Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1

Hans-Jürgen Jakobs München


A


nne Kjær Riechert hat
eine klare Mission: Sie
hilft Flüchtlingen durch
Schulungen an Compu-
tern. Nachdem die
Gründerin der „ReDi School of Digi-
tal Integration“ im vorigen Jahr auf ei-
ner Tech-Konferenz über ihre Arbeit
berichtet hatte, kontaktierte sie ein
unerwarteter Gesprächspartner. Das
sei ja sehr spannend, sagte ein Ver-
treter des Fußball-Rekordmeisters FC
Bayern München. Man kam ins Ge-
spräch – und zu einem gemeinsamen
Projekt.
Die Digitalschule der Dänin half
dem Sportchampion aus dem Süden


  • im Zuge von „Ko-Creation“ –, ein
    Programm für Jugendliche auszutüf-
    teln. Bei der Initiative „FC Bayern Di-
    gital Campus“ sollen sie sowohl Fuß-
    balltugenden wie Fairness oder
    Teamgeist lernen, als auch kontrol-
    liert tiefer in die digitale Welt eintau-
    chen. Und so steht die Münchener Al-
    lianz-Arena an diesem Wochenende
    ganz im Zeichen dieses Lernprojekts
    für 100 Kinder und 100 Eltern.
    In einer Zeit, in der Kids Smartpho-
    nes als Lebensbegleiter haben, wer-
    den hier die Fragen neu gestellt, wie
    Erziehung ablaufen soll, welchen
    Stellenwert Sport dabei haben kann
    und wie soziale Benachteiligungen
    abzufedern sind. Das fordert auch ei-
    nen erfolgsverwöhnten Fußballklub,
    der sonst mehr mit der Trainerfrage,
    der Spiellaune seiner Profis und wirt-
    schaftlichen Vorzeigegrößen – Um-
    satz: eine Dreiviertelmilliarde Euro –
    Schlagzeilen macht.
    „Gewinnen ist schön, kann aber
    nicht alles sein“, sagte FC-Bayern-
    Sprecher Stefan Mennerich dem
    Handelsblatt. „Ein Verein, dem in


den sozialen Netzwerken 90 Millio-
nen Menschen folgen, hat soziale
Verantwortung. Der neue Digital
Campus ist ein Meilenstein für uns.“
Ziel der Initiative sei es, „mit Ex-
perten aus unserem Netzwerk digita-
le Neugierde bei Kindern und Eltern
zu wecken und gleichzeitig auf mögli-
che Gefahren hinzuweisen“, sagt
CEO Karl-Heinz Rummenigge. Sein
Verein verbreitet selbst immer stär-
ker über digitale Kanäle eigene News
und Stories. Kernzielgruppe der „Di-
gital Campus“-Aktion sind Acht- bis
Elfjährige.
So stehen nun nach dem Besuch
des FCB-Bundesliga-Samstagabend-
spiels gegen Bayer Leverkusen am
Tag darauf Lernen und Laufen, Ball-
arbeit und Binäres auf dem Plan. 40
„digitale Coaches“ helfen. Der Nach-
wuchs programmiert ein Computer-
spiel oder baut einen Fußballroboter,
lernt anschließend verantwortungs-
vollen Umgang mit den sozialen Me-
dien und absolviert noch einen Fuß-
ballparcours. Dafür gibt es jeweils
Sterne fürs Fußballtrikot.

Workshop für Eltern
Parallel reden die Eltern in einem
Workshop über Themen wie Medien-
erziehung, Datensicherheit und „Digi-
tal Wellbeing“, das individuelle
Wohlergehen in einer Welt der Algo-
rithmen. „Erleben & entdecken“, spie -
lerisches Lernen sowie Diversität im
Alltag spielen die große pädagogische
Rolle: Nach dem Konzeptpapier geht
es etwa darum, „bewusst online zu
sein“ oder „grenzenlosen Zusammen-
halt“ zu genießen. Neben der ReDI
School tritt das Münchener JFF Institut
für Medienpädagogik als Kompetenz-
partner auf. Auch Google ist involviert.

Weiter Aktionen dieser Art sollen
folgen. Die Kosten von gut 100 000
Euro sind durch die Sponsoren Adi-
das und Allianz (sie sind auch FCB-
Aktionäre) sowie SAP und Hylo ge-
deckt. Auf der Habenseite steht auch
ein Imagegewinn.
Der FC Bayern beschäftige sich mit
der Frage, für welche Werte er steht
und stehen will, sagt Sprecher Men-
nerich: „Die Mia-san-mia-Haltung ist
wichtig, muss aber auch mit Inhalten
und Werten gefüllt und gelebt wer-
den.“ Solche Fragen seien gerade
dem neuen Präsidenten Herbert Hai-
ner, einst Adidas-CEO, sowie Vor-
standschef Rummenigge enorm
wichtig. Das „Digital Campus“-Wo-
chenende solle für die Kinder „zum
unvergesslichen Erlebnis werden
und für neue Aktivitäten stimulie-
ren“, erklärt Mennerich, der das The-
ma langfristig verfolgen will.
Nachdem der Klub Anfang 2018 ei-
nen „Hackathon“ veranstaltet hat,
steht nun der nächste Schritt in die
Digitalisierung an. „Wir diskutieren
seit Langem, ob wir uns an E-Foot-
ball, also Fußballsimulation, beteili-
gen sollen“, so Mennerich. „Ich will
das auf keinen Fall ausschließen.“
Der FC Bayern begeistere über alle
Altersgrenzen hinweg, lobt die
Staatsministerin für Digitales, Doro-
thee Bär: „Diese Begeisterung nutzen
wir nun, um Kindern die vielfältigen
Chancen digitaler Anwendungen nä-
herzubringen.“ Sie ist zusammen mit
der bayerischen Staatsministerin Ju-
dith Gerlach Schirmherrin der Veran-
staltung.
Für ReDi-School-Gründerin Rie-
chert ist der „Digital Campus“ eine
Premiere. Noch nie hatte sie es mit
einem Sportprojekt zu tun: „Fußball

bedeutet Integration auf Augenhö-
he.“ Ihre private Schule für Weiterbil-
dung und Kinder-Grundlagenarbeit
begann im „Wir-schaffen-das“-Som-
mer 2015 in Berlin und hat seit 18 Mo-
naten auch einen Sitz in München
(dritter Standort ist Kopenhagen), wo
auch die Landeshauptstadt hilft. 50
Kinder aus Flüchtlingsfamilien wer-
den in Workshops in Sachen Internet
geschult.
Rund 80 Großunternehmen wie
Klöckner, Microsoft und Cisco sind bei
der ReDI School als Finanziers und
Unterstützer mit dabei. Insgesamt
wurden so schon rund 1 100 Absol -
venten fit für den Arbeitsmarkt ge-
macht.
Am Wochenende beim FC Bayern
stellt Riecherts Organisation 20 Mitar-
beiter und 33 Kinder. Zielgruppe der
ReDI School seien Heranwachsende,
„die keinen Zugang zur digitalen Bil-
dung haben, darunter Geflüchtete,
Migranten und sozial benachteiligte
Kinder“, erklärt sie im Gespräch.
Technologie sei dabei „ein Werkzeug,
um Probleme zu lösen, und kein
Endziel“. Seit 2017 gehört ein „Kids &
Teens“-Programm zum Angebot. Und
nächstes Jahr geht Riechert mit ihren
Mitarbeitern nach Duisburg-Marxloh,
einem sozialen Brennpunkt.
Eine in die Zukunft weisende Hoff-
nung für den Arbeitsmarkt hat die
dänische Pionierin, die 2012 für das
„Peace Innovation Lab“ der Stanford
University einen deutschen Ableger
gestartet hat, auch. Die generell von
Technologie begeisterten Kinder sol-
len durch den FCB-Campus mit künf-
tigen Arbeitsfeldern in Berührung
kommen: Denn „noch haben wir in
Deutschland 82 000 offene Stellen im
IT-Markt“.

Digitale Schule


Ein Campus für den FC Bayern


Der deutsche Rekordmeister hilft 100 Kindern, im Netz fit zu werden. Teil


der neuen Initiative ist eine innovative Schule, die Geflüchteten hilft.


Zwei Jungen im Bayern-
Trikot: Digitales Lern-
projekt für 100 Kinder
und 100 Eltern.

action press

imago images/RHR-Foto

Wir wollen


digitale


Neugierde bei


Kindern und


Eltern wecken


und


gleichzeitig


auf Gefahren


hinweisen.


Karl-Heinz
Rummenigge
CEO FC Bayern

Wirtschaft & Bildung
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229

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