Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
München– Jedes vierte Schulkind in Bay-
ern leidet unter psychischen Problemen.
Dies geht aus dem neuen Kinder- und Ju-
gendreport der DAK Gesundheit hervor,
den die Kasse am Dienstag in München vor-
gestellt hat. In der Altersgruppe der Fünf-
bis Neunjährigen ist der Anteil jener Kin-
der, die aufgrund einer psychischen Er-
krankung behandelt werden müssen, be-
sonders hoch – er liegt bei 35 Prozent. Viel-
fach werden sie durch sogenannte Entwick-
lungsstörungen auffällig, insbesondere im
Bereich der Sprachentfaltung. Entwick-
lungsstörungen zählen – über alle Alterstu-
fen hinweg – zu den am häufigsten auftre-
tenden psychischen Erkrankungen. An
zweithäufigsten werden emotionalen Stö-
rungen diagnostiziert, zu denen etwa die
Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivi-
täts-Störung (ADHS) zählt.
„Diese Kinder fallen auf“, sagte Sophie
Schwab, die Leiterin der bayerischen DAK-
Landesvertretung, bei der Vorstellung des
Reports. Ganz anders ist es um jene Kinder
und Jugendlichen bestellt, die in eine De-
pression hineinrutschen, die plötzlich still
und antriebslos werden. Ihre Zahl ist ange-
stiegen. Basierend auf den von einer For-
schungsgruppe der Universität Bielefeld
ausgewerteten DAK-Versichertendaten
von knapp 107 000 Kinder und Jugendli-
chen in Bayern waren im Erhebungsjahr
2017 hochgerechnet fast 17 000 Schulkin-
der landesweit wegen einer depressiven
Episode oder wegen anhaltender depressi-
ver Störungen in ärztlicher Behandlung.
Mehr als 20 000 Kinder und Jugendli-
che im Freistaat litten wiederum an einer

sogenannten Angststörung. All diese Kin-
der, so sagte DAK-Landeschefin Schwab,
stünden immer noch zu sehr im Schatten.
„Sie leiden im Stillen. Mit unserem Report
wollen wir also auch dazu beitragen, hier
ein Tabu aufzubrechen“, sagte Schwab. In
Konsequenz sei der Schwerpunkt des Re-
ports auf „Ängste und Depressionen bei
Schulkindern“ gelegt worden. Es gelte auf-
merksamer hinzuschauen – ob in der Schu-
le, in der Familie oder auch im Sportverein.

Insgesamt zwei Prozent der in Bayern
bei der DAK versicherten Jungen und Mäd-
chen zwischen zehn und 17 Jahren litten
2017 an einer diagnostizierten Depression.
„Wir müssen aber von einer hohen Dunkel-
ziffer ausgehen“, sagte Julian Witte, der als
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Biele-
felder Lehrstuhls für Gesundheitsökono-
mie und Gesundheitsmanagement an der
Erstellung des DAK-Kinder- und Jugendre-
ports beteiligt war. Oft beginne der Lei-

densweg der Betroffenen mit Symptomen,
die zunächst auf rein körperliche Be-
schwerden schließen lassen. „Häufige
Bauch- und Kopfschmerzen sind aber ein
wichtiger Indikator dafür, dass auch eine
Depression vorliegen könnte“, sagte Witte.
Depressionen werden bei Schulkindern
eher in den städtischen als in den ländli-
chen Regionen Bayerns diagnostiziert.
Woran das liegt, darauf kann die gut
150-seitige Studie keine Antwort geben.
Möglicherweise, sagte Witte, liege das ja
auch an einer im Vergleich zum ländlichen
Raum dichteren Angebotsstruktur bezüg-
lich der psychologischen Versorgung.

Fest steht indes: Mädchen weisen vom
Jugendalter an eine mehr als doppelt so ho-
he Depressionshäufigkeit auf als Jungen.
Der Münchner Kinder- und Jugendpsychi-
ater Franz Joseph Freisleder – er ist der
Ärztliche Direktor des Kbo-Heckscher-Kli-
nikums in der Landeshauptstadt – hat in
mit dem Journalisten Harald Hordych im
Buch „Anders als die Anderen“ festgehal-
ten, was solche Mädchen krank werden
ließ. In einem konstruierten Fallbeispiel
heißt es da: „Offenbar geht es ihr in seeli-
scher Hinsicht schon seit Langem
schlecht.“ Und weiter: Ein Wendepunkt in
Lauras Leben sei vor vier Jahren der Tod ih-
res Vaters gewesen. Danach habe sich das
Leben ihrer Familie „immer mehr verän-

dert“. Die Mutter habe eine Stelle im Super-
markt annehmen müssen. Alleingestellt
für die Familie aufkommen zu müssen,
dies habe sie wohl völlig überlastet – und
so habe die Mutter zu trinken angefangen.
„Natürlich spielt die Familie für ein
Kind eine ganz große Rolle“, betonte Adeli-
na Mannhart, die stellvertretende Ärztli-
che Direktorin am Kbo-Heckscher-Klini-
kum, die am Dienstag als Expertin an der
Vorstellung des DAK-Reports teilnahm.
Häufig kämen viele Dinge zusammen, die
dazu führten, dass psychische Störungen
bei Kindern und Jugendlichen so sehr zu-
nehmen, dass am Ende nur noch eine stati-
onäre psychiatrische Therapie weiterhel-
fe. Das fange etwa bei Schicksalsschlägen
an – wie die Trennung von Eltern oder gar
der Verlust eines Elternteils. Aber auch
Misshandlung und sexueller Missbrauch
oder digitales Mobbing über soziale Medi-
en könnten in ein schwere Krise führen.
In der Studie werden noch weitere Fak-
toren für ein höheres Depressionsrisiko ge-
nannt: eigene chronische Erkrankungen et-
wa (4,5-fach erhöhtes Risiko), Diabetes
(2,3-fach erhöhtes Risiko), krankhaftes
Übergewicht (3-fach erhöhtes Risiko) und
starke Schmerzen (2,6-fach erhöhtes Risi-
ko). Ein an Depression erkranktes Eltern-
teil bedinge ein 3,3-fach erhöhtes Risiko,
ebenfalls im Kindes- oder Jugendalter dar-
an zu erkranken. Nur zu oft beginnt für die
betroffenen Schulkinder dann ein langer
Leidensweg. Zehn Prozent dieser psy-
chisch Erkrankten mussten laut Studie we-
nigstens einmal im Krankenhaus behan-
delt werden. dietrich mittler

von wolfgang wittl

München– Gut150 Leute sitzen erwar-
tungsfroh in diesem historischen Raum,
doch der Hausherr lässt auf sich warten.
Das Licht von sechs Kronleuchtern spie-
gelt sich auf blank poliertem Marmor, auf
der Münchner Prinzregentenstraße brau-
sen endlose Autoschlangen vorbei. Der
Saal trägt den Namen von Ludwig Erhard,
dem bedeutsamsten Wirtschaftsminister,
den Deutschland jemals hatte. Zwei Tafeln
erinnern daran, dass sich 1947 die Minister-
präsidenten aller Bundesländer hier zu ih-
rer ersten Konferenz trafen – und 1990 die
aus dem wiedervereinigten Deutschland.
Dann hetzt mit zehn Minuten Verspätung
ein Mann herein. Hubert Aiwanger klopft
einem Gast auf die Schulter und sagt: „So,
griaß Eich miteinander.“ So muss man sich
das vorstellen, wenn der Wirtschaftsminis-
ter in seinem Haus empfängt.
An diesem Mittwoch trägt Aiwanger sei-
ne erste Regierungserklärung als Minister
für Wirtschaft, Landesentwicklung und
Energie vor. Seit einem Jahr gehört der
Chef der Freien Wähler dem Kabinett von
Markus Söder (CSU) an. Als Vize-Minister-
präsident ist Aiwanger, 48, Landwirt aus
dem niederbayerischen Rahstorf, die Num-
mer zwei in der Regierung. In der Oppositi-
on fiel er jahrelang als deren scharfer Kriti-
ker auf. Jetzt wird er selbst härter geschol-
ten als jeder andere – für seine inhaltliche
Arbeit und ebenso für seinen Stil.
Vierzig Minuten will Aiwanger über
Energiepolitik und ihren Einfluss auf die
Wirtschaft sprechen. Man muss kein Hell-
seher sein, um zu erahnen: Die Reaktionen
werden nicht freundlich ausfallen. Ludwig
Hartmann (Grüne) attestierte dem Energie-
minister Aiwanger bereits Ambitionslosig-
keit. Martin Hagen (FDP) hält den Wirt-
schaftsminister für den falschen Mann zur
falschen Zeit im falschen Amt. Für Horst
Arnold (SPD) ist Aiwanger gar „der Hofnarr
der CSU-Staatsregierung“. Selten stand
ein Minister nach einem Jahr derart im Feu-
er. Gibt es denn niemanden, der positiv

über ihn spricht? „Das Gesamtpaket Ai-
wanger stimmt“, lobt Wolfram Hatz.
Als Präsident der Vereinigung der bay-
erischen Wirtschaft zählt Hatz zu den
mächtigsten Lobbyisten im Land. Aiwan-
ger sei „stark mittelstandsorientiert, aber
auch High-Tech ist bei ihm sehr gut aufge-
hoben“. Er pflege einen sehr vertrauensvol-
len Umgang mit dem Minister, sagt Hatz.
Eines betont er aber gleich zu Beginn des
Gesprächs: Er äußere sich nicht als Präsi-
dent seines Wirtschaftsverbandes, son-
dern als Privatmann.
Wer sich mit Unternehmern unterhält,
hört auch andere Stimmen. Es wäre gut,
wenn Aiwanger seine Leidenschaft für die
Landwirtschaft auch für die Wirtschaftspo-
litik zeigen könnte, heißt es dann. Der Mi-
nister habe kein Gespür für Themen. Er re-
de die Rezession klein, die manche Bran-
chen schon erfasst habe. Sein Widerstand
gegen Stromtrassen gefährde die Energie-
versorgung von Firmen. Als Aiwanger vor
Bankern sprach, hätten die fassungslos
den Kopf geschüttelt. Anstatt auf ihre Sor-
gen einzugehen, habe der Minister über
Wirtshausprogramme referiert. Auch des-
halb haben Wirtschaftsleute ein Wort für
ihn erfunden: „Mittelstandspopulismus“.

Die 150 Gäste im Ludwig-Erhard-Saal
finden an Aiwangers Einsatz für Wirtshäu-
ser und Mittelstand nichts Anstößiges. Sie
betreiben eine Gastwirtschaft oder ein Ho-
tel und werden für besondere Leistungen
ausgezeichnet. „So etwas wie dich haben
wir noch nicht erlebt“, schwärmt Angela In-
selkammer, die Präsidentin des Hotel- und
Gaststättenverbands in Bayern: „Danke,
dass wir zu so einem tollen Thema beisam-
men sind.“ Auf 90 Fotos wird Aiwanger am
Ende verewigt sein, jedem Preisträger
schüttelt er die Hand. Ein älterer Gastwirt
unterbricht die Prozedur und ruft in den

Saal: „Ich weiß nicht, ob Sie’s wissen: Un-
ser Aiwanger ist am Samstag zum Bundes-
vorsitzenden der Freien Wähler gewählt
worden.“
Aiwanger, der das Amt im zehnten Jahr
ausübt, lächelt geschmeichelt. Für seine
Rede hat er vorher viel Beifall bekommen,
für Sätze wie: „Die Großen haben eine Lob-
by, die Kleinen nimmt keiner wahr.“ Oder:
„Wenn Autos gestapelt werden, weil sie
nicht verkauft werden, dann ist das in Ord-
nung. Aber wenn sich Autos vor einem Ho-
telparkplatz stapeln, dann ist das gleich bö-
se.“ Und „wenn irgendwo ein Parkplatz an
einem Hotel gebaut wird, gibt es gleich ei-
nen Aufstand“. Staatliche Kontrollen und
Verordnungen würden „oft über das Ziel
hinausschießen“, findet Aiwanger. Die
Wirtsleute klatschen. Aber wer steht für
den Staat, wenn nicht ein Minister?
Abgeordnete der CSU beschweren sich
regelmäßig bei ihrem Fraktionschef, dass
Freie Wähler in den Stimmkreisen das Ge-
genteil von dem erzählten, was sie als Re-
gierungspartner in München verabschie-
den. Doch CSU-Chef Söder hat eine Art
Waffenruhe verfügt, die nur in Ausnahme-
fällen gebrochen werden darf. Einmal hat
CSU-Generalsekretär Markus Blume in ei-
nem Interview Aiwangers Trassenpolitik
getadelt. Ein anderes Mal rief Söder am
CSU-Parteitag: „Von den Entscheidungen
in München kann sich keiner vom Acker
machen.“ Das dürfe man keinem durchge-
hen lassen, „auch nicht unseren Freunden
von den Freien Wählern“. Und Landkreis-
tagschef Christian Bernreiter (CSU) kriti-
sierte Aiwanger am Wochenende bei einer
Wahlveranstaltung bei Deggendorf, weil

er die Kommunen beim Finanzausgleich
bei weitem nicht so unterstütze, wie er das
nach außen hin propagiere.
Für Söder ist Aiwanger vor allem ein In-
dikator, welche Themen die Menschen be-
wegen. Mitarbeiter schildern Aiwanger als
höflichen, bodenständigen, fast schüchter-
nen Menschen, der sehr auf Harmonie be-
dacht sei. Andere schätzen seinen Fleiß
und seine zupackende Art. Wie passt es
dann zusammen, dass er in den sozialen
Medien Menschen beleidigt? „Wenn ich
mir das Bild anschaue“, schrieb Aiwanger
einem Kritiker über dessen Kopf, „ist da
mehr als die Maus verrutscht.“ Warum lie-
fert er sich öffentliche Gefechte mit Journa-
listen? Weshalb attackiert er Großunter-
nehmen, die Standorte schließen, als sei er
Gewerkschaftssekretär und nicht Wirt-
schaftsminister? Man könne ja Klartext re-
den, sagen Wirtschaftsleute – aber bitte
hinter verschlossenen Türen. Anfangs ha-
be es geheißen: Ach, so sei er halt, der Ai-
wanger. Gekippt sei die Stimmung mit der
„Taschenmesser-Affäre“. Bayern und
Deutschland wären sicherer, sagte Aiwan-
ger bei einer Jagdmesse, „wenn jeder an-
ständige Mann und jede anständige Frau
ein Messer in der Tasche haben dürfte“.
Nachgefragt bei einem, der findet, dass
der Wirtschaftsminister einen prima Job
macht. „Ich bin mit meiner Bilanz sehr zu-
frieden“, sagt Hubert Aiwanger. Er sehe sei-
ne Aufgabe darin, als Moderator verschie-
dene Interessen zusammenzuführen. Die
Kritik der Opposition lasse ihn kalt, „ich
weiß, dass ich das Beste gebe“. Er sei unter-
nehmensfreundlich, fühle sich aber auch
den Beschäftigten verpflichtet. Seine Re-
plik auf Kritik sei als Wertschätzung zu ver-
stehen, andere antworteten erst gar nicht.
Die Beschwerden vom Koalitionspartner?
Von der „Masche der CSU“, unterschied-
lich zu sprechen und zu handeln, „sind wir
noch meilenweit entfernt“. Und ob nun Mi-
nister hin oder her, eines sei doch klar, sagt
Aiwanger: „Wenn mir jemand blöd kommt,
bin ich es mir und meinem Amt schuldig,
mich nicht beleidigen zu lassen.“

Regensburg– Inder Regensburger Kor-
ruptionsaffäre hat das örtliche Amtsge-
richt einen weiteren Strafbefehl wegen Vor-
teilsgewährung gegen einen Bauträger er-
lassen. Das hat ein Sprecher der Staatsan-
waltschaft am Dienstag bestätigt. Es geht
um Parteispenden von insgesamt 9900 Eu-
ro, die nach der Kommunalwahl 2014 auf
das Konto des SPD-Ortsvereins Stadtsü-
den flossen, den damals Joachim Wolbergs
führte, der suspendierte Regensburger
Oberbürgermeister. Laut Staatsanwalt-
schaft stehen die Spenden „in zeitlichem
Zusammenhang mit einem Bauvorhaben“
des Unternehmers. Zudem gebe es „einen
Bezug zur Dienstausübung“ des OB. Die
Geldstrafe liegt bei 90 000 Euro. Der Straf-
befehl ist allerdings noch nicht rechtskräf-
tig, der Unternehmer hat Einspruch einge-
legt. „Ich habe ein reines Gewissen“, sagte
er auf SZ-Nachfrage. Er könne „keinen kau-
salen Zusammenhang“ zwischen dem
Spendengeld und einem seiner Bauvorha-
ben erkennen.

Ein entsprechendes Verfahren gegen
OB Wolbergs wegen Vorteilsannahme hat
die Staatsanwaltschaft nach Paragraf 154
der Strafprozessordnung eingestellt. Dem
Paragrafen zufolge kann die Staatsanwalt-
schaft von einer Strafverfolgung absehen,
wenn die mögliche Strafe neben noch zu er-
wartenden Strafen nicht beträchtlich ins
Gewicht fällt. Hintergrund: Seit Herbst
läuft der bereits zweite Korruptionspro-
zess gegen Wolbergs, der sämtliche Vor-
würfe bestreitet. In dem Prozess geht es
ebenfalls um Spenden mehrerer Bauunter-
nehmer, insgesamt rund eine Viertelmilli-
on Euro. Im ersten Korruptionsprozess
wurde Wolbergs wegen zwei Fällen der Vor-
teilsannahme in Höhe von 150 000 Euro
schuldig gesprochen, blieb jedoch ohne
Strafe. Den mitangeklagten Bauunterneh-
mer verurteilte das Landgericht wegen Vor-
teilsgewährung zu zehn Monaten Haft auf
Bewährung und einer Geldauflage von
500 000 Euro.
Neben den Urteilen im ersten Korrupti-
onsprozess ist der neuerliche Strafbefehl
der vierte Schuldspruch in der Regensbur-
ger Affäre. Mehr und mehr wird offensicht-
lich, dass die Nähe zwischen Politik und
Baubranche System hatte – und zwar jahre-
lang und über Parteigrenzen hinweg. Einer
der verstrickten Bauunternehmer hat be-
reits im Frühjahr 2018 einen Strafbefehl ak-
zeptiert, unter anderem wegen Beste-
chung von OB Wolbergs. Aus seinem Um-
feld sollen rund 160 000 Euro an den SPD-
Ortsverein Stadtsüden gegangen sein. Im
Gegenzug soll sich Wolbergs unter ande-
rem für eine Baugenehmigung eingesetzt
haben. Die weiteren zwei Strafbefehle ha-
ben mit dem Wahlkampf des CSU-Politi-
kers Christian Schlegl zu tun, der die OB-
Wahl 2014 gegen Wolbergs, damals SPD,
verlor. Gegen Schlegl hat die Staatsanwalt-
schaft ebenfalls Anklage erhoben. Die Vor-
würfe, unter anderem: Beihilfe zur Steuer-
hinterziehung und Verstoß gegen das Par-
teiengesetz.
Gegen den Regensburger Landtagsabge-
ordneten Franz Rieger (CSU) laufen die Er-
mittlungen noch. Bei ihm geht es um den
Verdacht der Erpressung. Seine Immuni-
tät hat der Landtag schon aufgehoben, der
Weg für eine Anklage wäre damit frei. Ob
auch Anklage erhoben wird, darüber hat
die Staatsanwaltschaft noch nicht entschie-
den. Zudem läuft noch eines von ursprüng-
lich zwei Ermittlungsverfahren wegen Kor-
ruptionsverdachts gegen Wolbergs’ Amts-
vorgänger, den früheren OB Hans Schaidin-
ger (CSU). andreas glas

München– Für mehr Investitionsspielräu-
me reduziert die Staatsregierung den
Schuldenabbau zunächst in den kommen-
den zwei Jahren um 900 Millionen Euro.
Die am Dienstag vom Kabinett beschlosse-
nen Nachtragshaushalte für 2019 und
2020 sehen nur noch Kreditrückzahlun-
gen von je 50 Millionen Euro vor. Bisher
war in Summe eine Tilgung von einer Milli-
arde Euro geplant. Es sei derzeit auch für
die Zeit nach 2020 kein höherer Schulden-
abbau geplant, sagte Finanzminister Al-
bert Füracker (CSU) in München.
Seit die CSU-Regierung um den damali-
gen Ministerpräsidenten Horst Seehofer
2012 den Schuldenabbau gesetzlich fest-
schrieb, wurden bereits 5,6 Milliarden Eu-
ro Kredite zurückgezahlt – der Freistaat
steht aber noch immer mit mehr als 25 Mil-
liarden Euro in der Kreide.
Das bislang gesetzlich festgelegte Da-
tum für die vollständige Rückzahlung der
Staatsschulden, das Jahr 2030, werde der
Landtag entsprechend ändern, betonte
Füracker. Damit werde verhindert, dass
die Regierung das geltende Gesetz breche.
Er sprach zudem von einer „finanzpoliti-
schen Klugheit“, wenn die Regierung in
der aktuellen Lage mit der drohenden wirt-
schaftlichen Eintrübung Investitionen den
Vorzug gebe. 2020 gingen von den 60,3 Mil-
liarden Euro Gesamtvolumen 14,6 Prozent
(8,8 Milliarden Euro) in Investitionen.
Die frei werdenden Mittel will die Regie-
rung mit folgenden Schwerpunkten inves-
tieren: Bis 2023 sollen zwei Milliarden Eu-
ro in die Hightech-Agenda fließen. Ge-
schaffen werden damit als Teil einer gro-
ßen Hochschulreform rund 10 000 neue
Studienplätze und 1000 neue Professuren,
auch baulich sollen die Hochschulen durch
millionenschwere Sanierungsprogramme
profitieren. Der Mittelstand im Land soll
zudem über die gesamte Laufzeit in den Ge-
nuss von rund 400 Millionen Euro kom-
men, etwa für wichtige Innovationen und
Digitalisierung.
Für den vom Landtag schon beschlosse-
nen Artenschutz steht ebenfalls mehr Geld
bereit: 2020 rund 71,8 Millionen Euro, dar-
in inkludiert auch 100 zusätzliche Bera-
tungsstellen, um den Landwirten die neu-
en Fördermöglichkeiten zu erklären. Für
den Klimaschutz gibt es neben den bereits
im Haushalt verankerten 231 Millionen Eu-
ro für 2020 – und die drei Folgejahre –
rund 60 Millionen zusätzlich. dpa


von olaf przybilla

D


er unterfränkische Ort Gadheim,
der berühmteste Noch-nicht-Mit-
telpunkt Europas, wird im Som-
mer in der ARD ganz groß rauskommen.
Wochenlang wird jeder Sendetag wäh-
rend der Europameisterschaft am Main
beginnen, in Unterfranken sind sie schon
ganz enthusiasmiert. Aber ehe es um De-
tails der „Morgenmagazin“-Liveübertra-
gungen gehen soll, lohnt womöglich der
Blick nach Westerngrund im Spessart.
Nie gehört? Doch, das hat man be-
stimmt schon gehört, aber wieder verges-
sen. Westerngrund liegt wie Gadheim in
Unterfranken, seit 2013 darf sich der Ort
EU-Mittelpunkt nennen. Es gibt ein Gip-
felbuch dort, einen Mittelpunktsweg, al-
lerlei Fahnen und ja, gute Presse gab’s
darüber auch. In letzter Zeit aber, wenn’s
um den Mittelpunkt geht, reden alle dar-
über, wohin der Punkt kommen soll, kom-
men wird, womöglich doch nicht kommt.
Aber wo der Punkt gerade ist, in Western-
grund – darüber redet fast niemand.
Muss man sich schon komisch vorkom-
men. Schon gar, wenn man dieser Tage
vom Spessart nach Gadheim blickt und
registriert, dass sie dort im Sommer end-
gültig die ganz große Bühne bekommen
werden. Warum? Man habe all’ die Berich-
te ganz großartig gefunden, sagt Uwe
Kirchner, der fürs „Morgenmagazin“ ver-
antwortliche WDR-Redakteur. Wie da
ein 80-Einwohner-Ort auf die Insel
blickt, hoffend und bangend, ob der Bre-
xit nun kommt oder nicht. Und wie sie
sich dann entschieden haben, die Briten
einfach Briten sein zu lassen und kurzer-
hand einen Gedenkort auf ihren Acker ge-
setzt haben – den man, sollte der Brexit
am Ende doch ausfallen, als Mahnmal für
ein geeintes Europa umwidmen könnte.
„Was für eine Geschichte“, sagt Kirchner.
Und deshalb also sendet die ARD wäh-
rend der Fußball-EM live aus Veitshöch-
heim, in dessen Gemeindegebiet Gad-
heim liegt. Und in Westerngrund? Schau-
en sie währenddessen mit dem Ofenrohr
in den Spessart. Es könnte gut sein, dass
Westerngrund im Juni 2020 noch immer
EU-Mittelpunkt ist. Gesendet aber wür-
de trotzdem zwei Wochen lang aus: Veits-
höchheim. So was müsse man leider von
langer Hand planen, erklärt der Redak-
teur Kirchner. Und was sagt Karl-Heinz
Maier dazu, der 2. Bürgermeister von
Westerngrund? „Das Leben geht weiter.“
So lässig sind sie in der Mitte Europas.


Zwei Prozent der knapp 107 000 für eine DAK-Studie herangezogenen Kinder zwi-
schen zehnund 17 Jahren litten 2017 an einer Depression. FOTO: IMAGO

Staatsminister


für Populismus


Kein anderes Kabinettsmitglied steht so in der Kritik wie


FW-Chef Hubert Aiwanger. Die CSU hält zähneknirschend still


CSU-Chef Markus Söder hat
eine Waffenruhe verfügt,
die selten gebrochen werden darf

Jedes vierte Schulkind hat psychische Probleme


Entwicklungsstörung, Depression, Angst: Eine Studie der DAK zeigt Schwierigkeiten von Mädchen und Buben auf und will damit ein Tabu brechen


Erneut Strafbefehl


gegen Bauträger


Weitere Parteispenden in
Regensburger Korruptionsaffäre

Investieren statt


Schulden abbauen


MITTEN IN BAYERN

Live vom


Mittelpunkt


„Die Großen haben eine
Lobby, die Kleinen
nimmt keiner wahr“:
Sätze, wie sie
typisch sind für
Freie-Wähler-Chef
Hubert Aiwanger.
FOTO: ANGELIKA WARMUTH/DPA

Der Strafbefehl ist der vierte
Schuldspruch in der Affäre

Die Trennung der Eltern oder
digitales Mobbing können
Gründe für Krisen sein


DEFGH Nr. 274, Mittwoch, 27. November 2019 R11


BAYERN

Free download pdf