehen ist der Wandel, den
Stadtviertel durchlaufen, in der direkten
Gegenüberstellung, wie man in den beiden
Bänden „Neuhausen-Nymphenburg einst
und jetzt“ der Neuhauser Geschichtswerk-
statt sieht. Kein Lamentieren über vernich-
tete alte Bausubstanz, unterstreicht Franz
Schröther, der Vorsitzende der Geschichts-
werkstatt, sondern ein Wachhalten von Er-
innerungen, und für die jüngere Generati-
on eine Quelle der Entdeckungen.
2012 bereits hatten die Hobby-Histori-
ker, die über ein höchst ergiebiges Bildar-
chiv verfügen, den ersten Band von „Einst
und jetzt“ vorgestellt. Er stieß auf so gro-
ßes Interesse, dass die Bücher nach 15 Mo-
naten vergriffen waren. Inzwischen ist ei-
ne zweite Auflage gedruckt worden, und ge-
rade ist Band 2 erschienen, 200 Seiten
stark, kurze Texte erläutern jede Doppel-
seite mit je einem historischen und einem
aktuellen Foto. Begleitend gibt es eine Aus-
stellung mit 30 Schautafeln in der Stadtbi-
bliothek an der Nymphenburger Stra-
ße 171, sie ist bis zum 27. Dezember zu den
üblichen Öffnungszeiten der Bücherei zu
sehen. An diesem Mittwoch, 27. Novem-
ber, zeigt Franz Schröther dort ausgewähl-
te Fotos aus beiden Bänden und erzählt
kleine Geschichten dazu, die Veranstal-
tung beginnt um 19.30 Uhr. son

Auf dem Trockenen: Aus dem ehemaligen Schwimmbecken ist das Wasser ver-
schwunden,dasAreal lädt nun anders zum Verweilen. FOTO: STEPHAN RUMPF

Von einer Rolle auf die Schnelle in die andere: Die Schauspielerin Noemi Fulli alias Lilly nimmt ihr junges Publikum mit auf eine Reise ins Reich der Fantasie und
schafft es,dass sich auch die Kinder gute Geschichten ausdenken. FOTOS: CATHERINA HESS

Lange Liste mit


brisanten Projekten


Gefährliche


Abdeckplatten


Die Speisevorschriften


im Judentum


Garten im Pool


Die Geschichtswerkstatt Neuhausen stellt ihr neues Erinnerungsbuch vor


von jürgen wolfram

U


nerwünschten Entwicklungen ist
die Stadt stets fantasievoll begeg-
net. Aus dem Werkzeugkasten der
amtlichen Korrektoren ragt die Zweit-
wohnungssteuer hervor, ein Instrument,
dessen Einsatz auch in der Alpenregion
bestens bekannt ist. Was braucht die hal-
be Welt gerade dort oder in München ein
zweites Standbein? Eben. Da hilft nur ei-
nes: zur Kasse bitten, neun Prozent der
Nettojahreskaltmiete. Oder, anderes Bei-
spiel, die Zweckentfremdung von Wohn-
raum zu Gewerbezwecken, spekulativen
Leerständen oder als Ferienimmobilie –
da sei die erweiterte Satzung von 2017
vor. Und dann lauern da noch die Proble-
me mit verwaisten Gebäuden, über deren
spätere Verwendung zwar schon entschie-
den wurde, denen akut aber Versiffung
droht. Hier heißt das Gegenmittel Zwi-
schennutzung. Noch was vergessen? Of-
fenbar. Wahrscheinlich müsste man mal
ein Blick in die Tiefgaragen werfen.
In einer dieser Verwahranstalten des
Autozeitalters an der Murnauer Straße
bot sich bis vor ein paar Wochen folgen-
des Bild: Von 202 Kfz-Stellplätzen waren
mindestens 25 derart zweckentfremdet
oder abenteuerlich fremdvermietet, dass
Polizei, Feuerwehr und Zoll, von einem ir-
ritierten Beobachter alarmiert, aus dem
Staunen nicht mehr herauskamen. Die
Behörden sondieren noch, was sich der
Kategorie „Verstöße gegen die Bauord-
nung“ zuordnen lässt und was lediglich
als Verletzung der Hausordnung durch-
geht. Jedenfalls ist es unterirdisch turbu-
lent zugegangen in Obersendling: Einige
Tiefgaragen-Abteile hatten sich in verita-
ble Werkstätten verwandelt, andere in La-
gerplätze für teils brennbare Materialien.
Manche Stellplätze präsentierten sich
vergittert, andere eingehaust. Und auf ei-
nem der Betonrechtecke für Pkw hat ein
Wohnungsloser sein Lager aufgeschla-
gen. Kurzum: Die Betonwüste lebte.
Inzwischen stehen die Zeichen deut-
lich auf Rückbau. Im diffusen Licht der
Tiefgaragen dürfte dem einen oder ande-
ren dämmern, dass es sich womöglich
nicht um Einzelfälle handelt. Hinsehen
kann sich also lohnen in diesen Katakom-
ben der Mobilität. Vielleicht schaut die
zweckentfremdungssensible Stadtver-
waltung auch gleich mal nach, was sich
unter den Oberflächen der Münchner Ge-
wässer so alles verbirgt. Wäre entweder
ufer- oder grundlos.


Gegen alle Vorurteile


Ein Linienbus wird zur Bühne, Kinder sind die Zuschauer: Wie das Stück „Lillys Bus“ mit viel Action und vor allem mit
viel Humor im Hinterhof des Pathos-Theaters dafür wirbt, dass niemand wegen seiner Herkunft diskriminiert wird

Redaktion:Thomas Kronewiter(Leitung),
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