Handelsblatt - 27.11.2019

(Barré) #1

rung des defizitären Verkehrs mit


Einzelwagen, die erst zu kompletten


Zügen zusammenrangiert werden


müssen. Ohne diese „notifizierte Bei-


hilfe“ gehe es nicht, sagt Matthä.


Das ist jetzt auch in Deutschland


ein Thema. Im Klimaprogramm der


Regierung taucht erstmals das Ver-


sprechen auf, den Güterverkehr aus


Steuermitteln künftig unterstützen zu


wollen. Die Bahn-Tochter DB Cargo


steuert dieses Jahr einmal wieder auf


einen dreistelligen Millionenverlust


zu. Eine der Ursachen ist der Einzel-


wagenverkehr.


Österreich hat als Transitland ein


Interesse daran, vor allem die grenz-


überschreitenden Transporte auf der


Schiene auszubauen. Nach Angaben


der ÖBB erspart die Bahn dem Land


schon heute vier Millionen Lkw-Fahr-


ten pro Jahr. Für Matthä lautet das


Ziel ganz klar, Container dürften in


Rotterdam oder den Adriahäfen gar


nicht erst auf dem Lkw landen, son-


dern müssen gleich auf die Schiene.


Auf den Rückhalt in der österrei-


chischen Politik kann sich Matthä bei


seinen Plänen verlassen. „Über alle


Parteien hinweg besteht Einigkeit,


die ÖBB auszubauen und zu moder-


nisieren“, sagte der 57-jährige Vor-


standschef, der seit Frühjahr 2016 an


der Spitze der ÖBB steht.


86 Prozent Pünktlichkeit


Die ÖBB steht in Österreich im Ver-


gleich zu ihrem deutschen Konkur-


renten in hohem Ansehen. „Auf un-


sere Pünktlichkeit sind wir stolz“,


sagt Matthä. Im Fernverkehr erzielte


die österreichische Bahn zuletzt eine


Pünktlichkeit von 86 Prozent. Sie


zählt damit zu den pünktlichsten


Bahnen in Europa. Ein Grund dafür


ist die ständige Erneuerung des


Bahnnetzes seit einigen Jahren. Bei


der Deutschen Bahn ist dagegen je-


der vierte Zug verspätet.


„Vor 15 Jahren standen auch wir


angesichts unterlassener Investitio-


nen in das Bestandsnetz vor dem Kol-


laps“, erinnert sich Matthä. „Wir sind


gebasht worden wie die deutschen


Kollegen und brauchten mehr als


fünf Jahre, um das Blatt zu wenden.“


Es nutze auch nichts, die Bahn mit


Milliarden zuzuschütten. Die Instand-


setzung der Gleisanlagen und die Be-


schaffung neuer Züge brauche eben


Zeit, sagt der ÖBB-Chef.


Die Deutsche Bahn wird dafür kri-


tisiert, dass sie zusätzliche Milliarden


aus dem Klimapaket bekommen soll,


die sie gar nicht investieren könne.


Die ÖBB unternimmt gerade gewal-


tige Investitionen in den Bau neuer


Tunnel durch die Alpen, um ihr


transeuropäisches Netz auszubauen.


Prestigeprojekt ist der Brennerbasis-


tunnel für knapp zehn Milliarden


Euro zwischen Österreich und Italien.


Davon trägt die ÖBB die Hälfte der


Kosten. Das Risiko einer möglichen


Kostenexplosion wie bei Bahnprojek-


ten in Deutschland sieht Matthä


nicht. „Wir sind bei jedem unserer


Großprojekte in den Kostenplanun-


gen geblieben. Die Kostenabweichung


beträgt durchschnittlich nur 0,1 Pro-


zent.“


Dafür gibt es aber auch einen


Grund: Die Österreicher kalkulieren


von Anfang an mit der Inflation. In


Deutschland ist das bei Verkehrspro-


jekten verboten. Eine Kostenexplosi-


on ist damit trotz Risikoaufschlägen


programmiert.


Allerdings liegen am Brenner, dem


längsten Eisenbahntunnel der Welt,


sogar die Arbeiten im Zeitplan. „Be-


reits die Hälfte des Erdmaterials im


Tunnel ist ausgehoben“, berichtet


Matthä. „In der Geologie gibt es eine


Reihe von Herausforderungen. Doch


der Zeitplan wird eingehalten wer-
den.“ 2028 soll der Tunnel zwischen
Innsbruck und Bozen in Betrieb ge-
nommen werden.
Sorgen um den Anschluss aus
Deutschland macht sich der ÖBB-
Chef noch keine. Die Trasse auf deut-
scher Seite müsse nicht 2028 fertig
sein, sagte er. Da seien noch freie Ka-
pazitäten auf der vorhandenen Stre-
cke. Matthä warnt aber: „Viel Zeit las-
sen darf man sich nicht mehr.“
Während die Österreicher vom
größten Infrastrukturprojekt in der
Alpenrepublik überzeugt sind, trifft
die Bahn im benachbarten Bayern

auf Widerstand. Die Auswahl der
Trassenführung entlang des Inntals
schleppt sich hin.
Die ÖBB ist im Vergleich mit der
Deutschen Bahn zwar ein kleines Un-
ternehmen, aber nicht weniger profi-
tabel (siehe Grafik). Im Kerngeschäft,
dem Transport von Personen und
Gütern, kommen beide Staatseisen-
bahnen auf eine vergleichbare Ge-
winnmarge (Ebit) von 4,2 Prozent
(DB) und 4,4 Prozent (ÖBB). Einge-
rechnet sind dabei die staatlichen
Subventionen, die knapp unter 55
Prozent des Umsatzes bei beiden
Staatsbahnen liegen.

Allerdings gibt es einen ganz ent-
scheidenden Unterschied. Schulden
von fast 24 Milliarden Euro in der
ÖBB-Bilanz regen in Wien offenbar
niemanden auf. Der Deutschen
Bahn wird schon ein Finanzdesas-
ter prophezeit, weil die Verschul-
dung in diesem Jahr die 20-Milliar-
den-Grenze überschreitet. Dabei ist
der deutsche Staatskonzern neun-
mal größer als die Konkurrenz aus
dem Süden. Die Berliner Koalition
sieht sich schon zu einer – aller-
dings umstrittenen – Kapitalspritze
von elf Milliarden Euro bis 2030 ge-
nötigt.



    





 

    
 
 


      






 


   


 

 


Unternehmen & Märkte
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229


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