Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
von karl forster

E


s braucht schon eine gehörige Porti-
on Disziplin, um die Plattitüde au-
ßen vor zu lassen, jetzt sei das Bayeri-
sche Nationalmuseum endgültig auf den
Hund gekommen. Aber wenn man statt
„endgültig“ das Wort „endlich“ einsetzt,
kommt man der Bedeutung der Sonderaus-
stellung „Treue Freunde – Hunde und Men-
schen“ schon recht nahe. Denn wie liebe-
voll und kenntnisreich dort im zweiten
Stock des edlen Hauses an der Prinzregen-
tenstraße dieses Thema mit mehr als
220 Objekten auf 700 Quadratmeter ver-
handelt wird, gibt es einen wirklich tiefen
Einblick in das schier unendliche Thema.
Und man fand sogar einen aktuellen An-
lass: Vor genau 100 Jahren kam die Erstver-
öffentlichung von „Herr und Hund“, dieses
wunderbare Porträt, das Thomas Mann sei-
nem Hühnerhund-Mischling Bauschan
widmete, auf den Markt. Ein Jahr später
ging Bauschan in die ewigen Jagdgründe.
Kein Wunder also, dass, wer durch die
Pforte gegenüber der Prachttreppe ins viel-
zimmerige Ausstellungsreich blickt, sofort
den Namen Bauschan entdeckt und somit
weiß, dass diese Schau, bei aller Internatio-
nalität, vor allem und so gut es eben ging,
in München verortet ist. Diese Erkenntnis
stärkt zum einen die oft als Vorurteil abge-
tane Tatsache, dass München schon im-
mer eine Zamperlstadt war, zum anderen
aber öffnet sich von München aus so der
Blick in die ganze Welt genauso wie in die
Historie der Beziehung zwischen Mensch
und Hund, der hier in zwölf Kapitel auf den
Grund gegangen wird. Eine Gliederung,
die nicht nur ausstellungstaktisch ge-
schickt gewählt ist, sondern auch von eben-
so viel Einfühlsamkeit zum Thema, ja,
noch mehr zum Hund als solchen zeugt.
Natürlich stößt man gleich am Anfang
dank des berühmten Münchner Autors
und seiner diversen Hunde (von Bauschan
ist leider nur die hintere Hälfte samt Stum-
melschwänzchen zu sehen) auf die Unter-
zeile „Prominente mit Hund“. Victor von
Bülows Liebe zum Mops darf dort genauso
wenig fehlen wie die Bulldogge namens Ve-
nus, die dem Zerstörer der Royal Navy na-
mensHMS Vansittartim Zweiten Welt-
krieg als Maskottchen diente. Auch der
Foxterrier „Nipper“, berühmt geworden
als Markenzeichen der Deutschen Gram-
mophon unter dem Signum „His Masters
Voice“, hat im Eingangsbereich seinen
Platz gefunden.


Wer dort, anders als von den Kuratoren
gedacht, links in eine Art Sackgasse ab-
biegt, landet schon mal in einer Abteilung,
die des Menschen Beziehung zum Hund
weniger freundschaftlich darstellt. Ein his-
torisches Bild zum Beispiel zeigt den grau-
enhaften Brauch, einen kopfüber gehäng-
ten Straftäter von zwei in gleicher Weise
hängenden Hunden attackieren zu lassen.
Auch dass in Teilen Ostasiens das Verhält-
nis zwischen Mensch und Hund weit weni-
ger freundschaftlich als bei uns, wird hier
allerdings nur so weit gezeigt, dass es da-
mit auch genug ist.
Andererseits zeugt auch jene ikonische
Fotografie von Bundeskanzlerin Angela
Merkel zusammen mit dem russischen Prä-
sidenten Wladimir Putin in dessen Gemä-
chern nicht unbedingt von großer Hunde-
liebe; zumindest was den Gesichtsaus-
druck der Besucherin angeht, schaut sie
doch etwas irritiert bis ängstlich auf des
Kremlchefs rabenschwarzen Labrador
Konni, welchselbiger später einmal Frank-
reichs Staatschef Macron an die Hose pis-
sen wird (das sieht man hier aber nicht).
Konni und Herrchen leiten also die Ab-
teilung „Statussymbole“ ein, in der vom
Schoßhündchen bis zum stilisierten Dal-
matiner die Rolle des Hundes als Signum
für Reichtum, Wohlstand und Macht skiz-
ziert ist. Und spätestens jetzt wird deut-
lich, warum diese Ausstellung durchaus
ins Bayerische Nationalmuseum passt.
Denn auch, wenn es vordergründig um die
doch schon 40 000 Jahre alte Beziehung
zwischen Hund und Mensch geht, so geben
die Objekte und ihre Anordnung auch tiefe-
re Einblicke in die begleitende Geschichte,
von Argos, dem Jagdhund des Odysseus,
der als einziger seinen Herrn nach dessen
später Heimkehr nach Ithaka erkannt hat,
bis Audrey Hepburn und ihrer Liebe zu Pu-
deln oder Barack Obama und dessen portu-
giesischen Wasserhund Bo. Von Loriots be-
reits erwähnten Möpsen oder Mosham-
mers Daisy ganz zu schweigen.
Der Chef des Hauses, Generaldirektor
Frank Matthias Kammel, hatte ja schon zu
seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr
mit dieser Hundeausstellung geliebäugelt.
Was bei manchem Mitarbeiter auf dezen-
tes Befremden stieß und wohl auch die ein-
gangs erwähnte Metapher die Runde mach-
te. Doch darf man, nach der Erstbesichti-
gung, der Schau einen respektablen Publi-
kumserfolg prophezeien. Denn was man
da zur Hälfte aus dem eigenen Fundus und
aus Leihgaben aus aller Welt zusammen-
tragen konnte, fügt sich zu einem sehr un-
terhaltsamen Großen und Ganzen, das, so-
gar auch in der Abteilung „Fantasie und
Erotik“, sehr familienkompatibel ist, um
so mehr, wenn diese Familie über ein wie
auch immer geartetes Zamperl als Mit-
glied verfügt. So ließ es sich auch Frank
Matthias Kammel, obwohl selbst nicht im
Herrchen-Status, nicht nehmen, den Pres-
sepulk kundig in mit sicht- und hörbarer


Verve durch die Säle zu führen, assistiert
von Raphael Beuing, der ja im Hause ei-
gentlich für Waffen, Uhren, wissenschaftli-
che Instrumente und unedle Metalle zu-
ständig ist, dessen Herz aber ganz offenbar
auch für Hunde schlägt.
Weil das Thema „Hund“, noch dazu mit
dessen Verbindung zum Menschen, so his-
torisch wie rassemäßig und in der künstle-
rischen Darstellung weitläufig und vielfäl-
tig ist, hat man sich, der Zuschauer
dankt’s, zu dieser eher vagen Kapiteleintei-
lung entschieden, anstatt sich der Strenge
einer historischen oder sujetgeprägten Ein-
teilung zu unterwerfen. So findet sich mit-
tendrin in der Ausstellung plötzlich ein Vi-
deo, auf dem mexikanische Straßenhunde
zeigen, wie sie, als Rudel eine geballte
Macht, Eindringlinge vertreiben. Unweit
davon fletscht der bekannt bissige Hund
vomSimplicissimusdie Zähne, wogegen
Grace Kelly, damals wohl schon in Monaco
zu Hause, ihren mit Diamanthalsband ge-
schmückten Pudel Gassi führt.

Dass Lola Montez, die berühmt-berüch-
tigte Mätresse von Ludwig I., eine gewalti-
ge Dogge genauso lieb hat wie den bayeri-
schen König, nimmt man wiederum
schmunzelnd zur Kenntnis. Und dass es Fo-
tograf Volker Derlath mit einem für ihn so
typisch prägenden Bild von Münchens
Christopher Street Day, auf dem ein Frau-
chen sein sehr menschliches Hündchen an
der Leine durch die Straßen der Landes-
hauptstadt führt, in diese Ausstellung ge-
bracht hat, zeugt von ausgiebiger Recher-
che im Vorfeld.
Zu dieser Arbeit beigetragen hat auch
die Witwe des Gastronomen Gerd Käfer,
Uschi Ackermann. Sie hat ja einst, begleitet
von Presse, Funk und Fernsehen, ihren
Mops Sir Henry zum bekanntesten Vertre-
ter seiner Rasse gemacht und unter ande-
rem dessen Smoking, mit dem er gerne auf-
getreten ist, zur Verfügung gestellt. Und
das ist, sozusagen, die Gesamtzusammen-
fassung der Ausstellung mit all ihren Kapi-
teln. Denn Sir Henry steht sowohl für „Hun-
defreundschaft“ als auch für „Statussym-
bole“, er steht für „Hunde und Vergnügen“
als auch für „Hunde in Mode“, vielleicht so-
gar für „Hundemenschen – vertauschte
Rollen“, mit Sicherheit aber auch für „Hau-
fen“, die der Hund seinem Herrchen und
dessen Plastikbeutel zurücklässt.
Dieses Thema wird allerdings hier mit
großer Dezenz behandelt. Der Versu-
chung, die Ausstellung „Treue Freund –
Hunde und Menschen“ mit einer olfaktori-
schen Note anzureichern, hat man offen-
sichtlich widerstanden. So bleibt einem,
nach dem Rundgang und ein paar Minuten
des Nachdenkens in jenem Raum, den der
Geräusche- und Videokünstler Kalle Laar
gestaltet hat, vor allem der Gedanke von
Thomas Mann im Gedächtnis, den er ange-
sichts seines Bauschan notiert hatte: „Un-
endliche Seele; so nah befreundet – und
doch so fremd.“

Treue Freunde – Hunde und Menschen; Sonderaus-
stellung im Bayerischen Nationalmuseum, 28. No-
vember2019 bis 19. April 2020, Dienstag bis Sonn-
tag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, Prinzre-
gentenstraße 3

Treue im Blick, ein Weimeraner
des Künstlers William Wegman, entworfen in
der Mayer’schen Hofkunstanstalt München,
ausgeführt für MTA Arts & Design in New York
(oben); „Hundeinvasion im Café Luitpold“,
Aquarell von Thomas Theodor Heine, München
aus dem Jahr 1894; von ihm stammt
auch das Bild vom Mops namens Siegfried
aus dem Jahr 1921 (unten links);
„Big Dog in a Big City“ ist ein Digitaldruck
des Fotografen Amit Elkayam.
FOTOS: MTA ARTS & DESIGN, NEW YORK;
DR. PAUL UND DIANA TAUCHNER, BASTIAN KRACK;
PRINT & COFFEE; AMIT ELKAYAM

München –Eigentlich, sagt Reyhan Şahin,
habe sie das Buch „Yalla, Feminismus!“
nur geschrieben, weil sie Geld brauche, um
ihr neues Rap-Album zu finanzieren. Und
weil sie gern eine Professur hätte, schließ-
lich wende sie wissenschaftliche Metho-
den im Buch auf eine unterhaltsame Weise
an, im Gegensatz zu all dem universitären
Blabla. Jemanden, der so etwas sagt, nicht
sympathisch zu finden, ist praktisch un-
möglich. Das geht auch dem Publikum im
Literaturhaus so, wo Şahin ihr Buch vor-
stellt. Darin geht es um Feminismus, Rap –
sie ist als Dr.Bitch Ray erfolgreich – und
die Akademia. Oder die „Fuckademia“, wie
sie sagt, weil sie dort wie im Rap gegen Se-
xismus kämpfen muss – als türkischstäm-
mige Frau vielleicht besonders.

Sie plädiert an diesem Abend lustig, bro-
delnd und klug für einen differenzierteren
Feminismus. Einen, der Intersektionalität
einbezieht, also doppelte Diskriminie-
rung, etwa durch Herkunft und sexuelle
Orientierung. „Der westliche weiße Femi-
nismus“, sagt Şahin, „dachte lang, er müs-
se eine Frau, die Kopftuch trägt, sofort da-
von befreien.“ Sie erklärt, warum die An-
nahme, das Kopftuch sei per se frauen-
feindlich, rassistisch ist und Quatsch. Und
warum sich daher viele islamische Frauen
vom westlichen Feminismus nicht verstan-
den fühlten. Der Moderator Max Czollek
hat Mühe, den Abend in die Bahnen zu len-
ken, die er sich dafür ausgedacht hat. Denn
Şahin braucht keinen Moderator, sie kriegt
ihre Ansichten und Argumente ohnehin
los, wann sie es will. So geht es recht mun-
ter drunter und drüber, Şahin teilt noch ei-
ne Runde Richtung Rapper aus, die in Tex-
ten und Gebaren patriarchale, sexistische
Weltbilder propagieren. Und bittet die Uni-
versitäten erneut um eine Stelle. Also, yal-
la, Akademia, diese Frau kann jede Uni gut
gebrauchen. christiane lutz

München– DerSchaden, der beim Kunst-
raub am Wochenende im Grünen Gewölbe
in Dresden entstanden ist, ist kaum zu er-
messen. Da möchte man nicht der Versiche-
rer sein. Und man sollte meinen, dass der
Fall in Kunstkreisen für entsprechenden
Gesprächsstoff sorgt. Nicht so am Montag-
abend in der Pinakothek der Moderne, als
Generali seine neue Kunstversicherung
„Arte Generali“ vorstellte. Das lag vermut-
lich auch daran, dass in Dresden keine Pri-
vatversicherung für den Schaden aufkom-
men muss. Dort – wie auch in Bayern – haf-
tet der Staat für die staatseigenen Kunst-
schätze. So war der Raub und der damit ein-
hergehende finanzielle und mehr noch ide-
elle Verlust in München kein Thema.
Dafür war das im September aus einem
britischen Palast gestohlene, voll funkti-
onsfähige goldene Klo mit dem Titel „Ame-
rica“ von Maurizia Cattelan an dem Abend
allgegenwärtig. Der italienische Künstler
ist der Werbeträger der von Oliviero Tosca-
ni in Szene gesetzten Kampagne und
springt auf den Fotos nackt – seine Blöße
nur mit dem goldenen Kunstwerk bede-
ckend – durchs Bild. Eindeutige Werbebot-
schaft: Gut, wenn man gut versichert ist.
Cattelan persönlich entzog sich jedoch der
Teilnahme an der abendlichen Promotion-
tour. Während die Verantwortlichen auf
dem Podium ihr Produkt anpriesen, mach-
te sich der für seine subversiven Werke be-
kannte Künstler lieber einen Spaß mit Be-
suchern, die er zum Fotoshooting mit Klo
und Stinkefinger aus Pappmaché einlud.
Der italienische Versicherer hat die
Kunst als Wachstumsmarkt entdeckt und
will mit Arte Generali von München aus
„den Markt weltweit aufrollen“, wie Vor-
standsvorsitzender Giovanni Liverani ver-
kündete. Zugleich dürfte es auch ein Fron-
talangriff auf den Platzhirschen Axa wer-
den. Da ist es gewiss nicht von Nachteil,

dass CEO Jean Gazançon früher mal bei
eben jenem Konkurrenten in führender Po-
sition fürs Kunstgeschäft tätig war. Locken
will man potente Privatsammler: der Versi-
cherungswert beginnt bei einer halben Mil-
lion Euro. 100 Millionen Euro Prämienein-
nahmen im Jahr sollen bis 2023 erzielt wer-
den. Neben einer Art Rundumsorglospa-
ket, das Verpackung, Transport, Lagerung
und Restaurierung durch Kooperations-
partner enthält, setzt Generali Arte auch
auf ein neues digitales Tool. Mithilfe einer
speziell entwickelten App können Kunden
ihre Kunstwerke online bewerten lassen.
Zugleich dient sich Generali als Sponsor
im musealen Kunstbereich an – und könn-
te im Falle der Pinakothek der Moderne
dem langjährigen Förderer Allianz den
Rang ablaufen. Im Frühjahr 2020 wird
man als Kooperationspartner der Pin-
Freunde das Design-Build-Projekt unter-
stützen. Dort sollen studentische Entwür-
fe, die bislang „für die Tonne waren“, reali-
siert werden, wie der Direktor des Architek-
turmuseums, Andreas Lepik, schwärmte.
Und auch die Alte Pinakothek profitiert
von dem neuen Engagement. Generali un-
terstützte bereits die Ausstellung „Florenz
und seine Maler“ und plant weitere Koope-
rationen. evelyn vogel

Dr. Feminismus


Die schreibende Rapperin
Lady Bitch Ray im Literaturhaus

Die ganze Pracht der Zamperlstadt


Die Ausstellung „Treue Freunde – Hunde und Menschen“ im Bayerischen Nationalmuseum hat das Zeug dazu,


ein Publikumsrenner zu werden. Bei aller Internationalität ist sie, so gut es eben ging, in München verortet


Auch die Abteilung


„Fantasie und Erotik“ erweist


sich als familienkompatibel


Kunst in Zeiten


der Diebe


AmAbend des Dresden-Raubs:
Neuer Versicherer entert Markt

Der Anbieter zielt auf Privatleute,
nicht auf staatliche Museen

Der Versuchung, die Schau
mit einer olfaktorischen Note
anzureichern, widerstand man

LITERATURFEST


R16 (^) KULTUR Mittwoch, 27. November 2019, Nr. 274 DEFGH

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