Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1
Bert Fröndhoff, Axel Höpner,
Martin Murphy
Düsseldorf, München, Frankfurt

A


ls der Volkswagen-Kon-
zern 2013 das Werk in
der westchinesischen
Stadt Ürümqi eröffnete,
war vielen im Konzern
das Risiko bewusst. Eine Automobil-
produktion in der Hauptstadt der au-
tonomen chinesischen Region Xinji-
ang anzusiedeln – das hat Potenzial
für einen Imageschaden.
Schließlich kursierten damals
schon weltweit Berichte, wie Chinas
Regierung die dortigen Minderheiten
unterdrückt und Menschenrechte
verletzt. VW habe von Peking eine
Garantie eingefordert, um die dort le-
benden Uiguren und andere Minder-
heiten beschäftigen zu dürfen, heißt
es in Konzernkreisen.
Sechs Jahre später steht die Region
im äußersten Westen Chinas erneut
in den Schlagzeilen. Nach Berichten
von Menschenrechtsorganisationen
werden in Xinjiang die überwiegend
muslimischen Uiguren systematisch
in Umerziehungslagern weggesperrt.
Sie sollen teilweise sogar unter

Zwang in dortigen Betrieben arbei-
ten. Erhärtet wird dieser Verdacht
von Berichten der „Süddeutschen
Zeitung“ und anderer Medien, die in-
terne Dokumente der chinesischen
Regierung ausgewertet haben.
Die Berichte haben weltweites Ent-
setzen ausgelöst und bringen die dort
engagierten Unternehmen in Erklä-
rungsnot. Neben Volkswagen ist der
Chemiekonzern BASF mit einer grö-
ßeren Produktionsanlage vor Ort.
Siemens ist Technologielieferant für
chinesische Firmen in der Region.
Menschenrechtsorganisationen
wie Human Rights Watch fordern die
Unternehmen auf, ihre Engagements
in Xinjiang zu beenden. Kritik kommt
auch von anderer Seite: „Die Unter-
nehmen haben sich dort in eine
schwierige Lage manövriert“, sagt
Max Zenglein, Leiter des Wirtschafts-
programms am Mercator Institute for
China Studies, ein auf China speziali-
sierter Thinktank in Berlin. Es sei
„ethisch schwer vertretbar, in der Re-
gion Geschäfte zu machen“. Neuin-
vestitionen westlicher Firmen hält
der Experte für „undenkbar“.
Die betroffenen Firmen reagieren
auf die aktuelle Kritik wie so oft,

wenn es um Geschäfte in China und
die dortigen Menschenrechtsverlet-
zungen geht: Sie verweisen auf ihre
eigenen Standards, die sie in ihren
chinesischen Werken durchsetzen,
sowie auf Kontrollen. Eine direkte
Kritik an der Regierung wird vermie-
den. Die dahinterliegende Furcht vor
Geschäftseinbußen und Ärger in dem
Land ist aus Sicht von Zenglein
durchaus berechtigt.

Druck der Regierung
Volkswagen unterstrich am Dienstag,
keine Kenntnis über Repressionen
von Minderheiten in seiner Autofa-
brik in Xinjiang zu haben. „Wir gehen
davon aus, dass kein Mitarbeiter un-
ter Zwang arbeitet“, sagte ein Spre-
cher. Die Beschäftigten würden nach
Qualifikation eingestellt, unabhängig
von ihrer Religion oder ihrer ethni-
schen Zugehörigkeit.
Der Betriebsrat von VW bestätigte
die Angaben. Regelmäßig besuchen
deutsche Arbeitnehmervertreter die
Fabrik, auch dieses Jahr: „In Gesprä-
chen mit Kolleginnen und Kollegen
sowie mit Vertretern des Manage-
ments hat die Delegation keine Hin-
weise auf Arbeit unter Zwang oder

auf eine Benachteiligung von Minder-
heiten im Betrieb bekommen“, sagte
ein Sprecher des Betriebsrats.
Die Region Xinjiang gilt im Gegen-
satz zu Schanghai oder Peking als
wirtschaftlich unterentwickelt. Um
das zu ändern, drängte die Regie-
rung in Peking in den vergangenen
Jahren Unternehmen dort zu Investi-
tionen. China-Experten sehen darin
das Kalkül, dass sich die Region bei
besserer wirtschaftlicher Entwick-
lung mehr an China annähert. Kriti-
ker sehen die dortige Präsenz von
Westfirmen zugleich als eine Art Fei-
genblatt, mit der die Unterdrü-
ckungsmaßnahmen der Regierung
kaschiert werden sollen.
Das Werk von VW in der Stadt
Ürümqi hat eine Jahreskapazität von
50 000 Fahrzeugen. Rund 25 Prozent
der 650 VW-Mitarbeiter gehörten
Minderheiten an, so ein VW-Spre-
cher. Dies entspreche dem Anteil der
Minderheiten in der gesamten Stadt.
Auch wenn sich der Autobauer be-
müht, das Werk als eine Normalität
im weltweiten Produktionsnetzwerk
darzustellen: Der Standort ist es mit-
nichten. In Branchenkreisen heißt es,
VW sei damals zu dem Investment in
Xinjiang von der chinesischen Füh-
rung gedrängt worden – im Gegenzug
für die Investitionsmöglichkeit an ei-
nem anderen, wichtigeren Standort
im Land.
Der Druck von Peking sei letztlich
so groß gewesen, dass der Vorstand
um den früheren VW-Chef Martin
Winterkorn dem Bau der Fabrik in
Zusammenarbeit mit dem lokalen
Partner SAIC zugestimmt habe. Zur
Eröffnung selbst war Winterkorn
dann nicht angereist. Der Konzern
will diese Darstellung nicht so stehen
lassen. „Volkswagen hat die Entschei-
dung für das Werk in Ürümqi auf
Grundlage rein wirtschaftlicher Über-
legungen gefällt“, sagte ein Sprecher.
Fest steht: Die Region Xinjiang ist
arm, weit von jedem Weltmarkt ent-
fernt. Die Absatzchancen sind über-
schaubar. Derzeit ist das Werk mit

Heikle


Geschäfte


Nach den neuen Vorwürfen wegen Menschenrechtsverletzungen


im Westen Chinas gerät die dort engagierte deutsche Wirtschaft


unter Erklärungsdruck. Die Firmen verweisen auf ihre ethischen


Standards – vermeiden aber die direkte Kritik an China.


Ürümqi im Westen Chinas:
Die Verfolgung von Minder-
heiten bringt deutsche Un-
ternehmen in die Bredouille.

picture alliance / Photoshot

HANDELSBLATT

Urumqi
(VW)

CHINA


Russland


Indien


Pakistan


Tadschi-
kistan

Kasachstan Mongolei


Turpan
Korla (BASF) (VW-Teststrecke)

Provinz
Xinjiang

Wir gehen


davon aus,


dass kein


Mitarbeiter


in Ürümqi


unter Zwang


arbeitet.


Unternehmenssprecher
Volkswagen

Unternehmen

& Märkte

MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229


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