Pro Sieben Sat 1
Ein Versuch
ist es wert
E
s wird unübersichtlich für
die Konsumenten. Ein Strea-
mingdienst nach dem ande-
ren drängt gerade auf den deut-
schen Markt. An diesem Dienstag
ist nun auch „Joyn Plus“ an den
Start gegangen. Mit der Bezahlplatt-
form versucht der Medienkonzern
Pro Sieben Sat 1 einen Teil vom boo-
menden Abo-Geschäft zu ergattern.
Das wird nicht einfach, denn
Deutschlands größte private Sen-
dergruppe tritt gegen riesige Kon-
zerne an: gegen Netflix und Ama-
zon, gegen Apple und Google und
demnächst auch noch gegen Dis-
ney. Vorstandschef Max Conze al-
lerdings hat keine Wahl. Ihm bleibt
gar nichts anderes übrig, als in den
Onlinedienst zu investieren. Denn
sein Kerngeschäft mit TV-Werbung
schrumpft. Die Kunden buchen im-
mer häufiger Internetreklame.
Wichtiger noch: Statt den Fernse-
her einzuschalten, nutzen vor allem
Jugendliche vornehmlich das Netz,
um Serien und Filme anzuschauen.
Wenn er den Nachwuchs nicht ver-
lieren will, muss Conze bei den
Streamingdiensten dabei sein.
Der Ex-Chef des Staubsaugerher-
stellers Dyson kann mit seinen Bud-
gets allerdings nicht mit den US-An-
bietern mithalten. Deshalb ist es
richtig, sich bei Joyn Plus auf deut-
sche Inhalte zu konzentrieren. Mit
lokalen Formaten kann sich Joyn
von den Wettbewerbern aus Über-
see absetzen. Es ist auch clever,
dass sich Pro Sieben Sat 1 mit Dis-
covery einen finanzkräftigen, inter-
national erfahrenen Partner an
Bord geholt hat. So muss das im
MDax notierte Unternehmen die
hohen Investitionen nicht allein
schultern.
Ob sich nennenswert Kunden für
Joyn Plus finden, ist offen. Denn es
fragt sich natürlich, wie viele Abos
sich die Konsumenten hierzulande
leisten werden. Schließlich bietet
kein Anbieter das volle Spektrum
an. Wer sich beispielsweise für Fuß-
ball interessiert, der kommt um Sky
und Dazn nicht herum. Langfristig
ist zu erwarten, dass sich Anbieter
zusammenschließen. Aber im Mo-
ment ist es für Pro Sieben Sat 1
wichtig, das zukunftsträchtige Feld
selbst zu besetzen.
Der Medienkonzern startet einen
eigenen kostenpflichtigen
Streamingdienst. Er hat auch keine
Wahl, findet Joachim Hofer.
„Letztlich geht so ein bisschen
industrieweit die Jagd von einer
zur nächsten Kapitalanlage, bis auch
das ein bisschen ausgelutscht ist.“
Joachim Wenning, Vorstandsvorsitzender Munich Re,
über die Folgen der Tiefstzinsen für die
Versicherungsbranche
Worte des Tages
Der Autor ist Korrespondent
in München.
Sie erreichen ihn unter:
S
pätestens seit dieser Woche ist klar: Die
Neuordnung der Luxusbranche läuft auf
französische Dominanz hinaus. Die Pari-
ser Holding LVMH hat die Übernahme der
amerikanischen Ikone Tiffany für 15 Milli-
arden Euro angekündigt. Es ist ein Deal mit Signal-
wirkung: Es gibt wohl kaum eine Marke, die mehr
für amerikanischen Luxus steht. Truman Capote
widmete dem Juwelier einst seinen Romantitel
„Breakfast at Tiffany’s“, die stilvolle Schauspielerin
Audrey Hepburn verlieh ihm ein Gesicht.
Auch wenn Tiffany ein US-Unternehmen bleiben
wird: Ohne die neuen Eigner aus Paris geht nichts
mehr. Und das gilt mittlerweile für eine Vielzahl von
Luxuslabels. Modehersteller wie Gucci, Fendi, Chris-
tian Dior oder Brioni, der Uhrenspezialist TAG Heuer
oder der deutsche Kofferhersteller Rimowa: All diese
Marken werden von den großen französischen Hol-
dings wie LVMH oder Kering gesteuert.
Die Franzosen sind bei ihrem Siegeszug kaum
mehr zu bremsen. Sie nutzen gezielt eine Schwäche
aus, die sich in den konkurrierenden Ländern aufge-
tan hat. Etwa in Italien. Es ist kein Wunder, dass vie-
le Marken von LVMH und Kering aus diesem Land
stammen. Die Italiener haben es nicht geschafft, ei-
ne ernst zu nehmende eigene Luxusholding aufzu-
bauen. Der Grund dafür liegt auch in der Mentalität
so vieler italienischer Unternehmer, die eher für
kreativen Individualismus als für Teamgeist bekannt
sind. Das führt dazu, dass sie lieber bei einem aus-
ländischen Konglomerat unterschlüpfen, als sich mit
einem heimischen Konkurrenten zusammenzutun,
der womöglich noch das Sagen haben will.
Die Amerikaner wiederum haben bewiesen, dass
sie das schwierige und empfindliche Geschäft des
Luxus schlicht nicht können. Auch weil sie börsen-
notiert sind, haben die wenigen amerikanischen Lu-
xusfirmen wie Ralph Lauren oder Calvin Klein nicht
zuletzt auf Druck der Aktionäre zu schnell auf Ex-
pansion gesetzt und sämtliche Malls des Landes und
sogar die Outlet-Center mit ihren Kleidern bestückt.
Umsatzwachstum um jeden Preis zahlt sich in der
Luxusbranche aber nicht aus. Hier wollen sich die
Kunden als etwas Besonderes fühlen. Wenn sie ihren
Mantel oder ihre Schuhe in jeder Vorstadt-Mall fin-
den, verwässert das die Marke.
Den Franzosen spielt aber noch weit mehr in die
Hände: Die Gründer großer Modelabels kommen in
die Jahre und haben vielfach keinen Nachfolger. Sie
verkaufen ihre Firmen aber auch deswegen, weil sie
als Einzelkämpfer auf dem schwierigen Markt kaum
mehr bestehen können. Luxusmarken müssen heute
nicht mehr nur in Paris, Mailand, New York und viel-
leicht noch Tokio präsent sein. Sie brauchen Flag-
ship-Stores in den Emiraten, in Moskau, Schanghai
und in Seoul. Das alles kostet enorm viel Geld, nur
um Präsenz zu zeigen. Flagship-Stores sind die
Schaufenster der Marken. Aber sie selbst rechnen
sich nur selten. Für LVMH und Kering, die gleich mit
zehn oder 20 Marken in eine Luxusmall gehen, sind
die Preise günstiger. Das Gleiche gilt für Werbekam-
pagnen, die im großen Stil in verschiedenen Län-
dern gebucht werden können.
Nun bedeutet der Verkauf an eine der großen Hol-
dings keineswegs den Untergang – im Gegenteil. Un-
ter den Schirm der Franzosen zu schlüpfen ist oft
das beste Schicksal. Die Geschichte hat gezeigt, dass
Luxusfirmen dort besser gedeihen als in der Hand
eines Finanzinvestors oder gar eines branchenfrem-
den Konzerns.
Die Franzosen haben gezeigt, dass sie mit Luxus-
marken umgehen können. Gucci, Bottega Veneta
und viele andere sind unter ihren Fittichen aufge-
blüht. LVMH und Kering haben zwar ihre Vertriebs-
macht und Luxusexpertise eingebracht. Aber sie las-
sen den Marken ihr Eigenleben. Die Produktion wird
nicht einfach in Billigländer ausgelagert, sondern
häufig am alten Standort ausgebaut.
Die Franzosen wissen, dass Kunden für Hand-
werkskunst und Herkunft zahlen. Wer mehr als
1 000 Euro für eine Handtasche von Bottega Veneta
ausgibt, will nicht, dass sie in China hergestellt wird.
Dank ihres weltweiten Netzes können die Konglome-
rate mit den einzelnen Marken global expandieren,
ohne es an einzelnen Orten zu übertreiben und da-
mit die Marke zu verwässern.
Wie es dagegen einer Modemarke ergehen kann,
die von einem Finanzinvestor übernommen wird,
zeigt das Beispiel Roberto Cavalli. Die Firma driftet
im Besitz des Private-Equity-Investors Clessidra ori-
entierungslos dahin. Das liegt auch daran, dass Lu-
xus Zeit und Vorsicht braucht. Finanzinvestoren ha-
ben es eilig und müssen ihr Investment so schnell
wie möglich mit einem Börsengang oder einem Wei-
terverkauf wieder loswerden.
Mit dem Kauf von Tiffany hat sich LVMH eine et-
was angestaubte Kultmarke gesichert. Gerade den
jüngeren Kunden ist „Frühstück bei Tiffany“ kein Be-
griff mehr. Die türkisfarbene Marke verbinden sie
mit ihren Eltern oder Großeltern. Aber gerade im
Wiederbeleben einer geschichtsträchtigen Marke
sind die Franzosen stark.
Leitartikel
Französische
Luxus-Dominanz
Die Konglomerate
LVMH und Kering
sind die Gewinner im
Luxusmarkt. Die
Holdings aus Paris
bieten Mode- und
Schmucklabels die
beste Heimat, meint
Katharina Kort.
Die Amerikaner
haben bewiesen,
dass sie das
schwierige
und empfind-
liche Geschäft
des Luxus
schlicht nicht
können.
Die Autorin ist Korrespondentin in New York.
Sie erreichen sie unter:
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Meinung
& Analyse
MITTWOCH, 27. NOVEMBER 2019, NR. 229
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