Süddeutsche Zeitung - 27.11.2019

(ff) #1
Die Juwelen aus Dresden waren so etwas
wiedie Mona Lisa des Schmucks. Ihre
Einzigartigkeit macht sie unendlich wert-
voll – und unverkäuflich. Wir sprachen mit
Beate Kalisch. Sie ist Gemmologin, eine
Sachverständige für Edelsteine, Schmuck
und Juwelen. Sie arbeitet als Beraterin des
Münchner Auktionshauses Neumeister.

SZ: Frau Kalisch, was kann ein Dieb mit
diesen Diamanten anfangen?
Beate Kalisch: Eine Möglichkeit ist, dass er
oder sein Auftraggeber sich diesen Schatz
jeden Tag ansehen möchte, jemand der
dieses Glücksgefühl sucht. Das ist einfach
krank. Oder es war jemand von weit weg,
sagen wir aus Russland, den USA oder
China, der sich sagt: Ich habe Zeit, ich lege
den Schmuck jetzt mal 30 Jahre in meinen
Safe und lasse Gras über die Sache wach-
sen. Und wenn meine Tochter mal älter
wird, dann hat sie eine schöne Geldanlage.

Ließen sich die Steine auch einzeln zu
Geld machen, ohne ihre Fassungen?
Ja, die Steine lassen sich aus den Fassun-
gen brechen. Man könnte sie neu fassen,
um ihre Herkunft zumindest zu verschlei-
ern. Die Steine blieben in ihrer Original-
größe erhalten.

Könnte man sie auch umschleifen?
Das ist wohl die wahrscheinlichste Varian-
te. Die Steine werden natürlich kleiner,
man verliert zehn bis 30 Prozent, aber da-
für würde der Schliff perfekter. Sie würden
dann richtig, richtig viel Geld bringen.

Dann wäre außer den Fassungen auch der
historische Schliff zerstört.
Richtig. Das wäre ein unwiederbringlicher
Verlust. Die ganz alten Schliffe haben eine
besondere Mystik, die sind so weich, so
schmeichelhaft; wenn Sie große Steine
haben, sind die zum Niederknien. Es gibt
sogar Leute, die heute versuchen, diesen
alten Schliff zu reproduzieren.

Können Sie den Materialwert beziffern?
Das ist sehr schwer, aber er liegt auf jeden
Fall im zweistelligen Millionenbereich.

Ließen sich die Diamanten nach dem Um-
schleifen nicht mehr identifizieren?
Nein. Das sind extrem reine Diamanten,
ohne Einschlüsse, an denen man ihre Her-
kunft erkennen könnte. Nur König, Kaiser
und Kirche durften solche vollkommenen
Diamanten besitzen. Sie verstanden sich ja
als von Gott auserkoren. Die Reinheit der
höfischen Diamanten war ein Symbol für
diese Auserwähltheit. In Indien denkt man
teilweise heute noch so.

Wäre es denn nicht sehr schwer, jeman-
den zu finden, der diese einmaligen Dia-
manten zerstören würde?
Doch, aber für Geld tun Menschen alles.
Das muss ja auch nicht hier in Deutschland
oder Europa gemacht werden. In China
und in Indien gibt es hervorragende Schlei-
fer. Ich könnte mir gut vorstellen, dass die
Steine dort hingehen. Allerdings ist das
eine unglaublich aufwendige Arbeit.

Wie entwickelt sich die Nachfrage nach
Diamanten?
Sie steigt und steigt, vor allem, weil sie als
Geldanlage so attraktiv sind. Diamanten
sind anonym, nehmen kaum Platz weg
und sind leicht transportierbar. In Zeiten
schärferer Geldwäschegesetze, Niedrigzin-
sen und drohender Wirtschaftskrisen sind
sie ideal für Leute, die ihr Geld verschwin-
den lassen wollen. Gleichzeitig wird das
Angebot immer knapper. Diamanten sind
900 Millionen Jahre alt. In den letzten Jahr-
zehnten hat man gefördert wie bekloppt,
irgendwann sind die Minen ausgebeutet.

interview: jörg häntzschel

Auch am Tag danach sind viele Fragen of-
fen: Wer sind die Unbekannten, die am Mon-
tagmorgen in das Grüne Gewölbe im Dresd-
ner Residenzschloss eindrangen, Diamant-
und Brillant-Schmuckstücke aus dem


  1. Jahrhundert stahlen? Und warum reich-
    ten die Sicherheitsvorkehrungen nicht aus?
    Die Ermittler setzten am Dienstag die
    Spurensuche am Tatort fort. Zwei Erkennt-
    nisse teilten sie dann am frühen Nachmit-
    tag mit: Zum einen seien die Täter mit ei-
    nem Audi A6 vom Tatort geflüchtet. Kurze
    Zeit später hätten sie den Wagen in einer
    Tiefgarage an der Kötzschenbroder Straße
    in Brand gesetzt. Im Wrack des Fahrzeugs
    habe man Spuren vom Tatort gefunden.
    Schon am Montag war die Polizei davon
    ausgegangen, dass für die Einbrecher ein
    Fluchtauto bereitstand, nachdem sie das
    Gebäude auf dem gleichen Weg verlassen
    hatten, auf dem sie gekommen waren.


Fest steht auch, dass es zum Zeitpunkt
des Einbruchs stockdunkel war am Dresd-
ner Schloss. Nahe des Renaissancebaus war
kurz zuvor ein Elektroverteiler in Brand ge-
setzt worden, vermutlich von den Tätern.
Wie viele Personen an dem Einbruch betei-
ligt waren, ist noch offen. In einer Presse-
konferenz am Dienstag verteidigte Marion
Ackermann, Generaldirektorin der Staatli-
chen Kunstsammlungen, das Sicherheits-
konzept: Acht Millionen Euro gebe man pro
Jahr zu diesem Zweck aus. Der Fakt, dass es
zum Tatzeitpunkt im Gebäude dunkel gewe-
sen sei, habe zwar zu schlechteren Auf-
nahmen der Sicherheitskameras geführt,
aber auch dazu beigetragen, dass die Diebe
nicht alles mitnehmen konnten. Die Stücke
seien zudem mit dem Untergrund vernäht
gewesen. Die Einbrecher hätten versucht,
ihre Spuren mit Feuerlöschpulver zu verwi-
schen, sagte Museumsdirektor Dirk Syn-

dram. Aufgrund des gezielten Vorgehens
gehe man davon aus, dass die Täter über In-
siderwissen verfügten. Während der Tat sei-
en mehrere Alarme ausgelöst worden, beim
Einbruch selbst, durch Bewegungsmelder
und beim Aufbrechen der Vitrine. Die Polizei
sei beim ersten Alarm informiert worden.
Das Sicherheitspersonal habe sich bewusst
für das direkte Wählen des Notrufs und
nicht für das Drücken des Alarmknopfs ent-
schieden, so Michael John, Sicherheitschef
des Museums. Wegen der brutalen Vorge-
hensweise seien die Wachleute nicht selbst
zum Tatort gegangen, anders als zuvor ver-
lautbart jedoch bewaffnet gewesen. Ein Ein-
greifen liege im Ermessen des Sicherheits-
personals. Zur Art der Bewaffnung machte
John keine Angaben. Das Sicherheitskon-
zept werde nun überprüft. Für die Öffent-
lichkeit wird das historische Grüne Gewölbe
vorerst nicht zugänglich sein. MOGE, UZ

Zum


Niederknien


Warumsind die Dresdner
Schätze als Raubgut so attraktiv?

Als einer der Glücklichen, die in der aufre-
gendsten Schatzkammer der Welt irgend-
wann die Augen haben schweifen lassen,
fragt man sich: Warum haben die Einbre-
cher, als sie durch ein Fenster in das Grüne
Gewölbe eingestiegen waren, nicht zu-
sammengerafft, was am Wege lag, warum
haben sie sich im Dunkeln zum Juwelen-
zimmer vorgearbeitet und dort eine ganz
bestimmte Vitrine angesteuert? Und war-
um haben sie einige der spektakulären
Kleinodien, die in dieser Vitrine lagen und
offensichtlich hätten mitgenommen wer-
den können, liegen lassen und sich auf
ganz bestimmte Stücke konzentriert?
Eine nur halbwegs vernünftige Antwort
auf diese Fragen wird es in absehbarer Zeit
nicht geben. Sollten die Räuber nur den Ma-
terialwert der vielen in die Schmuckstücke
eingearbeiteten Edelsteine und des Goldes
als möglichen Gewinn einkalkuliert ha-
ben, werden sie, wenn sie die Steine aus
den Fassungen lösen, beim Verkauf wenig


Glück haben, denn im 18. Jahrhundert wur-
den Edelsteine ganz anders geschliffen als
heute. Jeder Schmuckhändler weiß das.
Zwar haben die Steinschneider auch da-
mals dem Rohmaterial durch Schliffe eine
kristalline Form gegeben, die Glanz und
Glitzern versprach, doch beim Schleifen
wurden die Steine auch dem vom Gold-
schmied erdachten Schmuckkunstwerk
angepasst, also in eine Form gebracht, die
mit den anderen Teilen harmonierte.

Die von den Dieben in den Sack gesteck-
ten Juwelen sind Musterbeispiele spätbaro-
cker Kompositionskunst. An ihnen lässt
sich gut zeigen, wie systematisch und fäl-
schungssicher Goldschmiede im 18. Jahr-
hundert gearbeitet haben, und wie unsin-

nig es war, diese inzwischen in Abbildun-
gen weltweit publizierten handwerklichen
Meisterstücke zu stehlen, um sie entweder
unbeschädigt als historische Kunstwerke
oder aber in zahllose Einzelteile zerlegt
stückweise zu verkaufen.
Nehmen wir das „Schmuckstück in
Palmettenform“ (unser oberes Bild). Seine
Besonderheit besteht darin, dass in der Mit-
telrispe drei fast gleich große, im Umriss
fast quadratisch zugeschliffene Diaman-
ten übereinanderstehen und von einem
etwas kleineren gestützt und einem etwas
größeren überkront werden. Diese fünf
charakteristischen Individuen, deren
Rückseiten wahrscheinlich ganz anders
aussehen, heute zu verscherbeln, dürfte
nicht leichtfallen, zumal sich ihr Material-
wert, wenn sie einmal aus der Fassung
gerissen sind, schwer einschätzen lässt.
Die Fürsten der Renaissance und des Ba-
rock jedenfalls haben nur die allergrößten
Edelsteine einzeln aufbewahrt und einzeln

vorgezeigt. Bei den im 18. Jahrhundert im
Luxus schwelgenden sächsischen Kurfürs-
ten freilich waren auch solche Monstrositä-
ten der Natur vor Bearbeitung nicht sicher.
So ist der „Dresdner Grüne Diamant“, mit
41 Karat bis heute einer der größten Dia-
manten der Welt, im Jahr 1768 mit zwei
weiteren Monsterbrillanten und 411 kleine-
ren Diamanten in eine Hutkreation der ab-
sonderlichsten Art eingearbeitet worden.
Das so entstandene Schaustück ist viel-
leicht nie öffentlich getragen worden; in
den Wundersälen des Dresdner Schlosses
aber kann es seit ein paar Jahren von allen
Museumsbesuchern bestaunt oder kri-
tisch betrachtet werden.
Für die fürstlichen Auftraggeber ent-

falteten Edelsteine erst dann ihren vollen
Glanz, wenn sie von Künstlerhand zu ei-
nem individuellen Schmuckstück zusam-
mengefügt waren. Bei unserer Palmette
ergibt sich der Reiz aus der symmetrischen
Anordnung leicht geschwungener Blätter;
sie sollen wohl ein Blumengebinde sugge-
rieren, dessen Teile mit einer rhythmi-
schen Abfolge von Brillanten bestückt
sind. Die Bewunderung der Herrschaften,
die solche Kunstwerke am Leib trugen,
galt also nicht der Masse der angehäuften
Juwelen, sondern der handwerklichen
Meisterschaft, mit der Goldschmiede eine
Handvoll glitzernder Steine mit etwas
Gold und Silber zu einem Bildwerk ganz
eigener Art zusammengefügt haben.
Auch die anderen Stücke aus der
Dresdner Diebesbeute können eigentlich
nur für spezialisierte Liebhaber histori-
scher Schmuckstücke interessant sein. So
stellt sich der Verdacht ein, dass die Diebe
von einem kundigen Sammler den Auftrag

erhalten haben könnten und darum zielbe-
wusst auf die Wunschobjekte zusteuerten
und anderes liegen ließen.
Die Katastrophe, die nicht nur den
gestohlenen Preziosen, sondern auch den
Dieben droht, wenn die erbeuteten Stücke
zerlegt werden, lässt sich an einer Reihe
der gestohlenen Kostbarkeiten beschrei-
ben. Die Edelsteine in den Schnallen,
Schleifen und Knöpfen müssten, wenn
man sie verkaufen wollte, alle umgeschlif-
fen werden, verlören also enorm an Ge-
wicht und Wert. Viel schlimmer wäre aber,
dass kunsthandwerkliche Schöpfungen
vernichtet und der Welt entzogen würden.
Ähnliches gilt für den Bruststern des
polnischen Weißen Adlerordens: Auch die-
ser Strahlenkranz aus Diamanten und Ru-
binen dürfte weltweit ohne Beispiel sein.
Im Grünen Gewölbe jedenfalls verkörpert
er nicht nur einen sehr seltenen Schmuck-
typus, sondern auch ein Stück sächsischer
Geschichte. gottfried knapp

„Nur König, Kaiser und Kirche
durften solche vollkommenen
Diamanten besitzen.“

von peter richter

Da haben sie in Dresden mit dem Grünen
Gewölbe ein Museum, das äußerlich end-
lich wieder aussieht wie 500 Jahre alt, aber
nagelneu ist und angeblich besser gesi-
chert als Fort Knox. Der Vergleich fiel vor
ein paar Jahren nun einmal, und vermut-
lich stimmt er tagsüber sogar. Aber dann
kommen die Räuber einfach in der Nacht,
klettern durchs Fenster und hauen die
Schutzvitrinen mit der Axt entzwei. Die an-
wesenden Wachen griffen lieber nicht ein,
sondern riefen, gewissermaßen als
menschliche Alarmknöpfe, nur die Polizei
an, was die Museumsleitung als korrekt
wertet, ihr aber viel Kritik einträgt.
Dabei war den Schmuckstücken, die
dann leider schon weg waren, bevor die Po-
lizei ankam, die Erfahrung von der verblüf-
fenden Effizienz roher Gewalt selbst schon
eingeschrieben, vom dann stets noch fol-
genden Hohn über mangelnde Wehrhaftig-
keit zu schweigen. Denn da hatten sie in
Sachsen mal ein Fürstenhaus gehabt, das
alles Geld des Landes statt ins Militär lie-
ber in Bauten, Bilder und ganz besonders
gern auch in Juwelen steckte, um die Nach-
barfürsten bei ausufernden Festen so zu
beeindrucken, dass die ihm die Kaiserkro-
ne schon von alleine antragen würden,
ganz ohne Waffengewalt. Denn auf dem
Weg zu „Schwerter zu Pflugscharen“ war
das Prinzip Schwerter zu Prunkschwer-
tern zumindest mal ein Anfang: Mit den
Schmuckwaffen, die die Diebe da ließen,
lässt sich so schlecht kämpfen wie mit dem
Schmuck, den sie mitnahmen. Aber dann
trampelt halt der Preuße trotzdem einfach
rein und haut seine Bomben auf die ganze
Pracht, bevor die Dresdner Wachen bei der
Polizei anrufen können, als die man sich
die durch die Partydiplomatie gewonne-
nen Verbündeten in Europa damals ge-
dacht hatte.


Den Siebenjährigen Krieg nehmen viele
hier Berlin im Prinzip noch genauso übel
wie später das notorische Anzetteln von
Weltkriegen, die sozialistische Mangelver-
sorgung und die Schummelsiege des BFC
Dynamo. Es steht zu vermuten, dass sich
auch die oft distanzierte Haltung zum heu-
tigen Hauptstadtbetrieb noch aus solchen
geschichtspsychologischen Tiefen speist.
Es steht weiterhin zu vermuten, dass dem
sächsischen Ministerpräsidenten Michael
Kretschmer solche Zusammenhänge zu-
mindest im Hinterkopf saßen, als er direkt
nach dem Raub am Montag sagte, nicht
nur die Kunstsammlungen seien bestoh-
len worden, „sondern wir Sachsen!“ Man
könne die Geschichte von Sachsen nicht
verstehen, ohne das Grüne Gewölbe. Die
Werte, die hier zu finden seien, „wurden
von den Menschen in unserem Freistaat
über viele Jahrhunderte hart erarbeitet“.
Das klang erst nach einer etwas verun-
glückten Formulierung im Schock direkt
nach dem Ereignis. Denn auch wenn der
Freistaat Sachsen nicht erst 29 Jahre alt ist,
wie der darauf umgehend des „Lokalnatio-
nalismus“ angeklagte Ministerpräsident
auf Twitter belehrt wurde, sondern viel-
mehr exakt 100, die allerdings unterbro-
chen waren durch die Jahre, in denen Sach-
sen ein Gau der Nazis war, und dann, ab
1952, die Jahre, in denen es aufgeteilt war
in die DDR-Bezirke Dresden, Leipzig und
Karl-Marx-Stadt, was die Leute von dort al-
lerdings auch nicht davor bewahrte, der
Mundart wegen trotzdem überall als Sach-
sen zu gelten: Es ist zumindest eine sonder-
bare Formulierung.
Denn die Polen, deren Könige die sächsi-
schen Kurfürsten eine Zeit lang nebenher
noch waren, werden schon auch etwas bei-
getragen haben. Auch all die Sachsen, die


nach den Napoleonischen Kriegen als soge-
nannte Beutepreußen dem heutigen Bun-
desland Brandenburg einverleibt wurden,
sollten sich sicher nicht abermals ausge-
grenzt fühlen. Und dass die Hofarchitek-
ten, -maler und -goldschmiede, die einst
für Dresdens Prunk verantwortlich waren,
aus Bayern, Frankreich, gar Württemberg
kamen, damals alles fernes Ausland mit,
abgesehen vom Französischen, kaum ver-
ständlichen Sprachen: Das ist garantiert
auch dem Ministerpräsidenten bewusst,
der das vielleicht auch gar nicht so lands-
mannschaftlich gemeint hat, wie ihm das
jetzt vorgeworfen wird. Immerhin ist
Kretschmer aus Görlitz, wo sie einem ger-
ne mitteilen, dass sie mitnichten Sachsen
seien, sondern vielmehr Niederschlesier,
die heute eben nur dem Freistaat verwal-
tungstechnisch zugehörig seien.
Vielleicht sollten Kretschmers Worte
auch ein wenig klingen wie die von New
Yorks einstigem Bürgermeister Rudi Giu-
liani, als der die Attacken auf das World
Trade Center als Anschlag auf alle New Yor-
ker wertete.
Und vielleicht war der CDU-Mann
Kretschmer inhaltlich auch gar nicht mal
so weit weg von der SED-Frau Ruth Seyde-
witz, der Gattin und intellektuellen Kraft
hinter seinem Amtsvorgänger Max Seyde-
witz, der das Land als Ministerpräsident in
der frühen DDR regiert hatte: „Diese einst
für den Luxus einiger weniger geschaffe-
nen, mit dem Schweiß und dem Blut des
Volkes bezahlten Schätze, gehören in unse-
rem Arbeiter-und-Bauern-Staat dem gan-
zen Volke“, schrieb die nämlich 1959 stolz
in ihr Buch „Das neue Dresden“. Ein Jahr,
nachdem diese Schätze, die eine ganze Zeit
lang wie Kriegsbeute wirkten, von der So-
wjetunion zurückgegeben worden waren.
Die Tatsache, dass die Dinge, die vom
Herrscherhaus der Wettiner einst ange-
sammelt wurden, heute der Allgemeinheit
gehören, musste in der jüngeren Vergan-
genheit nicht zuletzt gegenüber den Nach-
fahren dieses Herrscherhauses immer mal
wieder betont werden, denn auch die hat-
ten in der Vergangenheit Begehrlichkeiten
geäußert wie jetzt die einstigen Amtskolle-
gen von den Hohenzollern aus Potsdam.
Aber wer das „Der Staat bin ich“ so absolu-
tistisch auslebt wie einst August der Star-
ke, legt den Grundstein dafür, den Satz um-
gekehrt zu lesen, und die einstigen Werk-
zeuge der Macht bleiben nach der Kündi-
gung nun einmal bitte beim Arbeitgeber.
Selbst wenn man dem Ministerpräsiden-
ten in diesem Sinne die Emphase des De-
mokratischen zugute halten will, waren Ab-
wehr und Spott unmittelbar abzusehen
und prasselten auch spätestens in dem Mo-
ment auf ihn ein, als das Statement, mit
Freistaat und allem, auf Kretschmers Twit-
ter-Account eingestellt wurde. Wer aber
derart unbedacht hineinruft in dieses Me-
dium, das ja nun einmal zu den unheim-
lichsten Meinungsmärchenwäldern des In-
ternets gehört, der muss sich nicht wun-
dern, wie es dann von dort zurückschallt.
Bestenfalls wurde der Begriff der „kultu-
rellen Identität“, den auch Sachsens Innen-
minister bemühte, mit spitzen Fingern zu-
rückgewiesen. Ein Politiker der Dresdner
Linken wollte vom Ministerpräsidenten
wissen, wie viel nicht durch „Sächsinnen
hart erarbeitet“, sondern „durch Adel und
Co., durch Unterdrückung, Sklaverei und
Raub zusammengekommen“ sei. Was die
Herkunft der Edelsteine betrifft, ließen Ko-
lonialismusvorwürfe nicht lange auf sich
warten. Auf der anderen Seite war, selbst-
verständlich, schon wieder „Merkel
schuld“, dass nach den deutschen Grenzen
nun auch die deutschen Museen nicht
mehr robust genug geschützt würden.
Man kann also zumindest nicht sagen,
dass jahrhundertealte Goldschmiede-
kunst keine Relevanz für die politischen Be-
dürfnisse der Gegenwart mehr hätte. Und
das ist noch das beste, das man im Moment
dazu überhaupt sagen kann.

Spurensuche und offene Fragen


Vom Glitzern der Geschichte


Die erbeuteten Juwelen sind Musterbeispiele spätbarocker Kompositionskunst. Sollten sie in ihre Einzelteile zerlegt werden, wäre das eine Katastrophe


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DEFGH Nr. 274, Mittwoch, 27. November 2019 HMG 9


Der Dresdner KunstdiebstahlWarumdie Beute aus dem Grünen Gewölbe mehr ist als nur Juwelen


Das verlorene


Herz


Der Raubzug in Dresden trifft


Sachsen tief in seiner Seele


Man könne die Geschichte


von Sachsen nicht verstehen,


ohne das Grüne Gewölbe


Für die fürstlichen Auftraggeber
entfalten die Edelsteine erst ihren
Glanz, wenn Künstler sie veredeln

FEUILLETON


Dresden im Ausnahmezustand: Das Schlossareal (links unten) ist komplett gesperrt.
Die Diebehatten es vor allem auf Schmuckstücke abgesehen, die mit Diamanten
und Brillanten prunken. Oben das „Schmuckstück in Palmettenform“, unten ein Hutverschluss des
Diamantrosen-Sets.FOTOS: JÜRGEN KARPINSKI, GRÜNES GEWÖLBE/JENS SCHLUETER
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