R. Bender, S. Kobel, M. Raschke
Düsseldorf, Berlin
A
m Tag nach dem Juwe-
lendiebstahl von Dres-
den war auch Dirk Syn-
dram noch immer rat-
los. Den Tatort im His-
torischen Grünen Gewölbe konnte
der Direktor des Schatzkammermu-
seums noch nicht betreten, die Be-
standsaufnahme der Ermittler zur
Zahl der mit Diamanten besetzten ge-
raubten Schmuckstücke dauerte an.
So musste Syndram sich zunächst
mit Handyfotos der Polizei begnügen.
„Ich weiß, dass einige Objekte nicht
an ihrem Platz sind“, sagte er. „Aber
ich kann nicht sagen, wie es auf dem
Boden der Vitrine aussieht.“
Es herrscht große Ratlosigkeit nach
dem wohl größten Kunstraub der
jüngeren Geschichte. Am vergange-
nen Montag entwendeten zwei Ein-
brecher wertvolle Juwelen aus dem
Grünen Gewölbe im Dresdener Resi-
denzschloss. Dem ersten Schock folgt
vorsichtiger Optimismus. „Zum
Glück sind noch mehr Stücke da, als
wir gedacht haben“, sagte die Direk-
torin der Dresdener Kunstsammlun-
gen, Marion Ackermann, auf einer
Pressekonferenz am Dienstag.
Offenbar hatten die Täter die Fens-
tergitter des Museums durchtrennt
und sich so Zutritt zum Gebäude ver-
schafft. Drinnen zertrümmerten sie
Vitrinen mit einer Axt. Die Ausstat-
tung habe „eine gewisse Sicherheits-
klasse“, erklärte Michael John vom
Technischen Dienst der Staatlichen
Kunstsammlungen Dresden. „Aber
nach einer gewissen Bearbeitung ver-
sagen auch diese Vitrinen.“
Das Aufbrechen der Juwelengarni-
turen und Umschleifen der Steine
zum Weiterverkauf ist laut Stephan
Zilkens, erfahrener Kunstversiche-
rungsmakler aus Köln, „leider die na-
heliegende Variante. Vermutlich wur-
den die Objekte ausgespäht, und es
war klar, welche Objekte entwendet
werden sollten. Möglicherweise war
die Vermarktung schon vorbereitet.“
Auftragsraub durch einen „Sammler“
oder einen sammelnden Gangster-
boss gebe es nur im Kino bei schlech-
ten Drehbüchern.
Das Museum hat keinerlei finan-
zielle Entschädigung zu erwarten.
Private Sammler und Museen schlie-
ßen in der Regel spezielle Kunstversi-
cherungen ab. Es handelt sich dabei
um sogenannte Allgefahrenversiche-
rungen, die fast alles absichern. Dazu
gehören neben Restaurierung und
Ausgleich der Wertminderung bei Be-
schädigung auch die Entschädigung
bei Verlust oder Diebstahl und unter
Umständen die Bezahlung eines Lö-
segelds bei sogenanntem Artnapping,
wenn Kunstwerke gestohlen werden,
um Geld zu erpressen.
Für Museen in öffentlichem Besitz
werden solche Versicherungen auch
angeboten. Je nach Museumstyp, Zu-
sammensetzung der Sammlung, Si-
cherungen, Leihverkehr, Versiche-
rungssummen, Selbstbehalten liegen
die Beitragssätze zwischen 0,15 und
0,015 Prozent des Werts der versi-
cherten Sammlung.
Doch in Deutschland gilt für fast al-
le Museen der öffentlichen Hand die
Staatshaftung, bei der Bund, Land
oder Kommune anstelle privater Ver-
sicherungen eintreten. Bis auf Bay-
ern, wo die Museen konventionelle
Versicherungen abschließen. Die
staatliche Variante hat einen ent-
scheidenden Vorteil: Sie kostet die
Museen und den Staat nichts. Bis ein
Schaden eintritt.
Das ist in dieser Größenordnung
wie in Dresden in Deutschland wohl
noch nie passiert. Selbst die Behör-
den scheinen ratlos. Auf Anfrage des
Handelsblatts verweisen Museum,
Kunst- und Finanzministerium auf je-
weils eine der anderen Institutionen.
Man sei dabei, alle Fragen in diesem
Zusammenhang zu klären, heißt es
aus dem Finanzministerium und ver-
weist auf die entsprechenden Para-
grafen in der Sächsischen Haushalts-
ordnung. So oder so sei die Staatshaf-
tung ein schlechtes Geschäft für alle
Beteiligten, sagt Zilkens: „Sollte der
Dresdener Schaden 100 Millionen
Euro erreichen, hätte man alle gro-
ßen deutschen Museen über Jahre
versichern können.“
„Epaulette“ ermittelt
Derzeit arbeitet eine Sonderkommis-
sion der Dresdener Polizei mit 20 Er-
mittlern an der Aufklärung des Dieb-
stahls. Das Team hat den Namen
„Epaulette“ bekommen – angelehnt
an die Bezeichnung eines der Beute-
stücke. „Eine heiße Spur haben wir
derzeit noch nicht“, fasst Dresdens
Polizeisprecher Marko Laske den Er-
mittlungsstand gut einen Tag nach
dem Diebstahl auf Handelsblatt-
Nachfrage zusammen. „Es sind aber
bereits 91 Hinweise eingegangen, de-
nen wir nachgehen.“
Einen wichtigen Anhaltspunkt für
die Fahndung liefert derzeit ein Audi
Kunstraub im Grünen Gewölbe
Gestohlene
Kulturgeschichte
Die Bestürzung über den Millionen-Diebstahl von
Dresden weicht der bitteren Erkenntnis: Das Museum
kann nicht auf Entschädigung hoffen.
Abgesperrter Tatort:
Das Residenzschloss
in Dresden mit dem
Grünen Gewölbe.
imago images/Max Stein
Gestohlen:
Eine wertvolle
Epaulette des
Diamantrosen-Sets. dpa
Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229
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