Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1

„Seit 30 Jahren diskutieren wir


auch schon über die Aufnahme


von Kinderrechten ins


Grundgesetz. Jetzt stehen wir


endlich kurz davor.“


Christine Lambrecht, Bundesjustizministerin, hat
den lange erwarteten Entwurf zur Verankerung
von Kinderrechten im Grundgesetz vorgelegt.

„Man kann mit Fug und Recht


sagen: Die Nato lebt, und zwar


von Kopf bis Fuß, auch wenn


es andere Diagnosen gibt.“


Heiko Maas, deutscher Außenminister, distanzierte
sich erneut vom französischen Präsidenten
Emmanuel Macron, der die Nato für „hirntot“ erklärt
hatte.

Stimmen weltweit


Die Berichte über die systematische Verfolgung
der Uiguren in China kommentiert die Wiener
Tageszeitung „Der Standard“:

I


nformationen über die Lager verbreiten sich
global mehr als zäh. Das zeugt von Chinas er-
folgreicher Propaganda und globaler Zensur.
Die neue Weltmacht aus Asien will sich gar nicht
auf eine Diskussion einlassen, frei nach dem Mot-
to „Alles Interna“ oder „Alles Verschwörungen
aus dem Westen“. Vielleicht sind die Einrichtun-
gen im Selbstverständnis der Kommunistischen
Partei tatsächlich „Schulen“. Dass Peking auch die
neuen Enthüllungen nun als Fälschungen bezeich-
net, ist alles andere als eine Überraschung. Es soll-
te aber keine Rolle spielen. Denn es obliegt der in-
ternationalen Gemeinschaft, selbst ein Urteil da-
rüber zu fällen.
So ist es ein Armutszeugnis, dass die Welt dabei
zuschaut, wie Hunderttausende Menschen einer
ethnisch-religiösen Minderheit interniert werden.
Das muss man beim Namen nennen und Konse-
quenzen daraus ziehen. Medien haben die Fakten
auf den Tisch gelegt. Nun liegt der Ball bei Politi-
kern und Unternehmen. Wer jetzt nichts tut, geht
der chinesischen Propaganda auf den Leim.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ meint zur deutlichen
Wahlschlappe des regierungstreuen Lagers bei
den Bezirkswahlen in Hongkong:

I


n einer echten Demokratie wäre die Regierung
zum Handeln gezwungen, allenfalls zum Rück-
tritt. Doch Hongkongs Regierungschefin Carrie
Lam und ihre Mannschaft sind in erster Linie nicht
dem Volk verpflichtet, sondern Peking. Ob dort die
Nachricht ankommt, ist mehr als zweifelhaft. (...)
Ebenso zweifelhaft ist, ob Peking das Signal des
Volkes in Hongkong verstehen und danach han-
deln wird. Allein dass eine Bevölkerung frei ihre
Meinung sagen kann, ist für das Regime etwas Un-
erhörtes, das im politischen System Chinas nicht
vorgesehen ist. Kompromisse sind die Machthaber
in Peking nicht gewohnt, denn die Kommunisti-
sche Partei hat das alleinige Sagen. Dass sich mit
dem Urnengang vom Sonntag die Situation in
Hongkong entspannt und bald wieder der Alltag
einkehrt, ist unter diesen Vorzeichen unwahr-
scheinlich – im Gegenteil: Wenn Peking und Lam
die neugewählten Abgeordneten ins Leere laufen
lassen, dann wird der Unmut nur anwachsen. Mit
dpa (3) unbestimmtem Ausgang.

Zur jüngsten politischen Entwicklung in den
ostmitteleuropäischen Visegrad-Staaten
schreibt die italienische Zeitung „La Repubblica“:

V


on Monat zu Monat passiert etwas Neues
an der östlichen Front. Der autoritäre und
antieuropäische Block, der die Schismati-
ker von Visegrad noch immer zusammenhält,
zeigt unter dem Druck der zunehmenden Proteste
in den einzelnen Ländern allmählich Risse. Zuerst
waren da die Präsidentenwahlen in der Slowakei,
die eine Kandidatin mit größerem europäischem
Glauben gewonnen hat. Dann musste in Ungarn
Viktor Orbán, der despotische Bannerträger der
„illiberalen Demokratie“, die klare Niederlage sei-
nes persönlichen Kandidaten bei der Bürgermeis-
terwahl in Budapest einstecken.
Nun sind in Prag Hunderttausende auf die Stra-
ße gegangen, um den Rücktritt des Präsidenten zu
fordern, der sich mit antieuropäischen Slogans
hatte wählen lassen. Es ist noch kein neuer tsche-
chischer Frühling wie in Zeiten Dubceks, aber es
ist immerhin ein Signal.

B


undesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat die
Haushaltswoche mit einem großen Selbstlob er-
öffnet. Der Etat für das kommende Jahr sehe ei-

ne „substanzielle Steigerung der Investitionen“ vor, sag-


te der Bundesfinanzminister. Das sei doch eine gute


Leistung. Tatsächlich war die Frage, ob der Bund aus-


reichend investiert, der große Streitpunkt in der Bun-


destagsdebatte. Die Opposition wirft Scholz vor, dass er


an der Zukunft des Landes spare. Die Regierungsfrak-


tionen verweisen hingegen auf die Rekordinvestitionen


in Höhe von 42,9 Milliarden Euro.


Doch diese Summe klingt besser, als sie in Wahrheit


ist. Das machen schon die Relationen deutlich. Eine


Steigerung auf 43 Milliarden Euro ist gut – aber vergli-


chen mit Gesamtausgaben von 360 Milliarden Euro


bleiben die Investitionen noch immer bescheiden. Das


eigentliche Problem ist aber ein anderes: Die 43 Milliar-


den sind zwar eingeplant, aber ob sie 2020 wirklich in-


vestiert werden, ist eine ganz andere Frage. In den ver-


gangenen Jahren sind die Mittel häufig nicht abgeflos-


sen. So hat der Verkehrsminister das Geld, das ihm zur


Verfügung stand, häufig nicht verbaut bekommen. Und
auch die Investitionsmittel für die Kommunen wurden
nie komplett verbraucht. Am Ende blieb Geld liegen.
Die Gründe sind häufig fehlende Planungskapazitäten
in den Ämtern.
Mittlerweile hat man sich in der Bundesregierung
derart an diesen Engpass gewöhnt, dass man ihn direkt
in den Etat mit einkalkuliert. So enthält der Haushalt
2020 immer noch globale Minderausgaben von knapp
fünf Milliarden Euro. Das ist ein Betrag, der noch einzu-
sparen ist, wo genau, wird aber offengelassen. Der
Grund: Im Bundesfinanzministerium geht man davon
aus, dass ohnehin nicht alles Geld wie geplant abfließen
wird. Mit anderen Worten: Man kalkuliert bereits ein,
dass die Investitionen einige Milliarden geringer ausfal-
len werden, als man es heute großspurig verkündet.
Schon der Scholz-Vorgänger Wolfgang Schäuble
(CDU) verwies gerne auf die Mittel, die nicht abfließen
würden, um damit Forderungen nach Schulden für zu-
sätzliche Investitionen abzuwehren. Motto: Investitio-
nen scheitern nicht am Geldmangel, wir bekommen
jetzt schon nicht alles verbaut. So argumentieren
Scholz und die Große Koalition bis heute.
Doch es wäre an der Bundesregierung, für Abhilfe zu
sorgen, Planungsverfahren zu vereinfachen und zu be-
schleunigen und gleichzeitig die Kapazitäten hochzu-
fahren. Das hat sich die Große Koalition vorgenommen,
aber bisher kaum geliefert. Nach all den Jahren sind
mangelnde Planungskapazitäten deshalb keine gute
Ausrede mehr für die Investitionsmisere, sondern eher
ein Offenbarungseid.

Haushalt


Chronischer Mangel


Auch die jüngsten
Ausgabensteigerungen ändern
nichts daran, dass Deutschland
ein Investitionsproblem hat, meint
Jan Hildebrand.

Der Autor ist stellv. Leiter des Hauptstadtbüros.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229


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