Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1

Berlin– Sotiria Midelia hält sich zurück,
die Empörung aber ist ihr anzuhören. „Die
Demokratiearbeit in Sachsen wird stark er-
schwert“, sagt sie und fügt mit Blick auf die
AfD hinzu, „und das vor dem Hintergrund,
dass sich die politischen Verhältnisse hier
doch sehr gewandelt haben.“ Ihr Ärger be-
zieht sich auf das Bundesprogramm „De-
mokratie leben“, mit dem seit Jahren Initia-
tiven gegen Menschenfeindlichkeit und Ex-
tremismus finanziert werden – bei dem
aber viele zivilgesellschaftliche Organisati-
onen für die nächste Förderperiode eine
Absage für ihre Projekte erhalten haben,
auch das Antidiskriminierungsbüro Sach-
sen von Midelia.
Die Organisation ist nur eine von fast
140, die ihrem Ärger in einem offenen Brief
an Bundesfamilienministerin Franziska
Giffey (SPD) Luft gemacht haben. Auch an-
dere Bündnisse haben Protest erhoben.
Der Ärger speist sich aus zwei Quellen: Da
wäre das grundsätzliche Problem, dass
„Demokratie leben“ ein Bundesprogramm
ist und deshalb vor Ort nur Modellprojekte
fördern darf. Wer Geld will, muss nachwei-
sen, dass er etwas Innovatives vorhat. Das
aber fällt etablierten Initiativen mitunter
schwer, wenn sie sich um eine Anschlussfi-
nanzierung bewerben.


Erschwerend hinzu kommt derzeit Pro-
blem Nummer zwei: Das Ministerium hat
für die nächste Förderperiode von 2020 an
die Spielregeln geändert. Es wird deutlich
mehr Geld als bisher in die Kommunen flie-
ßen. Dadurch aber bleibt nur ein Viertel
der Gesamtsumme für die Modellprojekte
übrig. Zusätzlich wurde die maximale För-
dersumme je Projekt von 130000 auf
200000 Euro erhöht, was die Zahl derer,
die zum Zuge kommen, weiter verringert.
„Wir sind von dem Strategiewechsel völlig
überrascht worden“, sagt Midelia vom Anti-
diskriminierungsbüro Sachsen, anderen
Organisationen sei es genauso gegangen.
Noch im Frühjahr hätten sie Kontakt mit
dem Ministerium gehabt; damals sei keine
Rede davon gewesen, dass künftig alles an-
ders sein werde. In den kommunalen Pro-
grammen „Partnerschaften für Demokra-
tie“ könnten viele abgelehnte Projekte
nicht unterkommen, weil sie nicht auf eine
Kommune beschränkt seien und von den
inhaltlichen Schwerpunkten nicht in das
Programm passten. Zudem sitze in Sach-
sen in vielen kommunalen Gremien die
AfD mit am Tisch. Aus Verwaltungssicht
könne sie die Bündelung der Mittel bei den
Kommunen verstehen, sagt Midelia. „Aus
Demokratie-Perspektive aber nicht.“

Aus einer Auflistung der Bundesregie-
rung für die Haushälter des Bundestags
von Mitte Oktober, die derSüddeutschen
Zeitungvorliegt, geht hervor, dass 2019
noch 325 Modellprojekte gefördert wer-
den – für die nächste Förderperiode aber
nur 93 Träger zum Zuge kommen. 134 Trä-
ger, die bislang gefördert wurden, sind die-
ses Mal leer ausgegangen. Insgesamt hat-
ten 1000 Bewerber Interesse bekundet.
Das Ministerium begründet die Um-
strukturierung mit den Ergebnissen einer
Programmevaluation. Eigentlich aber wür-
de Giffey das ganze Programm lieber
durch ein Demokratiefördergesetz erset-
zen. Dann könnte der Bund etablierte Initi-
ativen dauerhaft fördern. So wie Exit, ein
anerkanntes Aussteigerprogramm für
Rechtsextremisten, dessen Förderung
durch „Demokratie leben“ zuletzt eben-
falls auf der Kippe stand. Nach Protesten
fand man doch noch einen innovativen An-
satz, sodass Exit weiterhin Geld bekommt.
Die Union ist bislang gegen ein Gesetz.
Kürzlich aber ließ Innenminister Horst See-
hofer (CSU) doch Sympathien erkennen.
Bei der Vorstellung eines Neun-Punkte-
Plans gegen Hasskriminalität zeigte er
sich bereit, die rechtlichen Grundlagen zu
prüfen. Fürs Erste aber hat Giffey sich dar-

auf verlegt, wenigstens den Geldfluss kon-
stant zu halten. Zunächst nämlich sah der
Finanzplan eine Kürzung der Mittel vor.
Am Donnerstag aber, wenn sie ihren Haus-
halt in den Bundestag einbringt, wird sie
vermelden können, dass ihr Programm bis
2023 mit 115,5 Millionen Euro im Jahr fi-
nanziert wird, dem Niveau von 2019.

Erstaunlich ist, dass andere Bundespro-
gramme viel geräuschloser über sehr lan-
ge Zeiträume laufen, trotz Modellcharak-
terzwang. Ein Beispiel: die Mehrgeneratio-
nenhäuser. Das erste wurde 2006 eröffnet,
damals hieß die Familienministerin noch
Ursula von der Leyen (CDU). Inzwischen
gibt es 540 dieser Häuser, die Politiker ger-
ne – und besonders gerne von Kameras be-
gleitet – besuchen. Der Bundesrechnungs-

hof sieht es zwar durchaus kritisch, dass
Giffey von 2021 an ein Anschlusspro-
gramm plant: Man bezweifle, heißt es in ei-
nem Bericht an den Haushaltsausschuss,
„dass die Voraussetzungen für eine Bun-
desförderung als Modellprojekt nach 15
Förderjahren noch gegeben sind“. Trotz-
dem haben die Haushälter in ihrer jüngs-
ten Bereinigungssitzung den Titel ohne
mit der Wimper zu zucken und ziemlich un-
beachtet von der Öffentlichkeit um fast 5,
Millionen Euro aufgestockt.
Das Familienministerium teilte mit,
auch die Förderung von Mehrgeneratio-
nenhäusern durch den Bund sei „nur über
Modellprogramme“ möglich; aktuell befin-
de man sich in der „dritten Programmpha-
se“, und für die nächste Runde müssten al-
le Häuser einen neuen Antrag stellen. Bei je-
dem Programmwechsel sei die Arbeit der
Häuser „neu ausgerichtet“ worden. Die
nächste Förderrichtlinie befinde sich noch
„in der internen Abstimmung“. Fakt aber
ist, dass die Häuser im Großen und Ganzen
alle noch stehen – und mehr werden. Viel-
leicht hat das auch damit zu tun, dass sie
politisch nicht gerade brisant sind. Bei der
Extremismusprävention dagegen wird je-
de Million mehr oder weniger zu einem po-
litischen Signal. henrike roßbach

von cerstin gammelin

Berlin– Man kann laufen gehen, in Pots-
damam See entlang, oder in Hamburg um
die Alster. Man kann sich die Tage mit Ter-
minen volllaufen lassen. Oder ein neues
Buch lesen. Es gibt verschiedene Strate-
gien, um mit anschwellender Nervosität
umzugehen. Und gemessen daran, dass
Olaf Scholz das alles zusammen tut, dürfte
er gerade ziemlich nervös sein.
Am Dienstagvormittag steht der Minis-
ter im Bundestag; er sieht eigentlich aus
wie immer, bis er einen Satz sagt, der auf-
horchen lässt. „Es ist nämlich manchmal al-
les ganz anders.“ Ach, alles ganz anders?
Will der Minister jetzt nur dem Abgeordne-
ten der FDP, der ihn beim Reden unterbro-
chen hat, beweisen, dass dieser Scholz un-
sauber zitiert hat? Oder bezieht er sich auf
seine persönliche Situation?


Scholz steckt in der entscheidenden Wo-
che seiner Karriere. Noch vier Tage, dann
wird der Sozialdemokrat wissen, ob es für
alles das, was er beruflich tut, ein nächstes
Mal geben gibt. Ob er im nächsten Jahr ei-
nen Bundeshaushalt entwerfen und durch
den Bundestag bringen kann. Ob er als Vi-
zekanzler neben Angela Merkel (CDU) auf
der Regierungsbank sitzen bleibt. Noch
vier Tage, dann wird Scholz wissen, ob er
die Stichwahl um den Co-Vorsitz der SPD
gewonnen hat. Und, wie es weitergehen
kann.
Vier Tage können lang sein. Also hat
Scholz sein Laufpensum erhöht, seinen
Terminkalender bis Freitagabend vollge-
stopft; er hat ein neues Buch angefangen,
„Das Ende der Illusionen“; aus seinem Um-
feld hört man, der Minister sei ganz faszi-
niert von diesem Buch, das vom Wandel
der Demokratie und der Marktwirtschaft
handelt.
Aber zurück zur Karriere: Abgesehen
vom Laufen und Lesen ist Scholz überwie-
gend damit beschäftigt, an die Spitze der
SPD zu gelangen und danach womöglich
als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu
ziehen. Man kann nicht behaupten, dass er
nichts unversucht gelassen hat, um im Ren-
nen um den Parteivorsitz vorne liegen zu
kommen. Obwohl im engsten Umfeld und
auf den wichtigsten Positionen im Ministe-
rium nur Männer zu finden sind, hat
Scholz doch plötzlich den Feministen in
sich entdeckt; Parität ist wie selbstver-
ständlich zum Ziel erklärt worden, und


wenn etwa Männervereine glauben, das
nicht ernst nehmen zu müssen, dann könn-
ten sie diese Ignoranz demnächst mit dem
Verlust der Gemeinnützigkeit bezahlen.
Scholz hat auch den Kampf mit Schwarz-
geldwäschern aufgenommen, will bei der
Energiewende vorangehen und das Klima
retten. „Weil wir es können“, hat er im Bun-
destag zur Begründung gesagt. Was vor al-
lem die Opposition ziemlich aufregt.
An diesem Dienstag im Bundestag regt
es die Opposition außerdem entweder auf,
dass Scholz und mit ihm die große Koaliti-
on keine neuen Schulden im Bundeshaus-
halt 2020 und der Finanzplanung bis 2023
vorgesehen hat. Oder dass sie angeblich

auf Pump lebe. Die Regierung müsse mehr
investieren, endlich die schwarze Null auf-
geben, fordern die einen. Keine zusätzli-
chen Schulden, fordern die anderen. Otto
Fricke, Haushaltsexperte der FDP, behaup-
tet gar, die Regierung plane den Haushalt
nicht, um Deutschland voranzubringen,
sondern habe viele sozialdemokratische
Projekte, um die Partei am Leben und die
große Koalition arbeitsfähig zu halten.
Scholz legt einen für ihn typischen Start
hin. Er ermahnt erst einmal. „Wir müssen
aufhören, aneinander vorbeizureden“, kri-
tisiert der Minister. Jeder erzähle hier sei-
ne Geschichte und höre dem anderen gar
nicht mehr zu. „Es kann doch nicht alles

gleichbedeutend wichtig sein.“ Man kann
förmlich hören, wie ein ungesagtes: „Habt
ihr das verstanden?“ durch den Plenarsaal
schwebt. Es ist diese Art, andere kleiner zu
machen, um dann selbst umso größer zu er-
scheinen, die Scholz trotz aller Erfolge im-
mer wieder so unbeliebt macht.
Als sich der Minister für seine Haus-
haltsplanungen und insbesondere den Ab-
bau des Soli-Zuschlages für „mehr als 95
Prozent“ der Steuerzahler lobt, meldet Fri-
cke eine Zwischenfrage an. Scholz nickt:
bitte. Er lächelt wie einer, der gleich in den
Kampf ziehen – und natürlich gewinnen
wird. Und die Überraschung ist – dass es
keine geben wird. Scholz wird tatsächlich

gewinnen. Ohne große Mühe. Fricke, der
Haushälter der FDP, will wissen, wo genau
denn im Bundeshaushalt 2020 der Abbau
des Soli-Zuschlages erwähnt werde. „Wo
steht das, Herr Minister?“ Scholz drückt
den Rücken durch und kann sein Glück gar
nicht fassen. „Es stimmt ja gar nicht, was
Sie sagen, was ich gesagt hätte“, sagt er fast
strahlend. Er habe ja gesagt, dass der Ab-
bau des Soli in dieser Legislaturperiode er-
folge. Und die endet planmäßig 2021 – und
eben nicht 2020.
Im Bundestag läuft es für Scholz an die-
sem Dienstag ganz nach Plan. Ob das Ende
der Woche mit der SPD auch so sein wird,
ist eine ganz andere Frage.

München– Hamburgs Bildungssenator
Ties Rabe ist auf den bayerischen Minister-
präsidenten Markus Söder derzeit nicht
gut zu sprechen. Der Ausstieg Bayerns –
und anschließend Baden-Württembergs –
aus dem geplanten Nationalen Bildungsrat
hat den sonst so nüchternen SPD-Politiker
sichtlich in Rage versetzt. „Kaum noch er-
träglich“ sei der Alleingang der Unionslän-
der, schimpfte Rabe. Und noch eine andere
Aussage Söders, die im ganzen Bildungs-
rats-Trubel etwas untergegangen war, er-
bittert ihn: das Nein zu einer Neuordnung
der Ferientermine. „Dieser Schuss aus Bay-
ern“, sagte Rabe derSüddeutschen Zeitung,
„wird nach hinten losgehen: Jetzt wird je-
des Land genau wie Bayern die Sommerfe-
rien im Alleingang festlegen. Viel Spaß auf
den langen bayerischen Autobahnen.“
Söder hatte am Sonntag nicht nur den
Bildungsrat, eines der wichtigsten bil-
dungspolitischen Vorhaben der Bundesre-
gierung, mit ein paar markigen Hauptsät-
zen zu Fall gebracht. In einem Nebensatz
hatte er auch jegliche Veränderung der Fe-
rienregelung ausgeschlossen, um die sich
derzeit Hamburg und andere Bundeslän-
der bemühen. „Das bayerische Abitur
bleibt bayerisch“, sagte Söder, „übrigens


genauso, wie die Ferienzeiten bleiben, wir
wollen auch die nicht angleichen.“
Anders als etwa in Frankreich haben in
Deutschland die Schüler nicht gleichzeitig,
sondern nacheinander Sommerferien. Das
soll die Staus auf den Autobahnen zumin-

dest in Grenzen halten und den Hotels eine
gleichmäßige Auslastung verschaffen. Die
Bundesländer haben sich auf ein sogenann-
tes rollierendes System verständigt. Mal
geht Nordrhein-Westfalen schon im Juni
in die Ferien, mal der Nordosten von Bran-
denburg bis Schleswig-Holstein. Nur zwei
Bundesländer machen bei dieser Rotation
nicht mit: Bayern und Baden-Württem-
berg – die beiden Südländer also, die gera-
de den Bildungsrat verhindert haben. Sie
haben immer als Letzte frei. Begründet
wird diese Extrawurst mit den traditionel-
len Pfingstferien im Süden, die einen spä-
ten Sommerferientermin erforderten.
Bis 2024 stehen die Ferientermine nach
dieser Aufteilung fest, seit Oktober laufen
die Verhandlungen über die Jahre 2025 bis


  1. Neben Hamburg hatten auch Nieder-
    sachsen und Nordrhein-Westfalen ange-
    kündigt, sich für eine Neuordnung einset-
    zen zu wollen. Dass dies gelingt, ist nach Sö-
    ders Absage sehr unwahrscheinlich, Ent-
    scheidungen müssen in der Kultusminis-
    terkonferenz einstimmig fallen. Vor die-
    sem Hintergrund ist auch Rabes Drohung
    zu verstehen: Wenn Bayern sich neuen Re-
    geln verschließt, dann gibt es eben gar kei-
    ne mehr. paul munzinger


Erfurt– Erstmals in Deutschland ist eine
Linken-Politikerin an die Spitze eines Par-
laments gewählt worden. Neue Präsiden-
tin des Thüringer Landtags wurde am
Dienstag Birgit Keller. Die bisherige Infra-
struktur- und Agrarministerin der Linken
erhielt bei der Abstimmung im Landtag in
Erfurt 52 von 90 Stimmen und damit
deutlich mehr als die 42 Stimmen der bis-
herigen rot-rot-grünen Koalition. „Das ist
ein historischer Tag“, sagte die Fraktions-
vorsitzende der Linken, Susanne Hennig-
Wellsow. Die Parlamentsspitze war fast
30 Jahre in der Hand der CDU, die seit der
Landtagswahl nur noch drittstärkste Frak-
tion nach der Linken und der AfD ist.
Mit der Wahl der 60-jährigen Keller und
vier Stellvertretern für ihr Amt ist das
Thüringer Parlament einen Monat nach
der Landtagswahl arbeitsfähig. Im Febru-
ar soll eine Regierung folgen. Trotz der
schwierigen Machtverhältnisse – Rot-Rot-
Grün fehlen zur Mehrheit vier Stimmen –
will Ministerpräsident Bodo Ramelow zur
Wiederwahl antreten und bei einem Erfolg
eine neue Regierung bilden. „Ich strebe an,
im Februar das Parlament zu bitten, für
Klarheit zu sorgen“, sagte Ramelow vor der
Landtagssitzung.

Er hoffe, dass die bisherige Koalition
aus Linken, Sozialdemokraten und Grü-
nen dann als Minderheitsregierung weiter-
mache und sich für ihre Projekte Mehrhei-
ten im Landtag sucht, sagte Ramelow: „Ich
werbe dafür, mehr Demokratie zu wagen
und weniger nach Parteibuch zu handeln.“

Keller sagte, sie werde ihr Amt unpartei-
isch führen. „Ich sehe mich als Präsidentin
des gesamten Landtags.“ Sie forderte die
sechs Fraktionen zu Respekt und übergrei-
fender Zusammenarbeit auf, damit tragfä-
hige Entscheidungen vom Parlament ge-
fällt werden könnten.
Bei der Wahl ihrer Stellvertreter fiel als
einzige die AfD-Kandidatin Tosca Kniese
durch. Die Wirtschaftsjuristin, die der
Partei seit gut dreieinhalb Jahren ange-
hört, erhielt 39 Ja-Stimmen, die AfD hat
22Sitze im Landtag. Der parlamentarische
Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Stefan
Möller, kritisierte das Abstimmungsverhal-
ten. Er wies darauf hin, dass die AfD bei der

Landtagswahl zweitstärkste Kraft wurde.
„Demokraten würden das akzeptieren.“
Ramelow trat Befürchtungen entgegen,
Thüringen sei wegen unklarer Mehrheiten
im Landtag unregierbar. „Dieses Land hat
eine Landesregierung, die handlungsfähig
ist“, sagte er. Wie in der Verfassung vorge-
sehen sei er im Amt, bis es eine neue Regie-
rung gebe. Vor der ersten Parlamentssit-
zung habe er wie vorgeschrieben die Minis-
ter der rot-rot-grünen Landesregierung
entlassen und sie gleichzeitig gebeten, ihr
Amt bis zur Vereidigung einer neuen Regie-
rung weiterzuführen. Dieser Bitte seien die
Minister mit Ausnahme von Keller gefolgt.
Angesichts der schwierigen Mehrheits-
verhältnisse haben bekannte Thüringer
Persönlichkeiten zu einem Bündnis von
Linke und CDU aufgerufen. „Wir, die Unter-
zeichner, fordern eine Koalition der Bürger-
lichen in Thüringen mit der Linken und
der CDU“, heißt es in einer Online-Petition,
zu deren Erstunterzeichnern der Vorsitzen-
de der Jüdischen Landesgemeinde, Rein-
hard Schramm, und die Schauspielerin Ka-
trin Sass gehören. Allerdings hat die CDU,
die in Thüringen ihr bisher schlechtestes
Ergebnis erzielte, ein Gesprächsangebot
der Linken bereits ausgeschlagen. dpa

DEFGH Nr. 274, Mittwoch, 27. November 2019 (^) POLITIK HMG 5
Nur das Modell zählt
Sie kämpfen gegen Extremismus oder Diskriminierung – doch plötzlich gehen mehr als 130 Organisationen bei der Förderung durch den Bund leer aus
Das Bundesfamilien-
ministerium von
Franziska Giffey
(SPD) hat für die
nächste Förderperio-
se von 2020 an die
Spielregeln geändert



  • für die Modellpro-
    jekte bleibt nun weni-
    ger Geld.FOTO: DPA


Die vier langen Tage des Olaf Scholz


Es ist die entscheidende Zeit in seiner Karriere. Am Samstag steht fest, ob der Bundesfinanzminister neuer SPD-Parteichef wird. Seine Nervosität
verbirgt er hinter Aktionismus: Er gibt sich als Klimaretter und sogar als Feminist. In der Haushaltsdebatte ist er allerdings wie immer – fast

„Viel Spaß auf den langen Autobahnen“


Hamburgs Bildungssenator droht Bayern, Ferientermine nicht mehr abzusprechen


Thüringer Landtag tritt zusammen


DasParlament führt erstmals eine Linke, eine neue Regierung soll im Februar folgen


Bei der Wahl der
stellvertretenden Vorsitzenden
fiel nur die AfD-Kandidatin durch

Zu Beginn der Schulferien staut es sich
auf den Straßen, wie hier auf der A8 süd-
lich von München. FOTO: CLAUS SCHUNK

Berlin– Die Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes (VVN-BdA) hat am
Dienstag Widerspruch gegen einen
Bescheid des Berliner Finanzamts einge-
legt, mit dem ihr die Gemeinnützigkeit
aberkannt worden war. Zur Begrün-
dung hatte das Finanzamt darauf ver-
wiesen, dass in Bayern das Landesamt
für Verfassungsschutz die Gruppe als
linksextrem beeinflusst einstuft. Als
Folge solle der Verein, in dem sich Holo-
caust-Überlebende, aber auch jüngere
Aktivisten engagieren, bis zum 4. De-
zember Steuern in fünfstelliger Höhe
nachzahlen. Vor allem geht es um Semi-
nare, die der Verein angeboten und auf
die er lediglich einen verringerten Mehr-
wertsteuersatz von sieben Prozent be-
rechnet hatte. Bis zum 4. Dezember
dürfte das Amt eine erneute Entschei-
dung treffen.rst  Seite 4

Berlin– Die Vorsitzsuche und die Frage
nach der Zukunft der großen Koalition
werden zunehmend zur ernsten Belas-
tung für die SPD. In der Fraktionssit-
zung am Montag soll Ex-Parteichef
Martin Schulz nach SZ-Informationen
vor den Abgeordneten beklagt haben,
dass Verfechter der Arbeit der großen
Koalition eingeschüchtert würden. Falls
dies systematisch geschehe, so Konfor-
mität nach innen erzwungen würde,
erinnere ihn dies an Wege, „die Sekten“
gingen, wird er sinngemäß von Teilneh-
mern wiedergegeben. Schulz war ur-
sprünglich gegen die große Koalition,
hatte dann aber doch den Koalitionsver-
trag mitverhandelt. In der Sitzung soll
er betont haben, dass seither sozialde-
mokratische Themen erfolgreich abge-
arbeitet worden seien. Würden eigene
Beschlüsse nicht regelmäßig schlechtge-
redet, hätte die SPD gute Chancen, wie-
der auf die Beine zu kommen. Auslöser
der Debatte war das Verhalten der Ju-
sos, die sich bei ihrem Bundeskongress
ebenfalls mit der Koalition beschäftigt
hatten. Ärger löst jetzt ein Antrag aus,
in dem die Jusos der Fraktion in Asylfra-
gen einen Rechtsruck vorwerfen und
den Abgeordneten Anstand und
Menschlichkeit absprechen. msz

Berlin– Die Bewegung „Fridays for
Future“ will am kommenden Freitag
wieder in ganz Deutschland für mehr
Klimaschutz auf die Straße gehen. Im
Rahmen eines weltweiten „Klima-
streiks“ seien bundesweit Demonstrati-
onen in etwa 500 Städten geplant, sagte
Mitorganisatorin Franziska Wessel. Die
größte Demonstration soll in Berlin
stattfinden. Allein dort seien 20 000
Demonstranten angemeldet. Konkreter
Anlass für den Aktionstag ist die UN-Kli-
makonferenz vom 2. bis 13. Dezember
in Madrid. „Deutschland wird dort mit
leeren Händen dastehen“, sagte Quang
Paasch, Sprecher der Ortsgruppe Ber-
lin. Das Klimapaket der Bundesregie-
rung sei angesichts der bereits begonne-
nen Klimakatastrophe „Pillepalle“. Ab
Samstag haben Aktivisten der Initiative
„Ende Gelände“ zudem Aktionen gegen
Braunkohle-Tagebau in der Lausitz
angekündigt, darunter Besetzungen
und Blockaden. dpa  Seite 4

Berlin– Die Ursache für die dramati-
sche Bruchlandung einer Regierungs-
maschine auf dem Berliner Flughafen
Schönefeld vor sieben Monaten war der
fehlerhafte Wechsel eines Bauteils in
der Steuerung. Zu diesem Ergebnis ist
der General Flugsicherheit der Bundes-
wehr, Peter Klement, gekommen. Hinzu
sei „mangelnde Sorgfalt bei der Funkti-
onsüberprüfung“ gekommen. „Die
Folge waren Steuereinschränkungen,
die die Stabilität des Flugzeugs im Kur-
venflug gravierend beeinflusst haben.“
Die kleinste Regierungsmaschine vom
Typ Bombardier Global 5000 musste
am 16. April kurz nach dem Start notlan-
den, dabei schrammten beide Tragflä-
chen über den Boden. dpa

„Wir müssen aufhören, aneinander vorbeizureden“, sagt Scholz im Bundestag. Es ist diese belehrende Art, die seine Kritiker ärgert. FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA

Scholz, so ist zu hören,


hat ein neues Buch angefangen:


„Das Ende der Illusionen“


Streit um Gemeinnützigkeit


SPD inder Zerreißprobe


„Klimapaket ist Pillepalle“


Fehler bei der Reparatur


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